Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Urteil vom 05.12.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. Dezember 1990 geändert: Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 10. August 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 1990 verurteilt, über den 31. Juli 1988 hinaus, die Beihilfe für fremde Führung weiterzuzahlen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
I
Die 1919 geborene Rechtsvorgängerin der Kläger (kriegsblinde Beschädigte) wechselte im 69. Lebensjahr von der individuellen Betreuung in die Heimpflege, nachdem sich die etwa gleichaltrige Betreuungsperson dieser Aufgabe nicht mehr in vollem Umfang gewachsen sah. Diese hat jedoch während einer Tagung des Bundes der Kriegsblinden in Bad Pyrmont (26. November bis 3. Dezember 1988), eines Rehabilitationslehrgangs für kriegsblinde Frauen (7. bis 28. April 1989) und einer Badekur (3. bis 30. Juni 1989) ihre Tätigkeit erneut aufgenommen und ist hierfür mit 1.024,75 DM, 2.994,39 DM und 4.208,61 DM bezahlt worden. Die Erstattung dieser Beträge in Form der Erhöhung der Pflegezulage sowie die Zahlung der Blindenpauschale nach § 14 Bundesversorgungsgesetz (BVG) neben den Heimunterbringungskosten sind Gegenstand des Rechtsstreits.
Den Antrag auf Auszahlung der Blindenpauschale lehnte der Beklagte ab, weil sämtliche Versorgungsbezüge nach § 35 BVG anzurechnen seien. Die Pflegeeinsätze während der Tagungen und der Kur könnten ebenfalls nicht übernommen werden, weil dies teilweise zu einer Doppelversorgung führe. Die Verstorbene habe von ihrer Grundrente (933,– DM) und ihrer Sozialversicherungsrente (1.151,50 DM) solche Einsätze selbst bezahlen können (Bescheide vom 10. und 11. August 1989 und vom 14. und 15. März 1990). Das Sozialgericht (SG) hat unter Zulassung der Sprungrevision die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Begebe sich der Hilflose in Anstaltspflege, sei nach § 35 Abs 2 BVG dem Beschädigten nur ein Betrag in Höhe der Grundrente zu belassen. Dieser diene zur Befriedigung aller persönlichen Bedürfnisse. Es bestehe keine Gesetzeslücke, weil der Gesetzgeber erfahrungsgemäß damit habe rechnen müssen, daß auch Personen in Anstaltspflege gelegentlich die Anstalt verließen und hierfür weitere Unterstützung brauchten. Sämtliche individuellen Zusatzbedürfnisse seien durch den Pflegebedürftigen selbst abzudecken, wenn einmal die Heimunterbringung gewählt sei. Die Auszahlung der Blindenpauschale habe der Beklagte verweigern dürfen, weil es sich bei dieser Leistung nicht um eine solche der Heil- und Krankenbehandlung gehandelt habe (Urteil des SG Düsseldorf vom 5. Dezember 1990).
Die Kläger haben fristgerecht die zugelassene Sprungrevision eingelegt und Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Kosten für Kuren und Tagungen könnten nicht aus der Grundrente bestritten werden, weil diese nur für die gewöhnlichen persönlichen Bedürfnisse in Betracht komme. Bei blinden Beschädigten bestehe ein weit über das normale Maß hinausgehender Bedarf an fremder Führung, der mit der nomalen Anstaltspflege nicht gedeckt werde. Soweit schädigungsbedingte Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt würden, liege es im Sinne des BVG, sämtliche notwendigen Kosten zu erstatten.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. Dezember 1990 sowie die entgegenstehenden Bescheide zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für eine Begleitperson während der Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen (§ 27b BVG) und während der Badekur (§ 11 Abs 2 BVG) zu erstatten sowie die Beihilfe für fremde Führung weiter zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist teilweise begründet. Die Beschädigte hatte auch nach der Heimunterbringung einen Anspruch nach § 14 BVG (idF des BVG vom 20. Januar 1967 ≪BGBl I 141≫/Gesetz vom 27. Juni 1987 ≪BGBl I 1545≫).
Nach § 9 Nr 1 BVG umfaßt die Versorgung Heilbehandlung, Versehrtenleibesübungen und Krankenbehandlung (§§ 10 bis 24a BVG) neben der in § 9 Nr 3 BVG genannten Beschädigtenrente (§§ 29 bis 34 BVG) und der Pflegezulage (§ 35 BVG). Die in § 14 BVG vorgesehene Beihilfe zu den Aufwendungen für fremde Führung für solche Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, gehört somit nach der Systematik des § 9 BVG weder zu den laufenden Rentenleistungen noch zur Pflegezulage, sondern zu den Leistungen der Heil- und Krankenbehandlung. Es handelt sich um eine besondere Leistung der Heilbehandlung, die der orthopädischen Versorgung als Ergänzung nahesteht (vgl BSGE 36, 292, 294 = SozR Nr 21 zu § 35 BVG mwN). Dies hat nicht nur zur Folge, daß diese Beihilfe bei einer angemessenen Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs 1 BVG nicht zu berücksichtigen ist, wie der 10. Senat (aaO) näher ausgeführt hat, sondern auch dazu, daß sie während der Anstaltspflege weiter zu gewähren ist.
Führung und Führungshilfe haben im System der Versorgungsleistungen ganz andere Aufgaben und dienen auch anderen Zwecken als die Pflegezulage nach § 35 BVG. Die letztgenannte Vorschrift betrifft Aufwendungen für fremde Wartung und Pflege, die die allgemeine Hilflosigkeit bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens beseitigen soll. Hingegen soll der Blinde durch den Führhund oder die ihm gleichgestellte Beihilfe für fremde Führung die Möglichkeit erhalten, den häuslichen Bereich selbständig zu verlassen und sich außerhalb des Hauses und unabhängig von fremder Hilfe verhältnismäßig frei zu bewegen; die fremde Führung gleicht zeitweise und für bestimmte Lebensvorgänge das verlorene Sehvermögen aus. Fremde Führung ergänzt die Pflege insoweit, als sie von der ständigen Notwendigkeit, einen Blinden zu begleiten, entlastet wird. Blindenbegleitung ist keine Pflegeleistung iS des § 35 BVG. Zwar hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, daß für den Regelfall in der Anstaltspflege alle notwendigen Handreichungen, deren der Beschädigte bedarf, eingeschlossen sind. Die bloße Begleitung, die Ersetzung der Sehkraft ohne sonstige pflegerische Hilfeleistung wird mit der andersartigen Zusatzversorgung über § 14 BVG ausgeglichen. Diese Leistung erst ermöglicht das Bewegen außerhalb des Pflegebereichs und sichert Selbständigkeit bei solchen Verrichtungen des täglichen Lebens, zu denen fremde Hilfe, Pflege und Wartung nicht benötigt werden. Es kann sich hierbei um die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, um Ferienaufenthalte, um Fortbildung oder Kuren handeln.
Die Leistung ist in ihrer Höhe derart begrenzt, daß hiervon letztlich nur „unentgeltlich” tätigen Personen eine Anerkennung zugewendet werden kann (vgl BSGE 36, 292, 295). Dies ist nicht nur bei Kuraufenthalten (vgl hierzu BSG SozR 3 – 3100 § 24 Nr 1), sondern auch während sonstiger Veranstaltungen ausreichend. Das BVG enthält keine Vorschriften, wonach während einer Badekur, eines Rehabilitationslehrganges oder sonstiger Veranstaltungen die Kosten von entgeltlich tätigen Begleitpersonen zu übernehmen wären. Blinden ist lediglich die Möglichkeit eröffnet, mittels der Leistung des § 14 BVG Zusatzdienste in Form der Führung durch eine Begleitperson in Anspruch zu nehmen und dieser Person wegen der geleisteten Dienste über die pauschale Beihilfe gewisse Zuwendungen zukommen zu lassen.
Im übrigen steht Blinden bei Rehabilitationsmaßnahmen eine entgeltlich arbeitende zusätzliche Begleit- und Pflegeperson nicht zu. Die Revision der Kläger war insoweit zurückzuweisen. Eine angemessene Erhöhung der Pflegezulage, wenn die Aufwendungen für fremde Wartung und Pflege die Pauschsätze übersteigen, sieht das Gesetz nur für die Fälle vor, in denen Wartung und Pflege im häuslichen Bereich durchgeführt werden (BSG SozR 3100 § 35 Nr 19 unter Bezugnahme auf die Entscheidungen aa0 Nrn 14, 15 und 18). Wenn ein Beschädigter dauernder Pflege bedarf und diese Pflege nicht mehr im häuslichen Bereich stattfindet, vielmehr die Anstaltspflege nach § 35 Abs 2 BVG gewählt worden ist, werden die Heimkosten in vollem Umfang getragen; die Höhe der verbleibenden Barleistungen, die in § 9 Nr 3 BVG summarisch aufgeführt sind, ist abschließend geregelt: dem Beschädigten selbst ist nur ein Betrag in Höhe der Grundrente eines Erwerbsunfähigen zu belassen (BSGE 62, 200 = SozR 3100 § 35 Nr 18). Die Pflegezulage geht in die als Sachleistung erbrachte Heimpflege ein; eine angemessene Erhöhung scheidet daher aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen