Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Zulassungsentziehung. Verwertung sogenannter Tagesprofile als Beweis für gröbliche Pflichtverletzung. Anfechtungsklage. Berücksichtigung. Änderung. Sach- und Rechtslage. Tatsacheninstanz
Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit und zu den Voraussetzungen der Verwertung sogenannter "Tagesprofile" zum Beweis einer gröblichen Verletzung vertragsärztlicher Pflichten durch Falschabrechnung.
Orientierungssatz
1. Bei der reinen Anfechtungsklage ist bei Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes idR die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen (vgl zuletzt BSG vom 20.4.1993 - 2 RU 52/92 = SozR 3-1500 § 54 Nr 18 mwN). Eine Ausnahme hiervon gilt aber bei Entziehung der Zulassung zur kassen- bzw vertragsärztlichen Tätigkeit in den Fällen, in denen die Entziehung mangels Anordnung eines Sofortvollzuges oder aufgrund der gerichtlichen Aussetzung des Sofortvollzuges Rechtswirkungen noch nicht entfaltet hat, der angegriffene Verwaltungsakt mithin noch nicht vollzogen worden ist (vgl BSG vom 28.3.1958 - 6 RKa 1/57 = BSGE 7, 129, 136); denn durch den Nichtvollzug der Zulassungsentziehung wirkt die Zulassung über den Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheides mit der Folge fort, daß der Arzt weiterhin berechtigt ist, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen.
2. Die Gerichte haben bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit nicht vollzogener Zulassungsentziehungen alle bis zur Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz eingetretene Änderungen der Sach- und Rechtslage und auch Rechtsänderungen in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen. Im Einklang hiermit hat der Senat insbesondere im Hinblick auf ein sogenanntes "Wohlverhalten" des betroffenen Arztes in Zulassungsentziehungsverfahren wiederholt ausgesprochen, daß Änderungen des Sachverhalts bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht zu berücksichtigen sind (vgl zuletzt BSG vom 29.10.1986 - 6 RKa 32/86 = USK 86179).
3. Eine gröbliche Pflichtverletzung iS des § 95 Abs 6 SGB 5 liegt vor, wenn durch sie das Vertrauen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen insbesondere in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen durch den Arzt so gestört ist, daß diesen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arzt nicht zugemutet werden kann (vgl zuletzt eingehend BSG vom 25.10.1989 - 6 RKa 28/88 = BSGE 66, 6, 8 und BVerfG vom 28.3.1985 - 1 BvR 1245/84 = BVerfGE 69, 233, 234 = SozR 2200 § 368a Nr 12). Dabei gehört insbesondere die Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung zu den Grundpflichten des Arztes (vgl ua BSG vom 25.10.1989 und BVerfG vom 28.3.1985 aaO).
Normenkette
SGB V § 95 Abs. 6 Fassung: 1992-12-21; SGG § 54 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
SG Stuttgart (Entscheidung vom 25.10.1989; Aktenzeichen S 14a Ka 1653/88) |
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.12.1990; Aktenzeichen L 5 Ka 2561/89) |
Tatbestand
Streitig ist die Entziehung der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung.
Der 1940 geborene Kläger ist seit 1976 als praktischer Arzt in L.-O in der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung (seit 1. Januar 1993 einheitlich: vertragsärztliche Versorgung) tätig.
Nachdem er in den Quartalen I/81 bis II/83 pro Quartal durchschnittlich 3.700 RVO-Kassen- und Ersatzkassenpatienten (Quartal I/83: 4018 Patienten) behandelt hatte (durchschnittliche Gesamtfallzahl der Fachgruppe in diesen Quartalen: ca 1000 Patienten) und die Behandlungskosten pro Fall in den Quartalen IV/82 bis II/83 den jeweiligen Fachgruppendurchschnitt um 20 % und mehr überschritten hatten, ließ die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) für das Quartal I/83 unter Zugrundelegung von Mindestbehandlungszeiten Tagesprofile erstellen. Danach ergab sich eine durchschnittliche Behandlungszeit des Klägers an fünf Tagen der Woche von jeweils 19 Stunden und 26 Minuten und an Samstagen von fünf Stunden. Der Disziplinarausschuß bei der Beigeladenen zu 1) belegte den Kläger daraufhin mit einer Geldbuße von 5.000,00 DM. Bei dem Umfang der Kassenpraxis und der Vielzahl der abgerechneten Leistungen sei eine ausreichende ärztliche Qualität, wie sie auch Bewertungsgrundlage der Gebührenordnungen sei, ebensowenig gewährleistet wie die sorgfältige und gründliche Behandlung der Patienten. In dieser Vorgehensweise liege eine Verletzung kassenärztlicher Pflichten (Bescheid vom 10. September 1984, bestätigt durch rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Stuttgart vom 28. Mai 1986).
In den Quartalen I/83 bis IV/86 belief sich die Fallzahl des Klägers im RVO-Kassen- und Ersatzkassenbereich auf durchschnittlich 3683 Patienten pro Quartal. Die Prüfgremien im RVO-Bereich kürzten die Honoraranforderungen des Klägers in den Quartalen I/83 bis IV/83 und III/84 bis IV/86 um insgesamt 1.345.285,5 Punkte; im Ersatzkassenbereich betrugen die Kürzungen in den Jahren 1983 bis 1986 69.159,07 DM. Das Gesamthonorarvolumen des Klägers für den Zeitraum 1983 bis 1986 belief sich im RVO-Kassenbereich auf 26.200.000 Punkte, im Ersatzkassenbereich auf 1.410.000,00 DM.
