Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene zu 3) wegen ihrer Beschäftigung im Büro des Klägers der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und Rentenversicherung sowie der Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung unterlegen hat.
Der Kläger ist selbständiger Architekt. Die Beigeladene zu 3) war seit August 1977 in seinem Büro in B… als Aushilfskraft für Reinigungs- und Bürohilfsarbeiten mit einem monatlichen Durchschnittslohn von 360,- DM beschäftigt. Seit dem 1. Januar 1978 ist sie außerdem als Haushaltshilfe in dem Hause B… mit einem Monatslohn von 450,- DM beschäftigt. Eigentümerin dieses Grundstücks ist Frau S… mit der der Kläger dort in einem eheähnlichen Verhältnis zusammenlebt. Der Kläger rechnete beide Beschäftigungen nach einem Lohnkonto ab, meldete die Beigeladene zu 3) ab 1. Januar 1978 aber nur als Haushaltshilfe gesamtsozialversicherungspflichtig bei der Beklagten an, ohne auf die gleichzeitige entgeltliche Beschäftigung in seinem Büro hinzuweisen. Mit Bescheid vom 28. Mai 1979 forderte die Beklagte, nachdem sie anläßlich einer Betriebsprüfung am selben Tage die Doppelbeschäftigung der Beigeladenen zu 3) festgestellt hatte, vom Kläger Beiträge auch für die Beschäftigung im Büro für die Zeit vom 1. Januar 1978 bis 30. April 1979 in Höhe von 2.039,04 DM. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1979). Seine Klage wurde wegen Versäumung der Klagefrist vom Sozialgericht (SG) Lüneburg mit Urteil vom 19. Dezember 1979 abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen das Urteil des SG sowie den Widerspruchsbescheid und den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1979 hinsichtlich der Beitragsnachforderung zugunsten der Beigeladenen zu 3) aufgehoben (Urteil vom 18. März 1981). Das LSG hat dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist gewährt. In der Sache hat es die Beschäftigung der Beigeladenen zu 3) als eine geringfügige Beschäftigung i.S. von Abs. 1 Nr. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 4) angesehen und deshalb Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung nach § 168 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und in der Rentenversicherung nach § 1228 Nr. 4 RVO sowie Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung nach § 169 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) angenommen. Ob der Kläger als Arbeitgeber der Beigeladenen zu 3) für beide - voneinander deutlich zu trennenden - Beschäftigungen in Betracht komme, hat das LSG letztlich dahingestellt sein lassen, da - anders als nach der bis zum 30. Juni 1977 geltenden Vorschrift des § 168 Abs. 1 Nr. 1 RVO a.F. - in dem seit dem 1. Juli 1977 geltenden Recht die Regelung fehle, daß die neben einer versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung ausgeübte Nebenbeschäftigung nur dann versicherungsfrei sei, wenn sie Sei einem anderen Arbeitgeber als dem der Hauptbeschäftigung verrichtet wird. Nunmehr gelte der Rechtsgrundsatz, daß bei Prüfung der Geringfügigkeitsgrenzen jedes einzelne Beschäftigungsverhältnis sozialversicherungsrechtlich für sich allein zu beurteilen sei. Einer Hauptbeschäftigung könne grundsätzlich eine versicherungsfreie geringfügige Beschäftigung nicht hinzu gerechnet werden, und zwar unabhängig davon, ob beide bei demselben Arbeitgeber ausgeübt werden oder nicht. Eine mißbräuchliche Aufteilung eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses sei im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 67 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG habe zu Unrecht angenommen, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers ohne sein Verschulden die Klagefrist versäumt habe. Außerdem wird die unrichtige Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 SGB 4 und der §§ 168, 1228 Nr. 4 RVO gerügt. Das LSG habe die beiden Tätigkeiten der Beigeladenen zu 3) nicht als zwei deutlich voneinander zu trennende Beschäftigungsverhältnisse werten und die Frage der jeweiligen Arbeitgebereigenschaft nicht deshalb als entscheidungsunerheblich ansehen dürfen, weil eine mißbräuchliche Aufteilung eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses nicht ersichtlich sei. Für das Vorliegen eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses spreche, daß der Kläger beide Beschäftigungen nach einem Lohnkonto abgerechnet habe. Das LSG hätte sich zu der Klärung gedrängt fühlen müssen, ob der Kläger auch hinsichtlich der Beschäftigung der Beigeladenen zu 3) als Haushaltshilfe als ihr Arbeitgeber aufgetreten sei.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen, jedoch keine eigenen Anträge gestellt. Die Beigeladene zu 3) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten und hat sich zur Sache nicht geäußert.
Alle Beteiligten. haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
II
Mit der Rüge einer Verletzung des § 67 SGG kann die Beklagte nicht durchdringen. Gemäß § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG ist ein Beschluß, der die Wiedereinsetzung bewilligt, unanfechtbar. Die Wiedereinsetzung ist für die übergeordnete Instanz bindend und nicht nachprüfbar, auch wenn - wie hier - die Wiedereinsetzung nicht durch einen besonderen Beschluß, sondern im Urteil erfolgt (vgl. Meyer-Ladewig SGG § 67 Anm. 19; BSGE 7, 240).
In der Sache ist die Revision der Beklagten jedoch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, weil der vom LSG festgestellte Sachverhalt für eine abschließende Entscheidung nicht ausreicht.
Das LSG hat angenommen, daß es sich bei den beiden Beschäftigungen der Beigeladenen zu 3) um "zwei deutlich voneinander zu trennende" Beschäftigungsverhältnisse handle, die auch dann sozialversicherungsrechtlich getrennt zu beurteilen seien, wenn in beiden Fällen der Arbeitgeber identisch sei. Die Notwendigkeit einer getrennten Beurteilung hat das LSG daraus geschlossen, daß § 168 RVO in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung (n.F.) im Gegensatz zu der früheren Fassung des § 168 Abs. 1 Nr. 1 RVO (a.F.) die Versicherungsfreiheit einer - neben einer versicherungspflichtigen (Haupt-) Beschäftigung ausgeübten - geringfügigen Beschäftigung nicht mehr davon abhängig macht, daß sie "bei einem anderen Arbeitgeber" ausgeübt wird. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar spricht der Wortlaut des § 168 RVO n.F. (und auch der des entsprechenden § 1228 Nr. 4 RVO n.F.) zunächst für die Auffassung des LSG. Der Entstehungsgeschichte und den gesetzgeberischen Motiven läßt sich jedoch nicht entnehmen, daß mit der Neufassung der Vorschrift eine echte Rechtsänderung dahingehend vorgenommen werden sollte, daß nunmehr eine neben einer versicherungspflichtigen (Haupt-) Beschäftigung ausgeübte geringfügige Beschäftigung auch dann versicherungsfrei sein soll, wenn sie nicht bei einem anderen, sondern bei demselben Arbeitgeber ausgeübt wird. Mit den neuen Vorschriften in § 8 SGB 4 wurden die bisher sowohl im Krankenversicherungs- als auch im Rentenversicherungsrecht geregelten Begriffsbestimmungen der Nebenbeschäftigung und Nebentätigkeit in überarbeiteter und vereinfachter Form zusammengefaßt und neu umschrieben. Gleichzeitig wurden die Vorschriften der §§ 168 und 1228 RVO darauf abgestimmt und im Wortlaut geändert (BT-Drucks. 7/4122 S. 31, 39, 40). Die Entstehungsgeschichte der neuen Vorschriften bietet keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber etwa beabsichtigt haben könnte, die Versicherungsfreiheit geringfügiger Beschäftigungen auch auf die bei demselben Arbeitgeber neben einer versicherungspflichtigen (Haupt-) Beschäftigung ausgeübte geringfügige Beschäftigung auszudehnen. Es kann nicht angenommen werden, daß im Gesetzgebungsverfahren verkannt wurde, daß eine solche Regelung zu erheblichen Manipulationsmöglichkeiten geführt hätte. Wäre eine so einschneidende Gesetzesänderung wirklich beabsichtigt gewesen, dann hätte dies, wie der Senat meint, in irgendeiner Form in der Begründung des Gesetzesentwurfs oder bei den parlamentarischen Beratungen Ausdruck finden müssen. Da dies nicht der Fall ist, hält der Senat den Schluß für zwingend, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, mehrere Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber seien - wie nach früherem Recht - versicherungsrechtlich eine Einheit und es bedürfe deshalb des abgrenzenden Begriffsmerkmals "bei einem anderen Arbeitgeber'' nicht. Aus diesen Erwägungen teilt der Senat die von den Spitzenverbänden der Versicherungsträger in den "Richtlinien für die versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen und geringfügigen selbständigen Tätigkeiten" i.d.F. vom 17. Oktober 1978 (DOK 1979, 49, 50; für die vom 1. Januar 1983 an gültigen Richtlinien vgl. Amtl. Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1983, 82, 83 unter 2) sowie von Compter (SozVers 1979, 117, 119) und Brünger (KrV 1979, 279, 281) vertretene Auffassung, daß ohne Rücksicht auf die arbeitsvertragliche Gestaltung sozialversicherungsrechtlich ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer bei demselbem Arbeitgeber gleichzeitig mehrere Beschäftigungen ausübt (ebenso Hauck/Haines SGB 4/1 K § 8 Rz 3; Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl., RVO § 1228, Anm. II D 3; vgl. ferner Klapdor/Rogowski/Bott in Amtl. Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1977, 139, 151 rechte Spalte; Merten in Gemeinschaftskommentar zum SGB 4, § 8 Rz 65). Eine getrennte versicherungsrechtliche Beurteilung mehrerer Beschäftigungen ist deshalb nur vorzunehmen, wenn diese bei verschiedenen Arbeitgebern ausgeübt werden und nicht die Zusammenrechnungsvorschrift in § 8 Abs. 2 SGB 4 anzuwenden ist, also nicht mehrere geringfügige Beschäftigungen vorliegen, sondern eine versicherungspflichtige (Haupt-) Beschäftigung und eine oder mehrere geringfügige Beschäftigung(en).
Ob die Beigeladene zu 3) während der fraglichen Zeit (1. Januar 1978 bis 30. April 1979) sowohl als Bürohilfe wie auch als Haushaltshilfe Arbeitnehmerin des Klägers war, läßt sich aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhalts nicht eindeutig beurteilen. Zwar spricht die Tatsache, daß der Kläger für die gesamte Beschäftigung der Beigeladenen zu 3) nur ein Lohnkonto geführt hat, für seine Arbeitgebereigenschaft auch hinsichtlich der Beschäftigung im Haushalt. Darauf deutet auch die teilweise Gleichartigkeit der Arbeitsleistungen hin (auch im Büro des Klägers verrichtete die Beigeladene zu 3) neben Bürohilfsarbeiten der Tätigkeit im Haushalt vergleichbare Reinigungsarbeiten). Andererseits läßt es sich bei dem derzeitigen Sachstand nicht sicher ausschließen, daß die Lebensgefährtin des Klägers Arbeitgeberin der Beigeladenen zu 3) in deren Eigenschaft als Haushaltshilfe war. In einem solchen Fall wäre dem LSG im Ergebnis beizupflichten, weil dann die Beschäftigung beim Kläger, die unstreitig die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB 4 nicht überstieg, eine nach §§ 168, 1228 Nr. 4 RVO versicherungsfreie geringfügige Beschäftigung gewesen wäre, wobei für die Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung § 169 Nr. 6 i.V.m. § 102 AFG zu beachten wäre.
Die insoweit noch notwendigen ergänzenden Feststellungen müssen vom Berufungsgericht nachgeholt werden, so daß die Zurückverweisung das Rechtsstreits an das LSG geboten ist (§§ 163, 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.12 RK 26/81
Bundessozialgericht
Fundstellen