Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme als Zuschuß oder Darlehen. Darlegung der Ermessensgesichtspunkte
Orientierungssatz
1. Der Gesetzgeber zeigt mit der in § 53 Abs 1 S 2 AFG erwähnten Darlehensgewährung nur eine alternative Möglichkeit auf, ohne damit ein Rangverhältnis festzulegen. Ein Vorrang der einen oder anderen Leistungsart ist nicht erkennbar. Es bleibt der Bundesanstalt für Arbeit überlassen, diese Maßstäbe durch Anordnung nach § 53 Abs 4 AFG, in Ermessensrichtlinien oder durch Ermessensausübung im Einzelfall zu setzen.
2. Gegen die Eingrenzung in § 19 Abs 3 FdAAnO, daß Überbrückungsbeihilfe als Darlehen zu gewähren ist und (nur) in Härtefällen als Zuschuß gewährt werden kann, bestehen keine Bedenken (vgl BSG vom 9.8.1990 - 11 RAr 83/89)
3. Die Bundesanstalt für Arbeit muß in ihrem Bescheid erkennen lassen, von welchen Maßstäben sie bei ihrer Ermessensausübung ausgeht.
Normenkette
AFG § 53 Abs 1 S 1 Nr 5; AFG § 53 Abs 1 S 2; AFG § 53 Abs 3; AFG § 53 Abs 4; FdAAnO § 19 Abs 3
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 08.07.1988; Aktenzeichen L 6 Ar 16/88) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 14.01.1988; Aktenzeichen S 9 Ar 112/87) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die als Darlehen bewilligte Überbrückungsbeihilfe (ÜB) als Zuschuß zu gewähren ist.
Der 1951 geborene Kläger ist ledig. Er war seit August 1982 arbeitslos und bezog zuletzt Arbeitslosenhilfe (Alhi). Vom 20. Mai bis 30. September 1986 arbeitete er im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) als Verwaltungsangestellter beim Forstamt Mayen und erzielte ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 2.287,55 DM. Da die erste Gehaltszahlung erst für Mitte Juli 1986 zu erwarten war, beantragte er am 20. Mai 1986 die Gewährung einer ÜB zum Lebensunterhalt in Höhe von 1.800,-- DM und für sonstige Aufwendungen einmalig in Höhe von 850,-- DM.
Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewilligte mit Bescheid vom 12. Juni 1986 ÜB in Höhe von 1.800,-- DM als Darlehen. Die beantragte Kostenübernahme für sonstige Aufwendungen wurde mangels Nachweises abgelehnt.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, die ÜB müsse als Zuschuß gewährt werden. Insbesondere müsse berücksichtigt werden, daß er schon längere Zeit arbeitslos sei und das zu erzielende Arbeitsentgelt kaum die Sozialhilfeleistungen übersteige. Er müsse außerdem jetzt sein Mittagessen auswärts einnehmen, was ihm erhebliche Mehrkosten verursache. Wegen der Arbeitsaufnahme habe er außerdem Arbeitskleidung anschaffen müssen. Hierzu legte er Rechnungen vor. Seine finanzielle Lage sei infolge der langen Arbeitslosigkeit sehr angespannt. Er habe sich nur durch verschiedene Darlehen in Höhe von insgesamt 15.000,-- DM behelfen können. Diese trage er in monatlichen Ratenzahlungen zur Zeit ab.
Mit Bescheid vom 28. November 1986 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme von Kleidungskosten ab, weil es sich hierbei nicht um notwendige Kleidung zur Ausübung der Arbeit handele. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.