Für das Quartal III/86, in dem der Kläger 2.424 RVO-Kassen- und 1.299 Ersatzkassenversicherte (Fachgruppe: 718 und 224 Versicherte) behandelt hatte (Honoraranforderung des Klägers im RVO-Bereich: 1.714.825,5 Punkte, im Ersatzkassenbereich: 89.743,45 DM), erstellte die Beigeladene zu 1) anhand seiner Abrechnung für jeden Arbeitstag des Quartals ein Tagesprofil. Sie legte dabei bestimmten typischen Leistungen, für deren Abrechenbarkeit ein Tätigwerden des Arztes vorausgesetzt wird (Leistungen nach Gebührennummern 1, 2, 5, 5F, 6, 65, 65B, 100, 253, 254, 285, 651, 652, 800 und 804 BMÄ/E-GO), eine bestimmte Zeitvorgabe zugrunde. Die Tagesprofile ergaben ua für den Monat Juli 1986 Behandlungszeiten des Klägers an 12 Arbeitstagen von mehr als 19 Stunden, davon an fünf Tagen von mehr als 24 Stunden.
Auf Antrag der Beigeladenen zu 1) vom 15. Dezember 1986 entzogen die Zulassungsgremien dem Kläger die Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung, weil er zum einen über einen längeren Zeitraum gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen und zum anderen in nicht unbeträchtlichem Ausmaß Leistungen abgerechnet habe, welche den vorgegebenen Leistungsdefinitionen nicht entsprochen hätten. Das letztere sei durch die Tagesprofilberechnungen bewiesen (Bescheid des Zulassungsausschusses vom 24. Juni 1987, bestätigt durch den Bescheid des beklagten Berufungsausschusses vom 30. März 1988). Dementsprechend widerriefen die Beteiligungsgremien die Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis (Bescheid der Beteiligungskommission vom 20. Juli 1987, bestätigt durch Bescheid der Berufungskommission vom 26. April 1988).
Die hiergegen erhobenen Klagen sind erfolglos geblieben (Urteil des SG Stuttgart vom 25. Oktober 1989). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 19. Dezember 1990). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es lasse sich nicht feststellen, daß der Kläger zur Ausübung der kassen-/vertragsärztlichen Tätigkeit ungeeignet sei. Zunächst stellten sich die über einen längeren Zeitraum erfolgten Verstöße gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit nicht als grobe Pflichtverletzung dar; es habe sich nicht um ganz erhebliche Verstöße gehandelt. Das zeige schon das Verhältnis der Kürzungen zum Gesamtumsatz des Klägers. Die Kürzungen in den Jahren 1983 bis 1986 hätten lediglich ca 5 % des Gesamtumsatzes ausgemacht. Der Kläger habe zudem im maßgeblichen Zeitraum im RVO-Kassenbereich nur geringfügig unter oder über dem Fachgruppendurchschnitt, im Ersatzkassenbereich mit einer durchschnittlichen Überschreitung von 16 % noch innerhalb der normalen Schwankungsbreite gelegen. Ein Arzt, der mit seinem gesamten Abrechnungsverhalten die statistische Streubreite nicht überschreite, könne grundsätzlich nicht aus wirtschaftlichen Gründen als ungeeignet für das System der kassenärztlichen Versorgung bezeichnet werden. Auch die Ergebnisse der im Quartal III/86 erstellten Tagesprofile rechtfertigten nicht die Feststellung der Ungeeignetheit. Tagesprofile könnten zwar grundsätzlich der Prüfung von Abrechnungen zugrunde gelegt werden. Bei ihrer Verwendung müßten aber alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden, was hier durch die Zulassungsgremien nur unzureichend geschehen sei. So erscheine es zwar plausibel, für eine Beratung nach Nr 1 BMÄ/E-GO eine durchschnittliche Behandlungsdauer von 3 Minuten anzunehmen. Es sei jedoch etwas anderes, diese Dauer zum festen Maßstab zu nehmen und auf die Unterschreitung dieser Maßgabe eine Zulassungsentziehung zu stützen. Zu beachten sei auch, daß die von den Zulassungsgremien zugrunde gelegten Zeitvorgaben nicht ohne weiteres stimmig seien. So berücksichtigten sie zB nicht die in dem Verhältnis der Punktzahlen untereinander zum Ausdruck gekommenen Zeitrelationen. Gegen die Bildung von Durchschnittswerten bestünden schließlich insoweit Bedenken, als die im Tagesprofil bewerteten Gebührennummern ein breites Spektrum ärztlicher Verrichtungen umfaßten, wie dies bei den Nrn 1 bis 6, 65 und 800 der Fall sei. Auch ansonsten seien die Entscheidungen der Beklagten nicht genügend fundiert. So habe die Beigeladene zu 1) von ihrer Möglichkeit, die Honorarabrechnungen des Klägers zu kürzen, nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht. Zudem sei nicht ersichtlich, daß die Beigeladene zu 1) die ihr nach dem Gesetz zustehende Befugnis wahrgenommen habe, die Honorarabrechnungen des Klägers wegen übermäßiger Praxisausdehnung zu kürzen. Daraus könne nur der Schluß gezogen werden, daß weder das zwischen den an der kassenärztlichen Versorgung Beteiligten bestehende besondere Vertrauensverhältnis irreparabel gestört und die Zusammenarbeit mit dem Kläger für die übrigen Beteiligten unzumutbar noch die Entziehung der Zulassung erforderlich sei, um das System der kassenärztlichen Versorgung funktionsfähig zu halten.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen neben Verfahrensfehlern und Divergenz die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe den Begriff der gröblichen Pflichtverletzung und damit die Voraussetzungen verkannt, unter denen die Zulassung eines Kassenarztes zu entziehen sei. Insbesondere habe es zu Unrecht die Geeignetheit der Tagesprofile zum Nachweis fehlerhafter Abrechnungen verneint. Auf ihrer Grundlage seien grobe Pflichtverstöße des Klägers bei der Abrechnung von Leistungen erwiesen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Dezember 1990 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. Oktober 1989 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es verstoße weder gegen formelles noch gegen materielles Recht. Zu Recht habe das LSG unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erkannt, daß er, der Kläger, seine Pflichten nicht gröblich verletzt habe. Tagesprofile seien nicht geeignet, einen Pflichtverstoß festzustellen. Die darin angenommenen Durchschnittszeiten spiegelten die tatsächlichen Verhältnisse nur unzureichend wider und berücksichtigten weder die individuelle Leistungsfähigkeit des beurteilten Arztes noch bei der Nr 1 BMÄ/E-GO die Tatsache, daß darunter ein sehr breites Spektrum ärztlicher Leistungen mit unterschiedlichen Zeiten abgerechnet werde. Durch organisatorische Maßnahmen und aufgrund seiner individuellen Leistungsfähigkeit habe er, der Kläger, den Patientenstrom bewältigt. Zudem habe er seinen Praxisumfang zurückgeschraubt. Auch die Kürzungen in den Jahren 1984 bis 1986 rechtfertigten nicht den Vorwurf eines gröblichen Pflichtverstoßes.
Die Beigeladenen zu 2), 3), 5) und 7) beantragen ebenfalls,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Dezember 1990 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. Oktober 1989 zurückzuweisen.
Sie halten ebenso wie der Beigeladene zu 4), der sich den Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) anschließt, die Voraussetzungen einer Entziehung der Zulassung des Klägers für gegeben.
Die Beigeladene zu 6) hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) sind insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist. Die bisher getroffenen Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Gegenstand der - hier erhobenen - reinen Anfechtungsklage sind der Bescheid des - nach seiner Anrufung ausschließlich funktionell zuständigen (s Urteil des Senats vom 27. Januar 1993 - 6 RKa 40/91 = SozR 3-2500 § 96 Nr 1) - Berufungsausschusses und der Bescheid der früher für die vertragsärztliche Beteiligung zuständig gewesenen Berufungskommission, den der Berufungsausschuß nunmehr ebenfalls zu vertreten hat. Nach der Beseitigung der Aufteilung der ambulanten Versorgung in einen kassen- und vertragsärztlichen Bereich durch das Gesundheits-Strukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992 - BGBl I S 2266 - (vgl § 72 Abs 1, 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB V≫ idF des GSG) folgt daraus in organisatorischer Hinsicht, daß die Zulassungsausschüsse und - auf ihre Anrufung hin - die Berufungsausschüsse, an deren Errichtung die Verbände der Ersatzkassen mitwirken, einheitlich über die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung entscheiden (dazu Senatsurteil vom 14. Juli 1993 - 6 RKa 71/91 = SozR 3-2500 § 116 Nr 4). Die Zulassungsgremien sind im Wege der gesetzlichen Funktionsnachfolge an die Stelle der bisher im Ersatzkassenbereich zuständig gewesenen Beteiligungs- und Berufungskommissionen getreten. Die Zuständigkeit der Zulassungsgremien erstreckt sich auch auf die Verfahren, die vor den im früheren Ersatzkassenbereich tätigen Beteiligungsgremien anhängig waren. Damit ist im vorliegenden Verfahren der beklagte Berufungsausschuß auch insoweit sachlich zuständig geworden, als der Bescheid der Berufungskommission angefochten worden ist.
Für die Beurteilung des Klagebegehrens ist die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht, für die Beurteilung der Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz maßgebend. Zwar ist bei der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) bei Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes in der Regel die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen (s zuletzt BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 18, mwN). Eine Ausnahme hiervon gilt aber nach der Rechtsprechung des Senats bei Entziehung der Zulassung zur kassen- bzw vertragsärztlichen Tätigkeit in den Fällen, in denen die Entziehung mangels Anordnung eines Sofortvollzuges oder aufgrund der gerichtlichen Aussetzung des Sofortvollzuges Rechtswirkungen noch nicht entfaltet hat, der angegriffene Verwaltungsakt mithin noch nicht vollzogen worden ist (so bereits Senatsurteil vom 28. März 1958 - BSGE 7, 129, 136 = SozR Nr 41 zu § 54 SGG ≪nur LS≫); denn durch den Nichtvollzug der Zulassungsentziehung wirkt die Zulassung über den Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheides mit der Folge fort, daß der Arzt weiterhin berechtigt ist, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Diese Fallgestaltung gleicht derjenigen bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkungen, deren Rechtmäßigkeit ebenfalls unter Berücksichtigung nachträglicher Änderungen der Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist (BSGE 61, 203, 205 = SozR 4100 § 186a Nr 21; BSGE 68, 228, 231 = SozR 3-2200 § 248 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 18). Demgemäß haben die Gerichte bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit nicht vollzogener Zulassungsentziehungen alle bis zur Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz eingetretenen Änderungen der Sach- und Rechtslage und auch Rechtsänderungen in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen (vgl Bley, SozVers-GesKomm, § 54 Anm 7c; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, VI RdNr 120; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 54 RdNr 33). Im Einklang hiermit hat der Senat insbesondere im Hinblick auf ein sogenanntes "Wohlverhalten" des betroffenen Arztes in Zulassungsentziehungsverfahren wiederholt ausgesprochen, daß Änderungen des Sachverhalts bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht zu berücksichtigen sind (BSGE 7, 129, 136 = SozR aaO; BSGE 33, 161, 163 = SozR Nr 35 zu § 368a RVO; Urteil vom 16. März 1973 - 6 RKa 17/71 = USK 7353; BSGE 43, 250, 253 = SozR 2200 § 368a Nr 3; Urteil vom 8. Juli 1980 - 6 RKa 10/78 = USK 80102; Urteil vom 19. Dezember 1984 - 6 RKa 34/83 = USK 84272; Urteil vom 29. Oktober 1986 - 6 RKa 32/86 = USK 86179).
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Beurteilung des Klagebegehrens ist mithin der am 1. Januar 1989 in Kraft getretene und mit Wirkung ab 1. Januar 1993 durch Art 1 Nr 51 Buchst g) des GSG vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) neugefaßte § 95 Abs 6 SGB V. Nach dieser Vorschrift ist dem Vertragsarzt die Zulassung ua zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt hat. Die Vorschrift steht insoweit in Übereinstimmung mit der zuvor maßgeblich gewesenen Regelung des § 368a Abs 6 RVO. Zwar unterscheidet sich § 95 Abs 6 SGB V darin von § 368a Abs 6 RVO, daß nach dieser Bestimmung die Zulassung bei Vorliegen einer gröblichen Pflichtverletzung entzogen werden "konnte". Die Rechtsprechung hat aber die Kann-Regelung des § 368a Abs 6 RVO in dem Sinne verstanden, daß bei Erfüllung des Tatbestandes einer gröblichen Pflichtverletzung die Zulassung zu entziehen ist (dazu Urteil des Senats in BSGE 66, 6, 7 f = SozR 2200 § 368a Nr 24).
Eine gröbliche Pflichtverletzung iS des § 95 Abs 6 SGB V liegt vor, wenn durch sie das Vertrauen der KÄV und der Krankenkassen insbesondere in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen durch den Arzt so gestört ist, daß diesen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arzt nicht zugemutet werden kann (s zuletzt eingehend BSGE 66, 6, 8 = SozR aa0; BVerfGE 69, 233, 234 = SozR 2200 § 368a Nr 12). Dieser Arzt ist dann zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nicht (mehr) geeignet; denn die Funktionsfähigkeit des von anderen geschaffenen und finanzierten Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung, an dem der Arzt durch seine Zulassung teilnimmt, hängt in dem hier zu betrachtenden Teil der vertragsärztlichen Versorgung entscheidend mit davon ab, daß die KÄV und die Krankenkassen auf die ordnungsgemäße Leistungserbringung und auf die peinlich genaue Abrechnung der zu vergütenden Leistungen vertrauen können. Dieses Vertrauen ist deshalb von so entscheidender Bedeutung, weil ordnungsgemäße Leistungserbringung und peinlich genaue Abrechnung lediglich in einem beschränkten Umfang der Überprüfung durch diejenigen zugänglich sind, die die Gewähr für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu tragen haben, nämlich die KÄV und die Krankenkassen. Insbesondere die Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung gehört daher zu den Grundpflichten des Arztes (BSGE 43, 250, 252 = SozR aa0; BSGE 66, 6, 8 = SozR aa0; BVerfGE 69, 233, 244 = SozR aa0). Der Arzt verstößt hiergegen, wenn er Leistungen abrechnet, die er entweder nicht oder nicht vollständig oder - sofern sie sein Tätigwerden voraussetzen - nicht selbst erbracht hat. Auch die beiden letztgenannten, häufig nur schwer nachzuweisenden Formen des Abrechnungsbetruges (vgl hierzu Steinhilper in: Brennpunkte des Sozialrechts, 1993, 1, 3) wiegen nicht weniger schwer als die Abrechnung von Leistungen, die von vornherein nicht erbracht worden sind.
Der Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung erweist sich in der Regel als gröbliche Pflichtverletzung, die zur Entziehung der Zulassung führt. Andererseits ist aber zu beachten, daß die Entziehung schwerwiegend in das Grundrecht der Berufsfreiheit des betroffenen Arztes aus Art 12 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) eingreift. Die Zulassungsentziehung darf deshalb unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur ausgesprochen werden, wenn sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragsärztlichen Versorgung ist.
In Anwendung der aufgezeigten Grundsätze ist - entgegen der Auffassung des LSG - davon auszugehen, daß der Beklagte und die Berufungskommission zu Recht eine gröbliche Verletzung der kassen- bzw vertragsärztlichen Pflichten durch den Kläger angenommen haben. Hierbei steht im Vordergrund der Bewertung als gröbliche Pflichtverletzung der aufgrund der Tagesprofile festgestellte Verstoß gegen die Verpflichtung zur peinlich genauen Leistungsabrechnung. Der Senat vermag die Bedenken des LSG, daß die Tagesprofile, deren grundsätzliche Eignung das Berufungsgericht nicht in Frage stellt (ebenso auch LSG Baden-Württemberg, SGb 1992, 265 ff mit insoweit kritischer Anmerkung von Schneider), im Falle des Klägers keine ausreichenden Schlußfolgerungen zuließen, nicht zu teilen.
Tagesprofile sind unter bestimmten Voraussetzungen ein geeignetes - und bei übermäßiger Praxisausdehnung in der Regel das einzige - Beweismittel, um einem Arzt unkorrekte Abrechnungen nachweisen zu können. Die Beweisführung mit Tagesprofilen ist dem Indizienbeweis zuzuordnen (ebenso: Weber/Droste, NJW 1992, 2281, 2286); denn mit ihnen wird über den Beweis von Hilfstatsachen auf das Vorliegen beweiserheblicher Tatsachen geschlossen. Eine Beweisführung aufgrund indizieller Beweise ist, wie der Senat schon für den Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung dargelegt hat, grundsätzlich nur dann zulässig, wenn Möglichkeiten zur unmittelbaren Feststellung beweiserheblicher Tatsachen nicht bestehen oder mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden sind (BSGE 70, 246, 252 = SozR 3-2500 § 106 Nr 10). Er hat deshalb für die Wirtschaftlichkeitsprüfung, in deren Rahmen es regelmäßig unmöglich ist, die ursprüngliche Behandlungssituation im nachhinein aufzuklären, die Beweisführung für eine unwirtschaftliche Behandlungsweise an Hand von Durchschnittswerten zugelassen (vgl nunmehr § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V). Entsprechende Erwägungen gelten auch im vorliegenden Verfahren. Selbst wenn man nämlich grundsätzlich davon ausginge, daß unmittelbar nach der Behandlung durchgeführte Patientenbefragungen Aufschlüsse über das Behandlungs- und Abrechnungsverhalten des betroffenen Arztes bringen könnten und derartigen Befragungen rechtliche Hindernisse wie etwa die Berücksichtigung des Datenschutzes nicht entgegenstünden, dürften derart erhebliche Eingriffe in den Praxisbetrieb eines Arztes nur bei Vorliegen schwerwiegender Verdachtsmomente vorgenommen werden. Diese ergeben sich aber erst nach Abschluß der Behandlungen auf der Grundlage einer konkreten Abrechnung. Nachträglich durch Befragung der Patienten - hier von ca 3.700 im Quartal III/86 - das Behandlungs- und Abrechnungsverhalten eines Arztes aufklären zu wollen, erweist sich bei realistischer Betrachtung als unmöglich.
Tagesprofile stellen die Addition der Behandlungszeiten für Leistungen dar, die der Arzt an einem Tag abgerechnet hat. Ihnen kann für den Nachweis einer gröblichen Pflichtverletzung iS des § 95 Abs 6 SGB V ein Beweiswert nur dann zukommen, wenn bei ihrer Erstellung bestimmten Anforderungen, die sich aus der Eigenart dieses Beweismittels ergeben, genügt worden ist. Zunächst dürfen für die Ermittlung der Gesamtbehandlungszeit des Arztes an einem Tag nur solche Leistungen in die Untersuchung einbezogen werden, die ein Tätigwerden des Arztes selbst voraussetzen. Delegationsfähige Leistungen haben somit außer Betracht zu bleiben. Zu berücksichtigen ist weiter, daß die für die einzelnen ärztlichen Leistungen zugrunde zu legenden Durchschnittszeiten so bemessen sein müssen, daß auch ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen kann. Der Qualifizierung als Durchschnittszeit entspricht es, daß es sich hierbei nicht um die Festlegung absoluter Mindestzeiten handelt, sondern um eine Zeitvorgabe, die im Einzelfall durchaus unterschritten werden kann. Die Durchschnittszeit stellt sich aber bei einer ordnungsgemäßen und vollständigen Leistungserbringung als der statistische Mittelwert dar. Die Festlegung der für eine ärztliche Leistung aufzuwendenden Durchschnittszeit beruht auf ärztlichem Erfahrungswissen. Sie ist deshalb ebenso und in dem Umfang gerichtlich überprüfbar, in dem auch im übrigen auf ärztlichem Erfahrungswissen beruhende Festlegungen überprüft werden. Bei der Erstellung von Tagesprofilen ist zudem zu beachten, daß bestimmte Leistungen nebeneinander berechnungsfähig sind, der zu berücksichtigende Zeitaufwand in diesen Fällen also nicht für jede Leistung angesetzt werden darf. Tagesprofile müssen für einen durchgehenden längeren Zeitraum erstellt werden, wobei es angezeigt erscheint, wenigstens ein Abrechnungsquartal heranzuziehen.
Sind Tagesprofile unter Beachtung der aufgezeigten Kriterien erstellt worden, ist es rechtlich unbedenklich, aus ihnen bei entsprechenden Ergebnissen im Wege des Indizienbeweises auf die Abrechnung nicht oder nicht ordnungsgemäß erbrachter Leistungen durch einen Arzt zu schließen (für die Geeignetheit von Tagesprofilen in diesem Sinne: LSG München, USK 86157; LSG München, Arztrecht 1988, 126 mit teilweise kritischer Anmerkung von Debong; weiter: Hess in: Steinhilper, Arzt- und Abrechnungsbetrug, 1988, 35, 39 f; Narr, Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart, 1989, 243, 265; ablehnend: Broglie, Der Arzt und sein Recht, 1989, S 46). Nicht eingegangen werden muß darauf, daß Tagesprofile möglicherweise nicht geeignet sind, im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung die unwirtschaftliche Erbringung bestimmter Leistungen zu belegen (deshalb kritisch zur Heranziehung von Tagesprofilen bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung: Weber/Droste, aa0, 2287; Spellbrink, NZS 1993, 298, 304).
Die von der Beigeladenen zu 1) gefertigten Tagesprofile für das Quartal III/86, auf die sich die Beweisführung des Beklagten und der Berufungskommission in den angefochtenen Bescheiden stützt, werden den dargestellten Anforderungen gerecht. Den Tagesprofilen wurden ausschließlich die Leistungen nach den Nrn 1, 2, 5, 5F, 6, 65, 65B, 100, 253, 254, 285, 651, 652, 800 und 804 BMÄ/E-GO zugrunde gelegt. Andere Leistungen, die ebenfalls ein Tätigwerden des Arztes voraussetzen, die aber vom Kläger nur selten abgerechnet wurden, blieben außer Betracht. Für die Leistungen nach den Nrn 253, 254, 651 wurde ein durchschnittlicher Zeitaufwand des Arztes von einer Minute, für die Leistungen Nrn 1, 2, 5F und 285 einer von drei Minuten, für die Leistungen Nr 65B acht Minuten, für die Leistungen Nrn 65, 100 und 804 zehn Minuten und für die Leistungen Nrn 5, 6 und 800 BMÄ/E-GO ein durchschnittlicher Zeitaufwand von 15 Minuten angesetzt. Die Tagesprofile ergaben danach für den Monat Juli 1986 an fünf Tagen reine Behandlungszeiten des Klägers von mehr als 24 Stunden und an weiteren sieben Tagen Behandlungszeiten zwischen 19 und 24 Stunden. Auf der Grundlage dieser Berechnungen und unter Verwertung der Ermittlungen für das Quartal I/83, die zur Verhängung der Disziplinarmaßnahme geführt hatten, sahen es der Beklagte und die Berufungskommission als erwiesen an, daß der Kläger in erheblichem Umfang Leistungen abgerechnet hat, die den Leistungsdefinitionen des BMÄ bzw der E-GO nicht entsprochen haben. M.a.W.: Der Kläger hat nach den diesbezüglichen Feststellungen Leistungen abgerechnet und auch vergütet erhalten, die er nicht abrechnen durfte, weil sie entweder nicht, nicht vollständig oder nicht von ihm selbst erbracht worden waren.
Die vom Berufungsgericht aufgezeigten Bedenken stehen der Verwertung der Tagesprofile nicht entgegen. Fehl geht schon der Ansatz, durch das Inbeziehungsetzen von Punktzahlen auf rechnerischem Wege bestimmte Zeitwertrelationen zu ermitteln. Diese Überlegungen sind nicht geeignet, die auf ärztlichem Erfahrungswissen beruhenden Durchschnittszeitvorgaben, deren Angemessenheit der Kläger im Verwaltungsverfahren über den Disziplinarbescheid hinsichtlich der Leistung nach Nr 1 BMÄ/E-GO bestätigt hat, in Frage zu stellen. Auf die entsprechenden Berechnungen des LSG braucht deshalb nicht näher eingegangen zu werden.
Soweit das LSG auf eine vermeintliche Unstimmigkeit bei der Festlegung der Zeitdauer für die Leistung nach Nr 65 BMÄ/E-GO (Zeitdauer von fünf Minuten im Tagesprofil für das Quartal I/83, von zehn Minuten im Tagesprofil für das Quartal III/86) hinweist, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Es hat zunächst keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die eine durchschnittliche Behandlungszeit von zehn Minuten bei einer eingehenden Untersuchung nach Nr 65 BMÄ/E-GO als unangemessen erscheinen lassen. Selbst wenn man aber bei dieser Leistung eine durchschnittliche Behandlungsdauer von nur fünf Minuten zugrunde legte, würde sich dies weder entscheidend auf die vom Kläger abgerechnete Behandlungszeit auswirken noch den Beweiswert der Tagesprofile insgesamt in Frage stellen. Bei seiner kritischen Betrachtung der Tagesprofile läßt das LSG nämlich außer Betracht, daß die sich danach ergebenden täglichen Behandlungszeiten des Klägers nur einen Teil der von ihm tatsächlich aufzuwendenden Arbeitszeit erfassen; denn bei den mit den Tagesprofilen ermittelten Zeiten handelt es sich um die Addition ausschließlich von Behandlungszeiten. Für die Feststellung der Gesamtarbeitszeit müßte ihnen ein durchschnittlicher Zeitaufwand für Befundung, Dokumentation, das Abfassen von Arztbriefen sowie für das Anleiten, Überwachen und Ausbilden des Hilfspersonals zugerechnet werden. Weiter wären die Behandlungszeiten für Patienten, die in den Abrechnungen für die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfaßt sind, die aber in Praxen dieser Größenordnung typischerweise auch behandelt werden, zu berücksichtigen. Es handelt sich dabei um Privatpatienten oder Versicherte anderer Kostenträger (Bundeswehr, Bundesbahn, Bundespost). Schließlich werden in den für den Kläger erstellten Tagesprofilen andere notwendige Unterbrechungen der Behandlungen wie die durch die Einnahme von Mahlzeiten oä nicht erfaßt.
Aus den aufgezeigten Gesichtspunkten ergibt sich, daß nicht erst bei durch Tagesprofile ermittelten täglichen Behandlungszeiten von 19 Stunden und mehr die Abrechnung nicht ordnungsgemäß erbrachter Leistungen als erwiesen anzusehen ist.
Die rechtlichen Bedenken des LSG gegen die auf der Grundlage der Tagesprofile getroffenen Feststellungen des Beklagten und der Berufungskommission, der Kläger habe in erheblichem Umfang über einen längeren Zeitraum Leistungen abgerechnet, die nicht den maßgeblichen Leistungsdefinitionen entsprochen haben und damit nicht abrechnungsfähig waren, greifen somit nicht durch. Die Ergebnisse der Tagesprofile stehen im übrigen mit der vom Senat schon in anderem Zusammenhang aufgezeigten allgemeinen Erfahrung im Einklang, daß "bei einer 'übergroßen Praxis' in der Regel die Leistungen des Kassenarztes im einzelnen nach Art und Umfang geringer sind als bei einer Kassenpraxis mit durchschnittlicher Belastung" (Urteil vom 9. Mai 1985 - 6 RKa 39/83 - unveröffentlicht).
Das Verhalten der zu 1) beigeladenen KÄV steht der Rechtmäßigkeit der Bescheide des Beklagten und der Berufungskommission nicht entgegen. Das LSG schließt aus diesem Verhalten - nämlich zum einen einer unzureichenden Wahrnehmung der Möglichkeit von Kürzungen, zum anderen einem Unterlassen von Honorarkürzungen wegen übermäßiger Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit -, die Bescheide des Beklagten und der Berufungskommission seien auch sonst "nicht genügend fundiert". Es bedarf hier keines Eingehens darauf, ob überhaupt und ggf unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt sich ein Verhalten der KÄV auf die Rechtmäßigkeit von Bescheiden, die von organisatorisch selbständigen Verwaltungsträgern wie dem beklagten Berufungsausschuß erlassen worden sind, auswirken kann; denn schon den zugrundeliegenden Annahmen und Folgerungen des LSG kann aus verschiedenen Gründen nicht zugestimmt werden.
Der erkennende Senat hat bereits früher ausgeführt, daß eine nicht rechtzeitige Reaktion einer KÄV auf Pflichtverletzungen eines Arztes nicht dessen Eignung begründen kann (BSGE 66, 6, 8 = SozR aa0). Hiervon abzugehen, besteht kein Anlaß. Ungeachtet dessen ist die Beigeladene zu 1) im vorliegenden Verfahren angemessen tätig geworden. Sie hat nämlich nach der Erstellung von Tagesprofilen für das Quartal I/83 gegen den Kläger ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachts der Falschabrechnung eingeleitet, das zu dem Disziplinarbescheid vom 10. September 1984 geführt hat. Es kann der Beigeladenen zu 1) nicht entgegengehalten werden, daß sie das sich anschließende sozialgerichtliche Verfahren abgewartet und erst nach Erlaß des sozialgerichtlichen Urteils vom 28. Mai 1986 erneut in Ermittlungen über das Abrechnungsverhalten des Klägers eingetreten ist. Soweit das Berufungsgericht der Beigeladenen zu 1) im einzelnen entgegenhält, sie habe die Abrechnungen des Klägers im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nur in geringem Umfang gekürzt, übersieht es zudem, daß die KÄV jedenfalls im RVO-Kassenbereich für die Kürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise nicht zuständig war. Diese obliegt den rechtlich verselbständigten Prüfungsgremien. Im übrigen läßt das LSG den Umstand außer acht, daß die unter Einsatz eines Praxiscomputers erstellten Abrechnungen des Klägers für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der hier in Betracht kommenden statistischen Methode keine ausreichenden Ansatzpunkte geboten haben; denn die Fallwerte des Klägers hielten sich - sofern er den Fachgruppendurchschnitt überschritt - im fraglichen Zeitraum im Bereich der sogenannten Streubreite, so daß eine Kürzung wegen statistischer Auffälligkeiten nicht ohne weiteres möglich war.
Das Berufungsgericht wertet es des weiteren als rechtlich erheblich, daß "nicht ersichtlich" sei, daß die Beigeladene zu 1) von der ihr durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit der Honorarkürzung wegen übermäßiger Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit Gebrauch gemacht habe. Auch hier ist fraglich, inwiefern einem solchen Verhalten der Beigeladenen zu 1) rechtliche Auswirkungen auf die Bescheide des Beklagten und der Berufungskommission zukommen soll. Abgesehen davon fehlt es bereits an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen für das vom LSG angenommene Verhalten der Beigeladenen zu 1). Ermittlungen hierzu wurden durch die Tatsachengerichte nicht angestellt. Den Verfahrensakten sind keine Erkenntnisse darüber zu entnehmen, ob die Beigeladene zu 1) im Hinblick auf die übermäßige Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit Honorarkürzungen beim Kläger vorgenommen hat. Die Behauptung, dies sei "nicht ersichtlich", ersetzt eine entsprechende Tatsachenfeststellung nicht.
Nach alledem steht fest, daß der Kläger seine vertragsärztlichen Pflichten durch die Abrechnung nicht oder nicht ordnungsgemäß erbrachter Leistungen iS des § 95 Abs 6 SGB V gröblich verletzt hat. Neben dieser Pflichtverletzung kommt den zahlreichen Verstößen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, wie sie in den Bescheiden des Beklagten und der Berufungskommission im einzelnen dargelegt sind, keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Deshalb erübrigt sich ein Eingehen auf die diesbezüglichen Ausführungen des LSG.
Zutreffend haben der Beklagte und die Berufungskommission die Pflichtverstöße des Klägers als so schwerwiegend angesehen, daß der KÄV und den Krankenkassen eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht zumutbar und damit ein milderes Mittel zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung nicht ersichtlich ist. Unmittelbarer Anlaß der Zulassungsentziehung waren die dem Kläger aufgrund der Tagesprofile im 3. Quartal 1986 nachgewiesenen Pflichtverstöße. Der Beklagte und die Berufungskommission haben sich aber zur Begründung der Zulassungsentziehung auch auf das Abrechnungsverhalten des Klägers seit dem Quartal I/83 bezogen. Nach den hierzu getroffenen Feststellungen des LSG steht fest, daß sich für das Quartal I/83 aufgrund der vom Kläger abgerechneten Behandlungen tägliche Behandlungszeiten an fünf Tagen der Woche von mehr als 19 Stunden ergeben haben. Im Anschluß an die vorherigen Ausführungen braucht nicht näher dargelegt zu werden, daß diese Behandlungszeiten nur erreicht werden können, wenn der Kläger Leistungen abgerechnet hat, die er nicht, nicht ordnungsgemäß oder nicht persönlich erbracht hat. Zwar ist dem LSG zuzugeben, daß der Kläger sein Abrechnungsverhalten seit dem Quartal I/83 in Teilbereichen geändert, insbesondere die Zahl der abgerechneten Beratungen (im Quartal I/83: 17.608 Leistungen nach Nr 1 BMÄ/E-GO) verringert hat (auf durchschnittlich ca 11.000 pro Quartal im Jahre 1986). Zutreffend ist auch, daß der seit dem Quartal I/83 zu verzeichnende Anstieg bei zeitintensiven Leistungen wie den nach Nrn 800 und 804 BMÄ/E-GO (auf zB 344 abgerechnete Leistungen im Quartal III/86) die in zeitlicher Hinsicht durch den Nichtansatz von Leistungen nach Nr 1 BMÄ/E-GO erzielten Einsparungen nicht aufgehoben hat. Dies kann aber nicht als Entlastung des Klägers gewertet werden; denn selbst bei den danach reduzierten Abrechnungen des Quartals III/86 steht - wie oben im einzelnen aufgezeigt - fest, daß der Kläger in erheblichem Umfang Leistungen abgerechnet hat, die von ihm nicht, nicht ordnungsgemäß oder nicht persönlich erbracht worden sind. Ein derartiges Verhalten über einen Zeitraum von mehreren Jahren stellt sich als so schwerwiegende Pflichtverletzung dar, daß die Entziehung der Zulassung das einzige und gebotene Mittel ist.
Der Senat vermochte dennoch nicht dem Begehren des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) zu entsprechen, die Zulassungsentziehung zu bestätigen. Nach seiner bereits erwähnten Rechtsprechung haben die Tatsacheninstanzen Änderungen der Sachlage zu berücksichtigen, die während des Verlaufs des Rechtsstreits über eine Zulassungsentziehung, deren Vollzug nicht angeordnet war, eingetreten sind. Dazu zählt insbesondere der Umstand, ob der Vertragsarzt die durch eine gröbliche Pflichtverletzung verlorene Eignung zur weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Laufe des - möglicherweise lange dauernden - Rechtsstreits wiedererlangt hat, wobei allerdings einem Wohlverhalten des betreffenden Arztes während des Prozesses weniger Gewicht zukommt als seinem vorwerfbaren Verhalten in der Zeit vor der Zulassungsentziehung (vgl zB BSGE 43, 250, 253 = SozR aa0).
Das LSG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine konkreten Feststellungen zu dem Abrechnungsverhalten des Klägers nach Ablauf des Jahres 1986 getroffen. Das wird es nunmehr unter Einbeziehung des bis zu seiner nochmaligen Entscheidung vergehenden Zeitraums nachzuholen haben. Hätte der Kläger sein Abrechnungsverhalten seit Ablauf des Jahres 1986 grundlegend und dauerhaft geändert, worauf eine beiläufige Bemerkung des LSG hinzudeuten scheint, so könnte dies ein Anhaltspunkt dafür sein, daß er seine Eignung während des Verlaufs des Verfahrens wiedererlangt hat. Bei der Beurteilung seiner Wiedereignung für eine vertragsärztliche Tätigkeit wird auch zu berücksichtigen sein, ob sich der Kläger zur Begleichung des von ihm durch fehlerhafte Abrechnungen in den Jahren 1983 bis 1986 verursachten Schadens bereit erklärt.
Das LSG wird die hierzu erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben. Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Bei seiner Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 913330 |
BSGE, 234 |
NJW 1995, 1636 |