Leitsatz (amtlich)
1. Hatte eine Witwe vor dem Inkrafttreten des BVG keinen Anspruch auf Witwenrente, weil sie die nach Landesrecht erforderlichen persönlichen Voraussetzungen (Alter, Erwerbsunfähigkeit, Kinder) nicht erfüllte, konnte sie aber gemäß BVG §§ 1, 38 auf Antrag Witwenrente beanspruchen, so handelt es sich hierbei um einen "neuen Versorgungsanspruch" im Sinne des BVG § 88.
2. Der nach BVG § 88 zur Feststellung eines neuen Versorgungsanspruches erforderliche "Antrag" muß für die Verwaltungsbehörde erkennbar machen, daß der Antragsteller eine Leistung nach dem BVG begehrt. Ein im Jahre 1949 gestellter Antrag einer Witwe auf Verschollenheitsrente genügt diesem Erfordernis nicht, wenn der Antrag im Dezember 1949 abgelehnt und bis zum Februar 1953 von der Antragstellerin nicht weiter verfolgt worden ist.
Normenkette
BVG § 1 Fassung: 1950-12-20, § 38 Fassung: 1950-12-20, § 88 Fassung: 1950-12-20
Tenor
1.) Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. März 1956 wird aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 28. Februar 1955 zurückgewiesen.
2.) Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die am 25. Juni 1922 geborene Klägerin war in erster Ehe mit einem Manne verheiratet, der seit 1944 als Soldat an der Ostfront verschollen ist. Am 10. November 1949 beantragte sie bei dem Landesversorgungs- und -fürsorgeamt Rheinland-Pfalz, Dienststelle Landau, ihr Witwenversorgung nach ihrem kriegsverschollenen Ehemann zu gewähren. Diese Behörde lehnte mit Bescheid vom 8. Dezember 1949 den Antrag ab, da die Voraussetzungen, unter denen nach dem Landesversorgungsgesetz vom 18. Januar 1949 (GVBl. I S. 11) Verschollenheitsrente gewährt werde, nicht vorlägen. Der Bescheid enthielt den Vermerk, daß gegen ihn das Rechtsmittel der Berufung nicht gegeben sei, da die Verschollenheitsrente eine Kannleistung sei.
Durch Beschluß des Amtsgerichts Edenkoben vom 2. August 1950 wurde der Tod des früheren Ehemannes (der Klägerin und als Todestag der 6. Juli 1944 festgestellt. Am 9. Januar 1951 schloß die Klägerin eine zweite Ehe mit Erich Bauer. In einem an das Versorgungsamt (VersorgA.) Landau in der Pfalz gerichteten und am 26. Februar 1953 dort eingegangenen Schreiben vom gleichen Tage beantragte sie die Gewährung einer Heiratsabfindung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Mit Bescheid vom 29. Mai 1953 lehnte das VersorgA. unter Hinweis auf § 44 BVG den Antrag ab, da die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung keinen Anspruch auf Witwenrente gehabt habe. Mit Bescheid vom 10. Dezember 1953 lehnte das VersorgA. Landau in der Pfalz nach erneuter Prüfung aufgrund des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 862) den Antrag der Klägerin ab, ihr Witwenabfindung zu gewähren, weil der Antrag nicht innerhalb eines Jahres nach ihrer Wiederverheiratung gestellt worden sei. Das Sozialgericht (SG.) Speyer wies die als Klage übergegangenen Berufungen (alten Rechts) mit Urteil vom 28. Februar 1955 ab; es billigte die Auffassung der Verwaltungsbehörde. Das SG. ließ die Berufung gemäß § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu. Auf die Berufung der Klägerin hob das Landessozialgericht (LSG.) Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 26. März 1956 das Urteil des SG. und die Bescheide des Vers. Amts auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin eine Heiratsabfindung von 1.200,-- DM zu zahlen. Das LSG. ließ die Revision zu und führte in den Entscheidungsgründen aus, daß der Anspruch der Klägerin auf Heiratsabfindung nach dem BVG in der ursprünglichen wie in der geänderten Fassung des § 44 begründet sei. Der Antrag der Klägerin auf Verschollenheitsrente aus dem Jahre 1949 müsse nach Ansicht des LSG. "auch in die Zeit der Geltung des Bundesversorgungsgesetzes hineinwirken", insbesondere deshalb, weil damals der Anspruch auf Witwenrente nach § 65 Abs. 2 BVG für die Klägerin geruht habe. Im Februar 1953 sei der Rentenanspruch durch Zeitablauf nicht verwirkt gewesen. Durch die in § 44 BVG n.F. gesetzte Jahresfrist konnten "Abfindungsanträge nicht ausgeschlossen werden", wenn die Witwe vor dem 11. August 1953, dem Tage des Inkrafttretens des Zweiten Änderungsgesetzes vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 862), sich wiederverheiratet hat. Von der "Ausschlußfrist" des § 44 BVG n.F. werde die Klägerin nicht betroffen, da sie den Antrag auf Abfindung schon am 26. Februar 1953, also vor dem Beginn der Ausschlußfrist gestellt habe. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG.) vom 24. August 1955 - 9 RV 184/55 - zu § 44 BVG (BSG. 1 S. 189) ist in dem Urteil des LSG. nicht erwähnt.
Gegen das den Beteiligten am 19. April 1956 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 23. April 1956 Revision eingelegt mit dem Antrage, das Urteil des LSG. Rheinland-Pfalz vom 16. März 1956 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG. Speyer vom 28. Februar 1955 als unbegründet zurückzuweisen.
In der am 16. Juni 1956 eingegangenen Revisionsbegründungsschrift vom 15. Juni 1956 rügt der Beklagte, daß das LSG. § 44 BVG alte und neue Fassung unrichtig angewendet habe. Die Klägerin habe am Tage ihrer Eheschließung (9.1.1951) keinen Anspruch auf Rente nach dem BVG gehabt, weil sie es unterlassen habe, während der zeitlichen Geltungsdauer des BVG bis zum Monat ihrer zweiten Eheschließung einen Antrag auf Witwenrente zu stellen. Der Antrag der Klägerin vom 10. November 1949 sei durch die ablehnende und rechtsverbindliche Entscheidung der Versorgungsbehörde vom 8. Dezember 1949 erledigt worden. Im übrigen beruft sich die Revisionsbegründung auf die Rechtsprechung des BSG.
Die Klägerin beantragt, aus den Gründen des angefochtenen Urteils die Revision des Beklagten zurückzuweisen. Der Anspruch auf Heiratsabfindung sei nach § 44 BVG n.F. auch deshalb begründet, weil sonst ein Teil der insgesamt versorgungsberechtigten Witwen keine Abfindung erhielten.
Die Beteiligten haben sich in den Schriftsätzen vom 15. Juni 1956 und 29. August 1956 damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung den Rechtsstreit entscheidet (§ 165 in Verb. mit den §§ 153 Abs. 1 und 124 Abs. 2 SGG).
Der Beklagte hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Da das LSG. die Revision zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), ist sie statthaft und damit zulässig. Die Revision ist auch begründet.
Da die Klägerin den Antrag auf Heiratsabfindung am 26. Februar 1955 gestellt hat, richtete sich ihr Anspruch zunächst nach dem in diesem Zeitpunkt geltenden Recht, mithin nach § 44 BVG a.F.. Nach § 44 Satz 1 BVG a.F. erhält im Falle der Wiederverheiratung die Witwe an Stelle des Anspruchs auf Rente eine Abfindung von 1.200,-- DM. Der Anspruch auf Heiratsabfindung hängt davon ab, daß der Witwe ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 38 BVG im Heiratsmonat (Januar 1951) zusteht (BSG. 1 S. 189). Damit ein Anspruch auf Witwenrente entstehen konnte, ist wiederum erforderlich, daß die Klägerin einen rechtswirksamen Antrag auf Gewährung der Witwenrente gestellt hat (BSG. 2 S. 289 [291]). An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall.
Nach den landesrechtlichen Vorschriften, die in Rheinland-Pfalz bis zum 1. Oktober 1950, dem Tage des Inkrafttretens des BVG galten, hatte die Klägerin, auch nachdem der Tod ihres verschollenen Ehemannes feststand, keinen Anspruch auf Witwenrente. Sie erfüllte keine der Voraussetzungen, von denen nach § 7 des Landesversorgungsgesetzes vom 18. Januar 1949 (GVBl. S. 11) der Anspruch auf Witwenrente abhing. Sie war nicht um 30 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert, sie hatte das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet und auch kein versorgungsberechtigtes Kind. Diese Rechtslage änderte sich am 1. Oktober 1950. Nach den §§ 38, 40 BVG in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1950 (BGBl. S. 791) hatte jede Witwe, deren Ehemann an den Folgen einer Schädigung gestorben war, vom 1. Oktober 1950 an Anspruch auf eine Grundrente von mindestens 20,-- DM. Allerdings ruhte dieser Anspruch bis auf weiteres gemäß § 65 Abs. 2 - weggefallen am 1. August 1953 auf Grund des Art. I Nr. 27 und Art. V des Zweiten Änderungsgesetzes vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 862) -, solange die Witwe, die weder erwerbsunfähig war noch für Kinder zu sorgen hatte, das vierzigste Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Das Ruhen hindert- nur die Zahlung der Rente, hebt aber den Anspruch nicht auf. Dies zeigt sich auch daran, daß Nr. 1 der Verwaltungsvorschriften (VV.) zu § 44 BVG a.F. einen Anspruch auf Heiratsabfindung auch für diejenige Witwe anerkennt, deren Recht auf die Grundrente nach § 65 Abs. 2 BVG a.F. ruhte. Aus einem Vergleich des Bundesrechts mit dem bisherigen Landesrecht und aus dem vom LSG. festgestellten Sachverhalt ergibt sich, daß für die Klägerin die rechtlichen Voraussetzungen ihres Anspruches auf Witwenrente erst durch das BVG geschaffen worden sind. Ihr Anspruch ist daher ein "neuer Versorgungsanspruch" i.S. des § 88 BVG (vgl. BSG. 4 S. 291). Die neuen Versorgungsansprüche werden - im Unterschied von den bisherigen Versorgungsbezügen, die nach § 86 BVG von Amts wegen umanzuerkennen sind - nur auf Antrag festgestellt. Das Erfordernis eines Antrages nach § 88 BVG steht durchaus im Einklang mit dem allgemeinen Grundsatz des Versorgungsrechts (§ 1 Abs. 1 und 5 BVG), daß ein Anspruch auf Versorgung nicht schon allein mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes, soweit er vom Willen des Berechtigten unabhängig ist, entsteht, sondern erst mit dem Antrag des Berechtigten (BSG. 2 S. 289 ff.). Hierin liegt die sachlich-rechtliche Bedeutung des Antrages, die ihm in den Fällen des § 88 ebenso zukommt wie in denen des § 1 BVG.
Soweit der Antrag darauf gerichtet ist, ein Verwaltungsverfahren in Gang zu bringen, damit die Verwaltungsbehörde für den Antragsteller tätig wird, genügt es im allgemeinen, wenn der Berechtigte in der vorgeschriebenen Form wenigstens im Umriß die von ihm begehrte Leistung näher bezeichnet (vgl. nunmehr §§ 6, 7 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2.5.1955 [VerwVG]). Nach dem Zweck des Antrages muß für die Verwaltungsbehörde erkennbar sein, welche Leistungen der Antragsteller begehrt, selbst wenn der Inhalt seines Antrages erst durch ein weiteres Verhandeln mit ihm nachträglich geklärt oder ergänzt wird. Erst dieser Antrag lenkt das weitere Verfahren in die Richtung, in der die Verwaltungsbehörde den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§§ 12 bis 19 VerwVG) und den ermittelten Sachverhalt rechtlich zu würdigen hat (§ 22 VerwVG). Hieraus ergibt sich, daß dem Antragserfordernis nach § 88 BVG nur genügt ist, wenn die Verwaltungsbehörde dem Vorbringen des Berechtigten bei verständiger Würdigung entnehmen kann, daß er - auch ohne es ausdrücklich erklärt zu haben - die Feststellung eines bestimmten auf dem BVG beruhenden Versorgungsanspruchs begehrt.
Das Gesetz enthält keine Vorschrift darüber, von wann an frühestens ein solcher Antrag gestellt werden kann; es brauchte auch die Bestimmung eines Anfangstermins nicht aufzunehmen, da jeder nicht eindeutige Antrag nach den Zeitverhältnissen und sonstigen Begleitumständen auszulegen ist. Grundsätzlich bestand kein rechtliches Hindernis, eine Leistung nach dem BVG schon vor der Verkündung des Gesetzes im Hinblick auf sein bevorstehendes Inkrafttreten zu beantragen. In gewissen Fällen ist es durchaus angebracht, wenn die Verwaltungsbehörde aus dem ihr bekannten Verhalten des Berechtigten den Schluß zieht, daß er einen früher gestellten Antrag als Antrag auf einen neuen Versorgungsanspruch weiterverfolgen will (vgl. Rundschr. des Bundesministers f. Arbeit vom 29.8.1951 - BVBl. S. 452). Aber nicht jeder, irgendwann vor dem Inkrafttreten des BVG gestellte Antrag auf eine Versorgungsleistung kann solange als fortbestehend angesehen werden, bis darüber entschieden ist, ob er nach neuem Recht begründet ist. Die Klägerin hatte, bevor sie am 26. Februar 1953 die Gewährung einer Heiratsabfindung beantragte, keinen Antrag gestellt, aus dem für das VersorgA. erkennbar war, daß sie eine Witwenrente nach den ihr günstigeren Vorschriften des BVG erlangen wolle. Der Antrag vom 10. November 1949 kann nicht als ein Antrag in diesem Sinne umgedeutet werden, weil er von dem VersorgA. zu der Zeit, als es über ihn entschieden hat (8. Dezember 1949), nicht auf das erst etwa ein Jahr später verkündete BVG bezogen werden konnte und weil er durch den ablehnenden Bescheid, mit dem sich die Klägerin damals zufrieden gab, verwaltungsmäßig erledigt worden ist. Der Antrag von 1949 konnte also entgegen der Auffassung des LSG. nicht mehr in den zeitlichen Geltungsbereich des BVG fortwirken. Hierbei ist es unerheblich, ob der Vermerk in diesem Bescheid, daß gegen ihn das Rechtsmittel der Berufung (alten Rechts) nicht gegeben sei, zutraf. Es kommt im vorliegenden Falle nicht auf die formelle Rechtskraft des Bescheides, sondern darauf an, welchen Willen der Berechtigte durch sein Verhalten gegenüber der Verwaltungsbehörde bekundete.
Da mithin die Klägerin mit Wirkung für den Monat ihrer Wiederheirat (Januar 1951) einen Antrag auf Gewährung der Witwenrente auf Grund der §§ 88, 38 BVG nicht gestellt hatte, stand ihr im Zeitpunkt ihrer Wiederheirat ein Anspruch auf Witwenrente nicht zu, woraus weiter folgt, daß auch ihr Anspruch auf Heiratsabfindung nach § 44 BVG a.F. unbegründet ist (BSG. 1 S. 189 [191]). Auch nach der mit Wirkung vom 11. August 1953 eingetretenen Änderung des § 44 BVG, nach dessen neuer Fassung der Antrag auf Heiratsabfindung an die vorherige Geltendmachung eines Rentenanspruches nicht gebunden ist, ist der Anspruch nicht begründet. § 44 BVG n.F. wäre nur anzuwenden, wenn sich die Klägerin frühestens am 11. August 1952 wieder verheiratet hätte (BSG. 2 S. 289). Dies ist aber nicht der Fall.
Auf die Revision des Beklagten war daher das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 671965 |
BSGE, 118 |