Entscheidungsstichwort (Thema)

Dienstbeschädigungsteilrente. Verwaltungsakt, weiterhin wirksamer. Einstellungsbescheid. Rentenexport. Funktionsnachfolge

 

Leitsatz (amtlich)

Der durch Verwaltungsakt begründete Rentenanspruch (hier: auf Dienstbeschädigtenteilrente) ging nicht dadurch unter, daß die DDR und seit dem 3.10.1990 der Funktionsnachfolger die geschuldete Zahlung unterließen, ohne den Bewilligungsbescheid wirksam aufzuheben (Fortführung von ua BSGE 72, 50 = SozR 3-8570 § 10 Nr. 1; BSGE 74, 184ff = SozR 3-8570 § 11 Nr. 1; BSG SozR 3-8570 § 11 Nr. 3; BSGE 75, 262 = SozR 3-8560 § 26 Nr. 2).

 

Normenkette

EinigVtr Art. 13, 19; EinigVtr Anlage II Kap VIII H III Nr. 9; Versorgungsordnung NVA Nr. 005/9/003 Abschn. 423, 444; AAÜG § 11; WWSUVtr Art. 20 Abs. 7; RAnglG §§ 20, 23; SGB X §§ 43, 48

 

Verfahrensgang

SG Stuttgart (Urteil vom 19.05.1994; Aktenzeichen S 11 V 3215/93)

 

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Mai 1994 abgeändert und wie folgt gefaßt:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 31. Januar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1992 verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 1992 monatlich 231 DM zu zahlen.

Die Klage gegen die Beigeladene wird abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Wiederaufnahme der Zahlung einer Dienstbeschädigungsteilrente (DBTR) ab Januar 1992.

Der im Oktober 1956 geborene Kläger gehörte seit August 1976 als Zeitsoldat der Nationalen Volksarmee (NVA) der früheren DDR, zuletzt im Range eines Unterleutnants an. Am 25. März 1978 erlitt er einen Dienstunfall, der Dienstunfähigkeit und seine Entlassung aus der NVA mit Ablauf des Januar 1979 zur Folge hatte. Die NVA (Wehrbezirkskommando P.) gewährte ihm mit Bescheid vom 22. September 1979 eine DBTR in Höhe von 231 Mark der DDR gemäß Abschnitt 423 der Ordnung Nr. 005/9/003 des Ministers für Nationale Verteidigung über die soziale Versorgung der Angehörigen der NVA (Versorgungsordnung – amtlich nicht veröffentlicht). Nach dem festgestellten Körperschaden in Höhe von 30 vH belief sie sich auf 30 vH der Dienstbeschädigungs-Vollrente, die aus 75 vH des durchschnittlichen Monatsbetrages der letzten beitragspflichtigen Vergütung als Soldat (Februar 1978 bis Januar 1979 = 12.300 Mark) errechnet wurde.

Der Kläger floh im August 1989 in das Bundesgebiet. Daraufhin zahlte die NVA die DBTR ab Oktober 1989 nicht mehr aus.

Im Januar 1992 beantragte der Kläger die Wiederaufnahme der Zahlung seiner DBTR bei der Beklagten. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 31. Januar 1992, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1992 ab, weil die DBTR nach Abschnitt I/4/401 der Versorgungsordnung nur an Personen zu zahlen gewesen sei, die ihren ständigen Wohnsitz in der DDR gehabt hätten. Ein Wieder aufleben des Anspruchs sei gesetzlich nicht vorgesehen (Hinweis auf Art. 20 Abs. 7 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ≪Staatsvertrag≫ vom 18. Mai 1990, BGBl II S 537, und auf das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 8. Oktober 1991 – Via 1-52056 – betreffend die Nichteinbeziehung der sonderversorgungsberechtigten früheren Soldaten der NVA in die Versorgungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz ≪SVG≫ bzw nach dem Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫). Leistungen für Personen, welche die frühere DDR vor dem 18. Mai 1990 verlassen haben, seien endgültig eingestellt. Ehemalige Berufs- und Zeitsoldaten der NVA, die vor dem 19. Mai 1990 in die Bundesrepublik geflüchtet seien, könnten keine Versorgung nach den Vorschriften der Versorgungsordnung der NVA, nach § 89 BVG, nach dem SVG und auch nicht nach § 5 des Fremdrentengesetzes (FRG) erhalten.

Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Bescheide der beklagten Bundesrepublik Deutschland aufgehoben und „festgestellt, daß ab 1. Januar 1992 der Anspruch wiederauflebt”; ferner hat das SG die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 1992 „Dienstbeschädigungsrente nach einer MdE von 30 vH in gesetzlicher Höhe zu bezahlen”. Das SG ist folgender Ansicht; Rein formal sei die Einstellung der Rentenzahlung durch die damalige DDR und die Nichtwiederaufnahme nicht zu beanstanden. Im „Gesamtzusammenhang von Art. 24 des Staatsvertrages” und vielfältiger politischer Meinungsbekundungen sei als Obersatz zu erkennen, daß ein „weitestgehender” Bestandsschutz früherer DDR-Renten statuiert werden sollte. Durch den bloßen Wechsel des Aufenthaltsortes sei das erworbene Rentenstammrecht nicht endgültig erloschen. Da die DDR der Bundesrepublik Deutschland beigetreten sei, sei die NVA integraler Bestandteil der deutschen Bundeswehr geworden. Die Beigeladene sei als Zahlerin der beantragten Rente zu verurteilen Auch ohne eine gesetzliche oder vertragliche Norm gebiete der Gleichheitsgrundsatz, den Kläger so zu stellen, als ob er vor dem 18. Mai 1990 wieder in die damalige DDR zurückgesiedelt wäre oder diese nie oder aber nach dem 18. Mai 1990 verlassen hätte.

Die Beklagte und die Beigeladene haben – die vom SG zugelassene – (Sprung-)Revision mit Zustimmung des Klägers eingelegt.

Die Beklagte trägt vor: Aus Art. 20 Abs. 7 des Staatsvertrages, aus der Regelung Nr. 6 der Grundsatzentscheidung (GE des Ministers für Abrüstung und Verteidigung der früheren DDR vom 6. Juli 1990 zur Versorgungsordnung) und aus § 20 des Gesetzes zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen (Rentenangleichungsgesetz ≪RAnglG≫ vom 28. Juni 1990, GBl I Nr. 38 S 495, ber S 1457) ergebe sich, daß nach dem am 2. Oktober 1990 gegebenen Sach- und Rechtszustand eine Zahlung der DBTR an den Kläger nicht zulässig gewesen sei. Damit ergebe sich für die Beklagte als Funktionsnachfolgerin der ehemaligen NVA keine Zahlungspflicht. Das SG habe ohne gesetzliche Grundlage entschieden. Nach § 9 Abs. 2 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz ≪AAÜG≫) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606, 1677) sei die Beigeladene hinsichtlich der nicht in die Rentenversicherung überführten Sonderversorgungsleistungen, wie ua bei der DBTR, nur Auszahlende, während die Beklagte nach § 8 Abs. 4 Nr. 2 und § 9 Abs. 3 AAÜG der zuständige Versorgungsträger für die Versorgungsordnung, also des in der Anlage 2 Nr. 1 zum AAÜG genannten Sonderversorgungssystems sei. Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606) verbiete der Beigeladenen sogar eine Zahlung der DBTR als Rente – gleich welcher Art.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Mai 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Mai 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Verurteilung, dem Kläger ab 1. Januar 1992 DBTR nach einer MdE von 30 vH zu zahlen, entbehre jeglicher gesetzlicher Grundlage. Eine solche sei vom SG auch nicht benannt worden. Zuständig sei die Beklagte als Versorgungsträger. Die DBTR sei eine Versorgungsleistung, welche durch die Übersiedlung des Klägers in die alte Bundesrepublik vor dem Stichtag des 18. Mai 1990 aufgrund der Vorschriften der Versorgungsordnung erloschen sei. Die durch den Staatsvertrag entstandene Rechtslage habe einen „Export von Renten- und Versorgungsleistungen der DDR” in das Gebiet der Bundesrepublik erst für eine Übersiedlung nach dem Stichtag des 18. Mai 1990 erlaubt. Der Kläger habe aber seinen ständigen Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt schon vor diesem Stichtag in die alten Bundesländer verlegt. Deswegen habe die zuständige Dienststelle der NVA die DBTR nicht weiterzahlen dürfen. Daher sei kein Anspruch auf Weiterzahlung auf die Bundeswehr übergegangen. Im übrigen sei die Beigeladene für die in die Rentenversicherung nicht überführten Sonderversorgungsanspruche weder zuständig noch leistungspflichtig. Sie dürfe solche Leistungen ggf nur auf Veranlassung durch den Versorgungsträger und in dessen Verantwortung ab Januar 1992 auszahlen.