Mit Bescheiden vom 19. Februar 1987 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück, weil die ÜB nur als Darlehen zu gewähren sei und die angeschaffte Bekleidung keine erstattungsfähige Arbeitskleidung darstelle.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger unter Vorlage eines Darlehensvertrages mit seinem Bruder vorgetragen, diesem schulde er insgesamt 15.000,-- DM, die er in monatlichen Raten zurückzahlen müsse.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juni 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 1987 verurteilt, den Antrag des Klägers auf Gewährung von ÜB unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Die Klage gegen den Bescheid vom 28. November 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 1987 hat es abgewiesen. § 19 Abs 3 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit zur Förderung der Arbeitsaufnahme (FdAAnO) idF der 8. Änderungsverordnung vom 28. Januar 1986, wonach die ÜB als Darlehen zu gewähren ist und nur in Härtefällen als Zuschuß gewährt werden kann, sei rechtsunwirksam, weil die Anordnungs-Bestimmung durch die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt sei. § 53 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sehe den Zuschuß als Regelleistung und die Darlehensgewährung nur als Ausnahme vor (§ 53 Abs 1 Satz 2 AFG). Hiervon dürfe der Anordnungsgeber nicht abweichen. Die Kostenübernahme für die Anschaffung von Arbeitskleidung habe die Beklagte dagegen zutreffend abgelehnt, weil es sich hier nicht um typische Arbeitskleidung gehandelt habe.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die - hinsichtlich der ÜB zugelassene - Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 8. Juli 1988) und sich der Auffassung des SG im wesentlichen angeschlossen.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 53 Abs 1 AFG iVm § 19 Abs 3 FdAAnO. § 53 AFG habe nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich den vorangegangenen § 130 Abs 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) sprachlich verbessern sollen (BT-Drucks V/2291 S 69). Dort sei nicht ein Vorrang des Zuschusses, sondern wegen der Subsidiarität der Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme gegenüber der eigenen Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen (§ 137 AVAVG) der Vorrang von Darlehen vorgesehen gewesen. Zuschüsse seien daher auch nach § 53 AFG nur dann zu gewähren, wenn ein Darlehen nicht ausreiche, um dem arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Zweck der Leistung gerecht zu werden. Die ÜB solle grundsätzlich nur die mit der Aufnahme eines Bankkredites bis zur ersten Lohn-bzw Gehaltszahlung verbundenen Kosten vermeiden. Entgegen der Auffassung des LSG habe die BA in ihrer Anordnung den Ermächtigungsrahmen des § 53 Abs 4 AFG nicht überschritten, der auch die Abgrenzung decke, wann Darlehen und wann Zuschüsse zu gewähren seien. Die Voraussetzungen der nach § 19 Abs 3 FdAAnO nur in Härtefällen vorgesehenen zuschußweisen Gewährung der ÜB seien beim Kläger nicht gegeben.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hat sich zur Sache nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das LSG hat im Ergebnis zu Recht das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Allerdings vermag der erkennende Senat der Rechtsauffassung des SG, deren Beachtung der Beklagten bei der Neubescheidung auferlegt worden ist, nicht in vollem Umfang zu folgen.
Nach § 53 Abs 1 Satz 1 Nr 5 AFG, der gemäß § 242i Abs 6 AFG in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung hier weiter anzuwenden ist, kann die Beklagte für arbeitslose und von der Arbeitslosigkeit unmittelbar bedrohte Arbeitsuchende zur Förderung der Arbeitsaufnahme ÜB bis zur Dauer von zwei Monaten gewähren. Nach Satz 2 der Bestimmung kann anstelle dieser Leistung auch ein Darlehen gewährt werden. Allerdings darf gemäß § 53 Abs 3 AFG eine Leistung nach Abs 1 nur gewährt werden, soweit die Arbeitsuchenden die erforderlichen Mittel nicht selbst aufbringen können.
Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn der Arbeitslose nicht in der Lage ist, die Kosten seines Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Eine Darlehensaufnahme ist in der Regel nicht zuzumuten, weil die beitragsfinanzierte Versicherungsleistung nach § 53 Abs 1 AFG erforderlichenfalls auch die Gewährung eines zinslosen Darlehens durch die Beklagte zum Gegenstand hat. Dem Arbeitslosen sollen in der Regel die Kosten einer privaten Darlehensaufnahme erspart werden.
Die Vorschrift über die Subsidiarität der Leistungen (§ 53 Abs 3 AFG) betrifft aber nur das "Ob", nicht hingegen die Art der Leistung. Diese richtet sich nach § 53 Abs 1 AFG. Insoweit kann der erkennende Senat den Vorinstanzen nicht dahin folgen, daß dort als Regelleistung der Zuschuß und nur für besondere Fälle die Darlehensgewährung in Betracht komme. Ein Vorrang der einen oder anderen Leistungsart ist nicht erkennbar.
Wie der erkennende Senat bereits in seinen Entscheidungen vom 9. August 1990 (11 RAr 83/89 - zur Veröffentlichung vorgesehen und 11 RAr 81/89 sowie 11 RAr 123/88) im einzelnen ausgeführt hat, zeigt der Gesetzgeber mit der in § 53 Abs 1 Satz 2 AFG erwähnten Darlehensgewährung nur eine alternative Möglichkeit auf, ohne damit ein Rangverhältnis festzulegen. Es bleibt der BA überlassen, diese Maßstäbe durch Anordnung nach § 53 Abs 4 AFG, in Ermessensrichtlinien oder durch Ermessensausübung im Einzelfall zu setzen.
Die Anordnung in der hier maßgeblichen Fassung vom 28. Januar 1986 (ANBA 1986, 566) enthält in § 19 Abs 3 die Regelung, daß ÜB als Darlehen zu gewähren ist und (nur) in Härtefällen als Zuschuß gewährt werden kann. Gegen diese Eingrenzung bestehen keine Bedenken, wie der erkennende Senst schon entschieden hat (vgl die Urteile vom 9. August 1990 - aa0).
Mangels weiterer Abgrenzungsmaßstäbe in der Anordnung verlagert sich allerdings die gesamte Ermessensbetätigung auf den Einzelfall. Bei der Einzelfallentscheidung muß deshalb stärker noch als in anderen Bereichen, in denen im Gesetz verwertbare Vorgaben vorhanden sind, zum Ausdruck gebracht werden, von welchen Maßstäben für die Entscheidung zwischen Zuschuß und Darlehen ausgegangen wird, welches Mindesteinkommen dem Antragsteller verbleiben muß und warum die vorgetragenen sonstigen Belastungen für die Entscheidung keine Rolle spielen sollen; insbesondere muß deutlich werden, welche sonstigen Belastungen dabei berücksichtigt werden und welche nicht. Es müssen dazu ausreichende Ermittlungen vorgenommen und die Abwägung der für und gegen einen Zuschuß sprechenden Überlegungen erkennbar sein.
Im Grundsatz wird dies auch von der Beklagten nicht verkannt. Nachdem durch das - hier nicht maßgebliche - AFG-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2343) die Regelung des § 53 Abs 1 Nr 5 AFG dahin abgeändert worden ist, daß nunmehr ÜB "bis zur Dauer von einem Monat in besonderen Härtefällen" gewährt werden kann, enthält die Anordnung idF vom 19. Mai 1989 (ANBA 1989, 979) für die ÜB eine allgemeine Definition des Härtefalls (§ 9 Abs 2 FdAAnO). Nach den dazu ergangenen Durchführungsanweisungen der BA ist bei Arbeitslosen, die bis zur Arbeitsaufnahme Alg, Alhi oder andere lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem AFG beziehen, im Einzelfall zu prüfen, ob ein besonderer Härtefall vorliegt. Dabei sind die Dauer der bisherigen Arbeitslosigkeit, die Höhe der bisher bezogenen Leistungen und die familiären Verhältnisse des Antragstellers zu berücksichtigen. Außerdem ist zu beachten, daß die Leistungen 14tägig nachträglich ausgezahlt werden (vgl 1.9.21 der Durchführungsanweisungen, abgedruckt im Handbuch der Arbeitsvermittlung/Arbeitsberatung). Die Ermessensbetätigung ist also auch dort ausdrücklich auf den Einzelfall bezogen. Dies bedeutet, daß die Beklagte die Maßstäbe und die Würdigung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Antragstellers bei ihrer Einzelfallentscheidung zum Ausdruck bringen muß.
An der sonach gebotenen Darlegung der Maßstäbe und der Würdigung der vorgetragenen Einwände fehlt es im vorliegenden Fall.
Der Kläger hat als besondere Belastung die Rückzahlungsverpflichtung aus verschiedenen Darlehen angegeben. Es wäre demnach im Rahmen der Ermessensausübung zu erörtern gewesen, welche Bedeutung den einzelnen Belastungen zukommt, inwieweit sie Vorrang haben oder nicht berücksichtigt werden können und aus welchen Gründen so entschieden wird. Zu entscheiden war auch, welche Bedeutung dem bisherigen, von langer Arbeitslosigkeit gekennzeichneten Berufsleben des Klägers für die Frage beizumessen ist, ob dem Kläger ein Zuschuß oder Darlehen zu gewähren ist. Insoweit hat die Beklagte, die vom Bruttoarbeitsentgelt ausgeht, einen ungeeigneten Maßstab gewählt, da der Lebensunterhalt lediglich vom Nettoeinkommen bestritten werden kann.
Auch die Verneinung eines Härtefalls muß im einzelnen behandelt werden.
Die formelhaften Wendungen des Widerspruchsbescheides reichen hierfür nicht aus, weil sie keinerlei Maßstab erkennen lassen. Es heißt dort nur:
"Der Schriftsatz vom 23.06.1986 läßt zwar grundsätzlich erkennen, daß sich der Widersprechende gegen die Bewilligung der Überbrückungsbeihilfe als Darlehen wehrt. Er hat jedoch keine Gründe vorgetragen bzw Nachweise vorgelegt, die eine Abänderung oder Aufhebung der Entscheidung des Arbeitsamtes Mayen vom 12.06.1986 rechtfertigen würden".
Aus den Gründen des Widerspruchsbescheides folgt zwar, daß der Kläger wiederholt (Schreiben vom 22. September und 4. Dezember 1986 sowie 13. Januar 1987) - ergebnislos - aufgefordert worden war, einen geeigneten Nachweis seiner Bank oder des sonstigen Kreditgebers über die Darlehen und Rückzahlungsverpflichtungen vorzulegen. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte den Widerspruch des Klägers aber nur wegen fehlender Mitwirkung und dies nur nach entsprechendem Hinweis auf die Folgen (§ 66 Abs 3 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, -SGB I-) zurückweisen dürfen.
Wegen der fehlerhaften Ermessensausübung konnte der angefochtene Bescheid somit keinen Bestand haben. Nach § 35 Abs 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) muß ein schriftlicher Verwaltungsakt, der eine Ermessensentscheidung enthält, auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
Die Beklagte wird nunmehr neu über den Antrag zu entscheiden haben und dabei in nachvollziehbarer Weise die Maßstäbe aufführen müssen, nach denen sie entscheidet, ob ein Zuschuß oder Darlehen zu gewähren ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen