Leitsatz (amtlich)
1. Die steuerpflichtige Entschädigung eines Landtagsabgeordneten in Nordrhein-Westfalen ist weder Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung noch Arbeitseinkommen aus einer selbständigen Tätigkeit.
2. Die Hinzuverdienstgrenze bei Altersrenten vor Vollendung des 65. Lebensjahrs (§ 34 Abs 2 SGB 6) gilt nicht entsprechend für Abgeordnetenentschädigungen.
Stand: 19 Juni 2000
Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Mai 1999 und des Sozialgerichts Duisburg vom 10. Dezember 1998 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 19. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 1998 verurteilt, dem Kläger Altersrente für Schwerbehinderte ab dem 1. Juli 1998 ohne Anrechnung der ihm gewährten Abgeordnetenentschädigung zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Entschädigung des Klägers, die dieser als Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen erhält, im Rahmen der Hinzuverdienstgrenze des § 34 Abs 2 SGB VI auf eine vorgezogene Altersrente wegen Schwerbehinderung anzurechnen ist.
Der am 13. Juni 1938 geborene Kläger, Inhaber eines Schwerbehindertenausweises, war bis zur Schließung des Werks Ende Dezember 1995 bei der Firma K., R., versicherungspflichtig beschäftigt. Danach wurden für ihn für Entgelte, die aufgrund des Sozialplans bis 19. Oktober 1996 weiterentrichtet wurden, bis Oktober 1996 weitere Pflichtbeiträge geleistet; anschließend war er bis zum 30. Juni 1998 arbeitslos gemeldet. Seinen im März 1998 gestellten Antrag auf Gewährung von Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres bei anerkannter Schwerbehinderung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 19. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. September 1998 ab, weil die dem Kläger gewährte Abgeordnetenentschädigung (12.726,00 DM brutto, darin enthalten ein steuerpflichtiges Bruttoentgelt in Höhe von 9.202,00 DM) die Hinzuverdienstgrenzen des § 34 Abs 2 SGB VI überschreite und die Entschädigung als Entgelt für die Inanspruchnahme des Klägers durch das Mandat und damit als Erwerbseinkommen iS des § 34 Abs 2 SGB VI zu werten sei.
Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben (Urteile des SG vom 10. Dezember 1998 und des LSG vom 12. Mai 1999). Das LSG hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Zwar erziele der Kläger als Abgeordneter mangels persönlicher Abhängigkeit weder ein Entgelt aus Beschäftigung noch mangels eines primär auf Gewinnnerzielung ausgerichteten Tuns ein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit. Auf den Fall des Bezugs einer Abgeordnetenentschädigung sei § 34 Abs 2 Satz 2 SGB VI aber analog anzuwenden. Denn es bestehe eine Regelungslücke, weil der Gesetzgeber eine Regelung, wie die Abgeordnetenentschädigung im Rahmen des Hinzuverdienstes zu behandeln sei, nicht getroffen habe. Diese – ungewollte – Regelungslücke sei als planwidrig zu bewerten; es dränge sich der Eindruck auf, daß der Gesetzgeber im Hinblick auf den kleinen Kreis derer, die eine berücksichtigungsfähige Aufwandsentschädigung mit Alimentationscharakter erhielten, einen Regelungsbedarf nicht erkannt habe. Jedenfalls sei den Gesetzesmaterialien zu § 34 SGB VI und §§ 7, 14 und 15 SGB IV kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß die Einbeziehung oder der Ausschluß von Abgeordnetenentschädigungen im Rahmen des Hinzuverdienstes bei den Beratungen der Gesetzgebungsorgane thematisiert worden sei. Es bestehe auch eine vergleichbare Interessenlage; denn der Teil der Abgeordnetenentschädigung, der nicht dazu diene, den mit dem Mandat verbundenen zusätzlichen Aufwand auszugleichen, habe dieselbe Funktion wie ein Arbeitsentgelt oder ein Arbeitseinkommen iS des § 34 Abs 2 Satz 1 SGB VI, nämlich den Lebensunterhalt des Empfängers dieses Einkommens und seiner Familie zu sichern. Daß das Gesetz Abgeordnete in dieser Funktion nicht in die Versichertengemeinschaft der Rentenversicherung einbeziehe und daß das aus dieser Tätigkeit erzielte Einkommen sozialversicherungsrechtlich ohne Belang sei, stehe einer analogen Anwendung des § 34 Abs 3 SGB VI nicht entgegen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 34 Abs 2 SGB VI. Er ist der Ansicht: Die Hinzuverdienstgrenze des § 34 Abs 2 Satz 2 SGB VI beziehe sich allein auf Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen nach der Legaldefinition der §§ 14 und 15 SGB IV. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung lägen nicht vor, denn der Gesetzgeber habe die eindeutige und unmißverständliche Legaldefinition des Arbeitsentgelts und -einkommens erst zu einem Zeitpunkt in das Gesetz aufgenommen, in welchem ihm die Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1971 über die grundsätzliche Steuerpflicht von Abgeordnetenbezügen bekannt gewesen sei. Hätte er die Abgeordnetenbezüge in die rentenhemmenden Hinzuverdienste einbeziehen wollen, hätte er § 34 Abs 2 SGB VI entsprechend klar fassen können. Der Gesetzgeber habe vielmehr bewußt nur bestimmte Einkunftsarten der Anrechnung unterzogen. So entfalle auch die Anrechnung der Erzielung von Lebensunterhalt durch Einkünfte aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung. Hinsichtlich der Art des Einkommens komme es mithin nicht darauf an, ob diese Einkünfte „Alimentationscharakter” hätten, mithin dazu dienten, den Lebensunterhalt des Rentenantragstellers zu befriedigen. Schon der 4. Senat des BSG habe im Urteil vom 4. Mai 1999 - B 4 RA 55/98 R - entschieden, daß eine planwidrige Gesetzeslücke nicht vorliege. Zutreffend habe der 4. Senat festgestellt, daß das Gesetz Abgeordnete in dieser Funktion nicht in die Versichertengemeinschaft der Rentenversicherung einbeziehe. Dementsprechend sei das aus dieser Tätigkeit erzielte Einkommen sozialversicherungsrechtlich ohne Belang. Daß Abgeordnete in die Versichertengemeinschaft nicht einbezogen seien, ergebe sich zudem daraus, daß sie von ihren Abgeordnetenbezügen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht einmal leisten könnten. Dies unterscheide sie von denjenigen selbständig Tätigen, die auch nicht versicherungspflichtig seien, aber durch §§ 2 und 4 SGB VI in die Versichertengemeinschaft einbezogen seien mit der Folge, daß sie – teilweise kraft Gesetzes, teilweise auf Antrag – versicherungspflichtig werden könnten.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Mai 1999 und des Sozialgerichts Duisburg vom 10. Dezember 1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. September 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Altersrente für Schwerbehinderte gemäß § 37 SGB VI ab 1. Juli 1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Altersrente für Schwerbehinderte ohne Anrechnung seiner Abgeordnetenentschädigung. Die angefochtenen Urteile des SG vom 10. Dezember 1998 und des LSG vom 12. Mai 1999 sowie der diesen zugrundeliegende Bescheid der Beklagten vom 19. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 1998 sind rechtswidrig und unterliegen der Aufhebung.
