Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigungszeit. Pflege. Vormerkung. nicht erwerbsmäßig. Mindestumfang der Pflege

 

Leitsatz (amtlich)

1. Den Tatbestand einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege kann nur erfüllen, wer einen Pflegebedürftigen auf Dauer angelegt regelmäßig wöchentlich mindestens zehn Stunden pflegt, ohne diese Pflege als Erwerb oder wie einen Erwerb zu betreiben.

2. Zur Frage des „nicht erwerbsmäßigen” Handelns einer Pflegeperson.

 

Normenkette

SGB VI § 3 S. 1 Nr. 1a, § 5 Abs. 2 Nr. 1, §§ 56, 149, 249b, 279e; SGB IV §§ 7-8, 14; BGB §§ 662, 670

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 11.11.1994; Aktenzeichen L 14 An 180/93)

SG Köln (Urteil vom 29.09.1993; Aktenzeichen S 5 An 53/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. November 1994 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29. September 1993 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) für die Klägerin Berücksichtigungszeiten wegen Pflege vormerken muß.

Die 1948 geborene Klägerin wurde nach Teilnahme an einem Pflegekurs von 1986 bis Oktober 1994 als Pflegerin von der Diakonie-Sozialstation für die Gemeinde R. eingesetzt. Seit Februar 1991 pflegte sie den Pflegebedürftigen Dr. V., seit März 1992 außerdem die Pflegebedürftige E. Wöchentlich war sie insgesamt zehn Stunden im Pflegeeinsatz. Die Diakonie-Sozialstation zahlte ihr je Einsatzstunde zwölf DM. Am 3. August 1992 beantragte sie bei der Beklagten die Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege. Die BfA lehnte dies durch den streitigen Bescheid vom 6. Oktober 1992, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1993, ab, weil die Pflege nicht im Familien- oder Bekanntenkreis wahrgenommen werde.

Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage durch Urteil vom 29. September 1993 abgewiesen. Pflegeperson iS von § 57 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei nur jemand, der die häusliche Pflege eines Pflegebedürftigen nicht erwerbsmäßig ausübe. Geschützt würden nur Personen, die infolge Wahrnehmung einer Pflegeaufgabe im Familien- oder Bekanntenkreis auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise verzichten müßten und deren Alterssicherung dadurch beeinträchtigt werde. Deshalb gehörten Pflegepersonen, die von Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, Sozialstationen oder kirchlichen Organisationen zu ehrenamtlichen Pflegediensten im häuslichen Bereich eingesetzt würden, nicht zu dem begünstigten Personenkreis.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG geändert und die Beklagte unter Aufhebung der streitigen Verwaltungsentscheidungen verurteilt, „im Versicherungsverlauf der Klägerin eine Berücksichtigungszeit wegen Pflege ab 1. August 1992 vorzumerken” (Urteil vom 11. November 1994). Das Berufungsgericht ist folgender Ansicht: Die Klägerin habe gemäß § 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI iVm § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB VI und § 177 Abs. 1 SGB VI Anspruch auf Vormerkung einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege für die Zeit ab 1. August 1992. Ein Ausschlußgrund iS von § 56 Abs. 4 SGB VI liege nicht vor. Sie habe die Pflegetätigkeit nicht erwerbsmäßig, das bedeute: nicht beruflich, sondern ehrenamtlich ausgeübt. Als Pflegeperson sei sie weder selbständig mit Arbeitseinkommen tätig gewesen noch habe sie mit der Pflegetätigkeit eine nichtselbständige Arbeit in einem Arbeitsverhältnis gegen Zahlung von Arbeitsentgelt verrichtet. Im Verhältnis zu den Pflegebedürftigen scheide die Annahme einer selbständigen Pflegetätigkeit oder eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses von vornherein aus. Sie habe auch keine entgeltliche Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis mit der Diakonie-Sozialstation verrichtet; denn sie habe für ihre Tätigkeit kein Arbeitsentgelt, sondern eine Aufwandsentschädigung erhalten. Diese sei schon wegen ihrer geringen Höhe kein Entgelt iS von § 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Es sei auch kein Verdienstausfall ersetzt worden, weil sie wegen ihrer Pflegetätigkeit keine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit aufgegeben oder eingeschränkt habe. Die Aufwandsentschädigung sei ausschließlich für Zeitversäumnisse und Aufwand (Abnutzung von Kleidung und Schuhwerk, Verlust an Zeit, psychische Leistung, sonstigen Aufwand) ohne besonderen Einzelnachweis gezahlt worden. Die Höhe der Entschädigung entspreche auch nicht dem tatsächlichen Wert der geleisteten Pflegetätigkeit, da eine Krankenschwester für eine vergleichbare Tätigkeit 55,– DM pro Stunde und eine Pflegehelferin nach dreijähriger Bewährung 17,90 DM pro Stunde erhalte. Außerdem sei die Klägerin von der Diakonie-Sozialstation nur sehr eingeschränkt persönlich und in wirtschaftlicher Hinsicht überhaupt nicht abhängig gewesen. Der Pflegeeinsatz sei stets in Abstimmung mit den zeitlichen, kräftemäßigen und fachlichen Möglichkeiten der ehrenamtlich tätigen Pflegepersonen festgelegt worden. Eine Aufsichtsfunktion der Bezirksschwester habe nur in der Kontrolle bestanden, ob der Dienst von der ehrenamtlichen Pflegeperson ordnungsgemäß erbracht worden sei oder ob ggf andere Pflegepersonen hätten helfen müssen. Lohnsteuer sei nicht abgeführt worden. Der Auffassung der Beklagten, ehrenamtlich für einen Wohlfahrtsverband tätige Pflegepersonen würden von den Regelungen der §§ 57 Abs. 2, 177 Abs. 1 SGB VI nicht erfaßt, stehe der Wortlaut des Gesetzes entgegen, der den geschützten Personenkreis nicht auf Familienangehörige, Nachbarn oder Freunde einschränke. Mit dem Ausdruck „häusliche” Pflege sei lediglich der Ort der Pflegetätigkeit gekennzeichnet worden; er bedeute, daß die Pflege in Privathaushalten durchgeführt werden müsse, nicht in Heimen. Krankenhäusern, Anstalten oder sonstigen Einrichtungen, Die von der Beklagten geforderte „Nähe-Beziehung” sei kaum meßbar.

Außerdem sei nicht einsehbar, weshalb nicht auch die Personen gefördert werden sollten, die aus einer allgemeinen sozialen Verantwortung heraus Pflegebedürftigen auch ohne entsprechende persönliche Beziehungen helfen. Im Fraktionsentwurf eines Rentenreformgesetzes (BT-Drucks 11/4124, AT V 3, S 143) würden die ehrenamtlich bzw nichterwerbsmäßig tätigen Pflegepersonen ausdrücklich dem geschützten Personenkreis zugerechnet. Unschädlich sei, daß die Klägerin zwei Pflegebedürftige insgesamt zehn Stunden pro Woche gepflegt habe; denn es komme nicht darauf an, daß nur eine pflegebedürftige Person mindestens zehn Stunden in der Woche von einer Pflegeperson gepflegt werde.

Die Beklagte rügt mit der – vom LSG zugelassenen – Revision eine unzutreffende Auslegung des Tatbestandsmerkmals „nicht erwerbsmäßig”; ferner sei zu Unrecht angenommen worden, daß die Pflege von zwei Personen im Umfang von ingesamt zehn Wochenstunden ausreiche. Außerdem habe das Berufungsgericht hinsichtlich der Feststellungen der tatsächlichen Voraussetzungen einer abhängigen Beschäftigung und einer Zahlung von Arbeitsentgelt seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫), und die Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht beachtet (§ 128 Abs. 1 SGG). Eine erwerbsmäßige Pflegetätigkeit liege vor, wenn die Pflegeperson in einer vertraglichen oder sonstigen Beziehung zu einem Dritten, zB einem Unternehmen der freien Wohlfahrtspflege, stehe. Pflegepersonen, die von Institutionen zu sog ehrenamtlichen Pflegediensten im häuslichen Bereich eingesetzt würden, seien durch die §§ 57 Abs. 2, 177 Abs. 1 SGB VI nicht geschützt. Berücksichtigungszeiten wegen Pflege könnten nur pflegende Familienangehörige oder sonstige Nahestehende erwerben. Zuwendungen des Pflegebedürftigen an die Pflegeperson in Höhe des Pflegepauschbetrages stünden der Annahme nichterwerbsmäßiger Pflege nicht entgegen. Hingegen verzichteten Pflegepersonen, die von Institutionen der Pflegehilfe zu Pflegediensten im häuslichen Bereich eingesetzt würden, nicht infolge der Pflege auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sondern hätten sich freiwillig in die Dienste der Sozialstationen gestellt. Familienangehörige oder Nahestehende könnten sich in der Regel der übernommenen Verantwortung nicht entziehen; dies treffe auf die von Pflegediensten beauftragten Personen nicht zu. Sie übten eine entgeltliche Beschäftigung für einen Dritten aus; dies gelte auch dann, wenn das Entgelt unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze für die Pflichtversicherung in der Rentenversicherung bleibe. Dabei habe das Gericht die Zahlung von zwölf DM je Stunde ohne weitere tatsächliche Feststeilungen unzutreffend als Aufwandsentschädigung qualifiziert. Solche seien im übrigen bei Pflege als Nebentätigkeit nur bis 2.400,– DM jährlich steuerfrei. Ferner habe sich dem LSG aufdrängen müssen, daß die Klägerin geringfügig beschäftigt gewesen sei; hierzu hätte bei der Diakoniestation und der sie Tragenden Evangelischen Kirchengemeinde in H.-V. geklärt werden müssen, ob die Klägerin gemäß § 40a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) pauschal versteuert und ob sie der Einzugsstelle als Geringverdienerin gemeldet worden sei; letzteres sei ausweislich des VDR-Datenbestandes der Fall gewesen. Die Feststellung des LSG, Lohnsteuern seien nicht abgeführt worden, entbehre jeder tatsächlichen Grundlage. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten wird auf deren Schriftsatz vom 27. März 1995 (Bl 18 bis 30 der BSG-Akte) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. November 1994 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29. September 1993

zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren durch keinen vor dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 SGG) vertreten. Sie hat sich mit Schreiben vom 16. Juni 1995, 13. August 1995 und vom 4. Juli 1996 geäußert (Bl 34, 36, 39 der BSG-Akte).

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat der Berufung der Klägerin gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat namlich keinen Anspruch auf Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege, weil sie keinen Pflegebedürftigen regelmäßig wöchentlich mindestens zehn Stunden gepflegt hat.

Die revisionsgerichtliche Prüfung des angefochtenen Urteils ergibt, daß die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nicht ausreichen, nach dem maßgeblichen Bundesrecht (dazu unter 1.) zu erkennen, ob die Klägerin „nicht erwerbsmäßig” tätig war (dazu unter 2.); sie zwingen jedoch zu der Entscheidung, daß sie keinen Pflegebedürftigen im gesetzlich vorgeschriebenen Mindestumfang gepflegt hat (dazu unter 3.).

Zwar ist dem LSG – entgegen dem SG – darin beizupflichten, daß die Auffassung der Beklagten im Gesetz keine Stütze findet, nur Pflegepersonen aus dem Familien- oder Bekanntenkreis oder sonstige „Nahestehende” könnten den Tatbestand einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege erfüllen. Richtig ist daran, daß die familienhafte Pflege das gesetzgeberische Leitbild gewesen ist (Urteil des Senats vom 27. Juni 1991 – 4 RA 48/90, EzFamR Art. 3 GG Nr. 1 S 4); dieses hat jedoch im Tatbestand des Gesetzes nur in dem unten darzustellenden Sinne Ausdruck gefunden. Insbesondere ist – worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat – im Gesetz nicht nachprüfbar ausgestaltet worden, anhand welcher Tatsachen die von der Beklagten geforderte „Nähebeziehung” festgestellt werden könnte (zum Stand der Diskussion stellvertretend: Kass Komm-Niesel, § 249b SGB VI RdNrn 6, 12, § 279e SGB VI RdNrn 7 bis 10; GK-Lilge, Bd. 3b, SGB VI, § 177; GKvon Einem, Bd. 3b, SGB VI, § 57 Anm. 1, 4; Maschmann, SGb 1995, 325 ff, 381 ff; derselbe, NZS 1993, 153 ff; derselbe SGb 1993, 453 ff; Petersen, DAngVers 1994, 260 ff; Krauthausen/Schmidt, DRV 1994, 379 ff; Decken, Nachrichten der LVA Hessen 1993, 55 ff; Winter, RV 1992, 181 ff; Schönberger, Der Kompaß 1991, 653 ff; von Einem, ZfS 1992, 33 ff; Straub, ZfSH/SGb 1992, 237 ff; Lenz/Bertram, Der Kompaß 1994, 601 ff; LVA Oberfranken und Mittelfranken, MittLVA Oberfr 1993, 12 ff; Pezold, MittLVA Oberfr, 157 ff; Arbeitsanweisungen der LVA Rheinprovinz, LVA Rheinpr Mitt 1991, 505 ff; Schultes, MittLVA Oberfr 1990, 301 ff). Das Gesetz hat sich vielmehr darauf beschränkt festzulegen, daß jemand, der einen Pflegebedürftigen (auf Dauer angelegt – § 279e Abs. 3 SGB VI) regelmäßig wöchentlich mindestens zehn Stunden pflegt, den Tatbestand einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege erfüllt, es sei denn, daß er die Pflege als Erwerb oder wie einen Erwerb betreibt. Demgemäß bedarf es keiner näheren Bestimmung dessen, ob die Pflegeperson „ehrenamtlich” tätig wird. Im Sinne des Rentenversicherungsrechts kann nämlich auch eine (nach der Verkehrsanschauung gegebene) Ausübung eines Ehrenamtes „erwerbsmäßig” erfolgen, insbesondere versicherungspflichtig (oder nur wegen Geringfügigkeit versicherungsfrei) sein (dazu stellvertretend Urteil des 12. Senats des BSG vom 22. Februar 1996 – 12 RK 6/95, zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl auch BSG SozR 3-2200 § 1248 Nr. 1; SozR 2200 § 1248 Nr. 36). Es kommt also nicht entscheidend auf die in den maßgeblichen Vorschriften nicht enthaltenen Ausdrücke der „Nähebeziehung” oder des „Ehrenamtes” an.

Gleichwohl kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben:

1. Rechtsgrundlage für den verfahrensrechtlichen Anspruch auf Vormerkung des Tatbestandes einer rentenrechtlichen Zeit (iS von § 54 Abs. 1 SGB VI) ist § 149 Abs. 5 SGB VI. Diese Vorschrift verpflichtet, falls – wie hier – ihre Voraussetzungen vorliegen, den zuständigen Rentenversicherungsträger, durch Verwaltungsakt (Vormerkung) richtig und verbindlich festzustellen, ob der Versicherte im fraglichen Zeitraum den Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit erfüllt hat. Die Beklagte hat diesen verfahrensrechtlichen Anspruch der Klägerin auf richtige Vormerkung gerade durch die Ablehnung der begehrten Vormerkung erfüllt; denn die Voraussetzungen des Tatbestandes einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege liegen im streitigen Zeitraum nicht vor.

Der maßgebliche Tatbestand einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege ergibt sich aus den §§ 249b, 279e SGB VI. Diese Vorschriften wurden mit Wirkung vom 1. April 1995 durch Art. 5 Nrn 18 und 20, 68 Abs. 2 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflegeversicherungsgesetz – PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl I S 1014) eingeführt; sie haben die bisherigen Regelungen in den §§ 57 Abs. 2, 177 SGB VI, die durch Art. 5 Nr. 6 Buchst b und Nr. 14, 68 Abs. 2 PflegeVG mit Wirkung zum 1. April 1995 aufgehoben worden sind, ohne inhaltliche Änderung abgelöst. Die neuen Vorschriften beanspruchen Geltung gerade für den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1995. Ab 1. April 1995 sind Personen, die nicht erwerbsmäßig pflegen, nach näherer Maßnabe des § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI versicherungspflichtig. Ob in der Zeit von Januar 1992 bis März 1995 ein vormerkbarer Tatbestand einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege zurückgelegt worden ist, beurteilt sich daher im Revisionsverfahren nach den §§ 249b, 279e SGB VI. Diese enthalten gegenüber den §§ 57 Abs. 2, 177 SGB VI aF keine inhaltliche, also insbesondere keine rückwirkend belastende Änderung (vgl BT-Drucks 12/5262 S 161).

Das LSG hat richtig erkannt, daß die begehrte Vormerkung sich höchstens auf die Zeit vom 1. August 1992 bis Oktober 1994 erstrecken könnte. Obwohl die Klägerin den Dr. V. schon seit Februar 1991 gepflegt hat, kann eine Berücksichtigungszeit hierfür frühestens mit Einführung dieser rentenrechtlichen Zeit erworben werden (zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 57 Abs. 2, 177 SGB VI bereits Urteil des Senats vom 27. Juni 1991 – 4 RA 48/90, EzFamR GG Art. 3 Nr. 1 = FuR 1991, 355; dazu Beschluß der 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts – 1 BvR 1359/91, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 30). Jedoch kann auch die von der Klägerin im Jahr 1992 verrichtete Pflege den Tatbestand einer Berücksichtigungszeit erst ab 1. August 1992 erfüllen.

Gemäß § 249b Satz 2 SGB VI (= § 57 Abs. 2 Satz 2 SGB VI aF) wird die Zeit der Pflegetätigkeit von der Aufnahme der Pflegetätigkeit an als Berücksichtigungszeit „angerechnet”, wenn der Antrag bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach Aufnahme der Pflegetätigkeit gestellt wird. Zwar ist im Vormerkungsverfahren nicht über die „Anrechnung” von Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten zu entscheiden; jedoch muß es nach der im Zeitpunkt der begehrten Vormerkung maßgeblichen Rechtslage möglich sein, daß der als erfüllt behauptete Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit im späteren Leistungsfall angerechnet werden kann. Nach § 249b Satz 2 SGB VI beginnt die Anrechnung der Berücksichtigungszeit aber frühestens mit dem Kalendermonat, in dem der Antrag gestellt wird, falls dies – wie im Falle der Klägerin – im vierten oder einem späteren Kalendermonat nach dem Kalendermonat geschieht, in dem die Pflegetätigkeit aufgenommen wurde.

2. Gemäß § 249b Satz 1 SGB VI sind in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1995 Berücksichtigungszeiten wegen Pflege solche Zeiten, in denen die Pflegeperson einen Pflegebedürftigen nicht erwerbsmäßig gepflegt hat, falls der Pflegende wegen der Pflege berechtigt war, Beiträge zu zahlen oder die Umwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge zu beantragen (§ 279e SGB VI früher: § 177 SGB VI aF), und nicht zu den in § 56 Abs. 4 SGB VI genannten Personen gehört, die von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen sind.

a) Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist dessen Ansicht nicht zu beanstanden, daß die Klägerin nicht zu den in § 56 Abs. 4 SGB VI genannten ausgeschlossenen Personen gehört, zwei Pflegebedürftige (iS von § 177 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI aF = § 279e Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) von August 1992 bis Oktober 1994 betreut und sie iS der vorgenannten Vorschriften gepflegt hat.

b) Hingegen reichen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht aus zu entscheiden, daß sie „nicht erwerbsmäßig” gepflegt hat. Vom (persönlichen und sachlichen) Geltungsbereich der §§ 249b iVm 279e SGB VI werden von vornherein solche Personen nicht erfaßt, welche die Pflege von Pflegebedürftigen nach ihrem objektiven Erscheinungsbild „als Erwerb” oder „wie einen Erwerb” betreiben. Daher sind diejenigen nicht geschützt, die durch Pflege als selbständige Erwerbstätigkeit Arbeitseinkommen erzielen oder Pflege als Hauptpflicht in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis verrichten. Die Klägerin hat die Pflege nicht als ein in selbständiger Erwerbstätigkeit „gewerblich” auftretender (Pflege-)Unternehmer geleistet.

c) Bei in entgeltlicher Beschäftigung ausgeübter Pflege ist rechtlich nicht erheblich, ob Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Regelung 1 SGB VI begründet oder wegen Geringfügigkeit der Beschäftigung nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI iVm § 8 Abs. 1 und 2 SGB IV versicherungsfrei ist. Denn auch eine geringfügige Beschäftigung, weiche ua wegen des geringfügigen Arbeitsentgelts die Einbeziehung des Beschäftigten in die Solidargemeinschaft der Rentenversicherten, nicht rechtfertigt, wird ihrem objektiven Erscheinungsbild nach als Erwerb im Austausch von Pflegeleistung gegen Entgelt ausgeübt. Keiner Darlegung bedarf, daß es – entgegen der Ansicht des LSG – für die Qualifizierung von Zahlungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt iS von § 14 SGB IV nicht auf deren Höhe ankommt. Denn nach § 14 Abs. 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt „alle” Einnahmen aus einer Beschäftigung. Insbesondere ist unerheblich, ob sie „gerecht”, am Marktpreis orientiert oder vom Zahlungsempfänger zur Bestreitung seines Lebensunterhalts bestimmt sind. Entscheidend ist nur, ob sie tatsächlich wegen der Beschäftigung zufließen.

Das Berufungsgericht hat angenommen, zwischen der Klägerin und der Diakonie-Sozialstation (bzw der diese tragenden Evangelischen Kirchengemeinde) habe kein Beschäftigungsverhältnis iS von § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI iVm § 7 SGB IV vorgelegen. Es ist nicht näher darauf einzugehen, daß die von der Revision hiergegen vorgebrachten Sach- und Verfahrensrügen jedenfalls in dem Sinne durchgreifen, daß die tatsächlichen Feststellungen des LSG zur abschließenden Entscheidung darüber nicht ausreichen, ob die Klägerin bei der Evangelischen Kirchengemeinde (wie von dieser – nach Angaben der Beklagten gemäß dem VDR-Datenbestand – gemeldet) beschäftigt war. Denn auch dann, wenn zu Gunsten der Klägerin unterstellt wird, sie habe durch die Pflege der Frau E. und des Dr. V. keine „nichtselbständige Arbeit” (§ 7 Abs. 1 SGB IV) für die Diakonie-Sozialstation geleistet, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 249b SGB VI nicht vor.

d) Der vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt läßt aber auch auf der Grundlage dieser Unterstellung noch nicht die Entscheidung darüber zu, ob die Klägerin „nicht erwerbsmäßig” gepflegt hat. Denn „erwerbsmäßig” handelt auch derjenige, der die Pflege zwar weder selbständig als Unternehmer noch entgeltlich im Dienste eines Dritten, dh im Namen und für Rechnung eines anderen als des gepflegten Pflegebedürftigen erbringt, der aber vom Pflegebedürftigen zur Pflege gegen Entgelt angestellt oder wie ein Erwerbstätiger, aber ohne Gewinnerzielungsabsicht, durch die Pflege als Nebentätigkeit („wie zum Erwerb”) Einkünfte erzielt, deren Wert denjenigen der Summe seiner durch die Pflege bedingten erforderlichen Aufwendungen übersteigt. Denn auch dann wird durch den Pflegedienst etwas regelmäßig erworben.

aa) Eine in diesem Sinne erwerbsmäßig in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis mit dem Pflegebedürftigen ausgeübte Pflege liegt allerdings nicht vor, soweit der „Erwerb” sich allein daraus ergibt, daß der Pflegebedürftige einer ihm nicht kraft Vertrages zur Pflege gegen Entgelt verpflichteten Pflegeperson Beträge bis zur Höhe der ihm von einem Leistungsträger gewährten Geldleistungen wegen Pflegebedürftigkeit zuwendet (vgl im umstrittenen Zeitraum zB § 57 SGB V aF). Denn diese Geldleistungen wegen Pflegebedürftigkeit werden dem Berechtigten gerade zu dem Zwecke zuerkannt, daß er damit seine Pflege in für ihn geeigneter Weise selbst sicherstellen kann. Die Berücksichtigungszeiten wegen Pflege sind gerade für diejenigen eingeführt worden, die dem Pflegebedürftigen Pflege nicht aufgrund eines Austauschvertrages in einem Mindestumfang widmen; Geldleistungen wegen Pflegebedürftigkeit sollen den Pflegebedürftigen aber in die Lage versetzen, nicht nur die pflegebedingten Aufwendungen der Pflegeperson auszugleichen, sondern ihr auch eine vertraglich nicht geschuldete finanzielle Anerkennung ihrer Pflegeleistung zukommen zu lassen. Damit wäre unvereinbar, die Tätigkeit einer solchen Pflegeperson als „erwerbsmäßig” zu beurteilen. Der vom LSG festgestellte Sachverhalt bietet jedoch keinen Anhalt dafür, die von der Klägerin gepflegten Pflegebedürftigen hätten ihr etwas gezahlt. Vielmehr ist festgestellt, daß ein Dritter zwölf DM je Einsatzstunde bezahlt hat. Somit hat die Diakonie-Sozialstation sich auch nicht darauf beschränkt, der Klägerin eine Pflegegelegenheit zu vermitteln.

bb) Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin nur dann „nicht erwerbsmäßig” gepflegt, wenn die Ansicht des LSG zuträfe, daß die Zahlungen der Diakonie-Sozialstation in Höhe von zwölf DM pro Stunde eine „Aufwandsentschädigung” waren. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Klägerin von der Station mit der unentgeltlichen Pflege (iS von § 662 des Bürgerlichen Gesetzbuches ≪BGB≫) beauftragt worden wäre und wenn die tatsächlichen und im einzelnen nachweisbaren, ggf in ihrem Wert entsprechend § 202 SGG iVm § 287 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) tatrichterlich schätzbaren erforderlichen Aufwendungen iS von § 670 BGB (berechnet auf Einsatzstunden) zwölf DM pro Stunde betragen hätten. Die Rügen der Beklagten gegen die Auffassung des LSG, es liege nur eine „Aufwandsentschädigung” vor, greifen ua deshalb durch, weil mit „Verlust an Zeit” und „psychische Leistung” Größen in die Beurteilung eingeflossen sind, die nach § 670 BGB kein Aufwand sind, also gerade die Entgeltlichkeit der Leistungsbeziehung kennzeichnen. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil die Revision der Beklagten auch dann begründet ist, wenn zugunsten der Klägerin nicht nur (wie oben gesagt) unterstellt wird, sie habe Pflege nicht „als Erwerb” betrieben, sondern wenn zu ihren Gunsten auch angenommen wird, sie habe nicht „wie zum Erwerb” gepflegt.

3. Die Klägerin hat nämlich keinen Pflegebedürftigen im erforderlichen Mindestumfang gepflegt: Gemäß § 249b Satz 1 SGB VI liegt der Tatbestand einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege nur solange vor, wie die Pflegeperson berechtigt ist, wegen der Pflege Beiträge zu zahlen oder die Umwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge zu beantragen. § 249b Satz 1 Nr. 1 SGB VI enthält eine tatbestandsergänzende Bezugnahme auf die Vorschrift, in welcher die Beitragszahlung von Pflegepersonen geregelt ist, nämlich auf § 279e SGB VI nF (wie früher § 57 Abs. 2 SGB VI auf § 177 SGB VI).

a) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht berechtigt war, wegen der Pflege Beiträge zu zahlen. Gemäß § 279e Abs. 2 Satz 1 SGB VI hätte dies ua vorausgesetzt, daß sie eine in ihrem zeitlichen Umfang wegen der ausgeübten Pflege eingeschränkte Beschäftigung verrichtet hätte; die Klägerin war aber seit 1977 – ggf abgesehen von ihrer Pflegetätigkeit – nicht mehr anderweitig entgeltlich beschäftigt.

b) Sie wäre jedoch wegen der Pflege „eines” Pflegebedürftigen (so ausdrücklich § 249b Satz 1 SGB VI = § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB VI aF) zur Umwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge berechtigt gewesen, wenn „der” Pflegebedürftige (so § 279e Abs. 1 Nr. 1 SGB VI = § 177 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI aF), den sie häuslich gepflegt hat, nicht nur in dem im Gesetz genannten Maße hilflos war (wie vom LSG festgestellt wurde), sondern wenn sie auch („und”) für „die” Pflege regelmäßig wöchentlich mindestens zehn Stunden aufgewendet hätte. Für die Erfüllung des Tatbestandes einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege ist notwendig, daß die Pflegeperson einen Pflegebedürftigen regelmäßig wöchentlich mindestens zehn Stunden pflegt. Zutreffend rügt die Beklagte, daß die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts schon mit dem Wortlaut des Gesetzes, erst recht aber mit dessen Sinn nicht vereinbar ist. Rentenversicherungsrechtlicher Schutz durch Berücksichtigungszeiten soll nämlich nur denjenigen Pflegepersonen zukommen, die einem Pflegebedürftigen nicht nur in geringfügigem Umfang Pflege zuwenden. Insoweit hat das Berufungsgericht auch die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 11/4124, S 186) unzutreffend herangezogen. Die zeitliche Untergrenze kennzeichnet nur die Mindestdauer des Aufwandes für die Pflege „eines” Pflegebedürftigen; ein sozialpolitisches Bedürfnis nach der Einführung rentenversicherungsrechtlicher Vergünstigungen für geringfügige Pflegetätigkeiten, die den Pflegebedarf, den „der Pflegebedürftige” hat, nur in untergeordnetem Maße befriedigen, bestand nach den Gesetzesmaterialien nicht. Zutreffend weist daher die Beklagte darauf hin, daß das LSG die Berufung aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhaltes hätte zurückweisen müssen. Denn die Klägerin hat zwei Pflegebedürftige insgesamt zehn Stunden wöchentlich gepflegt, also keinem von ihnen das Mindestmaß an Pflege zugewandt, welches die Zuerkennung einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege rechtfertigen würde.

Die Revision der Beklagten mußte also Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1997, 611

SozSi 1997, 197

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