Der Kläger beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des SG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Auf die zulässige Revision der Beigeladenen ist das angefochtene Urteil des SG insoweit abzuändern, als die Verurteilung der Beigeladenen aufzuheben ist.

Für diese Verurteilung gibt es – worauf die Beigeladene zutreffend hinweist – keine gesetzliche Grundlage. Auch das SG hat keine benannt. Keiner Darlegung bedarf, daß aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ohne weitere gesetzliche Konkretisierung keine Leistungspflicht der Beigeladenen gegenüber dem Kläger herzuleiten ist. Vielmehr stellt § 9 Abs 3 AAÜG ausdrücklich klar, daß allein der (iS von § 8 Abs. 4 Nr. 2 AAÜG) gegenüber den Sonderversorgungsberechtigter rechtlich verantwortlich ist.

Die Revision der Beklagten hat hingegen im wesentlichen keinen Erfolg. Sie führt nur dazu, daß der Urteilsausspruch dahingehend klarzustellen ist, daß sie dem Kläger monatlich 231 DM als DBTR zahlen muß, solange der Verfügungssatz im Bescheid vom 22. September 1979 nicht wirksam und vollstreckbar aufgehoben oder abgeändert worden ist. Denn die Beklagte ist im Wege der Funktionsnachfolge Schuldnerin des Anspruchs auf DBTR geworden, den die NVA dem Kläger im Bescheid vom 22. September 1979 zuerkannt hat.

Revisionsgerichtlicher Prüfung unterliegt nur, ob die Entscheidung des SG Bundesrecht (§ 162 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) verletzt. Hierzu nimmt der Senat auf die Grundsätze seiner Rechtsprechung zur Überführung von Ansprüchen aus Zusatz- und Sonderversorgungen des Beitrittsgebiets in das Recht der Bundesrepublik Deutschland Bezug (stellvertretend: Grundsatzentscheidung vom 27. Januar 1993 ≪BSGE 72, 50 ff = SozR 3-8570 § 10 Nr. 1≫; dazu BVerfG, Beschluß der 2. Kammer des 1. Senats vom 7. Juli 1993 – 1 BvR 620/93; BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 8; BSGE 74, 184 ff = SozR 3-8570 § 11 Nr. 1; BSG SozR 3-8570 § 17 Nr. 1; SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr. 6, dort Nr. 1; SozR 3-8570 § 11 Nr. 2; SozR 3-8570 § 11 Nr. 3; SozR 3-8560 § 26 Nr. 2; SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr. 9, dort Nr. 1; Urteile vom 30. Januar 1996, ua 4 RA 16/95, zur Veröffentlichung vorgesehen). Daraus ergibt sich folgendes:

Gemäß Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages (EinigVtr – im folgenden: EV) bleiben vor dem Wirksamwerden des Beitritts (mit Beginn des 3. Oktober 1990) ergangene Verwaltungsakte der DDR wirksam. Für die Beurteilung dessen, ob das Verhalten eines Organs der früheren DDR oder ihrer Untergliederungen ein „Verwaltungsakt” iS von Art. 19 Satz 1 EV ist, kommt es allein auf die Bewertung des Verhaltens anhand der Maßstäbe des Bundesrechts an; dies gilt auch dafür, ob ein Verwaltungsakt im Zeitpunkt des Untergangs der DDR mit Ablauf des 2. Oktober 1990 wirksam war und deshalb mit Beginn des 3. Oktober 1990 wirksam bleiben konnte.

Der Bescheid der NVA vom 22. September 1979 enthält einen Verwaltungsakt (iS des am 3. Oktober 1990 zumindest entsprechend anzuwendenden § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫). Dem Kläger wurde ein Anspruch gegen die DDR zuerkannt, diese müsse ihm monatlich 231 Mark als DBTR zahlen. Dieser verwaltungsaktliche Anspruch ist seither nicht aufgehoben oder zum Nachteil des Klägers abgeändert worden.

Die Beklagte meint zu Unrecht, durch die Flucht des Klägers im August 1989 sei der Anspruch erloschen. Richtig ist zwar, daß die NVA die Rente zum letzten Mal im September 1989 (so das SG) gezahlt hat. Aus diesem Unterlassen der geschuldeten Handlung (Nichtzahlung als „reales Unterlassen”) kann bundesrechtlich jedoch nicht gefolgert werden, die NVA habe den Bewilligungsbescheid – entgegen der zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Versorgungsordnung; ohne den vorgeschriebenen Einstellungsbescheid – wirksam aufgehoben. Denn nach Bundesrecht, das der Senat in der vorgenannten Rechtsprechung als maßgeblich auch für die Überleitung von Ansprüchen ua aus Sonderversorgungssystemen qualifiziert hat, stellt die bloße Nichtzahlung, dh das Unterlassen der nach dem Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes geschuldeten Zahlung durch den Verwaltungsträger, grundsätzlich und in aller Regel ein gesetz- und amtspflichtwidriges Verhalten dar.

Aus der Versorgungsordnung der NVA (nicht nach der bundesrechtlich nicht maßgeblichen Verwaltungspraxis der DDR) ergibt sich nichts anderes:

Gemäß EV Anlage II Kap VIII Sachgebiet H III Nr. 9 (im folgenden: EV Nr. 9) Buchst e Satz 2 iVm Buchst b Satz 2 sind die leistungsrechtlichen Vorschriften der Versorgungsordnung der NVA, soweit sie (worauf hier nicht naher einzugehen ist) mit dem originären Bundesrecht iS von Art. 9 Abs. 2 und Abs. 4 EV und höherrangigem Recht vereinbar sind, für die Beurteilung auch der Frage maßgeblich, ob der Kläger am Beginn des 3. Oktober 1990 einen verwaltungsaktlichen Anspruch auf Zahlung der DBTR hatte, der sich gemäß § 23 Abs. 1 RAnglG ab 1. Juli 1990 auf Zahlung von 231 DM richtet. Nach Nr. 444 der Versorgungsordnung (Einstellung von Rentenzahlungen), dort Nrn 1 und 2 Buchst a, war eine Rentenzahlung einzustellen, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Rente nicht mehr vorliegen. Insoweit bedarf keiner Erörterung, ob das Bundesrecht (EV Nr. 9 Buchst e Satz 2) anerkennt, daß der Anspruch eines Sonderversorgungsberechtigten gegen die DDR mit seiner Flucht in die Bundesrepublik untergegangen ist. Denn nach Nr. 1 Abs. 2 a.a.O. war dem Rentenempfänger ein schriftlicher formloser Bescheid über die Einstellung der Rentenzahlung zuzustellen. Der Bescheid hatte den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Einstellung und die Gründe der Einstellung zu enthalten. Hiervon durfte nur bei Tod des Rentenempfängers abgesehen werden. Nach Nr. 2 Buchst a der Nr. 444 der Versorgungsordnung wurde der Bescheid über die Einstellung der Rentenzahlung mit Ablauf des Kalendermonats wirksam, in dem die Voraussetzungen zur Zahlung weggefallen waren. Damit war nach der insoweit zu sekundärem Bundesrecht gewordenen und deshalb hier maßgeblichen speziellen Regelung der Versorgungsordnung der Erlaß eines Verwaltungsaktes über die Beendigung des Anspruchs zwingend vorgeschrieben. Somit war eine Renteneinstellung als Verwaltungsakt durch schlüssiges Verhalten gesetzlich verboten. Aus diesem Grunde ist dem pflichtwidrigen Unterlassen der Zahlung die Bedeutung eines Einstellungsbescheides nicht zu entnehmen.

Nach den für das BSG bindenden (§§ 163, 161 Abs. 4 SGG) Feststellungen des SG und nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten ist ein solcher Einstellungsbescheid aber nicht ergangen. Daher ist der Bescheid vom 22. September 1979 bis zum Ablauf des 2. Oktober 1990 wirksam gewesen und am 3. Oktober 1990 wirksam geblieben. Gemäß EV Nr. 9 Buchst e Satz 3 und Buchst c Satz 2 war der Funktionsnachfolger gemäß Art. 13 Abs. 2 EV, dh die Beklagte als Trägerin der Verteidigung, für diese Schuld der DDR „verantwortlich” geworden. Mithin war die Beklagte seit dem 3. Oktober 1990 Schuldnerin des dem Kläger durch den Bescheid vom 22. September 1979 zuerkannten Anspruchs. Aufgrund der Revision der Beklagten erstreckt sich – worauf klarstellend hinzuweisen ist – die Entscheidung des Revisionsgerichts aber nur auf den Zeitraum ab 1. Januar 1992. Ab diesem Zeitpunkt kann der Kläger von der Beklagten Zahlung verlangen.

Die Rechtsauffassung der Beklagten, eine Zahlungspflicht des Funktionsnachfolgers der ehemaligen NVA bestehe nicht aufgrund verschiedener gesetzlicher Vorschriften, trifft nicht zu. Es gibt keine Rechtsnorm, die es ihr erlaubte, für Zahlungszeiträume seit dem 1. Januar 1992 den durch den Verwaltungsakt vom 22. September 1979 zuerkannten Anspruch nicht zu erfüllen, ohne zuvor diese Leistungsbewilligung (wirksam und vollstreckbar) aufgehoben zu haben. Insbesondere ergibt sich aus keiner der von der Beklagten angesprochenen Vorschriften, diese könnten – im Wege des grundsätzlich und in aller Regel verfassungswidrigen Selbstvollzuges des Gesetzes – den begünstigenden Verwaltungsakt aufgehoben haben. Gleichfalls ergibt sich aus den von der Beklagten genannten Vorschriften das von ihr behauptete Zahlungsverbot nicht:

Nach Art. 20 Abs. 7 des Staatsvertrages erhalten Personen, die nach dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der einen Vertragspartei in das Gebiet der anderen Vertragspartei verlegt haben, „von dem bisher zuständigen Rentenversicherungsträger” ihre nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften berechnete Rente für die dort zurückgelegten Zeiten. Diese Vorschrift diente der zukunftsgerichteten Durchsetzung der Sozialunion. Sie hat ua der früheren DDR zur Pflicht gemacht, künftig Leistungen ihrer sozialen Rentenversicherung auch in den anderen Teil Deutschlands zu erbringen; zugleich wurden „Migrationsgewinne” ausgeschlossen. Eine Regelung darüber, daß die frühere DDR an ihre Sonderversorgungsberechtigten diesen zuerkannte Sonderversorgungsrenten nicht auszahlen dürfe, wenn sie vor dem 18. Mai 1990 in den anderen Teil Deutschlands geflohen oder umgezogen sind, enthält Art. 20 Abs. 7 Staatsvertrag nicht. Gleiches gilt für die von der Beklagen genannte Nr. 6 GE zu Versorgungsordnung vom 6. Juli 1990 (gleichfalls amtlich nicht veröffentlicht). Darin ist gemäß den Vorgaben des Staatsvertrages bestimmt daß Empfängern einer Rentenleistung, die nach dem 18. Mai 1990 ihren, gewöhnlichen Aufenthalt im anderen Teil Deutschlands genommen haben, bei Vorliegen der Voraussetzungen auf Antrag die Rente durch das Wehrbezirkskommando weitergezahlt wird. Ein Gebot, durch Verwaltungsakt zuerkannte Versorgungsansprüche entgegen Nr. 444 der Versorgungsordnung ohne Einstellungsbescheid nicht: mehr zu erfüllen, falls der Berechtigte vor dem 19. Mai 1990 in den Westen geflohen oder umgezogen ist, enthält auch Nr. 6 GE nicht. Ebensowenig greift § 20 BAnglG ein, der gleichfalls der Umsetzung des Staatsvertrages dient. Danach wird an Personen, die nach dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen haben, bei Vorliegen der rentenrechtlichen Voraussetzungen Rente durch die Sozialversicherung der DDR gezahlt. Diese Vorschrift die keinen andere Inhalt als den der zuvor angesprochenen Regelungen hat, ist da auch deswegen nicht anwendbar, weil erst im 6. Abschnitt des BAnglG (§§ 23 ff) da der Fortbestand von Sonderversorgungsansprüchen gegen Versorgungsträger der früheren DDR geregelt wird.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist den von ihr angeführten Vorschriften gemeinsam, daß sie das durch den Staatsvertrag geprägte neue Renten und Versorgungsrecht zukunftsgerichtet für die Zeiten der Union ab dem 19. Mai 1990 gestalten wollen. Hingegen wird im Blick auf Verlagerungen von Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt vor dem 19. Mai 1990 keine Regelung zur Änderung des jeweils in der früheren DDR und in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblichen Rechts getroffen (siehe schon Senatsurteil vom 30. September 1993 – 4 RA 1/93), bis die Rechtseinheit (im wesentlichem) zum 1. Januar 1992 hergestellt sein würde. Demgemäß gibt es auch keine Einstandspflicht der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Untergliederungen für DDR-Rentenansprüche, die sich auf Bezugszeiten vor dem 1. Juli 1990 beziehen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 8). Die von der Beklagten genannten Vorschriften betreffen also von vornherein nicht die hier entscheidungserhebliche Frage, ob die DDR zum Zeitpunkt ihres Unterganges nach dem für sie maßgeblichen, im EV als sekundäres Bundesrecht anerkannten Recht dem Kläger zur Zahlung verpflichtet war. Dies ist – wie ausgeführt – mangels wirksamer Einstellung der Rente der Fall gewesen; insoweit ist die Beklagte als Funktionsnachfolgerin Schuldnerin des Klägers geworden.

