Verfahrensgang
SG Altenburg (Urteil vom 26.11.2002) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 26. November 2002 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin befand sich vom 13. bis 15. August 1999 zur stationären Entbindung ihrer Tochter im Geburtshaus G…. , einer von zwei Hebammen geleiteten Einrichtung der Geburtshilfe, in der Schwangere ihr Kind – nach eigener Wahl ambulant oder stationär – zur Welt bringen können. Das Geburtshaus verfügt seit August 1998 über eine gewerberechtliche Konzession zum Betreiben einer Privatkrankenanstalt. Ein Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen entsprechend § 108 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) besteht nicht. Den Hebammen wurden ihre Leistungen unmittelbar von der beklagten Ersatzkasse nach den Sätzen der Hebammenhilfe-Gebührenverordnung vergütet. Daneben berechnete das Geburtshaus der Klägerin für den stationären Aufenthalt drei Tagessätze zu je 248 DM, zusammen 744 DM. Die Beklagte, der die Rechnung am 25. August 1999 vorgelegt wurde, erklärte sich bereit, eine Pauschale in Höhe von einmalig 247 DM zu übernehmen; eine weitergehende Erstattung lehnte sie mit Bescheid vom 3. September 1999 und Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 1999 ab, weil das Geburtshaus keine Kassenzulassung besitze und eine vertragliche Grundlage für die Abrechnung von Sachkosten fehle. Der Klägerin ist die noch offene Forderung bis zum Abschluss des Prozesses vom Geburtshaus gestundet worden.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Altenburg durch Urteil vom 26. November 2002 die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von 254,11 € (= 497 DM) an die Klägerin verurteilt. Grundlage der Zahlungspflicht sei ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Der Klägerin habe nach § 197 Reichsversicherungsordnung (RVO) Unterkunft, Pflege und Verpflegung für bis zu sechs Tage nach der Entbindung als Sachleistung zugestanden. Dieser Anspruch bestehe auch, wenn die Entbindung nicht im Krankenhaus, sondern in einer von Hebammen betriebenen Einrichtung wie dem Geburtshaus erfolge. Geburtshäuser benötigten anders als Krankenhäuser keine Kassenzulassung, da die §§ 107, 108 SGB V auf sie nicht anwendbar seien. Danach müsse die Klägerin so gestellt werden, als wenn ihr die stationäre Entbindung im Geburtshaus G…. als Sachleistung zur Verfügung gestellt worden wäre. Da die Beklagte mit dem Geburtshaus keine Vergütungsvereinbarung geschlossen habe, sei die Höhe der erstattungsfähigen Kosten allein durch das Wirtschaftlichkeitsgebot begrenzt. Vergleiche man die berechneten Tagessätze mit den für eine stationäre Entbindung im Krankenhaus zu entrichtenden Fallpauschalen, stellten sie sich insgesamt als angemessen dar.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision wendet sich die Beklagte gegen die Auslegung der §§ 107, 108 SGB V und des § 197 RVO durch die Vorinstanz. Die “anderen Einrichtungen” iS des § 197 RVO seien von dem für den gesamten Bereich der stationären Behandlung geltenden Zulassungserfordernis nicht ausgenommen, wie sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte als auch aus der Systematik der einschlägigen Vorschriften ableiten lasse. Insbesondere unter bedarfsplanerischen Gesichtspunkten könne auf die Zulassung nicht verzichtet werden; denn eine Freistellung der Geburtshäuser habe unmittelbare Auswirkungen auf die Situation der Entbindungsstationen in zugelassenen Krankenhäusern. Deren Kalkulationsgrundlage, was Pflegesätze, Fallpauschalen und Sonderentgelte sowie die personelle und apparative Ausstattung der Einrichtung betreffe, werde entscheidend durch die Anzahl der zu erwartenden Entbindungen und den sich daraus ergebenden Aufwand bestimmt. Die Möglichkeit einer unkontrollierten Verlagerung stationärer Geburten in andere, nicht zulassungspflichtige Einrichtungen mache eine geordnete Krankenhausplanung in diesem Teilbereich der medizinischen Versorgung praktisch unmöglich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 26. November 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die Klägerin kann nicht verlangen, dass die Beklagte die durch die stationäre Entbindung im Geburtshaus G…. entstandenen Kosten für Unterkunft, Pflege und Verpflegung trägt. Ihre Klage gegen den ablehnenden Bescheid ist abzuweisen. Eine Leistungspflicht der Krankenversicherung scheidet aus, weil die Klägerin das Geburtshaus aufgesucht hat, ohne die Beklagte vorher zu unterrichten und ihr eine Entscheidung über das Leistungsbegehren zu ermöglichen.
Aufwendungen für eine selbstbeschaffte Leistung darf die Krankenkasse nach § 13 Abs 1 SGB V an Stelle der geschuldeten Sach- oder Dienstleistung nur erstatten, soweit das SGB V oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) es vorsehen. § 197 RVO, auf den das SG in seiner Entscheidung abgestellt hat, begründet keine Möglichkeit der Kostenerstattung. Dabei kann auf sich beruhen, ob die zum Krankenversicherungsrecht im weiteren Sinne zählenden Vorschriften der §§ 195 ff RVO neben den in § 13 Abs 1 SGB V allein erwähnten Bestimmungen des SGB V und des SGB IX ebenfalls eine Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz begründen könnten. Denn ein Kostenerstattungsanspruch ist in diesen Bestimmungen nicht vorgesehen. Die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft werden den versicherten Frauen, soweit es sich nicht um reine Geldleistungen handelt, in gleicher Weise wie die Krankenbehandlung als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung gestellt. Auf sie sind gemäß § 195 Abs 2 Satz 1 RVO die für die Leistungen nach dem SGB V geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist. Die bei und nach der Entbindung erforderlichen medizinischen Leistungen einschließlich der Hebammenhilfe waren der Klägerin deshalb als Sachleistung zu gewähren. Das gilt auch für die stationäre Geburt unter den Voraussetzungen des § 195 RVO.
Ein Anspruch auf Erstattung der vom Geburtshaus G…. berechneten Kosten für Unterkunft, Pflege und Verpflegung während und nach der Entbindung könnte sich bei dieser Sach- und Rechtslage nur aus § 13 Abs 3 SGB V ergeben. Nach dieser Vorschrift sind die Kosten einer selbstbeschafften Leistung zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und von der Krankenkasse nicht rechtzeitig erbracht werden konnte oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte. Unaufschiebbar ist die in Anspruch genommene stationäre Betreuung im Geburtshaus entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gewesen. Die Entbindung als solche ist zwar nach Einsetzen der Wehen unaufschiebbar im medizinischen Sinne. Sie ist aber in aller Regel zeitlich absehbar, sodass die Gewährung der Sachleistung durch die Krankenkasse rechtzeitig sichergestellt werden kann. Auf die Unfähigkeit der Krankenkasse, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen, kann, wie der Senat entschieden hat, ein Kostenerstattungsanspruch nur gestützt werden, wenn es dem Versicherten nicht möglich oder nicht zuzumuten war, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Kasse in Verbindung zu setzen (Urteil vom 25. September 2000 – SozR 3-2500 § 13 Nr 22).
Die Klägerin kann sich für ihr Begehren auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte die Gewährung der streitigen Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Ein auf die unrechtmäßige Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungs- oder Freistellungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nämlich regelmäßig aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. So liegt der Fall hier, denn nach den gemäß § 161 Abs 4, § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden Feststellungen des SG ist die Beklagte erst nach der Entlassung aus dem Geburtshaus durch Vorlage der Rechnung am 25. August 1999 mit dem Leistungsbegehren konfrontiert worden.
§ 13 Abs 3 SGB V gewährt einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl Beschluss vom 15. April 1997 – SozR 3-2500 § 13 Nr 15 S 74 mwN; Urteil vom 25. September 2000 – SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105 f; Urteil vom 19. Februar 2003 – B 1 KR 18/01 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse müsse entbehrlich sein, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens – etwa auf Grund von Erfahrungen aus anderen Fällen – von vornherein feststehe. Mit diesem Einwand hat sich der Senat schon früher wiederholt befasst und klargestellt, dass Gesetzeswortlaut und -zweck eine dahingehende Ausnahme nicht zulassen. § 13 Abs 3 SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der Krankenversicherung gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die Kasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist somit sachgerecht; sie liegt auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt. Es ist deshalb weder unzumutbar noch bloßer Formalismus, wenn eine Kostenerstattung in der Art eines zwingenden Verfahrenserfordernisses davon abhängig gemacht wird, dass die Krankenkasse zuvor Gelegenheit hatte, über die Berechtigung der außervertraglichen Behandlung zu befinden. Da überdies unklar ist und sich kaum abstrakt festlegen lässt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit der Versicherte von einer als sicher zu erwartenden Ablehnung der Krankenkasse ausgehen darf, würden sich in zahlreichen Fällen schwierige Abgrenzungsprobleme ergeben, durch die die Wahrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen Sachleistung und Kostenerstattung gefährdet würde (vgl zu alledem bereits Senatsurteil vom 10. Februar 1993 – SozR 3-2200 § 182 Nr 15; Beschluss vom 15. April 1997 – SozR 3-2500 § 13 Nr 15).
Durch das Urteil des 3. Senats vom 23. Januar 2003 – B 3 KR 7/02 R (zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) sieht sich der erkennende Senat nicht gehindert, an der geschilderten Rechtsauffassung festzuhalten. Der 3. Senat hat in der genannten Entscheidung einen auf § 13 Abs 3 SGB V gestützten Freistellungsanspruch für möglich gehalten, obwohl der Versicherte sich das im dortigen Fall streitige Hörgerät hatte liefern und anpassen lassen, bevor er – drei Monate später – die Krankenkasse mit dem Leistungsbegehren befasst und diese eine Kostenübernahme abgelehnt hatte. Er hat die Notwendigkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung aber nicht grundsätzlich in Abrede gestellt, sondern seine Ansicht, dass die geschilderten Umstände einen Freistellungsanspruch auf der Grundlage des § 13 Abs 3 SGB V nicht hinderten, mit spezifischen Besonderheiten bei der Gewährung von Hörhilfen begründet. Eine vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor, sodass die Voraussetzungen für eine Divergenzanfrage und gegebenenfalls die Anrufung des Großen Senats des BSG gemäß § 41 Abs 2 und 3 SGG nicht erfüllt sind.
Da der geltend gemachte Freistellungsanspruch schon aus den dargelegten Gründen scheitert, kommt es auf die von den Beteiligten und dem SG erörterte Sachfrage, ob die von Hebammen betriebenen Geburtshäuser oder Entbindungsheime ebenso wie Krankenhäuser eine Zulassung durch Abschluss eines Versorgungsvertrags benötigen oder ob sie ebenso wie die Hebammen bei ambulanten Entbindungen ohne weiteres Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen dürfen, nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen