Beteiligte
19. März 1997 1…, Kläger, Prozeßbevollmächtigter:…, 2…, Kläger und Revisionskläger |
Berufungsausschuß für Kassenarztzulassungen Nordrhein, 40547 Düsseldorf, Emanuel-Leutze-Straße 8, Beklagter und Revisionsbeklagter |
1.AOK Rheinland - Die Gesundheitskasse, 40213 Düsseldorf, Kasernenstraße 61, 2.Innungskrankenkasse Nordrhein, 51469 Bergisch Gladbach, St.-Josef-Straße 20, 3.Landesverband der Betriebskrankenkassen Nordrhein-Westfalen, 45128 Essen,.. |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Streitig ist ein Anspruch auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.
Der Kläger zu 2) ist Arzt für Arbeitsmedizin und seit 1982 als angestellter Betriebsarzt im Betriebsarztzentrum der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann GmbH (HKM) in Duisburg-Huckingen tätig. Im Januar 1993 beantragte er seine Zulassung zum 1. Oktober 1993 und zwar in einer Gemeinschaftspraxis mit dem Kläger zu 1), der seit 1989 ebenfalls bei der HKM angestellter Betriebsarzt ist, in den Räumen des Betriebsarztzentrums der HKM. Dieses liegt in einem ehemaligen Wohnhaus vor dem Werksgelände.
Mit seinem Arbeitgeber vereinbarte der Kläger zu 2) die Modalitäten der beabsichtigten vertragsärztlichen Tätigkeit. Sie wurden in einer schriftlichen Erklärung der HKM vom 24. August 1993, einem Vertragsentwurf vom Dezember 1993 und schließlich einer unter dem 15. März 1995 unterzeichneten Vereinbarung, die mit der Zulassung des Klägers zu 2) als Vertragsarzt in Kraft treten sollte, festgelegt. Danach wird dem Kläger zu 2) erlaubt, in der Zeit von 9.00 bis 12.30 Uhr und 17.00 bis 18.00 Uhr sowie nach Vereinbarung ausschließlich als Vertragsarzt tätig zu sein. Ebenso wird er für Notfälle freigestellt (§ 2). § 3 der Vereinbarung regelt die Überlassung im einzelnen bezeichneter Räume und medizinisch-technischer Geräte zur Nutzung in der Vertragsarztpraxis. In § 4 werden dem Kläger zu 2) sechs namentlich benannte Hilfskräfte aus dem medizinisch-technischen und kaufmännischen Bereich zur Verfügung gestellt. § 5 verpflichtet den Kläger zu 2), zur Abgeltung der in den §§ 3 und 4 genannten Leistungen der HKM ein Entgelt in Höhe von 50 % der aus der vertragsärztlichen Tätigkeit entstehenden Bruttovergütung zu zahlen. § 7 regelt schließlich das Kündigungsrecht der Vertragspartner.
Der Zulassungsausschuß lehnte den Zulassungsantrag durch Beschluß vom 25. August 1993 ab. Den Widerspruch des Klägers zu 2) wies der Beklagte durch Bescheid vom 16. August 1994 zurück. Klage und Berufung des Klägers zu 2) sind erfolglos geblieben. In seinem Urteil vom 7. Februar 1996 hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, der Kläger sei iS des § 20 Abs 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) zur vertragsärztlichen Versorgung nicht geeignet, weil er wegen seiner Tätigkeit als Betriebsarzt für die Versorgung der Versicherten nicht in dem erforderlichen Maße - nämlich ganztägig - zur Verfügung stehe. Zudem sei er auch iS des § 20 Abs 2 Ärzte-ZV für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht geeignet, weil eine Beschäftigung als Betriebsarzt ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit als Vertragsarzt in den Räumen der HKM nicht vereinbar sei. Es bestehe insoweit die Gefahr von vielfältigen Interessen- und Pflichtenkollisionen. So könne etwa bei der Behandlung von Betriebsangehörigen deren Recht auf freie Arztwahl beeinflußt werden, und es ergäben sich Bedenken gegen die Unbefangenheit des Klägers zu 2) bei der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit von Betriebsangehörigen. Seiner Eignung stehe zudem die vertraglich vorgesehene Anbindung der geplanten Gemeinschaftspraxis an die HKM entgegen. Zur Selbständigkeit vertragsärztlicher Tätigkeit gehöre, daß der Arzt Inhalt und Umfang seiner Tätigkeit und den Einsatz der der Praxis zugeordneten sachlichen und persönlichen Mittel selbst bestimmen und verantworten könne. Eine derart eigenverantwortliche Praxisausübung sei vorliegend insbesondere im Hinblick auf die ausschließliche Personalgestellung durch die Arbeitgeberin und die Abgeltungsregelung nicht gegeben.
Mit seiner Revision rügt der Kläger zu 2) eine Verletzung des § 20 Ärzte-ZV. Zu Unrecht habe das LSG angenommen, er stehe nicht im erforderlichen Maße für die vertragsärztliche Versorgung zur Verfügung. Zwischen ihm und der HKM sei vereinbart, daß er für die vertragsärztliche Tätigkeit freigestellt werde und berechtigt sei, Sprechstunden einzurichten. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG könne nicht davon ausgegangen werden, daß vor dem Hintergrund der zum 1. Januar 1993 eingeführten Bedarfsplanung beabsichtigt gewesen sei, den Vertragsärzten jede Nebenbeschäftigung von nicht lediglich geringem Umfang zu untersagen. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, daß dem Gesetzgeber die bis dahin ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine Halbtagstätigkeit mit der Niederlassung als Kassenarzt für vereinbar erachtet habe, bekannt gewesen sei. Hätte der Gesetzgeber dies ändern wollen, hätte er § 20 Abs 1 Ärzte-ZV entsprechend fassen müssen. Das sei nicht geschehen. Die Tätigkeit als Betriebsarzt widerspreche zudem ihrem Wesen nach auch nicht der eines Vertragsarztes. Eine Unvereinbarkeit der Beschäftigung als Betriebsarzt und der vertragsärztlichen Tätigkeit könne nicht damit begründet werden, daß er hauptsächlich Bedienstete der HKM behandeln werde. Die Zusammensetzung des Patientengutes einer vertragsärztlichen Praxis sei immer vom Standort der Praxis abhängig, wobei dessen Wahl auf einer freien unternehmerischen Entscheidung des Praxisinhabers beruhe. Eine Unvereinbarkeit iS von § 20 Abs 2 Ärzte-ZV wäre nur zu bejahen, wenn anderen Patienten der Zugang zur Praxis verwehrt wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall. Seine Eignung iS von § 20 Abs 2 Ärzte-ZV scheitere auch nicht daran, daß er kein eigenes Personal beschäftige. Zwar sei es für einen Vertragsarzt typisch, daß er Personal selbst anstelle. Einer vertragsärztlichen Tätigkeit wesensimmanent sei jedoch allein die Berechtigung und die Möglichkeit, dies zu tun. Diese rechtliche Möglichkeit besitze er. Gegenteiliges habe das LSG nicht festgestellt.
Der Kläger zu 2) beantragt,
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die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Februar 1996 und des Sozialgerichts Duisburg vom 20. Januar 1995 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. August 1994 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn als praktischen Arzt in Duisburg-Huckingen zuzulassen. |
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Der Beklagte beantragt,
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die Revision des Klägers zu 2) zurückzuweisen. |
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Die Beigeladene zu 7) beantragt ebenfalls,
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die Revision zurückzuweisen. |
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II
Die Revision des Klägers zu 2) ist nicht begründet.
Er hat, wie das LSG im Ergebnis zu Recht entschieden hat, keinen Anspruch auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung; denn er ist iSd § 20 Abs 2 Ärzte-ZV zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht geeignet. Angesichts dessen bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob sich eine fehlende Eignung des Klägers zu 2) auch daraus ergeben würde, daß er nur in eingeschränktem zeitlichem Umfang für die vertragsärztliche Versorgung zur Verfügung steht.
Nach § 20 Abs 2 Ärzte-ZV in der hier anzuwendenden Fassung des Art 9 Nr 15 GSG vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) ist für die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nicht geeignet ein Arzt, der eine ärztliche Tätigkeit ausübt, die ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz nicht zu vereinbaren ist. Diese Vorschrift will ihrem Sinn und Zweck nach ausschließen, daß bei der Zulassung eines Arztes als Vertragsarzt in dieser Eigenschaft durch eine anderweitig von ihm ausgeübte ärztliche Tätigkeit Interessen- und Pflichtenkollisionen entstehen. Die Regelung dient der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Versorgung und damit gleichgewichtig auch dem Schutz der Versicherten, die solchen Interessen- und Pflichtenkollisionen auf Seiten des Vertragsarztes nicht ausgesetzt werden sollen. § 20 Abs 2 Ärzte-ZV ist in dieser Auslegung, wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 76, 59, 63 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1), mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art 12 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar. Auch die Beteiligten ziehen dies nicht in Zweifel.
Der Kläger zu 2) beabsichtigt, seine vertragsärztliche Tätigkeit in den Räumen des Betriebsarztzentrums der HKM auszuüben. Nach der zwischen dem Kläger zu 2) und der HKM unter dem 15. März 1995 unterzeichneten Vereinbarung würde der Kläger zu 2) die Praxis mit Hilfe des Personals, daß von der HKM im Betriebsarztzentrum angestellt ist, und unter Benutzung der Einrichtung des Betriebsarztzentrums führen. Er wäre verpflichtet, 50 % seiner vertragsärztlichen Bruttovergütung an die HKM abzuführen und unterläge einem an keine weiteren als die Einhaltung von Fristen gebundenen Kündigungsrecht der HKM.
Die vom Kläger zu 2) ausgeübte Tätigkeit als angestellter Arzt in der Funktion des Betriebsarztes und die vertragsärztliche Tätigkeit in der von ihm geplanten Form begründen die Gefahr von Interessen- und Pflichtenkollisionen in dem oben dargelegten Sinne, die nicht durch andere gestaltende Maßnahmen als durch die Versagung der Zulassung behoben werden können. Dies ergibt die Gesamtwürdigung aller Umstände, die für die in Aussicht genommene Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit prägend sind. Es kommt daher nicht darauf an, ob jeder einzelne in diesem Zusammenhang beachtliche Umstand für sich genommen die fehlende Eignung iSd § 20 Abs 2 Ärzte-ZV zur Folge haben würde.
Die vertragliche Bindung, die der Kläger zu 2) mit seinem Arbeitgeber, der HKM, für den Fall seiner Zulassung als Vertragsarzt eingegangen ist (vgl § 6 der Vereinbarung vom 15. März 1995), begründet die Gefahr, daß er bei der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht frei von möglichen Einflußnahmen seines Arbeitgebers ist bzw sich nicht von derartigen Einflußnahmen frei fühlen kann; denn bei der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist der Kläger zu 2) in vielerlei Beziehung von Entscheidungen seines Arbeitgebers abhängig. So steht dem Kläger zu 2) weder das Recht zur Auswahl seiner Mitarbeiter, die bei der HKM angestellt sind, noch das Direktionsrecht über diese zu. Er ist vielmehr verpflichtet, mit den Personen zusammenzuarbeiten, die ihm von der HKM zur Verfügung gestellt werden. Diese Bindung des Klägers zu 2) wird dadurch unterstrichen, daß er nach § 4 der Vereinbarung vom 15. März 1995 lediglich berechtigt ist, zusätzliche Hilfskräfte einzusetzen. Im übrigen tritt im Falle des Ausscheidens von von der HKM gestellten Hilfskräften derjenige, der ihm an seinem Arbeitsplatz folgt. Der Kläger zu 2) hat weiter kein Entscheidungsrecht über Anschaffung und Einsatz der sachlichen Mittel, weil diese im Eigentum der HKM stehen und ihm nur zum zeitweiligen Gebrauch überlassen werden. Auch die hinsichtlich der Benutzung der Räumlichkeiten vereinbarte Kündigungsfrist von zwölf Monaten, ohne daß die Ausübung dieses Gestaltungsrechts auf Seiten der HKM auf eine Kündigung aus wichtigem Grund beschränkt worden ist, ermöglicht es seinem Arbeitgeber, der vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers zu 2) in der angestrebten Form durch Kündigung der ihm zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarung die Grundlage zu entziehen. Diese in diesem Bereich - Personalgestellung, Benutzung der Einrichtung und Räumlichkeiten des Betriebsarztzentrums - bestehende Abhängigkeit des Klägers zu 2) von seinem Arbeitgeber ist nicht mit der eines jeden Vertragsarztes, der die Räume seiner Praxis gemietet oder bestimmte Geräte in seiner Praxis gemietet oder geleast hat, zu vergleichen. Wie der Senat bereits entscheiden hat, sind grundsätzlich die Eigentumsverhältnisse an den Praxisräumen und der Geräte- bzw Materialausstattung der Praxis für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in eigener Praxis unerheblich (BSGE 35, 247, 250 = SozR Nr 1 zu § 5 EKV-Ä). Diese Fallgestaltung unterscheidet sich jedoch wesentlich von der bei dem Kläger zu 2), der weiter in einem Arbeitsverhältnis mit der HKM steht, daß der Belastung durch Konflikte und Meinungsunterschiede ausgesetzt sein kann. Deshalb bestehen auch erhebliche Bedenken, ob der Kläger zu 2) die Tätigkeit als Vertragsarzt noch persönlich in eigener Praxis ausüben könnte, wie dies § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV vorschreibt. Hierfür ist nämlich kennzeichnend, daß der Arzt gegenüber seinen Patienten sowohl im Bereich der eigenen Behandlungstätigkeit als auch im tatsächlichen und rechtlichen Umfeld dieser Behandlung in vollem Umfang unmittelbar verantwortlich ist. Das setzt zwingend voraus, daß er Inhalt und Umfang seiner ärztlichen Tätigkeit und den Einsatz der der Praxis zugeordneten sachlichen und persönlichen Mittel selbst bestimmt (vgl BSGE 76, 59, 64 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1 S 7) und insoweit keiner maßgeblichen Einflußnahme durch andere unterliegt.
Die Abhängigkeit des Klägers zu 2) von seinem Arbeitgeber bei der Ausübung der angestrebten vertragsärztlichen Tätigkeit wird dadurch verstärkt, daß die HKM als Folge der in § 5 des Vertrages vom 15. März 1995 vorgesehenen Abgeltungsregelung finanziell am Erfolg der vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers zu 2) beteiligt ist. Die bereits oben im einzelnen geschilderte Bestimmung des Vertrages bewirkt, daß der Kläger zu 2) gegen Gehaltszahlung zur Honorarabführung an seinen Arbeitgeber verpflichtet ist, was auf ein verdecktes Beschäftigungsverhältnis hinweist. Eine solche Honorarbeteiligung in der hier vereinbarten Form und unter den hier gegebenen Voraussetzungen vermag die Unabhängigkeit des Arztes in seinen fachlichen Entscheidungen, insbesondere in der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes, zu gefährden. Sie ist daher mit dem Wesen der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht zu vereinbaren (vgl KassKomm-Hess § 95 SGB V RdNr 43; Schallen, Ärzte-ZV, Kommentar § 20 RdNr 170).
Selbst wenn insoweit die vertraglichen Regelungen modifiziert würden, können sich in anderer Beziehung Interessen- und Pflichtenkollisionen ergeben, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung ebenfalls die Beurteilung stützen, daß der Kläger zu 2) zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ungeeignet iSd § 20 Abs 2 Ärzte-ZV ist. Die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in der mit der HKM vereinbarten Form kann zur Folge haben, daß sich betriebsärztliche und vertragsärztliche Tätigkeit in unzuträglicher Weise vermischen und sich dies zum Nachteil der Versicherten auswirkt. Es liegt nahe, daß der Kläger zu 2) in seiner Funktion als Betriebsarzt von der Betriebsleitung um medizinische Stellungnahmen zu Leistungsvermögen und Einsatzfähigkeit von Arbeitnehmern gebeten wird, die bei betrieblichen Umsetzungen oder Entscheidungen über personenbedingte Kündigungen (vgl § 1 Abs 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz) von Bedeutung sind. Dies gilt, obwohl der Betriebsarzt nach dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 (BGBl I, 1885) - ASiG - ua nur diagnostisch im Rahmen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung tätig ist (§§ 1, 3 Abs 1 Nr 2 ASiG). Die Unfallverhütung im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung umfaßt auch die Verhütung der Entstehung von Berufskrankheiten, denn nach der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Bestimmung des § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) gilt eine Berufskrankheit als Arbeitsunfall. Soweit der Kläger zu 2) die von derartigen Maßnahmen, etwa betrieblichen Umsetzungen wegen der Gefahr des Entstehens von Berufskrankheiten, betroffene Arbeitnehmer auch vertragsärztlich betreut, wird er regelmäßig Kenntnisse über auch medizinisch bedeutsame Faktoren (zB Alkoholprobleme eines Patienten) oder private Lebensumstände (familiäre Probleme) erhalten, über die er als Betriebsarzt nicht ohne weiteres verfügt, die er aber - bewußt oder unbewußt - in Stellungnahmen, die er als Betriebsarzt abzugeben hat, einfließen lassen könnte. Die mögliche Vermischung von betriebs- und vertragsärztlicher Tätigkeit kann sich zudem zu Lasten der Krankenkassen auswirken, wenn ärztliche Leistungen, die Gegenstand der betriebsärztlichen Betreuung sind und vom Arbeitgeber mit dem Gehalt des Betriebsarztes entlohnt werden, von diesem als vertragsärztliche Leistungen gegenüber der KÄV abgerechnet werden (vgl Gitter, SGB 1996, 176, 178). So beschreibt § 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) zahlreiche ärztliche Leistungen, die nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind, wie etwa Einstellungs- und Eignungsuntersuchungen nach Abs 2 Nr 3 und die Ausstellung bestimmter Bescheinigungen nach Abs 2 Nr 1. Einzelne Bestandteile dieser von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossenen Leistungen können aber für sich genommen als vertragsärztliche Leistungen erbracht und abgerechnet werden, wie etwa die ganzkörperliche Untersuchung nach Nr 60 Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen/Ersatzkassen-Gebührenordnung (BMÄ/E-GO) und ein kurzer ärztlicher Bericht über das Ergebnis einer Patientenuntersuchung nach Nr 74 BMÄ/E-GO. Wenn die Vertragsarztpraxis in den Räumen des Betriebsarztzentrums betrieben wird und die betriebsärztliche Tätigkeit auch zeitlich nicht klar von der vertragsärztlichen abgrenzbar ist, besteht die Gefahr, daß die einzelnen ärztlichen Verrichtungen nicht immer derjenigen Sphäre zugeordnet werden, zu der sie sachgerechterweise gehören, bzw daß insoweit eine klare Abgrenzung überhaupt nicht mehr möglich ist. Auch diese Auswirkung soll durch die Versagung der Zulassung vermieden werden.
Nicht zuletzt besteht die Gefahr, daß die von dem Kläger zu 2) beabsichtigte vertragsärztliche Tätigkeit eine Beeinträchtigung des den Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zustehenden Rechts der freien Arztwahl (§ 76 Abs 1 Satz 1 SGB V) nach sich zieht. Anders als in dem vom Senat ebenfalls am 19. März 1997 entschiedenen Revisionsverfahren - 6 RKa 39/96 - gilt dies zwar nicht für diejenigen Versicherten, die nicht zum Kreis der Werksangehörigen der HKM gehören, denn im Unterschied zu jenem Verfahren soll die Vertragsarztpraxis durch den Kläger zu 2) nicht auf dem eigentlichen Werksgelände, sondern in den Räumen des Betriebsarztzentrums vor den Werkstoren betrieben werden. Indessen könnte die Wahrnehmung des Rechts auf freie Arztwahl seitens der Betriebsangehörigen der HKM durch die Zulassung des Klägers zu 2) zur vertragsärztlichen Versorgung eingeschränkt werden. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß diese Personen aus der Einrichtung einer Vertragsarztpraxis des weiterhin als Betriebsarzt tätigen Klägers zu 2) in den Räumen des Betriebsarztzentrums auf eine Erwartung ihres Arbeitgebers schließen, sich von dem Kläger zu 2) auch vertragsärztlich behandeln zu lassen. Dies hätte nämlich aus der Sicht des Betriebes den Vorteil, daß sich die Zeiten der Freistellung von der Arbeit zur Durchführung von Arztbesuchen erheblich reduzieren ließen und in der Regel in Absprache mit dem Kläger zu 2) den betrieblichen Erfordernissen angepaßt werden könnten. Aus diesem Grund liegt es nahe, daß sich die Beschäftigten einem Wunsch ihres Arbeitgebers, auf Kostengründen von dem Behandlungsangebot des Klägers zu 2) Gebrauch zu machen, nur schwer entziehen könnten. Das gilt in besonderer Weise im Zusammenhang mit der ärztlichen Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit auf der Grundlage des § 31 BMV-Ä. Da die Werksangehörigen damit rechnen können, daß ihr Arbeitgeber die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt, der bei ihm angestellt und deshalb typischerweise wirtschaftlich von ihm abhängig ist, in der Regel ohne weitere Nachfragen als gerechtfertigt ansehen wird, könnten sie sich gedrängt sehen, die vertragsärztliche Betreuung durch den Kläger zu 2) zu wählen. Ob sie sich in dieser Weise entschieden haben, wird dem Arbeitgeber zumindest bei der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bekannt, weil aus dieser der Name des behandelnden Vertragsarztes ersichtlich ist (vgl Ziffer 13 der Richtlinien des Bundesauschusses für Ärzte und Krankenkassen für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit vom 3. September 1991).
Die Zusammenschau aller aufgezeigten Umstände führt zu der Beurteilung, daß der Kläger zu 2) nicht iSd § 20 Abs 2 Ärzte-ZV zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit geeignet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
AusR 1998, 25 |
SozSi 1998, 120 |