Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 14.09.1990) |
SG Braunschweig (Urteil vom 27.06.1989) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. September 1990 geändert. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 27. Juni 1989 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungs- und im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt Versorgung wegen der Folgen eines am 12. Juni 1986 erlittenen Verkehrsunfalls. 1985/86 gehörte er während seines Wehrdienstes als Soldat auf Zeit als Spitzensportler – Radrennfahrer – der Sportlehrkompanie der Bundeswehr-Sportschule Warendorf an. Vom 10. bis 30. Juni 1986 hatte er Sonderurlaub für die Teilnahme an einer Clubmeisterschaft am 10. Juni 1986, an einer Sommerbahnmeisterschaft am 11. Juni 1986, an der Deutschen Meisterschaft in der Einer-Straße am 22. Juni 1986 und an der Deutschen Meisterschaft in der Vierer-Straße am 29. Juni 1986. Am Donnerstag, den 12. Juni 1986 beteiligte, sich der Kläger mit drei anderen Mitgliedern seines Radsportvereins HRC H. … an einem von diesem Verein veranlaßten, vom Vater des Klägers als Trainer geleiteten Vorbereitungstraining für den Deutschen Meisterschafts-Straßenvierer. Ein Personenkraftwagen fuhr in die Radfahrergruppe und verletzte ua den Kläger schwer. Sein Versorgungsantrag vom Januar 1987 wurde abgelehnt (Bescheid vom 3. Juni 1987, Widerspruchsbescheid vom 18. März 1988), die Klage abgewiesen (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 27. Juni 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, den Kläger für die Folgen des Unfalls am 12. Juni 1986 zu entschädigen (Urteil vom 14. September 1990). Der Kläger habe den Unfall während einer Dienstverrichtung erlitten, die er an einem Ort außerhalb der Bundeswehr-Sportschule geleistet habe. Dienst sei für den Sport-Soldaten auch das sportliche Training, das 70 vH des gesamten Dienstes umfasse, wenn es mangels geeigneter Sportstätten bei der Bundeswehr und mangels eigener Bundeswehr-Trainer unter der Leitung eines Vereins – regelmäßig donnerstags ab 11.00 Uhr – am Heimatort betrieben werden müsse. Die Vorbereitung und die Teilnahme an den bezeichneten Meisterschaften habe der Aus- und Fortbildung der Spitzensportler in der Bundeswehr gedient. Während der Dienstbefreiung habe der Kläger seine „Freizeit” nicht selbst frei gestalten können. Er wäre disziplinarrechtlich bestraft worden, falls er an dem Training nicht teilgenommen hätte.
Der Beklagte rügt mit der – vom LSG zugelassenen – Revision eine Verletzung des § 81 Abs 1 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in Verbindung mit dem Erlaß des Bundesministers der Verteidigung (BMVg) vom 8. Juni 1962 über die Versorgung bei Schädigungen bei Sportausübung. Das Training, bei dem der Kläger verunglückte, sei nicht vom Trainer des Landessportbundes, der den Dienstplan der Bundeswehr-Sportschule fachlich gestalte, geleitet worden. Somit habe der Kläger keinen Dienst geleistet. Der Beklagte beanstandet, daß der Kommandeur der Sportschule nicht ausreichend vernommen worden sei.
Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG zu ändern und die Berufung des Klägers zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf das Berufungsurteil und betont vor allem seine Pflicht zum Trainieren im Sonderurlaub.
Die Wehrbereichsverwaltung als Vertreterin der Beigeladenen schließt sich dem Antrag und Vortrag des Beklagten an.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet.
Das LSG hat zu Unrecht den Beklagten verurteilt, dem Kläger Versorgung wegen der Folgen des Verkehrsunfalls zu gewähren.
Der Kläger kann keine Versorgung entsprechend dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) beanspruchen, weil er bei dem Verkehrsunfall keine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat (§ 80 Satz 1 SVG idF der Bekanntmachung vom 21. April 1983 ≪BGBl I 457≫ mit Änderungen bis Ende 1986 ≪vgl Neufassung vom 5. März 1987 BGBl I 842≫). Er ist weder durch eine Wehrdienstverrichtung noch durch einen Unfall während der Ausübung des Dienstes noch durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse geschädigt worden (§ 81 Abs 1 SVG wie § 1 Abs 1 BVG).
Ob ein Soldat, der als Radfahrer auf einem Dienstweg (§ 81 Abs 3 Nr 2 SVG) durch einen Kraftfahrer verletzt wird, eine Schädigung durch eine Dienstverrichtung erleidet, kann dahingestellt bleiben; denn die Trainingsfahrt des Klägers war keine Dienstverrichtung.
Als „Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes” ist nicht jeder Unfall zu werten, der, sich während der Dauer des Dienstverhältnisses zur Bundeswehr ereignet; der Schädigungstatbestand beschränkt sich auf Unfälle während der tatsächlichen Dienstausübung (BSGE 41, 153, 154 = SozR 3200 § 81 Nr 5; SozR 3200 § 81 Nr 6). Daran fehlt es in diesem Fall. Dienstausübung, dh Dienst im engeren Sinne, leistet der Soldat in der Bundeswehr durch Erfüllung der militärischen Pflichten nach entsprechenden Grundsätzen und Vorschriften sowie auf besonderen Befehl im üblichen militärischen Befehls- und Gehorsamsverhältnis als Übung für die Erfüllung des Verteidigungsauftrages (Art 87a Grundgesetz, § 7 Soldatengesetz hier in der Bekanntmachung vom 19. August 1975 ≪BGBl I 2273≫/ 13. Juni 1986 ≪BGBl I 873≫; Urteile des Senats in BSGE 54, 76, 77 = SozR 3200 § 81 Nr 17, SozR 3200 § 85 Nr 5 und vom 13. Dezember 1984 ≪9a RV 17/83≫). Diese beiden Bereiche, Dienstverhältnis und Dienst im engeren Sinn, werden im Berufungsurteil nicht deutlich genug unterschieden.
Der Kläger übte während seiner Freizeit, die ihm durch den Sonderurlaub als Freistellung vom Dienst im engeren Sinn gewährt worden war, keinen Dienst aus; denn seine Selbstbestimmung war nicht durch militärische Befehle oder Aufsicht eingeschränkt (BSGE 33, 141, 143 = SozR Nr 1 zu § 81 SVG 1964; SozR 3200 § 81 Nrn 6, 30 und 31; 3200 § 85 Nr 5; Urteil des Senats vom 13. März 1985 – 9a RV 36/83 –). Die Entscheidung des für Versorgungssachen nicht mehr zuständigen 10. Senats des BSG in SozR 3200 § 81 Nr 8 ist nicht verallgemeinerungsfähig, wie der Senat schon im Urteil in SozR 3100 § 1 Nr 36 S 82 entschieden hat. Zur Freizeit und damit nicht zur Dienstausübung gehört auch der Sonderurlaub (§ 28 Abs 3 und 4 Soldatengesetz, § 9 Soldatenurlaubsverordnung vom 23. November 1972, 17. April 1992 – BGBl I 426; § 7 Satz 1 Nr 8 Sonderurlaubsverordnung für Bundesbeamte vom 13. November 1980 ≪BGBl I 2074≫). Das wird im Hinblick auf den Ausschluß des Versorgungsschutzes dadurch bestätigt, daß im Beamtenrecht für einen Sonderurlaub zusätzlich eine Unfallfürsorge, die der soldatenversorgungsrechtlichen Entschädigung entspricht, für den Fall eines Unfalls zugesagt werden kann (§ 31 Abs 5 Beamtenversorgungsgesetz vom 24. August 1976 ≪BGBl I 2485, 3839≫/ 28. Februar 1986 ≪BGBl I 265≫). Eine solche Zusage wurde dem Kläger für seinen Sonderurlaub nicht gemacht. Die Zweckbindung des Sonderurlaubs, die die Ausdehnung der Freizeit über die Zeiten des Erholungsjahresurlaubs und des üblichen Abend- und Wochenendurlaubs rechtfertigt, schränkt nicht die Bestimmungsfreiheit des Soldaten kraft dienstlicher Befehle und Anordnungen ein. Hier bestand keine Ausnahmesituation, die eine Dienstausübung während des Sonderurlaubs begründet hätte.
Auch der Umstand daß, der Kläger wegen Nichtbeteiligung an einer Meisterschaft oder an einem vorbereitenden Training, wofür ihm der Sonderurlaub gewährt worden war, hätte disziplinarisch belangt werden können, erlaubt es nicht, seine sportliche Betätigung in den Dienstbereich einzubeziehen. Diese Rechtsfolge wäre durch keinen anderen Grund gerechtfertigt als denjenigen, der auch zum Widerruf der Urlaubsgenehmigung berechtigte. Falls ein Soldat seinen Sonderurlaub, während dessen er von der Dienstleistung befreit ist, nicht dem Zweck widmet, zu dem ihm dieser gewährt wurde, kann die Bewilligung nach den Regeln des allgemeinen Verwaltungsrechts widerrufen werden (§ 15 Abs 2 Sonderurlaubsverordnung). Allgemein kann auch außerdienstliches Verhalten eines Soldaten unter bestimmten Voraussetzungen (§ 17 Abs 2 Satz 2 Soldatengesetz) disziplinarrechtlich geahndet werden (dazu im einzelnen Scherer/ Alff, Soldatengesetz, 6. Aufl 1988, § 17 Rz 20). Im Dienstverhältnis zur Bundeswehr gründete allein die Pflicht zur bestimmungsmäßigen Verwendung des Sonderurlaubs, die Pflicht zur Teilnahme an Wettkampf- und Übungsfahrten dagegen in der privaten Mitgliedschaft im Sportverein.
Das Training wurde auch weder durch einen Dienstvorgesetzten noch durch einen von einem solchen bestellten Soldaten noch durch einen zivilen Angestellten der Bundeswehr für den Sportbereich im Auftrag der Bundeswehr verantwortlich geleitet und dadurch vom Dienst inhaltlich bestimmt. Vielmehr stand es unter der Leitung des vom Sportverein bestellten Trainers, dessen Weisungsberechtigung allenfalls die Bestimmungsfreiheit der beteiligten Sportler einschränken konnte; das Training war die notwendige Voraussetzung für das Vorbereiten der Meisterschaft und stellte sich als typisch sportliches Geschehen im gesellschaftlichen Bereich außerhalb der Bundeswehr dar.
Damit fehlte es an der wesentlichen Voraussetzung für die Anerkennung einer dienstlichen Schädigung nach dem Erlaß des BMVg vom 8. Juni 1962 (VMBl S 295), auf den die Regelung des BMVg für die Förderung wehrpflichtiger Spitzensportler bei der Bundeswehr vom 22. März 1971 (VMBl S 202) für Fälle verweist, in denen ein Soldat sich außerhalb des Dienstplanes aufgrund einer dienstlichen Anordnung des zuständigen Disziplinarvorgesetzen sportlich betätigt (Nr 2 Satz 1) oder in denen er sich freiwillig sportlich betätigt, wenn dies vom zuständigen Disziplinarvorgesetzten aus dienstlichen Gründen genehmigt und der Sport von einem von ihm beauftragten Soldaten oder von einer von ihm bestellten Zivilperson mit Dienstverhältnis zur Bundeswehr verantwortlich geleitet wird (Nr 3). Die letzgenannte Voraussetzung bestand im Fall des Klägers nicht. Die Übungsfahrt vom 12. Juni 1986, die unter der Leitung des örtlichen Sportvereins und seines Trainers stand, wurde gerade nicht vom Trainer des Sportverbandes, der den Dienst in der Bundeswehr-Sportkompanie inhaltlich gestaltete, im einzelnen bestimmt. Diese Veranstaltung gehörte nicht in den von ihm aufgestellten Trainingsplan. Für die erste der genannten Fallgruppen darf die dienstliche Anordnung nur zur Aus- und Fortbildung der Soldaten oder zur Teilnahme an Wettkämpfen als Vertreter der Bundeswehr erteilt werden (Nr 2 Satz 2; dazu Erlaß vom 31. März 1967 ≪ZDv 20/30≫). Ob der Kläger, der an einer Übungsfahrt teilnahm und sich im übrigen während des Sonderurlaubs an Wettkämpfen beteiligen sollte, dies aus der Sicht der Bundeswehr-Sportschule zu seiner Aus- oder Fortbildung betrieb, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls beruhte die Fahrt, bei der er verunglückte, nicht auf einer aus solchen Gründen zu erteilenden Anordnung des Disziplinarvorgesetzten. Übereinstimmend mit der zuvor dargelegten Rechtslage hat schließlich der BMVg einen Versorgungsschutz für andere sportliche Betätigungen, insbesondere in der Freizeit aus eigenem Entschluß oder in Sportvereinen, abgelehnt (Nr 4). Der Kläger wurde auch nicht zu der Sportveranstaltung und zu dem auf sie gerichteten Training von der Bundeswehr in der Rolle eines Bundeswehrangehörigen abgeordnet.
Das LSG und der Kläger verkennen die soziale und rechtliche Zuordnung des Trainings, bei dem der Kläger verletzt wurde. Wenn der Sportschul-Kommandeur diese Veranstaltung als „Dienst an einem anderen Ort” (als der Sportschule) bewertet hat, worauf sich LSG und Kläger stützen, so ist nicht zu erkennen, nach welchen Maßstäben und Umständen er sich bei dieser rechtlichen Einordnung richtete. Dazu war der Offizier nicht ergänzend als Zeuge zu hören; denn allein die Gerichte haben rechtsverbindlich zu entscheiden, wie der schädigende Vorgang rechtlich zu bewerten ist.
Die sportliche Betätigung der Sport-Soldaten, dh der für die Ableistung ihres Wehrdienstes in Sportkompanien und sonstigen Sporteinheiten der Bundeswehr eingewiesenen Spitzensportler (Nrn 1, 3, 4, 5, 7, 8, 10, 11 der Regelung vom 22. März 1971), hängt, soweit sie außerhalb des Dienstes im engeren Sinn betrieben wird, nicht funktional in dem Sinn mit diesem Dienst zusammen, daß sie ihm als „Ausstrahlung” zuzurechnen wäre. Vielmehr ist umgekehrt bereits die sportliche Betätigung im Rahmen des Dienstes im Grundsatz kein militärischer im Sinn des Verteidigungsauftrages (Nr 13 Abs 2 Satz 2 der Regelung vom 22. März 1971). Er wird nur formal zum Dienst erklärt. Bezeichnenderweise gestalten Bundestrainer der Sportfachverbände oder deren Beauftragte inhaltlich den Sportdienst (Nrn 16 und 17 der Regelung vom 22. März 1971). Der Spitzensport der Sport-Soldaten (vgl Nr 3 der Regelung vom 22. März 1971) wird aus politischen Gründen vom Staat durch eine organisatorische Eingliederung in den Bundeswehrdienst gefördert (Nrn 1 und 13 Abs 1 der Regelung vom 22. März 1971). Die Spitzensportler sollen während ihres Wehrdienstes ihren Leistungssport fortsetzen können. Sie werden als Soldaten weitestgehend vom militärischen Dienst freigestellt, um sportlich trainieren zu können. Dies gilt als „dienstliches Training” (Nr 18 der Regelung vom 22. März 1971) und ersetzt den üblichen militärischen Dienst. Im Interesse der Sportvereine und Sportverbände, den Trägern des Sportlebens, sowie im allgemeinen öffentlichen Interesse am Sport wird außerdem den Sport-Soldaten unter Freistellung vom Dienst (Nr 21 der Regelung vom 22. März 1971) sportliche Betätigung außerhalb des Dienstes ermöglicht, den Radrennfahrern der Bundeswehr-Sportschule Warendorf regelmäßig ab Donnerstagmittag und in Einzelfällen durch Sonderurlaub wie in diesem Fall. Sowohl die Teilnahme an Spitzenwettkämpfen als das dafür notwendige Üben liegen gerade im Interessenbereich des gesellschaftlichen Sportes und nicht im dienstlichen Interessenbereich der Bundeswehr. Mit der Gewährung des Sonderurlaubs wurde die Fremdtätigkeit der Soldaten in der Bundeswehr in den gesellschaftlichen (zivilen) Bereich zurückverlagert, aus dem sie nur ausnahmsweise in den Dienstbereich eingegliedert war. Mit der Gewährung von Sonderurlaub für sportliche Zwecke entließ der Dienstvorgesetzte den Kläger in die von der Bundeswehr nicht zu beeinflussende Obhut und Leitungsbefugnis des Sportvereins und Sportverbandes.
Die eingeschränkte Zuordnung des gesellschaftlichen Sportes zum Dienst in der Bundeswehr schließt eine Zurechnung des außerhalb des Dienstes betriebenen Leistungssportes zum Dienst aus wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Aufwendungen der Unfallversicherungsträger sind nicht erstattungsfähig (§ 193 Abs 4 SGG).
Fundstellen
Haufe-Index 1175103 |
BSGE, 53 |