Die Revision der Beklagten kann auch nicht erfolgreich darauf gestützt werden, daß der angefochtene Bescheid vom 31. Januar 1992 in einen die Leistungsbewilligung vom 22. September 1979 aufhebenden Verwaltungsakt umgedeutet werden könnte. Nach der hier für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Umdeutung maßgeblichen Regelung in § 43 Abs. 1 SGB X darf nämlich ein fehlerhafter Verwaltungsakt ua nur dann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn dieser auf das gleiche Ziel gerichtet sowie materiell- und verfahrensrechtlich rechtmäßig ist. Eine Abänderung des Bescheides vom 22. September 1979 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X, der jedenfalls seit dem 1. Januar 1991 auch im Beitrittsgebiet unmittelbar (zuvor entsprechend) gilt, war zum einen nicht das Ziel der Beklagten, als sie den Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme der Rentenzahlungen ablehnte; zum anderen war seit dem 3. Oktober 1990 keine für den im Verfügungssatz des früheren Bescheides zuerkannten Anspruch wesentliche tatsächlich oder rechtliche Änderung eingetreten. Vielmehr war im EV Nr. 9 Buchst e Satz 2 bestimmt worden, daß Ansprüche auf solche Versorgungsleistungen (ua DBTR als vergleichbare Leistung iS von Satz 1 a.a.O.) nur Personen haben, die am 3. Oktober 1990 die Voraussetzungen für die Versorgungsleistungen erfüllt haben und bis zum 31. Dezember 1990 entlassen worden sind. Aufgrund des gemäß Art. 19 Satz 1 und Satz 3 EV wirksam und bestandskräftig gebliebenen Bescheides vom 22. September 1979 stand aber für die Beklagte bindend fest, daß der Kläger die Voraussetzungen für die Versorgungsleistung erfüllt hatte.

Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß diese revisionsgerichtliche Entscheidung einer zukünftigen Anwendung ua des § 11 Abs. 5 und 6 AAÜG nicht entgegensteht; hierbei wird die Beklagte ggf die rechtsstaatlichen Rückwirkungsgrenzen (dazu BSG SozR 3-8570 § 11 Nr. 3) beachten müssen.

Nach alledem mußte die Revision der Beigeladenen Erfolg haben, während die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt worden ist, dem Kläger ab Januar 1992 monatlich 231 DM bis auf weiteres zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1102106

Breith. 1997, 236

SozSi 1997, 159

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