Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8. Oktober 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin ist Witwe des am 26. Februar 1994 verstorbenen J. B., dessen Anspruch auf Altersruhegeld (ARG) wegen Vollendung des 65. Lebensjahres zwischen den Beteiligten streitig ist. Dabei geht es insbesondere um die Anerkennung von Beitragszeiten für Arbeit, die während eines Ghettoaufenthaltes im ehemaligen Reichsgau Wartheland geleistet worden ist.
Der am 1. Mai 1921 in Polen geborene Ehemann der Klägerin war ursprünglich polnischer Staatsangehöriger. Er lebte ab Anfang 1940 im Ghetto Zagorow, wo er in der Zeit von Mai bis Oktober 1940 zu Feld- und Straßenbauarbeiten für die Stadtverwaltung Zagorow herangezogen wurde. Anschließend wurde er in verschiedene Zwangsarbeits- und Konzentrationslager verbracht. Nach seiner Befreiung im Januar 1945 hielt er sich bis Mitte 1946 in Polen auf, lebte dann bis Mitte 1948 in einem Lager für „Displaced Persons” (DP) in Feldafing und begab sich im Januar 1949 nach Israel, wo er die israelische Staatsangehörigkeit erwarb. Der Verstorbene war als Verfolgter iS des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt.
Den im Dezember 1989 gestellten Antrag auf Gewährung von ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. August 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 1995 im wesentlichen mit folgender Begründung ab: ARG könne nicht gewährt werden, weil keine auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten vorlägen. Die geltend gemachten Arbeitszeiten im Ghetto Zagorow könnten nicht berücksichtigt werden. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, daß sie im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses verrichtet worden seien. Zwangsarbeiten im Ghetto seien als Ersatzzeiten anzusehen, nicht aber als Beitragszeiten.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen: Bei den streitigen Arbeiten ihres Ehemannes habe es sich nicht um Zwangsarbeiten, sondern um Tätigkeiten für die Stadtverwaltung gehandelt, die auch entlohnt worden seien. Sie seien im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden. Daß ihr Ehemann diese Tätigkeiten (Feld- und Straßenarbeiten, Häuser einreißen) ausweislich der Entschädigungsakten früher als Zwangsarbeiten bezeichnet habe, sei unerheblich.
Durch Urteil vom 8. Oktober 1998 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Beklagte verurteilt, der Klägerin aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes für die Zeit vom 1. Mai 1986 bis zum 28. Februar 1994 ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres unter Berücksichtigung der Zeiten von Mai bis Oktober 1940 als glaubhaft gemachter (fiktiver) Beitragszeiten und (soweit die einzelnen Monate nicht mit Beitragszeiten belegt seien) der Zeiten von November 1939 bis Februar 1945 als Ersatzzeiten zu gewähren.
Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt: Es sei glaubhaft, daß der Ehemann der Klägerin in der Zeit von Mai bis Oktober 1940 Feld- und Straßenbauarbeiten für die Stadtverwaltung Zagorow verrichtet habe. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob diese Beschäftigung von der inhaltlichen Ausgestaltung her die Kriterien „Freiwilligkeit” und „Entgeltzahlung” iS der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Begriff der versicherungspflichtigen Beschäftigung erfüllt habe. Dieser Begriff könne nur für zivilisierte und rechtsstaatlich geprägte Gesellschaften von Bedeutung und Ausgangspunkt des Sozialversicherungsrechts sein. Die für die Sozialversicherungspflicht von abhängig Beschäftigten entwickelten Kriterien seien auf die menschenverarchtende, dirigistische, staatlich gelenkte Arbeitseinsatzverwaltung des NS-Regimes nicht übertragbar.
Mit der Erweiterung von § 17 Abs 1 Buchst b des Fremdrentengesetzes (FRG) durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) habe der Gesetzgeber Auswirkungen evidenten nationalsozialistischen Unrechts nachträglich und zukunftsgerichtet durch Gleichstellung der begünstigten Personen mit sonstigen Vertriebenen (und vertriebenen Verfolgten) kompensiert. Soweit damals bestimmt worden sei, daß Juden, die in Arbeit eingesetzt seien, in einem Beschäftigungsverhältnis eigener Art stünden, müsse dies wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde, die Menschen- und Persönlichkeitsrechte sowie gegen die Grundprinzipien des Völkerrechts von Anfang an als nichtig erachtet werden und belege daher nicht das Fehlen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Es sei nicht zu rechtfertigen, für dienstverpflichtete deutsche Arbeitskräfte aufgrund der damaligen Vorschriften Pflichtbeitragszeiten anzuerkennen, während dies für jüdische Arbeitskräfte wegen des fehlenden Momentes der „Freiwilligkeit” ausgeschlossen werde.
Gegen eine Anerkennung der vom Ehemann der Klägerin verrichteten Tätigkeiten als Beitragszeiten spreche auch nicht die Unterscheidung von Ersatzzeiten und Beitragszeiten, denn diese könnten zeitlich zusammenfallen. Die bloße Annahme eines Ersatzzeittatbestandes sei für jüdische Arbeitskräfte wenig sinnvoll, da sich hieraus mangels Bestehens einer Vor- oder Nachversicherung ein Rentenanspruch nicht ergeben könne. Eine Entschädigung für Zwangsarbeiten hätten jüdische Verfolgte auch nicht nach dem BEG erhalten. Dieses erfasse keine sozialversicherungsrechtlichen Schäden. Im übrigen sei es unschädlich, daß der Ehemann der Klägerin seine Tätigkeiten als Zwangsarbeiten bezeichnet habe. Hinsichtlich der rentenrechtlichen Einordnung sei die Frage zu stellen, ob im Ergebnis Erwerbsarbeit geleistet worden sei. Dies sei bei den von dem Ehemann der Klägerin verrichteten Feld- und Straßenbauarbeiten ohne jeden Zweifel der Fall.
Ob für die Beschäftigung Beiträge zum damals zuständigen Versicherungsträger abgeführt worden seien, lasse die Kammer offen. Fehlende Beiträge seien gemäß § 14 Abs 2 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung (aF) zu fingieren, weil sie ggf aus verfolgungsbedingten Gründen nicht entrichtet worden seien. Die Zeit von November 1939 bis Februar 1949 sei als Ersatzzeit zu berücksichtigen, soweit die einzelnen Monate nicht mit Beitragszeiten belegt seien. Selbst wenn entgegen der von der Kammer vertretenen Auffassung davon auszugehen wäre, bei den Beschäftigungen der jüdischen Arbeitskräfte habe es sich wegen des Zwangscharakters nicht um Arbeitsverhältnisse iS des Sozialversicherungsrechts gehandelt, würde sich die Frage ergeben, ob die Vorschriften der Zweiten Durchführungsverordnung zur Notdienstverordnung (2. DV zur NotdienstVO) vom 10. Oktober 1939 auf alle Gruppen zwangsverpflichteter Arbeiter entsprechend anzuwenden seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom SG zugelassene Sprungrevision der Beklagten. Diese trägt im wesentlichen vor: Im streitbefangenen Zeitraum habe eine versicherungspflichtige Beschäftigung mit der Entrichtung von Beiträgen, die gemäß § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG auf die deutsche Rentenversicherung hätten übergehen können, nicht vorgelegen. Weder seien derartige Beitragszeiten nachgewiesen, noch seien die für die Annahme eines dem Grunde nach versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses rechtserheblichen Tatsachen iS von § 4 FRG glaubhaft gemacht. Das SG sei ohne die erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu Art, Umfang und Zustandekommen der Tätigkeit im Ghetto Zagorow sowie zu einer erfolgten Entgeltzahlung auf der Grundlage des polnischen Sozialversicherungsgesetzes vom 28. März 1933 von einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis ausgegangen. In Angaben, die der verstorbene Ehemann der Klägerin im Entschädigungsverfahren gemacht habe, sowie in den bei den Aktenvorgängen befindlichen Zeugenerklärungen werde hingegen zum Ausdruck gebracht, daß es sich um Zwangsarbeitsverhältnisse ohne Entgeltzahlung gehandelt habe, für welche weder die Tatbestandsvoraussetzungen eines versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses noch diejenigen für eine Beitragsfiktion gemäß § 14 Abs 2 WGSVG aF erfüllt seien. Der Grundsatz, daß nur Arbeit, die aufgrund einer aus eigenem Willensentschluß zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung erbracht werde, zu einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis führe, sei keinesfalls Ausdruck nationalsozialistischen Gedankengutes.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG vom 8. Oktober 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das SG begründet. Die Tatsachenfeststellungen des SG reichen nicht aus, um abschließend entscheiden zu können, ob dem verstorbenen Ehemann der Klägerin ein Anspruch auf ARG zustand. Ein solcher Anspruch hängt im wesentlichen davon ab, ob der Ehemann der Klägerin von Mai bis Oktober 1940 in einem die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung begründenden abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Die Ausführungen des SG erlauben keine abschließende Entscheidung darüber, ob die streitige Zeit in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung als Beitragszeit anzurechnen ist. Auf dieser Grundlage ist eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 16. August 1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. April 1995 mithin nicht gerechtfertigt.
Der Anspruch ihres Ehemannes auf ARG, den die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin iS des § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) geltend macht, richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung, weil der Rentenantrag bereits im Dezember 1989 gestellt worden ist und sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫).
Rechtsgrundlage für den Anspruch ist § 1248 Abs 5 iVm Abs 7 Satz 3 RVO. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes des Verstorbenen (vgl § 30 Abs 1 SGB I) anwendbar. Dies folgt aus § 30 Abs 2 SGB I iVm dem Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (Abk Israel SozSich) idF des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl 1975 II 246, 1986 II 863), das in Art 4 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 Buchst a und Art 2 Abs 1 Nr 1 Buchst c eine Gleichstellung israelischer Staatsangehöriger, die sich in Israel aufhalten, mit deutschen Staatsangehörigen vorsieht. Im übrigen ergibt sich bereits aus den Vorschriften über die Rentenzahlung ins Ausland (vgl §§ 1315 ff RVO iVm § 37 Abs 1 SGB I), daß ein Aufenthalt im Ausland der Begründung eines Rentenanspruchs aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nicht von vornherein entgegensteht.
Gemäß § 1248 Abs 5 RVO erhält ARG der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und nach Abs 7 Satz 3 dieser Vorschrift die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt hat. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur die geltend gemachten Beitrags- und Ersatzzeiten in Betracht (vgl § 1250 Abs 1 RVO). Da das Vorhandensein weiterer in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegter Beitragszeiten im vorliegenden Fall nicht behauptet wird und auch nicht ersichtlich ist, kann die Wartezeit – unter Einbeziehung der dann unstreitig gemäß § 1251 RVO anrechenbaren Ersatzzeiten – nur erfüllt sein, wenn die Zeit von Mai bis Oktober 1940 als Beitragszeit zu berücksichtigen ist.
Gemäß § 1250 Abs 1 Buchst a RVO sind Beitragszeiten solche Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten. Ob die Monate von Mai bis Oktober 1940 beim Ehemann der Klägerin als Beitragszeit anzurechnen waren, ist in tatsächlicher Hinsicht noch nicht hinreichend geklärt. Dabei ist das SG im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, daß es offenbleiben kann, ob in der streitigen Zeit für den Ehemann der Klägerin Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden sind. Denn es kommt insoweit gemäß § 14 Abs 2 WGSVG aF iVm § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung (aF) die Anerkennung einer fiktiven Beitragszeit in Betracht.
§ 14 Abs 2 WGSVG aF, der hier entsprechend § 300 Abs 2 SGB VI weiter anwendbar ist, bestimmt: Hat der Verfolgte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt und sind aus Verfolgungsgründen für die Beschäftigung oder Tätigkeit keine Beiträge entrichtet worden, so gelten für diese Zeiten Beiträge als entrichtet. Auch wenn es für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt, wenn sie glaubhaft gemacht sind (vgl § 3 Abs 1 WGSVG), lassen sich die Voraussetzungen des § 14 Abs 2 WGSVG aF anhand der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht bejahen.
Zwar wird man dem SG angesichts der damals gegen Ghettobewohner gerichteten Maßnahmen ohne weiteres darin folgen können, daß für den Fall des Bestehens einer Versicherungspflicht des als Verfolgter anerkannten Ehemannes der Klägerin das Unterbleiben einer entsprechenden Beitragsentrichtung als verfolgungsbedingt anzusehen wäre. Zweifelhaft ist jedoch, ob dieser seinerzeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit iS von § 14 Abs 2 WGSVG aF ausgeübt hat. Allerdings ist es nach den Feststellungen des SG als glaubhaft gemacht zu erachten, daß der Ehemann der Klägerin in der Zeit von Mai bis Oktober 1940 auf Veranlassung der Stadtverwaltung von Zagorow verschiedene Tätigkeiten (Feld-, Straßenbau- und Gebäudeabrißarbeiten) verrichtet hat. Fraglich ist nur, ob dies unter Umständen erfolgte, welche die Bejahung einer Rentenversicherungspflicht zulassen.
Unter einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung iS von § 14 Abs 2 WGSVG aF ist grundsätzlich eine Beschäftigung zu verstehen, die nach dem seinerzeit geltenden deutschen Recht konkret Versicherungspflicht begründet hat (vgl BSG SozR 5070 § 14 Nrn 9, 16). Im vorliegenden Fall konnte eine Versicherungspflicht unmittelbar nach den früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung schon deshalb nicht bestehen, weil die Reichsversicherungsgesetze im streitigen Zeitraum im Zagorow noch nicht eingeführt waren. Dieser Ort gehörte im Jahre 1940 zu dem Teil der sog eingegliederten Ostgebiete, der zunächst durch Erlaß des „Führers und Reichskanzlers” über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939 (RGBl I 2042) als „Reichsgau Posen” gebildet und mit weiterem Erlaß vom 29. Januar 1940 (RGBl I 251) in „Reichsgau Wartheland” umbenannt worden war. Die RVO wurde dort erst durch die Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten (OstgebieteVO) vom 22. Dezember 1941 (RGBl I 771) mit Wirkung vom 1. Januar 1942 (vgl § 1 Abs 1 und 3 OstgebieteVO) eingeführt (vgl dazu BSG SozR 3-5070 § 21 Nr 7; s auch Verbandskomm, Stand Januar 1992, § 17 FRG Anm D.5). Nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, ist § 14 Abs 2 WGSVG aF jedoch entsprechend auch auf den Personenkreis anwendbar, der von § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG aF begünstigt wird (vgl BSGE 80, 250, 254 ff = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; BSG, Urteile vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R - ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und - B 5 RJ 46/98 R -).
Der durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) aufgehobene § 17 Abs 1 FRG aF findet im vorliegenden Fall gemäß Art 6 § 4 Abs 2 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) weiter Anwendung, da es um einen Anspruch auf Zahlung einer Rente für die Zeit vor dem 1. Juli 1990 geht. Nach § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG aF finden § 15 und § 16 Abs 2 FRG auch auf Personen Anwendung, die nicht zu dem Personenkreis des § 1 Buchst a bis d FRG gehören, wenn die Beiträge an einen nichtdeutschen Träger der Rentenversicherung entrichtet sind und ein deutscher Träger der gesetzlichen Rentenversicherung sie bei Eintritt des Versicherungsfalles wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge zu behandeln hatte; dies gilt auch für Beiträge von Personen, deren Ansprüche nach der OstgebieteVO ausgeschlossen waren. Dem von dieser Bestimmung erfaßten Personenkreis kann der Ehemann der Klägerin zugerechnet werden.
Etwaige Rentenversicherungsbeiträge wären im Jahre 1940 in Zagorow an einen nichtdeutschen Träger iS des FRG zu entrichten gewesen. Als deutsche Träger sind gemäß § 3 Abs 1 FRG aF nur solche Versicherungsträger anzusehen, die ihren Sitz innerhalb des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 haben oder hatten oder außerhalb dieses Gebietes die Sozialversicherung nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze durchgeführt haben, jedoch mit Ausnahme der Versicherungsträger, die in den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten nach Beginn dieser Verwaltung errichtet worden sind. Diese Voraussetzungen erfüllte der seinerzeit für den Ehemann der Klägerin zuständige Rentenversicherungsträger nicht, da der damalige Reichsgau Wartheland nicht im Deutschen Reich nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 lag und die Reichsversicherungsgesetze dort auch noch nicht eingeführt worden waren. Des weiteren wären 1940 in diesem Gebiet zurückgelegte Beitragszeiten bei Eintritt eines Versicherungsfalls von einem deutschen Träger grundsätzlich nach Maßgabe der § 20 ff OstgebieteVO unter Anwendung reichsrechtlicher Vorschriften berücksichtigt worden (vgl dazu BSG SozR Nr 5 zu § 17 FRG; BSGE 62, 109 = SozR 5050 § 17 Nr 11; BSG SozR 5050 § 17 Nr 12). Zwar fanden diese Vorschriften nach § 1 Abs 1 Satz 2 OstgebieteVO auf sog „Schutzangehörige und Staatenlose polnischen Volkstums”, zu denen der Ehemann der Klägerin als polnischer Jude ebenfalls gehörte, keine Anwendung (vgl auch den Erlaß des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 29. Juni 1942, AN 1942, II 408). Dieser Ausschluß ist im Rahmen des § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG aF jedoch nach der ausdrücklichen Bestimmung in dem durch das RRG 1992 angefügten Halbsatz 2 unschädlich (vgl dazu auch BSG SozR 3-5050 § 17 Nr 3; BSG SozR 3-5070 § 21 Nr 7).
Fehlen – wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist – „Ostgebietsbeitragszeiten”, die unmittelbar gemäß § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b iVm § 15 FRG angerechnet werden könnten, so erscheint eine entsprechende Anwendung des § 14 Abs 2 WGSVG aF gerechtfertigt. § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG aF regelt nämlich keinen spezifisch fremdrentenrechtlichen Sachverhalt, sondern knüpft an die Regelungen der §§ 20 ff OstgebieteVO an, wonach übergegangene Beitragszeiten grundsätzlich wie reichsgesetzliche Beitragszeiten zu berücksichtigen waren (vgl BSG Nr 6 zu § 1321 RVO; BSG, Urteil vom 15. Oktober 1987 - 1 RA 41/86 -; BSGE 80, 250, 255 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15). Insofern steht insbesondere eine versicherungspflichtige Beschäftigung, die nach der Eingliederung der besetzten Ostgebiete in den Verband des Deutschen Reiches (vgl § 1 Abs 1 des Erlasses vom 8. Oktober 1939, RGBl I 2042), aber noch unter Fortgeltung des bisherigen Rechts zurückgelegt worden ist, praktisch einer Beschäftigung gleich, die nach den damals für die reichsgesetzliche Invalidenversicherung geltenden Vorschriften versicherungspflichtig war (vgl dazu auch Dobbernack, AN 1942, II 78, 82).
Im Rahmen des § 14 Abs 2 WGSVG aF müßte an sich die Versicherungspflicht der vom Ehemann der Klägerin 1940 in Zagorow verrichteten Arbeit anhand des zeitlich und örtlich einschlägigen Rechts geprüft werden (vgl BSG SozR 5070 § 14 Nr 16). Dies war nach den Feststellungen des SG Art 2 Abs 1 des (polnischen) Sozialversicherungsgesetzes vom 28. März 1933 idF der Verordnung (VO) des Staatspräsidenten vom 24. Oktober 1934. Danach unterlagen alle Personen, die in einem Lohn- oder Dienstverhältnis standen, ohne Unterschied des Geschlechts und Alters, der Versicherungspflicht. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist hier jedoch für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals einer „rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit” iS des § 14 Abs 2 WGSVG aF nicht auf die damals im Reichsgau Wartheland fortgeltenden Bestimmungen des polnischen Sozialversicherungsrechts abzustellen, sondern darauf, ob die betreffende Arbeit nach den seinerzeit geltenden reichsgesetzlichen Vorschriften versicherungspflichtig gewesen wäre (so wohl auch BSGE 80, 250, 255 ff = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15). Dies folgt zum einen aus dem in § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG aF zum Ausdruck kommenden Eingliederungsgedanken (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 1321 RVO; BSGE 80, 250, 256 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15). Zum anderen entspricht es auch dem erkennbaren Sinn und Zweck des WGSVG, nur verfolgungsbedingte Nachteile in der deutschen Sozialversicherung auszugleichen (vgl BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr 2; BSGE 79, 113 = SozR 3-5070 § 18 Nr 2; BSG SozR 3-5070 § 20 Nr 2). So entfällt eine Anwendung der Vorschriften des WGSVG auf Beschäftigungen oder Tätigkeiten, für die das deutsche Rentenversicherungsrecht die Zahlung von Pflichtbeiträgen nicht vorsah (zB wegen Versicherungsfreiheit, Befreiung von der Versicherungspflicht, Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze, familienhafter Mithilfe) oder für die nach damaliger Ansicht Pflichtbeiträge nicht zu zahlen waren (vgl Verbandskomm, Stand Juli 1994, § 12 WGSVG Anm 4; s hierzu auch BSG SozR 5070 § 14 Nrn 14, 15, 16). Diesen Grundsätzen würde es widersprechen, für alle möglichen Tatbestände, die zwar nach nichtdeutschen Bestimmungen, nicht jedoch nach damaligen Reichsrecht als versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit anzusehen sind, in entsprechender Anwendung des § 14 Abs 2 WGSVG aF iVm § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG aF Beiträge zu fingieren.
Diese Auslegung der hier einschlägigen Vorschriften steht im übrigen auch im Einklang mit der ursprünglichen Konzeption der OstgebieteVO. Danach wurden grundsätzlich nur tatsächlich nachgewiesene oder glaubhaft gemachte, nach nichtdeutschen Bestimmungen zurückgelegte Beitragszeiten in die deutsche Rentenversicherung übernommen (vgl §§ 20 ff OstgebieteVO). Frühere Beschäftigungszeiten, für die nach bisherigem Recht keine Beiträge zu entrichten waren, sollten nach Maßgabe des § 20 Abs 4 OstgebieteVO lediglich dann auf die Wartezeit angerechnet werden, wenn sie nach Reichsrecht versicherungspflichtig gewesen wären (näher dazu Dobbernack, AN 1942, II 78, 82).
Zugleich wird mit dieser Auslegung erreicht, daß insoweit alle Verfolgten im Herrschaftsbereich des damaligen NS-Regimes, für die Beitragsentrichtungen zum jeweils zuständigen Rentenversicherungsträger nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht sind, – unabhängig vom Zeitpunkt der Einführung der Reichsversicherungsgesetze – im Rahmen des § 14 Abs 2 WGSVG aF gleich behandelt werden. Die darin vorgesehene Beitragsfiktion richtet sich mithin für alle betroffenen Personengruppen allein danach, ob ein rentenversicherungsrechtlicher Schaden nach den deutschen Bestimmungen über die Versicherungspflicht zu unterstellen ist.
Voraussetzung für eine Anerkennung der im vorliegenden Fall nach § 14 Abs 2 WGSVG aF iVm § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG aF geltend gemachten (fiktiven) Beitragszeiten ist somit, daß die vom Ehemann der Klägerin in Zagorow verrichtete Arbeit die Kriterien eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nach damaligem deutschem Recht erfüllte. Für die Prüfung der Versicherungspflicht ist demnach auf die im Jahre 1940 geltenden Vorschriften der §§ 1226 ff RVO (aF) abzustellen. Gemäß § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO aF wurden in der Invalidenversicherung (Arbeiterrentenversicherung) insbesondere Arbeiter versichert. Voraussetzung der Versicherung war für diese, daß sie gegen Entgelt (§ 160 RVO) beschäftigt wurden (vgl § 1226 Abs 2 RVO aF). Damit entspricht diese Regelung im wesentlichen der bis Ende 1991 geltenden Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO, wonach alle Personen versichert wurden, die „als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt” waren, dh iS von § 7 Abs 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) „nichtselbständige Arbeit” verrichteten (vgl BSG, Urteile vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R - ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und - B 5 RJ 46/98 R -). Arbeit in diesem Sinne ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete, planmäßige Arbeit eines Menschen, gleichviel ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden (vgl zB Seewald in Kasseler Komm, Sozialversicherungsrecht, Band 1, Stand Juni 1998, § 7 SGB IV RdNr 10). Nichtselbständig ist die Arbeit, wenn sie derart fremdbestimmt ist, daß sie vom Arbeitnehmer hinsichtlich Ort, Zeit, Gegenstand und Art der Erbringung nach den Anforderungen des Arbeitgebers vorzunehmen ist (vgl BSGE 80, 250, 251 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; BSG, Urteile vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R - ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und - B 5 RJ 46/98 R -).
Ein Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis in diesem Sinne kommt durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten zustande. Es beinhaltet den Austausch von Arbeit und Lohn (vgl zB BSGE 80, 250, 251 f = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15). Als weitere Abgrenzungsmerkmale gegenüber anderen Formen der Verrichtung von Arbeit dienen ua die persönliche Abhängigkeit des Arbeiters, das Weisungs- bzw Direktionsrecht des Arbeitgebers und das Eingebundensein des Arbeitnehmers in den organisatorischen Ablauf eines Betriebes (Eingliederung).
Letztlich handelt es sich bei dem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis nicht um einen tatbestandlich scharf konturierten Begriff, der eine einfache Subsumtion ermöglicht, sondern um einen rechtlichen Tatbestand, der die versicherten Personen nicht im Detail definiert, sondern ausgehend vom Normalfall in der Form eines Typus beschreibt. Die den Typus kennzeichnenden Merkmale (Indizien) können in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein; selbst das Fehlen einzelner Merkmale muß nicht unbedingt zur Verneinung einer Beschäftigung in diesem Sinne führen (vgl Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ SozR 3-2400 § 7 Nr 11; Gagel, in Festschrift für Otto-Ernst Krasney, 1997, S 147, 151). So braucht zB eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit („Äquivalenz”) der Leistungen nicht gegeben zu sein; das Arbeitsentgelt muß allerdings einen Mindestumfang erreichen, damit Versicherungspflicht entsteht (vgl BSGE 80, 250, 252 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15).
Andererseits ist dem Typusbegriff auch zu entnehmen, daß bestimmte Umstände der Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses dann nicht entgegenstehen, wenn sie auf die einzelnen Merkmale keinen entscheidenden Einfluß haben. So ist vom BSG – gerade bei der Beurteilung von Arbeitsleistung in einem Ghetto – betont worden, daß die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen, sowie allgemeine Lebensumstände, die nicht die Arbeit oder das Arbeitsentgelt selbst, sondern das häusliche, familiäre, wohnungs- und aufenthaltsmäßige Umfeld betreffen, außer Betracht bleiben. Demgemäß ist für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auch nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind (vgl BSGE 80, 250, 252 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15) oder sich in einem Lager aufhalten müssen (vgl BSG SozR 3-5050 § 5 Nr 1; BSGE 12, 71 = SozR Nr 18 zu § 537 RVO).
Maßgeblich für die Beurteilung ist stets das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit. Gerade der Verwendung der Rechtsfigur des Typus ist es zu verdanken, daß die Vorschriften über Versicherungs- und Beitragspflicht trotz ihres Festhaltens an Begriffen wie Angestellte, Arbeiter, Arbeitsverhältnis und Beschäftigungsverhältnis iVm ihrer Konkretisierung durch Rechtsprechung und Literatur über Jahrzehnte hinweg auch bei geänderten sozialen Strukturen ihren Regelungszweck erfüllen konnten (vgl BVerfG SozR 3-2400 § 7 Nr 11).
Gemessen an diesen Kriterien ist unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit (zB als Strafgefangener oder KZ-Häftling) – wie das BSG wiederholt entschieden hat – grundsätzlich nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen (vgl zB BSGE 27, 197 = SozR Nr 54 zu § 165 RVO; BSGE 29, 197 = SozR Nr 1 zu Art 6 § 23 FANG; BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr 2; BSG, Urteile vom 10. Dezember 1974 – 4 RJ 377/73 – und vom 20. Februar 1975 – 4 RJ 15/74 -, in AmtlMittLVA Rheinpr 1975, 357; BSG SozR 5070 § 14 Nr 9). Diese Rechtsprechung hat auch durch die Entscheidungen des 5. Senats des BSG vom 18. Juni 1997 (BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und – 5 RJ 68/95 -), wonach im Ghetto Lodz verrichtete Arbeiten als versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse anerkannt werden konnten, keine grundsätzliche Änderung erfahren (vgl die Entscheidungen des 5. Senats vom 21. April 1999 – B 5 RJ 48/98 R – ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und – B 5 RJ 46/98 R -).
Zur leichteren Abgrenzung zwischen einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und einer nichtversicherten Zwangsarbeit kann es sinnvoll sein, sich die typischen Merkmale (Indizien) für das Vorliegen von Zwangsarbeit zu vergegenwärtigen. Hierbei sind selbstverständlich solche Kriterien untauglich, die für beide Tätigkeitsformen charakteristisch sind, wie zB die Ausübung eines Direktionsrechts. Auch ein bloßes Abstellen auf Arbeit iS einer Erwerbsarbeit oder wirtschaftlich nützlichen Tätigkeit, wie es vom SG vertreten wird (ebenso Buschmann, SGb 1998, 319, 320; Pawlita, SozVers 1998, 90 ff), kann diese beiden Typen nicht voneinander abgrenzen. Denn gerade das Merkmal Arbeit ist notwendigerweise beiden Typen eigen, was eine nähere Abgrenzung überhaupt erst erfordert. Zwangsarbeit ist die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw gesetzlichem Zwang, wie zB bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen (vgl zB BSGE 80, 250, 253 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; Gagel, in Festschrift für Otto-Ernst Krasney, 1997, S 147, 157 f). Typisch ist dabei zB die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne daß die Arbeiter selbst hierauf Einfluß haben. Weiter ist charakteristisch für Zwangsarbeit, daß ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit nicht oder nur in geringem Maße an den Arbeiter ausgezahlt wird (vgl hierzu BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr 12; BSG, Urteil vom 20. Februar 1975 - 4 RJ 15/74 -; BSG SozR 5070 § 14 Nr 9). Entsprechendes gilt für die Bewachung der Arbeiter während der Arbeit, um zu verhindern, daß diese sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (zur Abgrenzung vgl BSGE 12, 71 = SozR Nr 18 zu § 537 RVO). Diese beispielhaft aufgeführten Kriterien zeigen, daß eine verrichtete Arbeit sich um so mehr von dem Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann.
Trotz der in der Literatur wiederholt geäußerten Kritik (vgl Pawlita, ZfS 1999, 71 ff; Buschmann, SGb 1998, 319 ff; Kempner sowie Großmann/Frank, Zur Sache 6/1990, 232 ff) und auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des SG im anhängigen Streitfall sieht der erkennende Senat keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Weder darf in Anbetracht der eindeutigen Regelung des § 14 Abs 2 WGSVG aF für die Anerkennung (fiktiver) Beitragszeiten ganz auf das Erfordernis einer versicherungspflichtigen Beschäftigung verzichtet werden (vgl BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr 2), noch erscheint es angebracht, den Inhalt des Begriffes der versicherungspflichtigen Beschäftigung iS der Auffassung des SG zu verändern.
In Übereinstimmung mit dem 5. Senat des BSG (vgl Urteile vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R - ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und – B 5 RJ 46/98 R -) hält es der erkennende Senat für geboten, die im Jahre 1940 vom Ehemann der Klägerin in Zagorow geleistete Arbeit auch in Anbetracht der Umstände nationalsozialistischer Gewaltherrschaft nach den allgemeinen Kriterien einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu beurteilen. Zunächst kann nicht davon ausgegangen werden, daß die damalige Regulierung des Arbeitsmarktes sowie das Bestehen allgemeiner Arbeitspflichten die Gesamtheit aller Arbeitsverhältnisse derart obrigkeitlich/hoheitlich überlagert haben, daß diese den Charakter von Zwangsarbeit angenommen hätte (vgl dazu zB BSG SozR 3-2200 § 1251 Nr 7; BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15). Einer Anwendung des Begriffs der versicherungspflichtigen Beschäftigung ist damit entgegen der Annahme des SG nicht von vornherein die Grundlage entzogen (vgl dazu auch BSG SozR 3-5050 § 5 Nr 1). Das SG räumt im Grunde genommen selbst ein, daß seinerzeit ein differenziertes Regelungssystem bestand, das – bis hin zur Konzentrationslagerhaft – für die betroffenen Personen in unterschiedlichem Maße Einschränkungen ihrer Arbeitsfreiheit mit sich brachte. Diesen Gegebenheiten kann nach Überzeugung des erkennenden Senats bei der Handhabung des sozialversicherungsrechtlichen Typus des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses (in Abgrenzung von unversicherter Zwangsarbeit) angemessen Rechnung getragen werden.
Ebensowenig sind die damals geltenden allgemeinen Bestimmungen betreffend Versicherungs- und Beitragspflicht in der Sozialversicherung aus Gründen der Gerechtigkeit von Anfang an als nichtig anzusehen (vgl dazu allgemein BVerfGE 23, 98). Nach der Rechtsprechung des BVerfG, auf die sich das SG in diesem Zusammenhang bezieht, ist nationalsozialistischen Rechtsvorschriften die Geltung als Recht abzuerkennen, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde (vgl BVerfGE 3, 58, 119; 6, 132, 198). Die Anknüpfung der Versicherungs- und Beitragspflicht an das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ist dagegen vom NS-Gesetzgeber im wesentlichen unverändert so belassen worden, wie sie bereits vorher bestanden hatte. Die Weitergeltung der allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen über die Versicherungs- und Beitragspflicht kann nicht als Ausdruck typischen NS-Unrechts gesehen werden, da ihnen ein spezifischer, aus rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen bestehender Unrechtsgehalt nicht innewohnt. Die wesentlichen Grundsätze für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, wie sie bereits vom Reichsversicherungsamt herausgearbeitet worden sind (vgl AN 1891, 4 ff; 1899, 532, 739; 1933, IV 81 ff), gelten bis heute fort, wobei nicht bezweifelt wird, daß sie auch den Anforderungen eines Rechts- und Sozialstaates genügen. In bezug auf die hier streitige Arbeitsleistung eines Ghettobewohners liegt das nationalsozialistische Unrecht folglich nicht in der Ausgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften, sondern in den damaligen Verfolgungsmaßnahmen selbst (vgl dazu auch BSG SozR 5050 § 17 Nr 12).
Entgegen der Auffassung des SG kann eine Rentenversicherungspflicht begründende Beschäftigung, ohne daß die Merkmale für das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses konkret festzustellen wären, auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung der 2. DV zur NotdienstVO vom 10. Oktober 1939 (RGBl I 2018; zur Einführung in den eingegliederten Ostgebieten vgl die VO vom 14. Juli 1940, RGBl I 1019) hergeleitet werden. Soweit danach im Rahmen des Notdienstes verrichtete Arbeiten mit versicherungspflichtigen Beschäftigungen gleichgestellt wurden (vgl §§ 3, 4 der VO vom 10. Oktober 1939), handelte es sich um eine Ausnahmeregelung, die einer extensiven Auslegung nicht ohne weiteres zugänglich ist. Die Heranziehung zu Arbeiten im Rahmen der Notdienst- oder DienstpflichtVOen erfolgte zudem in einem streng geregelten Verfahren, wobei vor allem das für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis wichtige Merkmal der „Freiwilligkeit” durch die Zustimmung der Arbeitsverwaltung ersetzt wurde (vgl § 1 der VO vom 21. Juni 1938, RGBl I 652; § 1 der VO vom 13. Februar 1939, RGBl I 306). Im übrigen sind auch im NS-System nicht alle Arbeitspflichten einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gleichgestellt worden, so zB auch nicht die Dienstpflicht im Reichsarbeitsdienst. Eine Erstreckung der Ausnahmevorschriften über die Begründung von versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen auf alle Dienstpflichten bzw Zwangsarbeiten während des NS-Regimes würde schließlich eine Abgrenzung zwischen den Typusbegriffen „versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis” und „Zwangsarbeit” praktisch unmöglich machen.
Soweit für die große Zahl der Zwangsarbeiter, insbesondere aus den früheren Ostgebieten, die nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden haben, bis heute weder eine rentenrechtliche Beitragsfiktion noch angemessene Entschädigungsleistungen vorgesehen worden sind, handelt es sich um gesetzgeberische Entscheidungen, die nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung korrigiert werden können (vgl hierzu ausführlich BSG, Urteile vom 21. April 1999 – B 5 RJ 48/99 R – ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und - B 5 RJ 46/98 R -). Es bleibt Sache des Gesetzgebers, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, die dem betroffenen Personenkreis nach so vielen Jahren noch zu einer Anerkennung des durch die Heranziehung zur Zwangsarbeit im NS-Regime erlittenen Unrechts verhelfen können, soweit die im übrigen bestehenden Entschädigungsregelungen nicht als ausreichend angesehen werden.
Da das SG keine konkreten Feststellungen dazu getroffen hat, ob bezüglich der streitigen Arbeitsleistung des Ehemannes der Klägerin die Merkmale eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfüllt sind, kann derzeit nicht entschieden werden, ob vorliegend § 14 Abs 2 WGSVG aF eingreift. Der Senat kann die fehlenden Feststellungen auch nicht selbst nachholen (vgl § 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Mithin ist es iS von § 170 Abs 2 Satz 2 SGG geboten, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
DStR 2000, 603 |
NZS 2000, 249 |