Gemäß § 37 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben, bei Beginn der Altersrente als Schwerbehinderte anerkannt sind und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger unstreitig vor. Gemäß § 34 Abs 2 Satz 1 SGB VI besteht Anspruch auf Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahrs allerdings nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nach Satz 2 des § 34 Abs 2 SGB VI nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit im Monat die in Abs 3 der Vorschrift genannten Beträge nicht übersteigt. Da der Kläger in seiner Tätigkeit als Landtagsabgeordneter weder Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung oder Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielt (1) noch die Vorschrift des § 34 Abs 2 Satz 2 SGB VI analog auf dessen Einkünfte aus der Abgeordnetenentschädigung anwendbar sind (2), liegen die anspruchsschädlichen Voraussetzungen des Überschreitens einer Hinzuverdienstgrenze beim Kläger nicht vor, so daß er Anspruch auf die volle Altersrente für Schwerbehinderte iS des § 37 SGB VI hat.
(1) Der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres wird – neben den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen – durch § 34 Abs 2 SGB VI allein durch die Höhe der dort aufgeführten und zeitlich deckungsgleich mit dem Bezug einer Altersrente erzielten Einkünfte begrenzt. Es besteht kein Anhalt für die Annahme, daß unter dem für einen „Anspruch auf eine Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres” schädlichen „Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit” in § 34 Abs 2 Satz 2 SGB VI etwas anderes verstanden werden könnte als diejenigen Bezüge, die iS des § 14 SGB IV („Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung”) oder des § 15 SGB IV („Arbeitseinkommen aus einer selbständigen Tätigkeit”) als solche definiert sind (Urteil des BSG vom 4. Mai 1999 - B 4 RA 55/98 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die dortigen Begriffsbestimmungen sind demgemäß auch bei der Anwendung des § 34 Abs 2 SGB VI zugrunde zu legen (so bereits zu § 1248 Abs 4 RVO: Senatsurteil vom 9. September 1993 - 5 RJ 60/92 - BSGE 73, 77 ff, 79 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 9 S 35; BSG Urteile vom 27. April 1982 - 1 RJ 72/81 - BSGE 53, 242 ff, 243 = SozR 2200 § 1248 Nr 36 S 85 und vom 13. Juni 1984 - 11 RA 34/83 - SozR 2200 § 1248 Nr 41 S 102; zu § 25 Abs 4 AVG vgl BSG Urteile vom 18. Januar 1990 - 4 RA 17/89 - BSGE 66, 150 ff, 52 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 1 S 3 und vom 31. Mai 1989 - 4 RA 22/88 - BSGE 65, 113 ff, 116 f = SozR 2200 § 1248 Nr 48 S 124 f).
§ 34 Abs 2 Satz 2 SGB VI beschränkt sich schon nach seinem Wortlaut auf die dort ausdrücklich aufgeführten Einkommensarten, wonach allein relevant das Arbeitsentgelt aus einer unselbständigen Beschäftigung und der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit ist (Senatsurteile vom 9. September 1993 - 5 RJ 60/92 - BSGE 73, 77 ff, 79 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 9 S 35 und vom 22. September 1999 - B 5 RJ 54/98 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Alle aus anderen Fällen stammenden Einkommen werden hingegen weder begrifflich durch § 34 Abs 2 Satz 2 SGB VI erfaßt, noch sind sie ihrer Art nach auch nur theoretisch geeignet, durch eine Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung ersetzt zu werden; sie vermögen demgemäß auch ihrerseits das Recht des Versicherten auf eine Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres nicht zu beeinträchtigen (vgl hierzu im einzelnen BSG Urteil vom 4. Mai 1999 - B 4 RA 55/98 R - mwN). Die Bezüge aus einer Abgeordnetentätigkeit, die gerade nicht auf die Erzielung von Einkünften aus entgeltlichen Dienstleistungen gegenüber einzelnen und bestimmten Dritten ausgerichtet sein darf, fallen unter die „sonstigen Einkünfte” iS der §§ 2 Nr 7, 22 Nr 4 Satz 1 EStG und unterliegen allein aufgrund dieser Spezialregelung der Einkommensteuer (vgl zB Kuhlmann in Frotscher, Komm zum Einkommensteuergesetz, Stand: April 1998, RdNr 41 zu § 22). Die Abgeordnetenentschädigung ist daher kein Arbeitseinkommen iS des § 15 Abs 1 SGB IV; sie ist auch nicht Arbeitsentgelt iS des § 14 Abs 1 SGB IV „aus einer” nicht selbständigen „Beschäftigung”. Denn der Kläger „schuldet” weder Dienste im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages noch innerhalb des ihm übertragenen öffentlichen Amtes (BVerfG Urteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 ff, 314). Er ist vielmehr aufgrund des Abgeordnetenstatus und seiner Aufgabenstellung gerade nicht (persönlich) abhängig, wie der Begriff der in § 7 SGB IV definierten abhängigen Beschäftigung dies erfordert. Nach Art 30 Abs 2 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen stimmen die Abgeordneten vielmehr nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Volkswohl bestimmten Überzeugung; sie sind an Aufträge nicht gebunden. Gemäß § 2 Abs 2 des Abgeordnetengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (AbgG NRW) sind Benachteiligungen am Arbeitsplatz im Zusammenhang mit der Bewerbung um ein Mandat sowie der Annahme und Ausübung eines Mandats unzulässig. Nach Abs 3 Satz 1 der Vorschrift darf zudem keine Kündigung oder Entlassung im Zusammenhang mit der Annahme oder Ausübung des Mandats ausgesprochen werden. Dies macht deutlich, daß die Tätigkeit eines Abgeordneten im Landtag selbst nicht als „Arbeit” iS einer abhängigen Beschäftigung verstanden wird. Der Abgeordnete ist vielmehr ein vom Vertrauen der Wähler berufener Inhaber eines öffentlichen Amtes und Träger eines freien Mandats, das er in Unabhängigkeit wahrnimmt; er schuldet in diesem keine Dienste (BVerfG Urteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 ff, 316). Entsprechend ist die – aus der Staatskasse zu finanzierende (BVerfGE aaO, S 314) – Entschädigung weder ein „arbeitsrechtliches Entgelt”, mit dem ein Anspruch auf Erfüllung dienstlicher Obliegenheiten verbunden wäre, noch ein „Gehalt im beamtenrechtlichen Sinne”. Allein dadurch, daß Abgeordnete in Anbetracht der grundlegend gewandelten Verhältnisse nicht mehr nur eine reine Aufwandsentschädigung (§ 6 AbgG NRW) erhalten, sondern Anspruch auf eine angemessene Alimentation für sich und ihre Familie haben (§ 5 AbgG NRW), sind sie weder zu Arbeitnehmern noch zu Beamten geworden (BVerfG Urteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 ff, 314, 316).
(2) Entgegen der Ansicht des LSG und eines großen Teils der Literatur (vgl VerbandsKomm, Stand: Januar 1997, RdNr 8 zu § 34; Niesel in Kasseler Komm, Stand: Oktober 1996, RdNr 14 zu § 34 SGB VI; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI - 3. Aufl, Stand: August 1998, RdNrn 27 ff zu § 34; Klattendorf in Hauck/Haines, SGB VI, Stand: Oktober 1995, RdNr 18 zu K § 34; aA: Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Stand: Januar 1997, Anm 3b zu § 34 SGB VI) ist eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 34 Abs 2 SGB VI über ihren Wortlaut hinaus auf die Abgeordnetenentschädigung nicht zulässig.
Die analoge Anwendung einer Vorschrift setzt voraus, daß a) eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, b) der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und c) beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (BSG Urteil vom 26. Juli 1989 - 11/7 RAr 87/87 - SozR 4100 § 107 Nr 4 zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 107 AFG ≪Die Beitragspflicht begründende Beschäftigung≫ auf Zeiten der Mitgliedschaft als Abgeordneter des Deutschen Bundestages; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 202 ff). Hiernach ist eine analoge Anwendung des § 34 Abs 2 SGB VI auch auf die Abgeordnetenentschädigung nicht möglich.
(a) Eine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke liegt nicht vor. Sie kann nur dort angenommen werden, wo das Gesetz unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht; es muß sich dabei um eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende, also eine „planwidrige Unvollständigkeit” handeln (BSG Urteile vom 16. Dezember 1997 - 4 RA 67/97 - SozR 3-2600 § 58 Nr 13 S 74 f, vom 26. Juli 1989 - 11/7 RAr 87/87 - SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4 f, vom 24. März 1988 - 7 RAr 81/86 - BSGE 63, 20 ff, 131 = SozR 4000 § 138 Nr 17 S 92, vom 27. Januar 1977 - 7 RAr 47/75 - BSGE 43, 128 ff, 129 = SozR 4100 § 100 Nr 1 S 1 und vom 11. August 1966 - 3 RK 24/64 - BSGE 25, 150 ff, 151, stRspr). Eine solche planwidrige Unvollständigkeit enthält § 34 Abs 2 SGB VI nicht. Sinn und Zweck der Regelung ist es, sozialpolitisch unerwünschte Doppelleistungen zu vermeiden (vgl Klattenhoff in Hauck/Haines, SGB VI, Stand: März 1999, RdNr 5 zu K § 34 zur Entgeltersatzfunktion der Altersrente als typisierter Erwerbsminderungsleistung; BT-Drucks 13/8011 S 53 zu Nr 12 Buchst b, wonach die Änderung des § 34 Abs 2 SGB VI durch das RRG 1999 „im Interesse einer Stärkung der Lohnersatzfunktion der Rente” erfolgte). Als sozialpolitisch unerwünscht hat der Gesetzgeber ausdrücklich nur den Bezug von Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen neben dem Bezug von Rente genannt, während es dem Sinn und Zweck des Abs 2 des § 34 SGB VI durchaus entsprechen würde, auch andere existenzsichernde Leistungen aus öffentlichen Kassen – beispielsweise Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosengeld, Krankengeld etc – dem Arbeitsentgelt gleichzustellen (vgl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung – SGB VI – Stand: Februar 1996, RdNr 18 zu § 34; zum sachgerechten Ausschluß von Doppelversorgungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vgl auch BSG Urteile vom 28. August 1984 - 11 RA 4/84 - SozR 2200 § 1262 Nr 29 und - 11 RA 49/83 - SozSich 1985, 156; BVerfG Beschluß vom 30. September 1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 296; für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vgl BSG Urteil vom 14. November 1996 - 2 RU 5/96 - SozR 3-2500 § 49 Nr 3). Ist etwa ein Anspruch auf Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres wegen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze entfallen und wird der Versicherte dann arbeitsunfähig krank und erhält er nach Ablauf der Lohnfortzahlung Krankengeld, so würde die erneute Entstehung des Rentenanspruchs zu einer solchen Doppelversorgung führen (vgl aber § 50 Abs 1 Nr 1 SGB V). Eine Gleichstellung des Krankengeldes wird jedoch von dem Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt. Sie erscheint auch um so weniger zulässig, als an anderen Stellen im Gesetz die Lohnersatzleistungen dem Entgelt oder Arbeitseinkommen ausdrücklich gleichgestellt werden, so zB für den Bereich der Hinterbliebenenrente in § 243 Abs 3 Satz 1 SGB VI, der die frühere Rechtsprechung des BSG zu § 1265 RVO nunmehr gesetzlich verankert.
(b) Zwar mag der Gesetzgeber des AbgG NRW von der Voraussetzung ausgegangen sein, daß die Abgeordnetenentschädigung nach dem Alimentationsprinzip zu bemessen sei (BVerfG Urteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 ff, 329 f; Beschluß vom 30. September 1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 296 ff, 343), dem Abgeordneten mithin eine angemessene Versorgung für sich und seine Familie zustehen soll. Indes unterscheidet sich das „Berufsbild” des Abgeordneten beispielsweise von dem des ausdrücklich von der Versicherungspflicht ausgenommenen Beamten (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB VI) in grundlegender Weise. Der Abgeordnete wird für die Dauer einer Wahlperiode gewählt. Mandatszeit und Mandatsausübung stellen für ihn in der Regel einen atypischen Abschnitt außerhalb seiner bisherigen und künftigen beruflichen Laufbahn dar. Zumeist bildet die Mandatszeit eine vorübergehende, mindestens teilweise Unterbrechung seines Berufslebens (BVerfG Beschluß vom 30. September 1987, aaO, S 342). Nicht selten geht auch der Abgeordnete seinem Beruf neben dem Mandat – wenngleich unvermeidlich in nur mehr eingeschränktem Umfang – nach, soweit dem nicht Inkompatibilitäten im Wege stehen. Die Tatsache, daß im Zuge der Entwicklung, die die moderne parlamentarische Demokratie genommen hat, der Umfang der zeitlichen Inanspruchnahme vieler Abgeordneter durch die Pflichten des Mandats das in früheren Jahrzehnten übliche Maß weit überschritten hat und heute meist die Regelarbeitszeit im öffentlichen Dienst erheblich übersteigt, unterstreicht die Verschiedenheit des rechtlichen Status von Abgeordneten und Beamten. Der letztgenannte Umstand mag für den Gesetzgeber Anlaß gewesen sein, die zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit bestimmte Entschädigung der Abgeordneten (vgl Art 48 Abs 3 Satz 1 GG) – einschließlich einer etwaigen Altersversorgung – nach anderen als den in Deutschland früher üblichen Grundsätzen zu bemessen. Ihre Grundlage findet die Abgeordnetenentschädigung zudem in einem anderen Sach- und Regelungszusammenhang, nämlich im Abschnitt III des GG, als das in Art 33 Abs 5 GG angesiedelte Alimentationsprinzip. Zu unterscheiden ist auch der repräsentative Status des Abgeordneten, der sein Mandat in Unabhängigkeit ausübt. Während der Beamte seine volle Arbeitszeit – grundsätzlich auf Lebenszeit – dem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen hat, „schuldet” der Abgeordnete rechtlich keine Dienste (BVerfG Beschluß vom 30. September 1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256 ff, 341 f).
Mit der vorgenannten Entscheidung weicht das BVerfG ausdrücklich von seinem Urteil vom 5. November 1975 (2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 ff, 314) ab, in dem es bestimmt, daß in der fehlenden Anrechnung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Entschädigung und die Versorgungsansprüche der Abgeordneten des Deutschen Bundestages keine – gemessen am Willkürverbot – nicht mehr hinnehmbare Ungleichbehandlung liegt (Leitsatz 5b). Damit relativiert das BVerfG zugleich die Aussage in dem Urteil vom 5. November 1975, aus der Entschädigung der Abgeordneten für einen besonderen, mit dem Mandat verbundenen Aufwand sei eine Alimentation des Abgeordneten und seiner Familie aus der Staatskasse geworden, die als „Entgelt” für die Inanspruchnahme des Abgeordneten durch sein zur Hauptbeschäftigung („full-time-job”) gewordenes Mandat zu behandeln sei. Allerdings war bereits in dieser Entscheidung ausdrücklich ausgeführt worden, die Entschädigung werde nicht zu einem „arbeitsrechtlichen Anspruch, mit dem ein Anspruch auf Erfüllung dienstrechtlicher Obliegenheiten korrespondieren würde”; der Abgeordnete schulde rechtlich keine Dienste, sondern nehme sein Mandat in Unabhängigkeit war. Die Abgeordnetenentschädigung werde mithin nicht zu einem Gehalt im beamtenrechtlichen Sinne (BVerfG Urteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 ff, 316). Die Abgeordnetenentschädigung ist also nicht „in Wirklichkeit eine Bezahlung für die parlamentarische Tätigkeit”, wie dies das BVerfG noch im Beschluß vom 21. Oktober 1971 (2 BvR 367/69 - BVerfGE 32, 157 ff, 164) angenommen hatte.
Spätestens durch seinen Beschluß vom 30. September 1987 (2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256) hat das BVerfG klargestellt, daß es sich bei der Abgeordnetenentschädigung – nicht wie beim Entgelt iS der Sozialversicherung – um eine Gegenleistung für geschuldete Dienstleistungen handelt. Der im Anschluß an das Urteil vom 5. November 1975 (2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296) geführte Meinungsstreit (füreine Gleichstellung von Aufwandsentschädigungen mit Arbeitseinkommen vgl Schwampe, Sind die den Bundestagsabgeordneten gewährten Aufwandsentschädigungen Arbeitseinkommen iS von §§ 571 Abs 1, 580 Abs 4 RVO?, BG 1976, 365;gegen eine Annahme der Gleichbehandlung: Martin, Sind Abgeordnetendiäten Entgelt iS der Sozialversicherung?, BG 1976, 319) ist obsolet geworden. Die heute noch von Schmidt-Bleibtreu/Klein (GG-Komm, 9. Aufl, RdNr 8 zu Art 48) vertretene Ansicht, aus der Entschädigung des Inhabers eines Ehrenamtes (Abgeordnetenmandat) sei heute eine Bezahlung für die im Parlament geleistete Tätigkeit geworden, findet in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung keine Stütze mehr. Fehlt es aber an einem Einkommen, das dem Entgelt iS der Sozialversicherung vergleichbar ist, kann von einer planwidrigen Lücke nicht gesprochen werden. Vielmehr liegt ein wesentlich anderer Sachverhalt vor. Dies hat das BSG bereits im Urteil vom 22. Februar 1996 (12 RK 6/95 - BSGE 78, 34) bekräftigt, indem es ausgeführt hat, die Versicherungspflicht eines sog Ehrenbeamten (ehrenamtlichen Beigeordneten mit Bezug von Aufwandsentschädigung) beurteile sich danach, ob der Beigeordnete – unabhängig von der Bezeichnung der Bezahlung als Aufwandsentschädigung – in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig geworden sei, also iS einer „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß” über Repräsentationsaufgaben hinaus zur weisungsgebundenen Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben verpflichtet gewesen sei.
(c) Gegen eine durch analoge Anwendung des § 34 Abs 2 Satz 2 SGB VI gebotene Gleichbehandlung von Arbeitsentgelt bzw -einkommen und Abgeordnetenbezügen spricht auch, daß der Abgeordnete bereits nach der Systematik des Gesetzes (Erstes Kapitel, Erster Abschnitt des SGB VI) nicht zum Kreis der Personen gehört, die grundsätzlich in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder auf Antrag versicherungspflichtig werden können, §§ 1 bis 4 SGB VI. Als nur für eine bestimmte Zeitdauer (Wahlperiode) gewählter Parlamentarier, der – wie dargelegt – nicht abhängig beschäftigt ist und auch keine auf Gewinnerzielung angelegte selbständige Tätigkeit ausübt, ist der Abgeordnete weder (grundsätzlich) versicherungspflichtig Beschäftigter iS des § 1 SGB VI noch (auf Antrag) versicherungspflichtiger Selbständiger iS des § 4 SGB VI; ebensowenig wird er in den Sondertatbeständen der §§ 2 und 3 SGB VI für eine Versicherung kraft Gesetzes aufgeführt. Es ist daher davon auszugehen, daß der Gesetzgeber das Rechtsverhältnis des Abgeordneten bewußt unterschiedlich von dem eines abhängig Beschäftigten oder Selbständigen geregelt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 514022 |
NJW 2001, 2493 |
br 2000, 186 |