Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob ein Aufleben der Witwenrente nach dem ersten Ehemann gem. § 1291 Abs. 2 der Reichsversiche-rungsordnung (RVO) ausgeschlossen ist, wenn die Witwe ihren zweiten Ehemann vorsätzlich getötet hat.
Die 1936 geborene Klägerin war seit 1959 in erster Ehe mit dem Versicherten Gerhard Bu… (Bu…) verheiratet gewesen und hatte nach dessen Tod am 29. August 1962 von der Beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Witwenrente bezogen. 1965 wiederverehelichte sie sich mit dem 1944 geborenen Ulrich B… (Ba…), so daß die Witwenrente wegfiel; sie erhielt Witwenrentenabfindung.
Am 18. Februar 1975 tötete die Klägerin ihren zweiten Ehemann durch einen Messerstich. Sie wurde deswegen vom Landgericht (LG) Wuppertal durch Urteil vom 24. November 1975 rechtskräftig wegen Mordes, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, zu 7 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin zunächst eine Witwenrente aus dem Versicherungsverhältnis des zweiten Mannes Ulrich Ba…, hob ihren Bewilligungsbescheid aber dann unter Berufung auf §§ 1277 Abs. 1 RVO durch bindend geworde-nen Bescheid vom 18. April 1977 wieder auf und versagte der Klägerin Witwenrente.
Am 31. Januar 1980 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Wiedergewährung ihrer Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes Gerhard Bu…. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Juli 1980 mit der Begründung ab, daß ein Rentenanspruch nach § 1277 Abs. 1 Satz 2 RVO ausgeschlossen sei, weil sie den Tod ihres zweiten Mannes vorsätzlich herbeigeführt habe.
Am 2. Juli 1982 legte die Klägerin der Beklagten die Durchschrift eines Widerspruchsschreibens vom 24. Juli 1980 vor und beantragte, über den Widerspruch zu entscheiden; sie versicherte unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung der Marina R-S, sie habe die Widerspruchsschrift noch am 24. Juli 1980 zur Post gegeben. Die Widerspruchsstelle der Beklagten sah den Widerspruch als rechtzeitig an, half ihm nicht ab und gab ihn im Einverständnis mit der Klägerin an das Sozialgericht (SG) ab.
Der auf Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des Gerhard Bu… gerichteten Klage hat das SG am 31. Mai 1983 zum Teil stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin nachdem ersten Manne Hinterbliebenenrente mit der Maßgabe zu gewähren, daß ein "nach ihrem zweiten Ehemann nicht zu gewährender Rentenanspruch … als fiktiver Rentenanspruch angerechnet wird". Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klägerin im angefochtenen Urteil vom 15. April 1985 zur Gänze abgewiesen. Einem Aufleben der Witwenrente stehe § 1277 Abs. 1 Satz 2 RVO in entsprechender Anwendung entgegen. Es bestehe eine planwidrige Lücke im Gesetz, die im Wege der Analogie geschlossen werden müsse. Das Vorliegen einer Lücke ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte und aus dem systematischen Zusammenhang. Die im ursprünglichen Wortlaut des § 1291 Abs. 2 RVO i.d.F. des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) enthaltene Verschuldensklausel habe den Fall der vorsätzlichen Tötung des zweiten Ehemannes miterfaßt; bei der Streichung der Verschuldensklausel habe der Gesetzgeber aber diesen Fall nicht im Blick gehabt. Dem Zusammenhang der in § 1277 RVO getroffenen Regelungen sei der Grundsatz zu entnehmen, daß die Versichertengemeinschaft weder für eine vom Versicherten vorsätzlich herbeigeführte, noch für eine im Zuge einer Straftat beim Straftäter eingetretene Bedarfslage einzustehen habe. Dies müsse auch hier gelten. Zwar werde das Wiederaufleben nach § 1291 Abs. 2 RVO nicht durch einen Versicherungsfall ausgelöst, aber doch durch ein Ereignis, das ihm in seiner funktionalen Bedeutung gleichkomme, zumal hier auch die durch das Strafrecht sanktionierten sozial-ethischen Maßstäbe zu beachten seien. Unter diesen Gesichtspunkten könne auch der vom SG gefundenen Lösung, den Anspruch auf Rente aus der Versicherung des ersten Ehemannes unter Anrechung der fiktiven Ansprüche nach dem zweiten Ehemann wiederaufleben zu lassen, nicht gefolgt werden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 1277, 1291 RVO. Die Voraussetzungen des § 1291 Abs. 2 RVO seien unzweifelhaft erfüllt, § 1277 Abs. 1 Satz 2 RVO sei als Ausnahmevorschrift einer analogen Anwendung nicht zugänglich. Die Beseitigung der Verschuldensklausel in § 1291 Abs. 2 RVO könne nicht allein auf die spätere Reform des Scheidungsrechts zurückgeführt werden. Zum Unterschied von den in § 1277 Abs. 1 Satz 2 RVO geregelten Tatbeständen sei der Klägerin die streitige Witwenrente bereits zuerkannt gewesen. Im übrigen habe die Klägerin ihre Strafe verbüßt und könne nicht verstehen, daß sie immer weiter bestraft werde. Schließlich könne nicht unbeachtet bleiben, daß nach den strafrichterlichen Feststellungen den Getöteten eine erhebliche Schuld an der Zuspitzung der Ehekrise treffe.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das Urteil des SG Köln vom 31. Mai 1983 abzuändern, daß die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9. Juli 1980 verurteilt wird, ihr ab1. Januar 1980 die ungekürzte Witwenrente aus der Versicherung des Gerhard Bu… zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung für einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Der Senat hat der Klägerin auf ihren - von den Vorinstanzen übergangenen - Antrag im Hinblick auf den von ihr glaubhaft vorgetragenen Sachverhalt Wiedereinsetzung bezüglich der versäumten Widerspruchsfrist gewährt (BSGE 4, 156, 159; BGHZ 7, 280).
Hat sich (u.a.) eine Witwe wiederverheiratet und wird diese Ehe (u.a.) aufgelöst, so lebt der Anspruch auf Witwenrente nach § 1291 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 RVO vom Ablauf des Monats, in dem die Ehe aufgelöst ist, wieder auf, wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach der Auflösung der Ehe gestellt worden ist. Ein von der Witwe infolge Auflösung der zweiten Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch ist auf die Witwenrente anzurechnen (Halbsatz 2 aaO).
Durch den Tod Ulrich Ba's, den die Klägerin am 18. Februar 1975 durch einen Messerstich vorsätzlich getötet hat, ist ihre mit ihm geschlossene zweite Ehe sicher "aufgelöst". Da die Klägerin aus dem Versicherungsverhältnis des zweiten Ehemannes, wie nach dem Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 18. April 1977 bindend i.S. des § 77 SGG feststeht, gem. § 1277 Abs. 1 Satz 2 RVO keinen nach § 1291 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 RVO anrechnungsfähigen Anspruch auf Hinterbliebenenrente hat, scheint ihr Anspruch auf Witwen-rente nach dem ersten Ehemann in voller Höhe wiederaufgelebt.
Dieses anhand allein des Wortlauts von § 1291 Abs. 2 Satz 1 RVO gewonnene Ergebnis widerspricht indessen der Ratio des Gesetzes. Halbsatz 2 aaO, der die Anrechnungspflichtigkeit des aus der zweiten Ehe erworbenen Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruchs anordnet, weist den fraglich wiederaufgelebten Anspruch nach dem ersten Ehemann gegenüber dem gleichartigen Anspruch nach dem zweiten Ehemann als nachrangig, als nur subsidiär aus. Ist nämlich der auf sein Wiederaufleben zu prüfende Anspruch auf Witwenrente nach dem ersten Ehemann nicht höher als der Versorgungsanspruch aus der zweiten Ehe, so kann ein Rentenanspruch nach dem ersten Ehemann nicht wiederaufleben. Der Anspruch auf eine wiederaufgelebte Witwenrente nach dem ersten Ehemann wird also durch einen gleichartigen Anspruch nach dem zweiten Ehemann verdrängt. Mit anderen Worten: Der fraglich wiederaufgelebte Anspruch auf Witwenrente nach dem ersten Ehemann hat allein die beschränkte Funktion, eine Versorgungslücke zu füllen, die nach dem Tod des zweiten Ehemannes offen bleibt (allgemeine Meinung, vgl. BSGE 19, 153 = SozR Nr. 7 zu § 1291 RVO; BSG in SozR Nr. 9 aaO; BSGE 25, 262, 264= SozR Nr. 9 zu - dem vergleichbaren - § 44 BVG a.F.; Zweng/Scheerer/ Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl., § 1291 RVO, Anm. III C 3; Verbandskommentar zum 4. und 5. Buch der RVO, Bd II, § 1291 RdNr. 2).
Der vorliegende Fall zeichnet sich aber dadurch aus, daß für die Klägerin nach dem von ihr vorsätzlich herbeigeführten Tod ihres zweiten Ehemannes zwar eine Versorgungslücke besteht, diese Versorgungslücke indessen vom Gesetzgeber, wie §1277 Abs. 1 Satz 2 RVO belegt , ausdrücklich gewünscht ist. § 1277 Abs. 1 Satz 2 aaO stellt die Witwe, die ihren zweiten Ehemann vorsätzlich tötet, in bezug auf ihren Anspruch auf Witwenrente nach § 1264 RVO nämlich so, als sei der Versicherungsfall des Todes als ein sie hinterbliebenenrenten-rechtlich begünstigender Umstand nicht eingetreten, als läge kein Sachverhalt vor, der zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente berechtigt. Die tatsächlich durch den Tod des zweiten Ehemannes eingetretene Versorgungslücke - Wegfall der Gewährung von Unterhalt bei gleichwohl ausgeschlossenem Anspruch auf Witwenrente als Unterhaltsersatz - ignoriert der Gesetzgeber nicht nur; er erklärt sie durch § 1277 Abs. 1 Satz 2 RVO als eine erwünschte Sanktion der vorsätzlichen Tötung des zweiten Mannes. Diese Sanktion wiederum hält der Gesetzgeber für gerechtfertigt und geboten aus der Überlegung, daß die Witwe einerseits durch die vorsätzliche Herbeiführung des Todes des versicherten zweiten Ehemannes auf das Schwerste gegen die innerhalb der Versichertengemeinschaft - einschließlich der sie begünstigenden Hinterbliebenen - erforderliche Solidarität verstoßen hat, und zum anderen wegen der Schwere und Verwerflichkeit der Tötungshandlung, aus der die Täterin keinen materiellen Vorteil zu ziehen berechtigt sein soll (vgl. dazu BSG in SozR 2200 § 1277 Nr. 5 S. 8; zum Charakter der gesetzlichen Rentenversicherung als Solidar- und Risikogemeinschaft vgl. z.B. BVerfGE 58, 111, 113, 123; Ent-scheidung des BVerfG vom 16. Juli 1985 - 1 BvL 5/80 - Bl 34).
Ist die Klägerin aber nach dem von ihr vorsätzlich herbeigeführten Tod ihres zweiten Ehemannes bezüglich ihrer Ansprüche im Ergebnis so zu behandeln, als sei der Tod als Versorgungsansprüche auslösender Versicherungsfall nicht eingetreten, so muß dies auch in bezug auf einen fraglich wiederaufgelebten nachrangigen, nur zur Lückenfüllung bestimmten Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach dem ersten Ehemann gem. § 1291 Abs. 2 Satz 1 RVO beachtlich sein. Auch bei Anwendung dieser Bestimmung muß die Klägerin so behandelt werden, als sei der tatsächlich eingetretene Tod des zweiten Ehemannes für Ansprüche der Witwe auf Hinterbliebenenrente irrelevant. Im anderen Falle unterliefe die Regelung des § 1291 Abs. 2 Satz 1 RVO die vom Gesetzgeber in § 1277 Satz 2 RVO getroffene Anordnung, den Tod des zweiten Ehemannes in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht als Ansprüche auf Hinterbliebenenrente auslösenden Umstand anzuerkennen; § 1291 Abs. 2 Satz 1 aaO würde die vom Gesetzgeber nach dem vorsätzlich herbeigeführten Tod des zweiten Ehemannes gewünschte Versorgungslücke im Ergebnis ausfüllen. Der nur hilfsweise, sekundäre Anspruch auf wiederaufgelebte Rente kann aber seiner Zweckbestimmung, eine in bezug auf den primären Versorgungsanspruch nach dem zweiten Ehemann etwa noch verbleibende Versorgungslücke auszufüllen, dann nicht genügen, wenn der Gesetzgeber den primären Anspruch ausdrücklich ausge-schlossen und damit das "Offenbleiben einer Versorgungslücke" als erwünscht und gewollt ausdrücklich angeordnet hat. Der sekundäre Anspruch würde nämlich an die Stelle des vom Gesetz ausgeschlossenen primären Anspruchs treten, so daß, je nach der tatsächlichen Gestaltung des Falles, im wirtschaftlichen Ergebnis die versorgungsrechtliche Sanktion aus § 1277 Abs. 1 Satz 2 RVO voll verdrängt wäre.
Nach alledem ist § 1291 Abs. 2 Satz 2 RVO in Fällen der vorliegenden Art lückenfüllend dahin auszulegen, daß die vorsätzliche Tötung des zweiten Ehemannes keine die Witwe begünstigende leistungsrechtlich relevante Auflösung der zweiten Ehe darstellt.
Hat aber das LSG im Ergebnis zutreffend einen Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente nach dem ersten Ehemann der Klägerin verneint, so ist die Revision der Klägerin gegen das angefochtene Urteil unbegründet. Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen