Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.08.1990) |
SG Speyer (Urteil vom 08.06.1989) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. August 1990 und des Sozialgerichts Speyer vom 8. Juni 1989 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30. November 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 1988 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der im November 1987 von Dr. B. … verordneten Präparate Acarex-Test und Acarosan zu erstatten.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für die Präparate Acarex-Test und Acarosan-Spray bzw -Feuchtpulver.
Der Kläger ist Mitglied der Beklagten. Seit seiner Kindheit leidet er an einem allergischen Asthma. Der behandelnde Arzt Dr. B. verschrieb ihm auf Privatrezept am 27. November 1987 die Mittel Acarex-Test und Acarosan. Der Kläger begehrte Genehmigung des Rezepts. Er macht geltend, sein Leiden werde durch eine Hausstaubmilbenallergie hervorgerufen. Nach der Produktbeschreibung des Herstellers ist Acarex-Test ein Diagnostikum zum Nachweis der Hausstaubmilben-Belastung im Wohnbereich oder am Arbeitsplatz, Acarosan wird von ihm empfohlen bei Allergie gegen Hausstaubmilben (Milbenasthma). Es dient der gezielten Vernichtung von Hausstaubmilben und Bindung ihrer allergenhaltigen Exkremente in großen Flächen wie Teppichböden und Teppichen (Feuchtpulver) bzw in Matratzen, Polstermöbeln und kleineren textilen Gegenständen (Schaum).
Die Beklagte lehnte die Genehmigung und die Kostenerstattung ab (Bescheid vom 30. November 1987; Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 1988) und führte dazu aus, die streitigen Mittel erfüllten in etwa den gleichen Zweck wie herkömmliche Putz- und Desinfektions- oder Schädlingsbekämpfungsmittel. Die Mittel zur Wohnungssanierung könnten die Krankenkassen jedoch nicht übernehmen. Dagegen brachte der Kläger im Klageverfahren vor, der Acarex-Test sei auf seiner Matratze und im Umkleidebereich positiv ausgefallen, nach der Anwendung von Acarosan seien daraufhin sei Allergiewerte zurückgegangen. Die Anwendung der Mittel seien wirtschaftlich, denn durch ihren Einsatz würden in der Regel die vom Allergiker benötigten anderen Arzneimittel zumindest erheblich reduziert.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen und ausgeführt, Acarex-Test und Acarosan seien weder Arznei- noch Heilmittel iS der Reichsversicherungsordnung (RVO), denn sie seien nicht dazu bestimmt, im oder am menschlichen Körper eingesetzt zu werden.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei zu entnehmen, daß als Heilmittel auch solche Mittel gelten könnten, die nicht unmittelbar am kranken Menschen selbst angewendet werden. Niemand, der frei von Hausstaubmilbenallergie sei, werde Acarex-Test oder Acarosan als Haushaltsreinigungsmittel benutzen. Das Mittel erspare auch nicht den Einsatz der üblichen Reinigungsmittel; dafür sei Acarosan zu teuer. Acarex-Test diene ausschließlich diagnostischen Zwecken.
Der Kläger beantragt,
- die Urteile des Sozialgerichts Speyer vom 8. Juni 1989 und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. August 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. November 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 1988 aufzuheben,
- die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten der im November 1987 mit einem Privatrezept durch Herrn Dr. B. … verordneten Präparate Acarex-Test und Acarosan zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie macht geltend, Acarex-Test und Acarosan seien keine Arznei-oder Heilmittel, weil sie nicht im oder am menschlichen Körper eingesetzt würden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Kosten zu. Der Versicherte kann Erstattung seiner Aufwendungen verlangen, soweit ihm zu Unrecht eine Sachleistung verweigert wird und er deshalb gezwungen ist, sich die notwendige Leistung der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO) selbst zu beschaffen (BSG SozR 2200 § 182 Nr 86; vgl nunmehr § 13 Abs 2 SGB V). Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte die Sachleistung zu Unrecht abgelehnt.
Der Kläger hatte auf die Versorgung mit den Mitteln Acarex-Test und Acarosan einen Anspruch nach § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO. Die Mittel sind Arznei- oder Heilmittel im Sinn dieser Bestimmung. In § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO (= § 27 Satz 2 Nr 3 SGB V) wird zwischen Heil- und Arzneimitteln unterschieden. Für beide gilt, daß ihre bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände zu heilen oder zu bessern (BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32; BSG SozR 2200 § 182 Nr 60 S 115). Acarex-Test und Acarosan haben diese Wirkung. Bestimmungsgemäß bekämpfen sie die Hausstaubmilbenallergie. Ihre bestimmungsgemäße Wirkung besteht darin, daß sie die Hausstaubmilbenbelastung im Wohnbereich nachweisen, die Milben vernichten und ihre Exkremente binden. Damit wird das Eindringen der allergenen Exkremente in den Körper verhindert. Die Mittel haben also nach ihrer Bestimmung die spezifische Wirkung, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten (vgl BSGE 42, 16, 18 = SozR 2200 § 182 Nr 14; BSGE 63, 99, 100 = SozR aaO Nr 109). Nach dem Zweck des Krankenhilfeanspruchs ist es nicht erheblich,
daß sie nur mittelbar auf den inneren Organismus des unter dem Milbenasthma leidenden Patienten wirken, ferner auch nicht, daß sie nur negativ die schädlichen, krankheitsfördernden Einwirkungen verhindern. In Berücksichtigung derartiger mittelbarer Einwirkungen haben etwa die Spitzenverbände der Krankenkassen die Gewährung von Mitteln zur Bekämpfung der Kopfläuse anerkannt (DOK 1981, 177).
Acarex-Test und Acarosan sind keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Es handelt sich nicht um Mittel, die auch zur Reinigung und Pflege oder Färbung der Haut, des Haares, der Nägel, der Mundhöhle usw dienen, und auch nicht um kosmetische Mittel (Nr 21c der Arzneimittelrichtlinien). Zwar haben Acarex-Test und Acarosan auch eine reinigende Wirkung. Sie sind aber keine üblichen Reinigungsmittel (vgl BSGE 65, 154, 156 = SozR 2200 § 368c Nr 13). Von den allgemeinen Desinfektionsmitteln unterscheiden sie sich dadurch, daß sie gezielt wegen bestehender Krankheiten eines Versicherten eingesetzt werden.
Die Mittel Acarex-Test und Acarosan sind aus diesen Gründen Arznei- oder Heilmittel. Aus der Bestimmung des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO ergeben sich dafür keine weiteren Voraussetzungen.
Insbesondere knüpft der krankenversicherungsrechtliche Begriff des Arzneimittels nicht an das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) vom 24. August 1976 (BGBl I 2445, 2448) an (BSGE 67, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 2). Ein Mittel scheidet nicht schon deshalb als Arznei- oder Heilmittel iS des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO aus, weil es nicht unter den Arzneimittelbegriff des AMG fällt. Andererseits nimmt das AMG auf die Herstellung und den Verkauf von Arzneimitteln entscheidenden Einfluß und ist geeignet, seine Begriffsbestimmungen zur allgemeinen Anerkennung zu bringen (BSGE 28, 158 = SozR Nr 30 zu § 182 RVO).
Acarex-Test und Acarosan sind zwar dazu bestimmt, Krankheitserreger abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen (vgl § 2 Abs 1 Nr 4 AMG). Im Sinne des § 2 Abs 1 AMG sind sie aber keine Arzneimittel, weil sie nicht zur Anwendung am oder im menschlichen und tierischen Körper bestimmt sind. Dies schließt aber entgegen der Meinung des LSG den Anspruch des Klägers auf die begehrte Versorgung nicht aus. Bei Mitteln, die am oder im menschlichen Körper angewendet werden, kommt dem Sicherheitszweck des § 1 AMG eine besondere Bedeutung zu. Stoffe zur Bekämpfung von Krankheitserregern außerhalb des menschlichen Körpers können dagegen in zweckmäßiger Weise ohne oder nur mit geringerer Gefährdung für die Gesundheit angewendet werden. Für den Anspruch des Versicherten auf Krankenpflege nach § 182 Abs 1 Nr 1 RVO ist dieser Unterschied aber nicht erheblich. Ein Mittel kann nicht deshalb vom Versorgungsanspruch des Versicherten ausgenommen werden, weil von ihm typischerweise eine geringere Gesundheitsgefahr ausgeht als von Mitteln, die am oder im Körper angewendet werden.
Aus dem AMG ergibt sich andererseits ein Hinweis auf die Möglichkeit, die hier streitigen Mittel als Arznei- oder Heilmittel einzuordnen. Die Mittel unterfallen nämlich der Bestimmung des § 2 Abs 2 Nr 4b AMG. Danach gelten als Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die, auch im Zusammenwirken mit anderen Stoffen oder Zubereitungen aus Stoffen, dazu bestimmt sind, ohne am oder im menschlichen oder tierischen Körper angewendet zu werden, Krankheitserreger oder Parasiten zu bekämpfen, ausgenommen solche, die dazu bestimmt sind, der Bekämpfung von Mikroorganismen einschließlich Viren bei Bedarfsgegenständen iS des § 5 Abs 1 Nr 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes zu dienen. Die Bestimmung des § 5 Abs 1 Nr 1 des Lebensmittel-und Bedarfsgegenständegesetzes vom 15. August 1974 (BGBl I 1945) betrifft nur Gegenstände, die dazu bestimmt sind, bei dem Herstellen, Behandeln, In-Verkehr-bringen oder beim Verzehr von Lebensmitteln verwendet zu werden. Für Acarex-Test und Acarosan trifft diese Ausnahme nicht zu. Allerdings fallen unter § 2 Abs 2 Nr 4b AMG auch Mittel, die nichts mit der Krankenpflege iS des § 182 Abs 1 RVO, sondern mit der Krankheit von Tieren zu tun haben; die Mittel müssen auch nicht bestimmungsgemäß auf die Bekämpfung von Krankheiten bestimmter Patienten gerichtet sein. Die gesetzlich bestimmte Zuordnung zu den Arzneimitteln iS des AMG kann aber bei der Auslegung des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO herangezogen werden, soweit Mittel bestimmungsgemäß Krankheiten von Versicherten heilen oder lindern.
Die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Versorgung mit den Mitteln Acarex-Test und Acarosan im Einzelfall hat die Beklagte nicht bestritten.
Hinsichtlich der Zuzahlungspflicht gemäß § 182a RVO (vgl nunmehr § 31 Abs 3, § 32 Abs 2 SGB V) ordnet der Senat die Mittel Acarex-Test und Acarosan den Arzneimitteln und nicht den Heilmitteln zu. In Rechtsprechung und Literatur wurde der Unterschied darin gesehen, daß Arzneimittel auf den inneren Organismus, Heilmittel im engeren Sinn dagegen überwiegend äußerlich wirken (BSGE 28, 158 ff = SozR Nr 30 zu § 182 RVO; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung § 182 Anm 3.2.2; Peters, Handbuch der Krankenversicherung § 182 Anm 4b; Abschnitt A Ziffer 1.2.1 der Heil- und Hilfsmittelrichtlinien vom 26. Februar 1982). Im Sinn dieser Definition können Acarex-Test und Acarosan als Arzneimittel angesehen werden, denn sie wirken auf den inneren Organismus, indem sie das Eindringen der allergenhaltigen Exkremente verhindern. Angewendet werden sie aber äußerlich und können deshalb auch den Heilmitteln zugeordnet werden. Sie weisen aber eine größere Nähe zu den Arzneimitteln auf. Von Bedeutung ist zunächst ihre Stofflichkeit. Arzneimittel iS des AMG sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen; in § 3 AMG ist der Stoffbegriff näher bestimmt. Acarex-Test und Acarosan sind Stoffe in diesem Sinn. Als Heilmittel werden hingegen auch Maßnahmen angesehen, die keine Stofflichkeit aufweisen, nämlich Maßnahmen der physikalischen Therapie und der Beschäftigungstherapie sowie der Sprachtherapie. Die Heil- und Hilfsmittelrichtlinien vom 26. Februar 1982 (Beilage 32/82 zum BAnz Nr 125 vom 13. Juli 1982) rechnen zu den Heilmitteln außerdem sachliche Mittel, die zur Behandlung einer Krankheit eingesetzt und überwiegend äußerlich angewendet werden, ohne Arzneimittel zu sein (Abschnitt A Ziffer 1.2.1). Mit der Einschränkung „ohne Arzneimittel zu sein” kommt zum Ausdruck, daß eine eindeutige, scharfe Abgrenzung hier nicht möglich ist. Den Begriffen Arznei- und Heilmittel kann nach ihrer Etymologie kein wesentlicher Unterschied entnommen werden. Der Begriff Arznei leitet sich her aus den Worten für ärztlich behandeln, Heilkunst (Duden, Etymologie „Arznei”).
In der RVO hatte der Unterschied zwischen Heil- und Arzneimitteln früher deshalb Bedeutung, weil die Krankenpflege nur kleinere Heilmittel umfaßte. Der Unterschied zwischen kleineren und größeren Heilmitteln war nicht „wesenhaft”, sondern lag nur im materiellen Wert (BSGE 33, 30, 31 SozR Nr 46 zu § 182 RVO). Dieses Kriterium kann auch für die nach § 182a RVO gebotene Unterscheidung zwischen Arznei- und Heilmitteln herangezogen werden. Nachdem nämlich seit 1974 die Versicherten auch größere Heilmittel beanspruchen können, wurde durch das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1578) eine Zuzahlung für Heil- und Arzneimittel in unterschiedlicher Höhe eingeführt. Die Zuzahlung für Heilmittel war höher. Dies wurde mit dem Interesse an einer verantwortungsbewußten Inanspruchnahme von Heilmitteln und wegen deren gegenüber Arzneimitteln höheren Kosten begründet (Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung BT-Drucks 9/977 S 22). Deshalb spricht die Höhe der Kosten (je 25,– bis 30,– DM für zehn Tests bzw eine Behandlungsmenge) für die Zuordnung zu den Arzneimitteln. Auch erscheint der bei Heilmitteln wie etwa Massagen gerechtfertigte Appell an das Verantwortungsbewußtsein des Versicherten und des verschreibenden Arztes bei den ausschließlich zur Krankheitsbekämpfung einzusetzenden und dazu offensichtlich notwendigen Mitteln Acarex-Test und Acarosan nicht angebracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen