Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Frage der Unterbrechung des Versicherungsschutzes durch Einkehr in eine Gastwirtschaft und Alkoholgenuß.
2. Die von der Rechtsprechung für die Begriffe "Unterbrechung" und "Lösung" bei Wegen von und nach der Arbeitsstätte entwickelten Grundsätze können nicht ohne weiteres auf Betriebswege angewendet werden, jedoch ist auch bei Betriebswegen eine Lösung durch Übergang zu Betätigungen, die dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind, denkbar.
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. März 1964 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des am 26. Juli 1956 an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorbenen Verkaufsfahrers K A (A.). Sie beansprucht von der Beklagten Hinterbliebenenentschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Über den Unfall und die vorangegangenen Betätigungen des A. ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen folgendes:
"A. war bei der Tabakwaren-Großhandlung O K, H, Außenstelle L, als Verkaufsfahrer beschäftigt. Am Morgen des 25. Juli 1956 verließ er seine in D, Kreis L, gelegene Wohnung und suchte - nach den Eintragungen in seinem Rechnungsbuch - im Laufe des Tages 15 Kunden in L und im Raume südlich von L, u. a. in B, B, H, H und zuletzt in B auf. Der Kaufmann W P in B teilte der Beklagten auf Anfrage mit, A. sei bei ihm etwa um 21.00 Uhr erschienen, habe nach Aufnahme der Bestellung eine Unterhaltung angeknüpft und hierbei zwei Glas Bier und zwei Tassen Kaffee getrunken. Gegen 23.00 Uhr sei er aufgebrochen, um nach Hause zu fahren. Nach den Ermittlungen des Polizeimeisters S in M kehrte A. unterwegs in der Gastwirtschaft W in B ein, wo er Bier getrunken und sich mit jungen Leuten unterhalten habe. Um 0.50 Uhr des 26. Juli 1956 habe A. die Gastwirtschaft W verlassen und sei mit erheblicher Geschwindigkeit in Richtung M weggefahren. Nachdem A. mehrere Kurven der Straße E passiert hatte, kam er auf einem völlig geraden Abschnitt dieser Straße von der rechten Straßenseite ab, fuhr in schnurgerader Spur auf die linke Straßenseite und auf den Grünstreifen hinüber und prallte nach etwa 50 m in Höhe des km-Steins 16,3 mit dem PKW frontal auf eine Birke auf. Gegen 1.20 Uhr wurde er schwerverletzt von dem Landwirtschaftsgehilfen R H aufgefunden. Bei der um 2.45 Uhr erfolgten Einlieferung im Städtischen Krankenhaus L stellte der Chefarzt Dr. W fest, daß A. in bewußtlosem Zustand war und schwerste Verletzungen aufwies. Um 3.20 Uhr erlag A. seinen Verletzungen. Die aus dem Leichenblut getroffene Alkoholbestimmung durch das Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Universität H ergab nach Widmark 1,63 g 0 / 00 und nach der ADH-Methode 1,68 g 0 / 00 . Auf Veranlassung der Polizei war bereits kurz nach Einlieferung des A. ins Krankenhaus und noch zu seinen Lebzeiten um 2.50 Uhr eine Blutprobe entnommen worden. Diese enthielt nach dem Gutachten des Prof. Dr. Dr. S, des Direktors des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität G, vom 27. Juli 1956 einen Blutalkoholgehalt von 1,41 g 0 / 00 . Eine im Krankenhaus L selbst vorgenommene Untersuchung ergab einen Wert von 1,44 g 0 / 00 ."
Die Beklagte lehnte den Anspruch auf Gewährung von Sterbegeld und Hinterbliebenenrente durch Bescheid vom 28. Februar 1957 ab.
Zur Begründung ist in diesem Bescheid u. a. ausgeführt, A. habe am 25. Juni 1956 um 8.30 Uhr seine Wohnung in D verlassen, um mit dem von der Firma zur Verfügung gestellten Volkswagen die Kundenfahrt anzutreten. Er sei in seiner Arbeitseinteilung frei und nicht an eine feste Arbeitszeit gebunden gewesen. Der letzte Kunde sei der Gastwirt P in B gewesen, bei dem A. gegen 21.00 Uhr eingetroffen sei. A. habe sich dort bis 23.00 Uhr aufgehalten und während dieser Zeit sich mit P unterhalten und später von ihm einen Auftrag entgegengenommen. Er habe die gegen 23.00 Uhr angetretene Heimfahrt gegen 23.30 Uhr unterbrochen und die Gastwirtschaft W in B besucht, wo er sich bis 0.50 Uhr aufgehalten habe. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei bei Kraftfahrern der Zusammenhang mit der Tätigkeit im Unternehmen bei einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens 1,5 0 / 00 gelöst. Bei Nacht werde aber Fahrunfähigkeit bereits bei einer BAK von 1,2 0 / 00 angenommen, die bei A. festgestellte BAK habe 1,44 0 / 00 betragen, was einem mittleren Rauschzustand entsprochen habe. In diesem Zustand sei A. nicht mehr in der Lage gewesen, ein Kraftfahrzeug bei Nacht sicher zu führen. Abgesehen davon sei aber der Zusammenhang mit dem Betrieb bereits gelöst worden, nachdem A. nach dem letzten Kundenbesuch die Heimfahrt unterbrochen und sich in die Gastwirtschaft W begeben habe. Das sei nicht aus betriebsbedingten Gründen erfolgt. A. müsse sich am späten Abend bereits in einem abgespannten, wenn nicht übermüdeten Zustand befunden haben, als er den letzten Kunden verlassen habe. Dadurch, daß er trotzdem noch eine Gastwirtschaft aufgesucht habe, müsse er in einen Zustand vollkommener Erschöpfung und Übermüdung geraten sein, so daß er die restliche Fahrfähigkeit eingebüßt habe. Nur so sei der Unfall zu erklären. A. sei also einer selbstgeschaffenen Gefahr zum Opfer gefallen. Der Umstand, daß sich der Unfall beim Lenken eines betriebseigenen Kraftfahrzeuges ereignet habe, vermöge hieran nichts zu ändern.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben. Das SG hat u. a. ein Gutachten des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität M (Prof. P) beigezogen. Dieser Gutachter kommt zu folgendem Ergebnis: Die Beschaffenheit der festgestellten BAK-Werte lasse die Möglichkeit offen, daß eine weitere Resorption von Alkohol erfolgt sei. Ein solcher Verlauf sei jedoch weitgehend unwahrscheinlich. Die Verletzungen rechtfertigten nicht den Schluß, daß die tatsächliche BAK im Unfallzeitpunkt niedriger als 1,4 0 / 00 gewesen sei. Die BAK habe wahrscheinlich mehr als 1,41 0 / 00 betragen. Die Rückrechnung mit einem Minimalfaktor gelange auf über 1,6 0 / 00 . A. sei im Zeitpunkt des Unfalls zweifellos fahruntüchtig gewesen. Die Art der Verletzungen gestatte nicht den Schluß, daß A. bereits kurz vor dem Unfall infolge Ermüdung und Einschlafens des Kopfes auf das Lenkrad gesunken gewesen sei. Der Unfallhergang mache aber einen Einschlafhergang trotzdem wahrscheinlich.
Das SG hat durch Urteil vom 15. Januar 1959 die Klage abgewiesen. Es hat als erwiesen angesehen, daß bei A. im Zeitpunkt des Unfalls eine BAK von 1,62 0 / 00 bestanden habe, und seine Entscheidung damit begründet, daß A. infolgedessen fahruntüchtig gewesen sei und infolge Lösung des Zusammenhangs mit dem Betrieb nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung beim LSG Niedersachsen eingelegt. Das LSG hat zwei Ortsbesichtigungen vorgenommen, mehrere Zeugen vernommen und die Dipl.-Ing. G und P als technische Sachverständige gehört. Außerdem hat es ein Gutachten des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität G (vom 14. Februar 1963) beigezogen, das von dem kommissarischen Direktor, Privatdozent Dr. F, und der Assistentin Dr. D erstattet ist. Diese Gutachter kommen u. a. zu dem Ergebnis, es lasse sich nicht ausschließen, daß die BAK zur Zeit des Unfalls sich etwa in der gleichen Größenordnung bewegt habe wie zur Zeit der ersten Blutentnahme (1,4 0 / 00 ). Wahrscheinlicher sei jedoch, daß die BAK zur Unfallzeit höher gewesen sei und etwa 1,6 0 / 00 betragen habe. Der technische Sachverständige Dipl.-Ing. Dr. P ist u. a. zu folgendem Ergebnis gelangt: Es sei nicht festzustellen, daß ein Versagen des Fahrzeugs oder seiner technischen Einrichtung für den Unfall ursächlich oder mitursächlich gewesen sei. Auch die Verkehrssituation, wie sie sich für den Fahrbahnzustand und Fahrbahnverlauf ergeben habe, könne keine ausschlaggebende Rolle gespielt haben, weil im Unfallzeitpunkt die Anforderungen an den Kraftfahrer beim Durchfahren der geraden Fahrstrecke ein Minimum erreicht hatten und die Gegebenheiten nicht aus dem üblichen Rahmen fielen. Als Ursache bleibe übrig ein Wahrnehmungsausfall, für den eine Übermüdung die sehr wahrscheinliche Erklärung bilde. Die Entstehung der Ermüdung werde allein durch die betriebliche Tätigkeit während des Arbeitstages kaum ausreichend erklärt werden können. Es müsse daher angenommen werden, daß der kritische Zustand durch den Alkoholgenuß entstanden sei, so daß infolge des Zusammenwirkens von Übermüdung und Alkoholgenuß eine relative Fahruntüchtigkeit vorgelegen habe.
Das LSG hat durch Urteil vom 18. März 1964 das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 1957 aufgehoben und entschieden, daß die Beklagte der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren hat. Die Revision ist vom LSG zugelassen worden. Zur Begründung hat das LSG u. a. ausgeführt: Eine Lösung des Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit sei nicht dadurch herbeigeführt worden, daß A. sich etwa 1 1/2 bis 1 3/4 Stunden in der Gaststätte W aufgehalten habe. Die Grundsätze über Unterbrechung und Lösung des ursächlichen Zusammenhangs bei Wegeunfällen (§ 543 Reichsversicherungsordnung - RVO - aF) könnten bei Betriebswegen nicht ohne weiteres Anwendung finden (RVA Breith. 25, 343; EuM 31, 441; BSG 8, 48; SozR Nr. 17 und 33 zu § 542 RVO aF). Der Rest des Weges stehe bei Betriebswegen nach einer Unterbrechung nur dann außer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn Dauer und Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung schließen ließen. A. hätte zwar von der Gastwirtschaft W bis zu seiner Wohnung nur noch etwa 10 km fahren müssen, und es sei deshalb nicht recht verständlich, daß er die Gaststätte noch kurz vor Erreichen seiner Wohnung aufgesucht habe. Daraus allein könne aber nicht auf eine endgültige Lösung geschlossen werden. Vielmehr müsse berücksichtigt werden, daß A. einen arbeitsreichen Tag hinter sich gehabt habe und durchaus noch das Bedürfnis gehabt haben könne, in der Gaststätte etwas zu sich zu nehmen, zumal da er möglicherweise damit gerechnet habe, daß seine Frau bereits schlafen würde. Die Heimfahrt habe deshalb mit der versicherten Tätigkeit noch in einem rechtlich-wesentlichen Zusammenhang gestanden (SozR Nr. 7 und 29 zu § 543 RVO aF). A. habe aber im Unfallzeitpunkt unter Alkoholeinfluß gestanden, dadurch könne der ursächliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit in Frage gestellt sein, wenn die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls sei (BSG 12, 242; 13, 9). Das der Leiche entnommene Blut habe eine BAK von 1,63 0 / 00 und 1,68 0 / 00 ergeben. Die zu Lebzeiten entnommenen Blutproben hätten 1,41 0 / 00 und 1,44 0 / 00 ergeben. Die Fahrzeit von der Gaststätte W zur Unfallstelle habe nach dem Ergebnis der Ortsbesichtigung drei bis vier Minuten betragen. Der Unfall müsse deshalb wenige Minuten nach 1.00 Uhr eingetreten sein. Feststellungen über die Menge des getrunkenen Alkohols seien nicht zu treffen. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. F und Dr. D und Prof. P sei es deshalb nicht ausgeschlossen, daß die BAK im Zeitpunkt des Unfalls sich in der gleichen Größenordnung bewegt habe wie zur Zeit der ersten Blutentnahme. Die Erwägungen der Sachverständigen, daß A. sich bereits in der Resorptionsphase befunden habe, und die darauf gestützte Rückrechnung müßten unberücksichtigt bleiben. A. sei daher im Zeitpunkt des Unfalls zwar nicht absolut verkehrsuntüchtig, aber relativ fahruntüchtig gewesen. Die einzelnen Ursachen des Unfalls müßten rechtlich gegeneinander abgewogen werden (SozR Nr. 58 zu § 542 RVO aF). Nach dem Ergebnis der Ortsbesichtigung sei in Übereinstimmung mit Dipl.-Ing. P erwiesen, daß A. infolge Ermüdung, wenn nicht sogar Einschlafens am Steuer, von der Fahrbahn abgekommen sei. Für die Erwägung des Dipl.-Ing. G, daß die Lenkung geklemmt habe, hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben. Es sei auch unwahrscheinlich, daß die Lenkung in dem Augenblick geklemmt haben solle, als A. eine 300 bis 400 Meter lange Strecke zurückgelegt habe, nachdem er zuvor etwa 7 Kurven durchfahren habe, von denen einige nicht einfach zu durchfahren seien. Äußere Umstände hätten nach den an der Unfallstelle getroffenen Feststellungen nicht wesentlich an dem Zustandekommen des Unfalls mitgewirkt. Die gerade Fahrspur von 50 m Länge im spitzen Winkel zur Fahrbahn bis zum Anprallbaum lasse darauf schließen, daß A. das Abkommen von der Fahrbahn nicht wahrgenommen habe, da er sonst versucht haben würde, das Fahrzeug durch Gegensteuern auf die befestigte Fahrbahn zu bringen. Die hiernach allein als Unfallursache in Betracht kommende Übermüdung sei auf zwei Ursachen zurückzuführen (BSG 14, 68 = SozR Nr. 35 zu § 542 RVO aF). Einmal sei sie erfahrungsgemäß durch den Leistungsabfall nach Alkoholgenuß begründet, zum andern aber durch die betriebliche Tätigkeit. A. habe am Morgen seine Tätigkeit begonnen, im Laufe des Tages etwa 15 Kunden aufgesucht und den ganzen Tag bis in die Nachtstunden gegen 21.00 Uhr gearbeitet, wobei die erschwerten Umstände der warmen Jahreszeit und das Fahren des Kraftwagens zu berücksichtigen seien. Diese Feststellungen genügten für die Annahme, daß A. mithin eine das Maß des üblichen weit übersteigende Zeitdauer für seinen Betrieb tätig gewesen sei. Es sei deshalb die Frage zu entscheiden, ob beide Umstände rechtlich wesentliche Mitursachen gewesen seien, weil sie für den Erfolg annähernd gleichwertig gewesen seien, oder aber einem Umstand eine so überragende Bedeutung zukomme, daß dieser die rechtlich allein wesentliche Ursache gewesen sei (BSG 13, 175). Diese Abwägung sei an sich nur mit Unterstützung eines medizinischen Sachverständigen möglich. Hier könne die Anhörung eines solchen Sachverständigen unterbleiben, weil dieser, wie gerichtsbekannt sei, aufgrund des Umstandes, daß Befunderhebungen nicht mehr möglich seien und es entscheidend auf die körperliche und seelische Verfassung des A. im Zeitpunkt des Unfalls abzustellen wäre, eine für die Bildung der richterlichen Überzeugung eindeutige Stellungnahme nicht habe abgeben können. Es könne deshalb die Frage dahingestellt bleiben, ob ein geringer, das vertretbare Maß nicht überschreitender Teil des Alkoholgenusses unternehmensbedingt gewesen sei, weil ein Geschäftsinteresse vorgelegen habe, von den Kunden (meist Gastwirten) angebotene alkoholische Getränke zu genießen (BSG 2 RU 314/55 in Breith. 1957, 314). Lasse sich hiernach ein klares Beweisergebnis nicht erzielen, so müsse davon ausgegangen werden, daß die Übermüdung in gleichem Ausmaß auf betrieblich bedingte Umstände als auch auf den genossenen Alkohol zurückzuführen sei. Die Nichtbeweisbarkeit des Umstandes, daß die durch den Alkoholgenuß bedingte Übermüdung die allein rechtlich-wesentliche Ursache im Rechtssinne gewesen sei, gehe zu Lasten der Beklagten (BSG 7, 249, 254). Die Revision sei zugelassen worden, um eine höchstrichterliche Entscheidung darüber zu ermöglichen, daß die in BSG 7, 249 aufgestellte Beweislastregelung auch in den Fällen Anwendung finden würde, bei denen sich ein klares Beweisergebnis bei der Prüfung der rechtlich-wesentlichen Mitursache nicht erzielen lasse.
Das Urteil des LSG ist der Beklagten am 25. Mai 1964 zugegangen. Sie hat dagegen am 6. Juni 1964 Revision eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat die Revision in der Revisionsschrift sowie in einem weiteren, am 1. Juli 1964 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Nach den Feststellungen des LSG - die insoweit von der Revision nicht angegriffen worden sind - befand sich A. auf jeden Fall bis zum Erreichen der Gastwirtschaft P in B auf einem nach § 537 Nr. 1 RVO aF versicherten Betriebsweg als Verkaufsfahrer der Firma O K in H.
Die Revision wendet sich in erster Linie dagegen, daß das LSG die Einkehr in der Gastwirtschaft W in B nur als eine Unterbrechung und nicht als Lösung des Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit gewertet und dementsprechend die Weiterfahrt von B nach dem Wohnort D noch als versicherten Betriebsweg angesehen hat. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat und wie auch von der Revision nicht verkannt wird, können die von der Rechtsprechung für die Begriffe "Unterbrechung" und "Lösung" bei Wegen von und nach der Arbeitsstätte entwickelten Grundsätze nicht ohne weiteres auf Betriebswege angewendet werden. Auch bei Betriebswegen ist jedoch eine Lösung durch Übergang zu Betätigungen, die dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind, denkbar; sie hat zur Folge, daß der restliche Teil der Fahrt eine Heimfahrt von einer dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Betätigung und nicht mehr der restliche Teil eines Betriebsweges ist (vgl. z. B. SozR Nr. 43 zu § 542 RVO aF).
Der Ehemann der Klägerin hat sich zwar etwa zwei Stunden in der Gastwirtschaft P aufgehalten, von der aus er noch eine Heimfahrt von etwa 30 km hatte. Dieser Aufenthalt stand jedoch mit der versicherten Tätigkeit in einem rechtlich-wesentlichen Zusammenhang, da A. nach den - nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG während dieses Aufenthalts von P einen Auftrag entgegengenommen hat. A. war deshalb nicht bereits in der Gastwirtschaft P zur "Freizeitgestaltung" übergegangen. Dagegen hat das LSG keine Feststellungen getroffen, die es rechtfertigen, das Aufsuchen der Gastwirtschaft W als betriebsbedingt anzusehen. Die Klägerin hat zwar behauptet, A. habe auch dort einen Auftrag entgegennehmen wollen und deshalb nach dem Gastwirt W gefragt, der aber schon schlafen gegangen gewesen sei. Das ist jedoch nicht festgestellt, und die Klägerin hat insoweit keine Revisionsrügen erhoben. Das Aufsuchen der Gastwirtschaft W muß deshalb dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zugerechnet werden. Jedoch reichen die Dauer des Aufenthalts und der Umstand, daß es von B nach D nur noch 10 km sind, nicht aus, um die Schlußfolgerung zu rechtfertigen, daß A., als er nach seinem langen Arbeitstag nochmals in der Gastwirtschaft W einkehrte, damit endgültig zu einer Gestaltung seiner "Freizeit" übergehen wollte. Vielmehr hat das LSG zutreffend berücksichtigt, daß A. durchaus das Bedürfnis gehabt haben konnte, vor seiner späten Heimkehr noch etwas zu sich zu nehmen. Dem LSG ist daher zuzustimmen, daß A. auf der Fahrt mit dem firmeneigenen Kraftwagen (in dem auch Tabakwaren mitbefördert wurden) von B nach D noch unter Versicherungsschutz stand.
Wie das LSG nicht verkannt hat, kommt es infolgedessen darauf an, ob die durch den Alkoholgenuß bedingte Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit des A. die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen ist (BSG 12, 242; 13, 172).
Das LSG ist der Auffassung, das sei infolge des unklaren Beweisergebnisses nicht festzustellen, und hat infolgedessen aufgrund der Ausführungen über die Beweislastverteilung (BSG 7, 249, 254) die Beklagte zur Entschädigungsleistung verurteilt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das LSG nicht doch hätte den Versuch machen müssen, sich hinsichtlich der Bedeutung von Übermüdung und Alkohol durch eine gezielte Befragung eines ärztlichen Sachverständigen ein klareres Bild zu verschaffen. Die Feststellungen des LSG reichen auch ohne diese naturwissenschaftliche Ergänzung aus, um die Frage zu entscheiden, ob der Einfluß des Alkohols auf die Fahrfähigkeit des A. die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls war. Das LSG hat einerseits festgestellt, daß bei A. im Unfallzeitpunkt eine BAK von weniger als 1,5 0 / 00 bestanden habe, und hat daraus den Schluß gezogen, daß A. nicht "absolut verkehrsuntüchtig" gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Revision ist diese Feststellung auch durch die Gutachten P und F/D gerechtfertigt. Das LSG hat sich noch im Rahmen seines Rechts der freien richterlichen Überzeugungsbildung gehalten, indem es unter den hier gegebenen Umständen eine Rückrechnung, die auf eine BAK von etwa 1,6 0 / 00 führen könnte, abgelehnt hat. Die Schlußfolgerung des LSG, daß A. "relativ" fahruntüchtig gewesen sei, entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG 3, 116). Es kann dahingestellt bleiben, ob anstelle der bisher angenommenen Grenze von 1,5 0 / 00 nunmehr 1,3 0 / 00 anzunehmen ist (vgl. z. B. BGH in NJW 1967, 116; Bespr. S. 273). Denn auf jeden Fall war die Fahrfähigkeit durch den Alkoholeinfluß erheblich beeinträchtigt.
Andererseits hat das LSG aber festgestellt, daß der Unfall dadurch zustande gekommen ist, daß A. infolge einer Übermüdung das Abkommen von der Straße nicht bemerkt und deshalb nicht rechtzeitig durch Gegensteuern die befestigte Fahrbahn wieder zu erreichen versucht hat. Auch diese Feststellung ist durch die Sachverständigengutachten ausreichend gestützt. Die Meinung der Revision, daß eine "Euphorie" die Ursache gewesen sei, ist nicht geeignet, schlüssig darzutun, daß das LSG unter Verletzung von verfahrensrechtlichen Vorschriften zu der von ihm getroffenen Feststellung hinsichtlich der Unfallursache gelangt sei. Das LSG hat weiterhin festgestellt, daß die Übermüdung auch eine Folge des durch den Alkoholeinfluß bedingten Leistungsabfalls war. Andererseits aber hat das LSG festgestellt, daß A. durch die Tätigkeit während des langen Arbeitstages, insbesondere das Fahren des Kraftwagens unter den erschwerenden Bedingungen des warmen Sommerwetters, übermüdet war. Die Einwendungen der Revision sind nicht geeignet, diese auf ausreichenden tatsächlichen Grundlagen beruhende Feststellung in Frage zu stellen.
Das LSG hat also festgestellt, daß eine durch den langen Arbeitstag bedingte Übermüdung eine Teilursache für das Eintreten des Unfalls gewesen ist. Entgegen der Auffassung des LSG rechtfertigen diese Feststellungen auch die Schlußfolgerung, daß diese durch die besonderen Umstände der Arbeitstätigkeit bewirkte Teilursache auch rechtlich wesentlich war. Daraus ergibt sich aber andererseits, daß die gleichfalls rechtlich-wesentliche Teilursache, die durch den Alkoholgenuß bedingt war, nicht die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sein kann.
Das Urteil des LSG ist also im Ergebnis zutreffend, ohne daß es auf die Beweislastverteilung ankommt.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet und war zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens ergeht aufgrund des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen