Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit der Berufung. abgelaufener Zeitraum. Zeitpunkt des Ablaufs

 

Orientierungssatz

Ob die Berufung gemäß § 27 Abs 2 BKGG unzulässig ist, soweit Kindergeld für bereits abgelaufene Zeiträume begehrt wird, richtet sich nicht nach dem Begehren, über das das SG entschieden hat, sondern nach dem Begehren, das Gegenstand des Berufungsverfahrens ist.

 

Normenkette

BKGG § 27 Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 08.09.1989; Aktenzeichen L 6 Kg 3/89)

SG Mainz (Entscheidung vom 29.11.1988; Aktenzeichen S 4 Kg 10/88)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für ein Kind, das in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Wehrdienst geleistet hat, das Kindergeld über das 27. Lebensjahr hinaus zusteht.

Der Kläger ist im Oktober 1978 aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Aus seiner - geschiedenen - ersten Ehe ist der am 9. November 1960 geborene Sohn Arnulf hervorgegangen, der bei seiner Mutter in Ost-Berlin lebt. A.     H.    leistete vom November 1979 bis November 1982 Wehrdienst in der DDR. Seit September 1983 studierte er an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin Medizin.

Der Beklagte gewährte dem Kläger das Kindergeld zunächst unter Berücksichtigung des Kindes Arnulf. Mit dem Bescheid vom 12. November 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1988 stellte er den Kindergeldanspruch des Klägers ab Dezember 1987 ohne Berücksichtigung des Sohnes Arnulf fest. Die Neufeststellung begründete er damit, daß die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs 3 Satz 2 Nr 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) auf das Kind Arnulf keine Anwendung finde. Diese Bescheide hat der Kläger mit der Klage angefochten; er hat im ersten Rechtszuge beantragt, ihm Kindergeld für Arnulf über November 1986 hinaus für die Zeit zu gewähren, die derjenigen des gesetzlichen Grundwehrdienstes der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Mit seiner am 1. März 1989 beim LSG eingegangenen Berufung hat der Kläger neben dem Aufhebungsantrag zunächst in der Sache selbst beantragt, nach den "Schlußanträgen" in erster Instanz zu erkennen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) hat er die Leistung für die Zeit vom 1. Dezember 1987 bis 31. Januar 1989 beansprucht. Das LSG hat die Berufung als statthaft angesehen, weil Kindergeld für einen Zeitraum von 14 Monaten begehrt werde und dieser über den Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils hinausgehe.

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten antragsgemäß verurteilt, Kindergeld für das Kind Arnulf für die Zeit von Dezember 1987 bis Januar 1989 zu gewähren. Gesetzlicher Grundwehrdienst iS des § 2 Abs 3 Nr 1 BKGG sei nicht nur der Dienst in der Bundeswehr, sondern auch der Pflichtwehrdienst bei der nationalen Volksarmee der DDR.

Der Beklagte begründet seine - vom LSG zugelassene - Revision damit, daß die in § 2 Abs 3 Satz 2 BKGG geregelte Berücksichtigung von Kindern über das 27. Lebensjahr hinaus nicht für Kinder gelte, die den Wehrdienst im Gebiet der DDR geleistet haben. Der Begriff "gesetzlicher Grundwehrdienst" richte sich ausschließlich nach den Vorschriften des Wehrpflichtgesetzes -WPflG- (idF der Bekanntmachung vom 13. Juni 1986 - BGBl I 879 -). Da A.     H.    keinen Wehrdienst iS des § 8 WPflG geleistet habe, gehöre er auch nicht zu den in § 2 Abs 3 Satz 2 BKGG privilegierten Kindern.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. September 1989 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. November 1989 als unzulässig zu verwerfen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die rechtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Das angefochtene Urteil des LSG ist aufzuheben, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG ist als unzulässig zu verwerfen.

Der erkennende Senat - damals als 8b-Senat - hat bereits in dem Urteil vom 26. Juli 1979 - 8b RKg 11/78 - (SozR 1500 § 150 SGG Nr 18) entschieden, daß bei einer - hier infolge Zulassung durch das LSG - zulässigen Revision von Amts wegen vor der sachlich-rechtlichen Prüfung das Vorliegen der Umstände festzustellen ist, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Hierzu gehört auch die Zulässigkeit der Berufung, die im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit ebenso wie im Zivilprozeß von Amts wegen zu prüfen ist, weil andernfalls das Revisionsverfahren einer entscheidenden Grundlage entbehrt (BSG aa0 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum). An dieser Auffassung hält der Senat fest; dafür, daß die Berufung infolge einer willkürlichen Nichtzulassung des Rechtsmittels statthaft ist (vgl dazu das Urteil vom 18. 12. 1985 - 9a RVs 8/85 -, SozR 1500 § 150 SGG Nr 27 mwN), sind Anhaltspunkte hier nicht gegeben.

Daß entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung die Berufung nicht statthaft ist, folgt aus § 27 Abs 2 BKGG. Danach ist die Berufung ua nicht zulässig, soweit sie das Kindergeld für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Ob das der Fall ist, richtet sich nicht - wie das LSG meint - nach dem Begehren, über das das SG entschieden hat, sondern nach dem Begehren, das Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das war hier bereits im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung am 1. März 1989 der abgelaufene Zeitraum von Dezember 1987 bis Januar 1989.

Die Berufung ist auch nicht ausnahmsweise nach § 27 Abs 2 2. Halbsatz BKGG statthaft. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen. Der Kläger hat im zweiten Rechtszuge auch keinen Verfahrensmangel erster Instanz gerügt.

An dieser Rechtsfolge ändert auch der Umstand nichts, daß die Zulässigkeit der Berufung erst mit dem Ablauf des Monats Januar 1989 entfallen ist. Entscheidend ist - wie ausgeführt - daß bei Einlegung der Berufung der Streitgegenstand entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellten Antrag nunmehr einen abgelaufenen Zeitraum betrifft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661651

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