Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermächtigung. Krankenhausarzt. Konsiliartätigkeit. konsiliarische Beratung. konsiliarische Untersuchung. Überweisung. Fachkollege. Fachgebiet. Teilgebiet. Gebietsarzt. Bedarf. Versorgungslücke
Leitsatz (amtlich)
Soll durch eine Ermächtigung ermöglicht werden, daß trotz eines an sich ausreichenden Leistungsangebots der zugelassenen Vertragsärzte im Einzel fall auf die Kenntnisse und Erfahrungen des besonders qualifizierten Krankenhausarztes zurückgegriffen werden kann, so ist die Befugnis zur Überweisung denjenigen Gebiets- oder ggf Teilgebietsärzten vorzubehalten, die aufgrund ihrer Ausbildung und der Ausrichtung ihrer Tätigkeit für die Behandlung der in Frage kommenden Krankheiten vorrangig zuständig sind (Bestätigung und Fortführung von BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 6).
Normenkette
SGG § 96 Abs. 1, § 131 Abs. 1 S. 3; SGB V § 116 S. 2; Ärzte-ZV § 31a
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 09.03.1994; Aktenzeichen L 11 Ka 90/93) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 03.06.1993; Aktenzeichen S 19 Ka 114/92) |
Tenor
Die Revision des Klägers zu 2) gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. März 1994 wird zurückgewiesen.
Der Kläger zu 2) hat der Klägerin zu 1) und dem Beklagten deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage darüber, ob es zulässig war, die dem Kläger zu 2) erteilte Ermächtigung zur Durchführung von Konsiliaruntersuchungen auf Fälle der Überweisung durch „Kardiologen” zu beschränken.
Der Kläger zu 2) ist Internist mit der Berechtigung, die Zusatzbezeichnung „Kardiologie” zu führen. Als leitender Arzt der 1. Medizinischen Klinik des Marien-Hospitals in Wesel war er seit 1980 in unterschiedlichem Umfang an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung beteiligt. Nach Inkrafttreten des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) wandelten die Zulassungsinstanzen die bisherige Beteiligung in eine befristete Ermächtigung neuen Rechts um und ermächtigten den Kläger zu 2) für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1993 zur Durchführung verschiedener, im einzelnen aufgeführter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auf Überweisung durch Kassenärzte sowie zu „Konsiliaruntersuchungen zum Zwecke der Krankheitserkennung, beschränkt auf unklare kardiologische Erkrankungen, auf Überweisung von Kardiologen” (Bescheide des beklagten Berufungsausschusses und der – früheren – Berufungskommission für die Ersatzkassenpraxis vom 4. November 1992). Gegen diese Entscheidungen haben sowohl der Kläger zu 2) als auch die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) Nordrhein (Klägerin zu 1) Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat unter Abweisung der Klagen im übrigen die Bescheide dahingehend geändert, daß es die Beschränkung des Kreises der zu Konsiliaruntersuchungen überweisungsberechtigten Ärzte auf Kardiologen aufgehoben hat. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufungen der Klägerin zu 1) und des Beklagten das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage auch insoweit abgewiesen (Urteil vom 9. März 1994).
Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, in der Sache jedoch unbegründet, denn die Bescheide vom 4. November 1992 seien entgegen der Auffassung des SG nicht rechtswidrig gewesen. Daß der Kläger zu 2) zur Durchführung konsiliarischer Untersuchungen lediglich auf Überweisung durch Kardiologen ermächtigt worden sei, stehe mit den einschlägigen Vorschriften des SGB V und der Zulassungsverordnung für Kassenärzte (Ärzte-ZV) in Einklang und halte sich, was die Einschätzung der Bedarfslage angehe, im Rahmen des dem Beklagten zustehenden Beurteilungsspielraums.
Mit der Revision rügt der Kläger zu 2) eine Verletzung des § 116 SGB V und der §§ 31, 31 a Ärzte-ZV. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei es nicht zulässig, die Ermächtigung eines Krankenhausarztes in der Weise einzuschränken, daß dieser nur auf Überweisung durch Fachärzte desselben Gebietes oder gar, wie hier, desselben Teilgebietes in Anspruch genommen werden könne. Die Verfahrensweise des Beklagten verstoße gegen den Grundsatz der freien Arztwahl und verlagere die Entscheidung über die Bedarfsfrage in unzulässiger Weise von den Zulassungsgremien auf den in Konkurrenz zum Krankenhausarzt stehenden niedergelassenen Gebiets- oder Teilgebietsarzt.
Der Kläger zu 2) sowie die Beigeladenen zu 1), 5) und 6), die sich diesem Vorbringen angeschlossen haben, beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. März 1994 aufzuheben und festzustellen, daß der Bescheid des Beklagten vom 4. November 1992 insoweit rechtswidrig war, als er die Ermächtigung zur Durchführung von Konsiliaruntersuchungen auf Fälle der Überweisung durch Kardiologen beschränkt hat.
Der Beklagte, die Klägerin zu 1) und die Beigeladenen zu 3) und 4) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers zu 2) ist nicht begründet.
In der Beurteilung der prozessualen Rechtslage ist dem LSG zu folgen. Das angefochtene Urteil geht zutreffend davon aus, daß im anhängigen Verfahren allein über die Rechtmäßigkeit des Bescheides des beklagten Berufungsausschusses vom 4. November 1992 zu befinden ist. Der während des Gerichtsverfahrens ergangene Bescheid des Zulassungsausschusses vom 15. Dezember 1993, mit dem der Kläger zu 2) für den an die streitige Zeit anschließenden Zweijahreszeitraum vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 1995 weiter ermächtigt worden ist, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist bei der wiederholten Erteilung einer zeitlich befristeten Ermächtigung für eine entsprechende Anwendung des § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kein Raum, weil die für den Ermächtigungsumfang maßgebende Bedarfssituation jeweils aufgrund der im Entscheidungszeitpunkt gegebenen tatsächlichen Verhältnisse und der sich abzeichnenden Entwicklungen neu zu beurteilen ist und die späteren Bescheide deshalb regelmäßig auf einer anderen Tatsachengrundlage ergehen (Urteil vom 22. Juni 1994 ≪SozR 3-2500 § 116 Nr. 6≫). Erledigt sich in einem solchen Fall der streitbefangene Verwaltungsakt während des Prozesses durch Ablauf des Ermächtigungszeitraums, können die am Zulassungsverfahren Beteiligten, wie hier geschehen, ihre Anträge umstellen und in der Form eines Fortsetzungsfeststellungsbegehrens gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG weiterverfolgen, sofern zu besorgen ist, daß die Zulassungsgremien auch in Zukunft Ermächtigungen in dem für rechtswidrig gehaltenen Umfang erteilen werden. Nachdem hier ein entsprechender Folgebescheid bereits ergangen ist, bestehen gegen die Annahme des zur Fortführung der Klage notwendigen Feststellungsinteresses keine Bedenken.
In der Sache selbst hat das Berufungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 4. November 1992 war in dem zwischen den Beteiligten allein noch streitigen Punkt der Beschränkung der Befugnis zu Konsiliaruntersuchungen auf Fälle der Überweisung durch Kardiologen nicht rechtswidrig.
Eine Ermächtigung ist nach § 116 Satz 2 SGB V, § 31 a Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV nur in dem Umfang zu erteilen, in dem eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten ohne die besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnisse von hierfür geeigneten Krankenhausärzten nicht sichergestellt wird. Der in dieser Formulierung zum Ausdruck kommende Vorrang der niedergelassenen Vertragsärzte gilt für den gesamten Bereich der ambulanten Krankenversorgung und mithin auch für die Konsiliartätigkeit im Rahmen einer von einem anderen Vertragsarzt durchgeführten Behandlung. Auch insoweit haben deshalb die Zulassungsinstanzen die Ermächtigung durch geeignete Vorgaben der tatsächlichen Bedarfslage anzupassen. Das schließt, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die Möglichkeit einer Beschränkung des Kreises der überweisungsberechtigten Ärzte ein.
Der Senat hat im Urteil vom 22. Juni 1994 (SozR 3-2500 § 116 Nr. 6) in Abgrenzung zu der früheren Entscheidung vom 17. Dezember 1968 (BSGE 29, 65 = SozR Nr. 32 zu § 368a RVO) klargestellt, daß es unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich zulässig sein kann, die Inanspruchnahme des ermächtigten Krankenhausarztes von der Überweisung durch einen Vertragsarzt desselben Fachgebietes abhängig zu machen. Für eine dahingehende Beschränkung ist allerdings kein Raum, wenn die Ermächtigung erforderlich ist, weil besondere, für eine ausreichende und zweckmäßige medizinische Versorgung benötigte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von den niedergelassenen Vertragsärzten nicht angeboten werden. Besteht in dieser Hinsicht ein Versorgungsdefizit, würden durch die Zwischenschaltung des Gebietsarztes Verzögerungen und Kosten entstehen, obwohl von vornherein feststünde, daß dieser die erforderlichen Leistungen nicht selbst erbringen könnte. Die Befugnis, den Patienten an den ermächtigten Krankenhausarzt zu überweisen, darf deshalb in derartigen Fällen grundsätzlich nicht einer bestimmten Arztgruppe vorbehalten werden. Anders verhält es sich dagegen, wenn die Ermächtigung nicht der Schließung einer allgemeinen Versorgungslücke dient, sondern lediglich ermöglichen soll, daß im Einzelfall trotz eines an sich zahlenmäßig und qualitativ ausreichenden Leistungsangebotes der zugelassenen Vertragsärzte wegen der Schwierigkeit der Diagnose oder Behandlung ausnahmsweise auf die Kenntnisse und Erfahrungen des besonders qualifizierten Krankenhausarztes zurückgegriffen werden kann. Eine zu diesem Zweck ausgesprochene Ermächtigung, auch wenn sie sich, wie im vorliegenden Fall, auf die Möglichkeit der konsiliarischen Inanspruchnahme beschränkt, ist nur unter der Voraussetzung zu tolerieren, daß durch die Festlegung des zulässigen Leistungsumfangs und eine sachgerechte Eingrenzung des Kreises der zuweisungsberechtigten Ärzte der Vorrang der freipraktizierenden Gebietsärzte gewahrt wird.
Wie zuvor dargelegt, obliegt nicht nur die eigenverantwortliche ambulante Behandlung, sondern auch die Beratung und Unterstützung eines anderen Vertragsarztes bei dessen Behandlung in erster Linie den entsprechend weitergebildeten und qualifizierten niedergelassenen Vertragsärzten. Angesichts des hohen und zunehmenden Grades der Spezialisierung ärztlicher Tätigkeit kann davon ausgegangen werden, daß im Regelfall auch freipraktizierende Ärzte für die Diagnose und Therapie seltener Erkrankungen oder schwieriger und komplexer Krankheitsbilder und damit auch für eine entsprechende Konsiliartätigkeit zur Verfügung stehen. Dem muß die Ermächtigungspraxis Rechnung tragen, denn eine Einschaltung des Krankenhausarztes ist erst dann gerechtfertigt, wenn die Möglichkeiten der zugelassenen Vertragsärzte ausgeschöpft sind. Es ist deshalb bei der in Rede stehenden Form der Ermächtigung nicht nur zulässig, sondern rechtlich geboten, die Befugnis zur Überweisung an den Krankenhausarzt denjenigen Gebiets- oder ggf Teilgebietsärzten vorzubehalten, die aufgrund ihrer Ausbildung und der Ausrichtung ihrer Tätigkeit für die Behandlung der in Frage kommenden Krankheiten in erster Linie zuständig sind. Im Hinblick darauf, daß der zwischen den Beteiligten streitige Teil der Ermächtigung die Durchführung von Konsiliaruntersuchungen zum Zwecke der Erkennung unklarer kardiologischer Erkrankungen betrifft, waren dies im konkreten Fall die weitergebildeten Ärzte für Innere Medizin, die wie der Kläger zu 2) die Teilgebietsbezeichnung „Kardiologie” führen.
Zu Unrecht meint die Revision, aus dem Urteil des Senats vom 14. Juli 1993 (BSGE 73, 25 = SozR 3-2500 § 116 Nr. 4) herleiten zu können, daß es unzulässig sei, den Kreis der im Rahmen einer Ermächtigung überweisungsbefugten Ärzte auf Vertreter eines bloßen Teilgebietes zu beschränken. In der genannten Entscheidung ist ausgesprochen worden, daß bei der Prüfung, ob in quantitativer Hinsicht ein Ermächtigungsbedarf besteht, auf das Verhältnis der Soll- und Ist-Zahlen in der Gebietsgruppe als Ganzes und nicht auf den Bedarf in Teilgebieten abzustellen ist. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, daß sich ein auf das Teilgebiet bezogener Bedarf nicht gesondert feststellen läßt, weil die Behandlung von Erkrankungen, die in ein Teilgebiet des Fachgebietes fallen, nicht allein den darauf spezialisierten Ärzten, sondern allen Fachgruppenangehörigen offensteht. Mit der hier zu entscheidenden Frage hat das nichts zu tun; denn bei der Ermächtigung zur konsiliarischen Untersuchung geht es nicht um die Sicherstellung einer quantitativ ausreichenden Versorgung, sondern darum, daß in einzelnen schwierigen Fällen der Krankenhausarzt hinzugezogen werden kann, wenn die Kenntnisse und Erfahrungen des niedergelassenen Spezialisten nicht ausreichen. Daß die Beschränkung der Überweisungsbefugnis auf Ärzte eines Teilgebietes zu sachwidrigen Ergebnissen führte, kann der Senat im Gegensatz zur Auffassung des Klägers zu 2) nicht erkennen. Zwar mag gelegentlich auch ein Gebietsarzt ohne Zusatzbezeichnung über besondere Kenntnisse und Behandlungsmöglichkeiten auf einem medizinischen Spezialgebiet verfügen und seine Praxis entsprechend ausgerichtet haben. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise kann jedoch davon ausgegangen werden, daß Ärzte, die ihre Tätigkeit berufsrechtlich verbindlich auf ein bestimmtes Teilgebiet beschränkt haben, für die Behandlung von Erkrankungen dieses Teilgebietes im allgemeinen besser qualifiziert sind als Fachkollegen, die die Teilgebietsbezeichnung nicht führen.
Gegen die Beschränkung der Konsiliartätigkeit auf Fälle der Überweisung durch Fachkollegen bzw durch Vertreter des einschlägigen Teilgebietes kann schließlich nicht eingewandt werden, durch sie werde die Feststellung des Ermächtigungsbedarfs in unzulässiger Weise dem mit dem Krankenhausarzt konkurrierenden Gebietsarzt überlassen. Es ist für die Ermächtigung zur konsiliarischen Untersuchung und Beratung gerade kennzeichnend, daß sie nicht an einen im voraus nach generell-abstrakten Merkmalen bestimmbaren Bedarf anknüpft, sondern eine Hinzuziehung des Krankenhausarztes in Sonderfällen ermöglichen soll, in denen der behandelnde Gebiets- oder Teilgebietsarzt sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Absicherung oder Ergänzung seiner eigenen Behandlung für angezeigt hält. Wann dies der Fall ist, kann zwangsläufig nur dieser Arzt selbst entscheiden. Das Recht des Versicherten auf freie Arztwahl (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V) wird, worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat, durch die Beschränkung der Ermächtigung nicht berührt.
Die Revision war danach mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen
GesPol 1995, 26 |
AusR 1995, 6 |
Breith. 1996, 181 |