Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Entschädigungszahlungen für einen Nichtvermögensschaden wegen Benachteiligung eines schwerbehinderten Menschen im Bewerbungsverfahren. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. arbeitsgerichtlicher Vergleich
Leitsatz (amtlich)
Entschädigungszahlungen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind in der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Schmerzensgeld einzustufen und daher von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen.
Orientierungssatz
Wird in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich die Zahlung eines Geldbetrages vereinbart, so kann dies nur dann als eine gemäß § 11 Abs 3 Nr 2 SGB 2 aF von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellende Entschädigung nach § 15 Abs 2 AGG gewertet werden, wenn dieser Rechtsgrund im arbeitsgerichtlichen Vergleich zum Ausdruck gekommen ist und der Vergleich nicht lediglich zur Beseitigung der Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens abgeschlossen wurde.
Normenkette
SGB 2 § 11 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2003-12-24, Abs. 3 Nr. 2 Fassung: 2003-12-24; BGB § 253 Abs. 2, § 847; AGG § 15 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14. Juli 2011 aufgehoben und das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1.12.2009 bis zum 30.6.2010. Streitig ist, ob das beklagte Jobcenter bei der Leistungsberechnung Zahlungen als Einkommen berücksichtigen durfte, die der Kläger aus arbeitsgerichtlichen Vergleichen erhalten hat.
Der 1955 geborene Kläger ist gelernter Bibliothekar. Er ist schwerbehindert mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 60 vH. Seit Juli 2008 stand er bei dem Beklagten im Leistungsbezug. Er erhielt Leistungen in unterschiedlicher Höhe, zuletzt änderte der Beklagte mit Bescheid vom 1.9.2009 die Bewilligung für die Monate Juli bis Dezember 2009 und gewährte 581,13 Euro, bestehend aus einer Regelleistung von 359 Euro und anerkannten monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 222,13 Euro. Ab November 2009 setzte der Kläger den Beklagten von verschiedenen Vergleichen in arbeitsgerichtlichen Verfahren in Kenntnis, aus denen er Entschädigungen empfangen habe, weil seine Bewerbungen bei verschiedenen öffentlich-rechtlichen Körperschaften abgelehnt worden seien, ohne dabei seinen Status als Schwerbehinderten hinreichend zu berücksichtigen. Der Kläger teilte folgende Vergleichszahlungen mit:
- Arbeitsgericht Bonn, Az. 2 Ca 2521/09, Vergleich vom 30.10.2009: Zahlung von 3708 Euro, am 2.12.2009 dem Konto des Klägers gutgeschrieben.
- Arbeitsgericht Karlsruhe, Az. 6 Ca 540/09, Vergleich vom 25.11.2009: Zahlung von 1300 Euro, dem Konto des Klägers am 21.12.2009 gutgeschrieben.
- Arbeitsgericht Freiburg, Az. 10 Ca 217/09, Vergleich vom 12.1.2010: Zahlung von 1800 Euro, dem Konto des Klägers am 3.3.2010 gutgeschrieben.
- Arbeitsgericht Köln, Az. 15 Ca 7409/09, Vergleich vom 8.3.2010: Zahlung von 2900 Euro, dem Konto des Klägers am 1.4.2010 gutgeschrieben.
- Zahlung von 2300 Euro aufgrund einer außergerichtlichen Einigung wegen Ablehnung der Bewerbung des Klägers als Bibliothekar, der Betrag wurde dem Konto des Klägers am 6.12.2010 gutgeschrieben.
- Arbeitsgericht Köln, Az. 15 Ca 2227/10, Vergleich über eine Zahlung von 4000 Euro, dem Konto des Klägers am 17.12.2010 gutgeschrieben.
Der Beklagte bewertete diese aus den Vergleichen zugeflossenen Zahlungen als anrechenbares Einkommen des Klägers und berücksichtigte die Einnahmen jeweils verteilt auf zwölf Monate. Vorliegend geht es um die Berücksichtigung der bis zum 30.6.2010 zugeflossenen Zahlungen. Mit Bescheid vom 18.2.2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger für Dezember 2009 unter teilweiser Aufhebung des Bewilligungsbescheides zunächst Leistungen in Höhe von 193,80 Euro. Er ging dabei - wie zuvor - von einem Bedarf des Klägers in Höhe von 581,13 Euro aus und berücksichtigte 417,33 Euro als Einkommen abzüglich einer Pauschale von 30 Euro für private Versicherungen. Mit Bescheid vom 27.5.2010 korrigierte der Beklagte die Leistungsbewilligung auf 302,13 Euro im Monat und berücksichtigte nur noch Einkommen des Klägers in Höhe von 309 Euro. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28.5.2010 als unbegründet zurückgewiesen, der Kläger hat daraufhin Klage erhoben.
Mit vorläufigem Bescheid vom 8.3.2010 gewährte der Beklagte dem Kläger für die Monate Januar bis Juni 2010 zunächst wiederum Leistungen in Höhe von 193,80 Euro monatlich. Diese Leistungsbewilligung wurde, wie für den Monat Dezember 2009, auf 302,13 Euro endgültig festgesetzt, wobei wiederum Einkommen in Höhe von 309 Euro berücksichtigt wurde. Der insoweit eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid ebenfalls vom 28.5.2010 als unbegründet zurückgewiesen.
Nach Eingang der Zahlung von 1800 Euro am 3.3.2010 aus dem Rechtsstreit 10 Ca 217/09 vor dem Arbeitsgericht Freiburg und Eingang von 2900 Euro am 1.4.2010 aus dem Verfahren 15 Ca 7409/09 vor dem Arbeitsgericht Köln änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Monate Januar bis Juni 2010 nochmals ab. Zuletzt wurden mit Bescheid vom 2.6.2010 für die Monate Januar bis März 2010 152,13 Euro gewährt und weitere Leistungen für die Monate April bis Juni ganz versagt. Bei der Berechnung berücksichtigte der Beklagte die Summen aus den zuvor genannten Vergleichen und legte sie jeweils auf zwölf Monate um. Dagegen hat der Kläger nochmals Widerspruch eingelegt und sodann im Juni 2010 Klage erhoben.
Zuvor hatte er einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, der vor dem Sozialgericht (SG) ohne Erfolg geblieben ist. Die eingelegte Beschwerde war bei dem Landessozialgericht (LSG) teilweise erfolgreich. Bei der erhaltenen Zahlung handele es sich um eine anrechnungsfreie Entschädigungsleistung für einen Nichtvermögensschaden wegen Missachtung der spezifischen Rechte als Schwerbehinderter im Bewerbungsverfahren. Das SG hat sodann die beiden zuvor genannten Klageverfahren verbunden und ist mit dem angegriffenen Urteil vom 14.7.2011 der Begründung des LSG gefolgt. Unter Abänderung der angefochtenen Bescheide hat es den Beklagten verurteilt, dem Kläger monatlich Leistungen in Höhe von 581,13 Euro zu gewähren. Von der Berücksichtigung als Einkommen seien gemäß § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II aF Einnahmen ausgenommen, soweit sie als Entschädigungen, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geleistet werden. Es sei dabei davon auszugehen, dass es sich bei den zugeflossenen Summen aus den jeweiligen Vergleichen um Ausgleichszahlungen nach § 15 Abs 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) handele, die unter § 253 Abs 2 BGB zu fassen seien, weil Schmerzensgeld auch bei einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts gewährt werde.
Mit der von ihm eingelegten Sprungrevision macht der Beklagte geltend, die im Bedarfszeitraum vom 1.12.2009 bis 30.6.2010 zugeflossenen Vergleichszahlungen seien leistungsmindernd als Einkommen zu berücksichtigen. Das SG habe zu Unrecht ohne Weiteres unterstellt, dass es sich dabei jeweils um einen Anspruch aus § 15 Abs 2 AGG gehandelt habe. Tatsächlich sei den arbeitsgerichtlichen Verfahren keine Feststellung zu entnehmen, ob und inwieweit überhaupt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers im Sinne des AGG vorgelegen habe. Es handele sich damit um normale Vergleiche nach § 779 BGB. Selbst wenn Rechtsgrundlage sämtlicher geschlossener Vergleiche tatsächlich § 15 Abs 1 und 2 AGG sei, seien die Zahlungen auf dieser Grundlage dennoch nicht von der Einkommensberechnung auszunehmen. Dies sei nur ein Aspekt von mehreren, es sei deshalb auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Anrechnung von Abfindungszahlungen wegen Verlustes des Arbeitsplatzes abzustellen. Danach sei eine Berücksichtigung als Einkommen zulässig, obwohl den Vergleichszahlungen sowohl ein materieller als auch ein immaterieller Charakter zukomme. Schließlich scheitere eine Privilegierung selbst für den Fall, dass man die Einnahmen des Klägers als Entschädigung iS von § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II aF ansehe, an der sogenannten Gerechtfertigkeitsprüfung.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14. Juli 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend und verweist zusätzlich darauf, dass mit dem Verbot der Diskriminierung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch und der Einführung des AGG europarechtliche Vorgaben umgesetzt worden seien. § 15 AGG sei die zentrale Haftungsnorm wegen einer Verletzung des arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots. Im Übrigen treffe es nicht zu, dass er es von vornherein darauf angelegt habe, Entschädigungszahlungen zu erhalten, er sei seit 2004 arbeitslos und bemühe sich seitdem ernsthaft um freigewordene Stellen.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision des Beklagten ist zulässig (§ 161 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Verweisung an das LSG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 170 Abs 2 und 4 SGG) begründet. Der Senat konnte nicht abschließend entscheiden, denn es fehlt sowohl an ausdrücklichen Feststellungen hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) als auch an Feststellungen zur Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs 1 SGB II, die nach dem Antrag des Klägers vor dem SG vom Streitgegenstand umfasst sind. Insbesondere hat das SG nicht ausreichend festgestellt, ob es sich bei den Zahlungen aus den arbeitsgerichtlichen Vergleichen um Entschädigungszahlungen nach § 15 Abs 2 AGG gehandelt hat.
1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 18.2.2010, mit dem Leistungen nach dem SGB II vom 1.10.2009 bis 31.12.2009 bewilligt worden sind, und der Änderungsbescheid vom 27.5.2010, mit dem die Leistungen abgesenkt wurden, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.5.2010, sowie der Bescheid vom 8.3.2010, mit dem vorläufig Leistungen für die Monate Januar bis Juni 2010 bewilligt worden sind, mit (endgültigem) Änderungsbescheid vom 17.3.2010, beide in Gestalt eines Widerspruchsbescheids ebenfalls vom 28.5.2010. Hinzu kommt ein weiterer während des Laufs der Klagefrist ergangener Änderungsbescheid vom 2.6.2010, nochmals betreffend die Monate Januar bis März 2010 und sodann April bis Juni 2010, für diese letzten drei Monate wurden keine Leistungen mehr bewilligt, weil aufgrund der Höhe des angerechneten Einkommens kein Leistungsanspruch verblieb. Diese Bescheide hat der Kläger in zulässiger Weise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage angegriffen (§ 54 Abs 4 SGG). Bei der Antragstellung ist allerdings ebenso wenig wie in der Tenorierung des SG berücksichtigt worden, dass von Dezember 2009 bis März 2010 jeweils Teilleistungen gewährt wurden, die von dem beantragten Betrag von 581,13 Euro in Abzug zu bringen gewesen wären. Dieser Betrag besteht aus der Regelleistung in Höhe von damals 359 Euro und offenbar unstreitigen und anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 222,13 Euro. Es geht vorliegend um die Differenz zwischen dem Betrag von 581,13 Euro und den bewilligten Beträgen, die sich ergibt, wenn der Zahlungszufluss aus den arbeitsgerichtlichen Vergleichen anteilig als Einkommen berücksichtigt wird.
2. Ob der Beklagte die Zuflüsse aus den geschlossenen Vergleichen, soweit sie für den vorliegenden streitgegenständlichen Zeitraum vom 1.12.2009 bis zum 30.6.2010 maßgeblich sind, gemäß § 11 Abs 1 SGB II (in der bis zum 31.3.2011 unveränderten Fassung durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, im Folgenden: SGB II aF) als Einkommen berücksichtigen durfte, konnte nicht abschließend entschieden werden.
Nach § 11 Abs 1 SGB II aF sind grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen. Ausnahmen gibt es zum einen nach § 11 Abs 3 Nr 1 SGB II aF für die vorliegend ersichtlich nicht einschlägigen zweckbestimmten Einnahmen und für Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege. Darüber hinaus sind von der Berücksichtigung als Einkommen gemäß § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II aF nur Entschädigungen freigestellt, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs 2 BGB geleistet werden. Zu den Entschädigungen nach § 253 Abs 2 BGB zählen im Ergebnis auch auf der Grundlage von § 15 Abs 2 AGG geleistete Zahlungen.
a) Dies ergibt sich allerdings nicht aus der aktuellen zivilrechtlichen Systematik. Zum 1.8.2002 hat der Gesetzgeber in § 253 BGB einen einheitlichen Schmerzensgeldanspruch geschaffen, der bisherige Wortlaut wurde als Abs 1 vorangestellt, Abs 2 ersetzt § 847 BGB aF. Die Neuregelung bezweckte einen stärkeren Opferschutz (BT-Drucks 14/7752, S 14). Die Regelung gilt jedoch nur für die ausdrücklich in § 253 Abs 2 BGB aufgezählten Rechtsgüter; diese Aufzählung hat abschließenden Charakter (Oetker in Münchener Kommentar, BGB, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl 2007, § 253 RdNr 27). Damit sind von einer Entschädigung nach § 253 Abs 2 BGB nicht nur das Eigentum und diesem vergleichbar absolut geschützte Vermögensrechte ausgenommen, sondern auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sofern dieses nicht über den Tatbestand der sexuellen Selbstbestimmung erfasst wird. Der Gesetzgeber ist damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gefolgt, der einen Anspruch auf Ersatz eines ideellen Schadens wegen einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ursprünglich auf eine Analogie zu § 847 BGB aF gestützt hatte. Später wurde ein Anspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedoch in ständiger Rechtsprechung unmittelbar aus § 823 BGB iVm Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) hergeleitet (vgl zB BGH, Urteil vom 5.10.2004 - VI ZR 255/03 - BGHZ 160, 298). Der Gesetzgeber hat § 253 Abs 2 BGB ausdrücklich nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht erstreckt (BT-Drucks 14/7752, S 25). Soweit daher für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Ersatz eines immateriellen Schadens verlangt wird, ist grundsätzlich weiter § 823 BGB iVm Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 1 GG unter Ausschluss des § 253 Abs 2 BGB Anspruchsgrundlage (Grüneberg in Palandt, BGB, 71. Aufl 2012, § 253 RdNr 10). Eine Entschädigungszahlung wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterliegt somit auch weiterhin den von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen (Vieweg in jurisPK-BGB, § 253 RdNr 44 mit Bezug auf BVerfG, Beschluss vom 19.12.1991 - 1 BvR 382/85 - NJW 1992, 815, 816). Der Gesetzgeber hat sich bewusst dagegen entschieden, § 253 Abs 2 BGB bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts analog anzuwenden (vgl Oetker in Münchener Kommentar, BGB, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl 2007, § 253 RdNr 27). Es sollte vielmehr bei diesem komplexen Rechtsgut die umfassende Prüfung mit Güter- und Interessenabwägung aufrechterhalten werden.
b) Der Gesetzgeber hat allerdings diesen aktuellen systematischen Ansatz aus dem zivilrechtlichen Bereich nicht in das Sozialrecht übernommen. Bereits zu Zeiten der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ist in den Materialien zum Entwurf von § 77 BSHG (BT-Drucks 7/308 vom 13.3.1973 S 17 zu Nr 24) festgehalten worden, dass "der neue Absatz 2 (des § 77 BSHG) den Anwendungsbereich des § 847 BGB insgesamt erfassen (soll), also auch die Fälle, in denen die Rechtsprechung in Anlehnung an § 847 BGB einen Schmerzensgeldanspruch zuerkennt …".
Für das SGB II strebte der Gesetzgeber keine Veränderung zur Rechtslage nach dem BSHG an, sondern lehnte sich ausdrücklich an die Regelungen der Einkommensberücksichtigung an, wie sie im Sozialhilferecht gegolten hatten. Im Entwurf des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks 15/1516 vom 5.9.2003, S 53 zu § 11) heißt es im Hinblick auf die Ausnahmebestimmung in § 11 Abs 3 SGB II aF in der dortigen Fassung: "Absatz 3 orientiert sich ebenfalls am Sozialhilferecht und nimmt bestimmte Einnahmen wegen ihres Charakters oder der Zweckbestimmung von der Einkommensberücksichtigung aus." Ausgehend von dieser Willensbekundung des Gesetzgebers sollte sowohl die Auslegung von § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II aF als auch die nun ab dem 1.4.2011 geltende Vorschrift des § 11a Abs 2 SGB II nF, in der § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II aF aufgegangen ist, an die Vorgängernorm § 77 Abs 2 BSHG anknüpfen.
c) Entschädigungszahlungen nach § 15 Abs 2 AGG sind daher wegen der Entscheidung des Gesetzgebers, im Sozialrecht alle Schmerzensgeldansprüche gleich zu behandeln, auch dann unter § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II aF zu subsumieren, wenn der Anspruch auf einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (§ 1 AGG) seitens des Arbeitgebers beruht und deshalb zivilrechtlich nicht unter § 253 Abs 2 BGB fallen würde (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand 6/2010, K § 11 RdNr 689; Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, Stand 1/2009, § 11 RdNr 68; Söhngen in jurisPK-SGB II, Stand 7/2009, § 11 RdNr 65; Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 11 RdNr 71).
Dies setzt allerdings voraus, dass eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs 2 AGG tatbestandlich vorliegt, dh dass die Voraussetzung eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot positiv festgestellt worden ist (vgl Roloff in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Arbeitsrecht Kommentar 2008, § 15 AGG RdNr 6 und 8). Der Senat kann die rechtliche Bewertung im Revisionsverfahren nicht nachholen, da es an jeglichen tatsächlichen Feststellungen zu den Grundlagen und zum Inhalt der arbeitsgerichtlichen Vergleiche fehlt. Die Aussage des SG, "nach dem Hintergrund der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen und den in den Vergleichen gewählten Formulierungen" handele es sich bei den dem Kläger zugeflossenen Zahlungen um Schadensersatz für Nichtvermögensschäden wegen der Missachtung seiner spezifischen Rechte als Schwerbehinderter im Bewerbungsverfahren, lässt nicht erkennen, an welche Feststellungen das SG seine Wertung anknüpft. Wird in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich die Zahlung eines Geldbetrages vereinbart, so kann dies nur dann als eine gemäß § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II aF von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellende Entschädigung nach § 15 Abs 2 AGG gewertet werden, wenn dieser Rechtsgrund im arbeitsgerichtlichen Vergleich zum Ausdruck gekommen ist und der Vergleich nicht lediglich zur Beseitigung der Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens abgeschlossen wurde.
d) Ergeben die weiteren Feststellungen, dass sich den maßgebenden Vergleichen nicht entnehmen lässt, dass sie im Hinblick auf die Regelung in § 15 Abs 2 AGG geschlossen wurden, so sind die Zahlungen an den Kläger ab dem jeweiligen Zuflussmonat als Einkommen gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF zu berücksichtigen und gemäß § 2 Abs 4 Arbeitslosengeld II-Verordnung in der Fassung vom 18.12.2008 (BGBl I 2780) auf einen angemessenen Zeitraum zu verteilen (BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 15; Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R) wie dies bereits im Hinblick auf die in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes (BSG Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 47/08 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 24) bzw in Bezug auf Nachzahlungen von Arbeitsentgelt und Abfindung in Raten aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich (BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 86/08 R) entschieden worden ist.
Das LSG wird schließlich noch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
NJW 2013, 10 |
FA 2013, 94 |
FEVS 2013, 385 |
SGb 2012, 597 |
SGb 2013, 218 |
ZfF 2013, 58 |
br 2013, 32 |
info-also 2013, 40 |