Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbringung ambulanter Pflegeleistungen außerhalb des in einem Versorgungsvertrag festgelegten örtlichen Einzugsbereichs. Verletzung von Bundesrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Festlegung eines örtlichen Einzugsbereichs in einem Versorgungsvertrag über die Erbringung ambulanter Pflegeleistungen hindert Pflegedienste nicht daran, Pflegeleistungen für Versicherte auch außerhalb dieses Einzugsbereichs zu erbringen und mit den Pflegekassen abzurechnen.
Orientierungssatz
Ein Verstoß gegen Bundesrecht nach § 162 SGG liegt nicht bereits dann vor, wenn das Revisionsgericht aus seiner Sicht zu einer anderen Vertragsauslegung kommen würde. Bundesrecht ist vielmehr erst dann verletzt, wenn das Berufungsgericht den Rahmen zulässiger Auslegung überschritten und damit die Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG missachtet hat - Willkürverbot - oder wenn es bei der Auslegung bundesrechtliche Normen herangezogen hat, die den ihnen beigelegten Regelungsgehalt nicht aufweisen (vgl BSG vom 28.6.2001 - B 3 P 9/00 R = BSGE 88, 215 = SozR 3-3300 § 9 Nr 1, BSG vom 3.11.1993 - 14b REg 6/93 = SozR 3-6935 Allg Nr 1, BSG vom 23.7.2002 - B 3 KR 64/01 R = BSGE 90, 1 = SozR 4-2500 § 112 Nr 3).
Normenkette
SGB I § 33 S. 2; SGB XI § 2 Abs. 2, §§ 9, 72 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 3, S. 2, Abs. 4 S. 3, §§ 74, 75 Abs. 2 Nr. 8, § 82 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 89; GG Art 12 Abs. 1; GG Art 20 Abs. 3; SGG § 162
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger - ein ambulanter Pflegedienst mit Sitz in Sachsen-Anhalt - gegen die beklagte Pflegekasse einen Zahlungsanspruch für Pflegeleistungen besitzt, die er für eine in Nordrhein-Westfalen wohnhafte Versicherte der Beklagten erbracht hat.
Der Kläger ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in N. (Sachsen-Anhalt), der für seine Mitglieder bundesweit ambulante Pflegeleistungen erbringt und sich insbesondere auf die Krankenhausnachsorgepflege spezialisiert hat. Diese erfolgt im Rahmen einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung; sie ist in der Regel auf acht Wochen begrenzt und betrifft nur Personen, die alternativ in einem Pflegeheim untergebracht werden müssten. Er ist durch Versorgungsvertrag nach § 72 Sozialgesetzbuch - Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) mit den Landesverbänden der Pflegekassen in Sachsen-Anhalt vom 17. Mai 1995 (Versorgungsvertrag) mit der Erbringung der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung sowie mit der Durchführung von Pflegeeinsätzen bei Pflegegeldempfängern betraut. Nach § 1 Abs 2 Versorgungsvertrag ist der Kläger verpflichtet, die ambulante pflegerische Versorgung der Versicherten in seinem örtlichen Einzugsbereich sicherzustellen; dies ist nach § 4 Abs 1 des Vertrages das Stadtgebiet N. und der Altlandkreis. Gemäß § 1 Abs 4 ist der Versorgungsvertrag für den Pflegedienst und alle Pflegekassen im Inland unmittelbar verbindlich. Zusätzliche Versorgungsverträge in anderen Bundesländern hat der Kläger nicht geschlossen.
Die in Nordrhein-Westfalen wohnhafte Versicherte J. (J.) erhält von der Beklagten seit April 1995 Leistungen nach der Pflegestufe II und seit 11. Januar 2000 solche nach der Pflegestufe III. Für Pflegeleistungen in der Zeit vom 12. bis 31. Januar sowie im Februar 2000 stellte der Kläger der Beklagten zweimal 1.800 DM in Rechnung, die diese auch bezahlte. Mit Rechnung vom 13. April 2000 begehrte der Kläger die Zahlung von 1.785,60 DM für Pflegeleistungen vom 1. bis 10. März 2000 und mit zwei Nachtragsrechnungen vom 4. Mai 2000 jeweils weitere 1.000 DM als Differenz zwischen den Höchstbeträgen der Pflegestufe II und III für die Monate Januar und Februar 2000. Die Beklagte lehnte die Begleichung dieser Rechnungen nunmehr ab, weil der örtliche Einzugsbereich des Klägers nur das Stadtgebiet N. sowie den Altlandkreis umfasse; Pflegeleistungen außerhalb dieses vertraglich definierten Einzugsbereichs gefährdeten die orts- und bürgernahe Versorgung und könnten deshalb von den Pflegekassen nicht vergütet werden.
Mit der Klage begehrt der Kläger Zahlung von 3.785,60 DM (= 1.935,55 €). Zur Begründung hat er sich auf die Bestimmungen des Versorgungsvertrages und des Rahmenvertrages nach § 75 SGB XI zur ambulanten pflegerischen Versorgung zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen und den Vereinigungen der Träger der Pflegedienste vom 1. April 1995 (Rahmenvertrag) berufen, der die Sicherstellung einer wirksamen und wirtschaftlichen ambulanten pflegerischen Versorgung der Versicherten im Lande Sachsen-Anhalt zum Inhalt hat und gemäß § 10 Versorgungsvertrag auch im Verhältnis des Klägers zur Beklagten gilt. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die ambulanten Pflegeleistungen seien außerhalb des vertraglich begrenzten Einzugsbereichs erbracht worden und deshalb nicht vergütungsfähig (Urteil vom 8. Juli 2003). Das Landessozialgericht (LSG) hat die beim Abschluss des Rahmenvertrages beteiligten Landesverbände der Pflegekassen beigeladen und sodann die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 2. November 2004): Das Gesetz sehe in § 72 Abs 3 Satz 3 SGB XI als Bestandteil der Versorgungsverträge ausdrücklich vor, den örtlichen Einzugsbereich so festzulegen, dass lange Wege möglichst vermieden werden. Deshalb sei der Kläger auch nur zur Leistungserbringung im Stadtgebiet N. sowie im Altlandkreis zugelassen. Die örtliche Beschränkung der Pflege auf den Einzugsbereich diene nicht nur wirtschaftlichen Erwägungen, ihr komme vielmehr qualitätssichernde Bedeutung zu; denn die Anleitung des Pflegepersonals sowie die Kontrolle der erbrachten Pflegeleistungen seien allein in einem engen räumlichen und zeitlichen Kontext möglich. Da der Kläger bundesweit überwiegend Pflegehilfskräfte einsetze, sei es zweifelhaft, ob die Qualität seiner Pflege gesetzeskonform gesichert sei. Auch die Tatsache, dass den Versicherten ein Wahlrecht unter den Pflegediensten eingeräumt sei und sie selbst externe Pflegedienste in Anspruch nehmen könnten, bedeute nicht zugleich, dass ein Pflegedienst unter Verstoß gegen bestehende Vertragswerke außerhalb des Einzugsbereichs tätig werden dürfe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von §§ 71, 72 und 75 SGB XI sowie eine unzutreffende Interpretation des Rahmenvertrages und des Versorgungsvertrages durch das LSG. Er betreibe eine zugelassene Pflegeeinrichtung iS von §§ 71 Abs 1, 72 SGB XI; gemäß § 72 Abs 2 Satz 2 SGB XI sei er mit Wirkung für alle Pflegekassen - im Inland und damit bundesweit - in N. zugelassen. Dies werde in § 1 Abs 4 Versorgungsvertrag ausdrücklich bestätigt. Damit korrespondiere das grundsätzliche Recht der Pflegebedürftigen auf freie Wahl eines Pflegedienstes auch außerhalb des örtlichen Einzugsbereichs, welches in § 6 Abs 1 Rahmenvertrag normiert sei und über § 10 Versorgungsvertrag im vorliegenden Falle unmittelbare Geltung besitze. Bei der gesetzlich ebenfalls geregelten Pflicht zur Festlegung eines örtlichen Versorgungsgebietes handele es sich lediglich um eine Planungsvorgabe: Nach § 1 Abs 2 und § 5 Versorgungsvertrag werde seine - des Klägers - Pflicht zur Erbringung bestimmter Pflegeleistungen räumlich festgelegt und damit der Versorgungsauftrag konkretisiert; dies verbiete ihm aber nicht, auch außerhalb des Einzugsbereichs tätig zu werden. Der Festlegung des räumlichen Einzugsbereichs komme keine qualitätssichernde Bedeutung zu; insoweit habe das LSG seine rechtlichen Wertungen zum Geltungsbereich des Versorgungsvertrages unzulässigerweise von der Frage abhängig gemacht, ob und inwieweit die Qualität der Leistungserbringung gesichert sei. Im Übrigen sei die vorgeschriebene Qualitätskontrolle auch im Falle der in Nordrhein-Westfalen wohnenden Versicherten J. ständig gewährleistet gewesen, denn es habe eine Kooperationsvereinbarung mit einem lokalen Pflegedienst bestanden.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 2. November 2004 und des Sozialgerichts Halle vom 8. Juli 2003 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.935,55 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidungen der Vorinstanzen und trägt ergänzend vor, die Festlegung des örtlichen Einzugsbereichs diene nicht nur einer möglichst wirtschaftlichen Versorgung der Pflegebedürftigen, sondern sichere auch den kurzfristigen und lückenlosen Einsatz der Pflegekräfte; zudem stelle sie ein unerlässliches Instrument für die Sicherung der Qualität der Versorgung dar. Sowohl aus dem Rahmenvertrag als auch aus den für die Parteien verbindlichen Qualitätssicherungsvereinbarungen gemäß § 80 SGB XI ergebe sich, dass die Festlegung des Einzugsbereichs iS einer örtlichen Beschränkung der Leistungsberechtigung zu verstehen sei. Dies folge etwa aus § 32 Rahmenvertrag, der eine zweifache Zielrichtung habe: Die Regelung diene einerseits der Kostenersparnis durch Vermeidung langer Anfahrtswege, andererseits fordere sie eine orts- und bürgernahe Leistungserbringung, um den qualitativen Anforderungen iS individueller und schneller Versorgung zu entsprechen. Nach § 33 Abs 2 Rahmenvertrag seien zudem die Einzugsbereiche angrenzender Bundesländer zu berücksichtigen; dies mache nur Sinn, wenn die Festlegung des örtlichen Einzugsbereichs iS einer Leistungsbegrenzung verstanden werde. Aus den oa Qualitätssicherungsvereinbarungen lasse sich erschließen, dass die Pflegeleistungen unter ständiger Verantwortung und Kontrolle einer ausgebildeten Pflegefachkraft zu erbringen seien; dies setze naturgemäß eine räumliche Nähe voraus. Im Falle des bundesweit agierenden Klägers sei sehr zweifelhaft, ob die erforderliche Leistung und Kontrolle der von ihm überwiegend eingesetzten Pflegehilfskräfte durch Pflegefachkräfte erfolgen könne; zumindest sei das für die Pflegekassen nicht überprüfbar.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt und auch - bis auf die Beigeladene zu 1), die sich der Argumentation der Beklagten anschließt - keine eigene Stellungnahme abgegeben.
Alle Beteiligten haben sich gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Vorinstanzen haben seinen Zahlungsanspruch in Höhe von 1.935,55 € zu Unrecht verneint. Der Kläger darf auch über den im Versorgungsvertrag festgelegten örtlichen Einzugsbereich hinaus Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung erbringen und nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit der beklagten Pflegekasse abrechnen.
Rechtsgrundlage für das zutreffend im Wege der allgemeinen Leistungsklage gemäß § 54 Abs 5 SGG geltend gemachte Zahlungsbegehren sind §§ 72 Abs 4 Satz 3, 82 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 89 SGB XI - in der ursprünglichen und heute noch gültigen Fassung des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz ≪PflegeVG≫) vom 26. Mai 1994 (BGBl I 1014) - iVm § 11 Versorgungsvertrag und der hierzu getroffenen Vergütungsvereinbarung. Danach kann eine gemäß § 72 Abs 1 Satz 1 SGB XI zugelassene Pflegeeinrichtung eine leistungsgerechte Vergütung der von ihr erbrachten Leistungen auf der Basis der getroffenen Vereinbarungen verlangen. Streitig ist allein, ob der Kläger auch solche Pflegeleistungen gegenüber der Beklagten abrechnen darf, die er außerhalb des in § 4 Abs 1 Versorgungsvertrag festgelegten örtlichen Einzugsbereichs erbracht hat. Diese Frage ist zu bejahen.
Allerdings ist weder im Gesetz noch im Versorgungsvertrag oder im Rahmenvertrag eindeutig geregelt, dass auch außerhalb des örtlichen Einzugsbereichs erbrachte Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung zu vergüten sind. Das LSG hat dies verneint und seine Auffassung aus den gesetzlichen Anforderungen der Qualitätssicherung und den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten abgeleitet. Aus dem Zusammenspiel dieser gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen hat es die Schlussfolgerung gezogen, der Versorgungsauftrag sei durch den Versorgungsvertrag örtlich beschränkt; außerhalb erbrachte Leistungen seien deshalb nicht abrechenbar. Zwar werde den Versicherten ein Wahlrecht unter verschiedenen Pflegediensten - auch außerhalb ihres Wohn- und Aufenthaltsortes - eingeräumt, dies berechtige aber nicht zugleich die Pflegedienste, außerhalb des vertraglich festgelegten Einzugsbereichs tätig zu werden. Die entgegenstehende Regelung in § 4 Abs 3 Versorgungsvertrag sei nicht gesetzeskonform. Soweit das LSG seine Rechtsauffassung auf den Rahmenvertrag gestützt hat, der von den Landesverbänden der Pflegeeinrichtungen und der Pflegekassen in Sachsen-Anhalt geschlossen worden und nach § 75 Abs 1 Satz 4 SGB XI für alle Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen im Lande verbindlich ist, handelt es sich um landesrechtliche Vorschriften, deren Geltungsbereich sich nicht über den Bereich des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.
Die Auslegung des Landesrechts durch das Berufungsgericht ist für das Bundessozialgericht (BSG) bindend, soweit sie nicht gegen Vorschriften des Bundesrechts verstößt (§ 162 SGG). Ein Verstoß gegen Bundesrecht liegt nicht bereits dann vor, wenn das Revisionsgericht aus seiner Sicht zu einer anderen Vertragsauslegung kommen würde. Bundesrecht ist vielmehr erst dann verletzt, wenn das Berufungsgericht den Rahmen zulässiger Auslegung überschritten und damit die Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 Grundgesetz ≪GG≫) missachtet hat - Willkürverbot - oder wenn es bei der Auslegung bundesrechtliche Normen herangezogen hat, die den ihnen beigelegten Regelungsgehalt nicht aufweisen (BSGE 88, 215, 219 = SozR 3-3300 § 9 Nr 1; BSG SozR 3-6935 Allg Nr 1 und SozR 4-2500 § 112 Nr 3). Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab hat das LSG Bundesrecht verletzt. Die von ihm vorgenommene Interpretation der vertraglichen Vereinbarungen verletzt das Wahlrecht der Pflegebedürftigen gemäß § 2 Abs 2 SGB XI und verstößt zudem gegen das Recht der Pflegeeinrichtungen auf freie Berufsausübung (Art 12 Abs 1 GG), welche nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden darf.
Zu Unrecht hat das LSG aus der Festlegung des örtlichen Einzugsbereichs in den Landesverträgen gefolgert, dass dem Kläger außerhalb dessen eine Erbringung von ambulanten Pflegeleistungen und deren Abrechnung zu Lasten der Beklagten nicht gestattet ist. Der Kläger betreibt eine zugelassene Pflegeeinrichtung iS des § 71 Abs 1 SGB XI, mit der ein Versorgungsvertrag gemäß § 72 Abs 1 SGB XI geschlossen worden ist, der für alle Pflegekassen im Inland unmittelbar verbindlich ist (§ 72 Abs 2 Satz 2 SGB XI). Der Gesetzgeber hat sich mit dieser Regelung am krankenversicherungsrechtlichen Vorbild der Zulassung für Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen orientiert, um Pflegediensten und Pflegeheimen mit Abschluss eines Versorgungsvertrages ebenfalls den Status von "zugelassenen Pflegeeinrichtungen" zu verschaffen - mit der generellen Berechtigung und Verpflichtung, Pflegebedürftige zu Lasten der Pflegeversicherung zu versorgen (vgl BT-Drucks 12/5262 S 135). Hiernach reicht es aus, dass eine Pflegeeinrichtung in einem Bundesland zugelassen ist, um Versicherte aus allen Teilen der Bundesrepublik zu Lasten der sozialen Pflegeversicherung versorgen zu können (so BT-Drucks 12/5262 S 136; vgl auch Udsching, SGB XI, 2. Auf 2000, § 72 RdNr 10; Leitherer in Kasseler Kommentar - Band 2, Stand: Januar 2006, § 72 SGB XI RdNr 16; Knittel in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung - Band 2, Stand: September 2005, § 72 SGB XI RdNr 13). Zutreffend hat diese statusbegründende Funktion des Versorgungsvertrages auch in dessen § 1 Abs 4 Niederschlag gefunden.
Das Recht zur bundesweiten Versorgung von Pflegebedürftigen korrespondiert mit deren Recht auf freie Wahl des Pflegedienstes. § 2 Abs 2 Satz 1 SGB XI sieht ausdrücklich vor, dass Versicherte zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger wählen können; ihren Wünschen zur Gestaltung der Hilfe soll - soweit sie angemessen sind - im Rahmen des Leistungsrechts entsprochen werden (§ 2 Abs 2 Satz 2 SGB XI). Diese Regelung ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Pflegebedürftigen und stellt einen allgemeinen Grundsatz des Sozialrechts dar, der sich in anderen Büchern des SGB wiederholt (zB § 33 Satz 2 SGB - Erstes Buch - Allgemeiner Teil und § 9 SGB - Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) und seine Grundlage im allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art 2 Abs 1 GG findet (vgl Neumann in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts - Band 4, Pflegeversicherungsrecht - 1997, § 20 RdNr 43 f). Dieses Wahlrecht wird in § 6 Abs 1 Satz 1 Rahmenvertrag und § 4 Abs 3 Satz 1 Versorgungsvertrag auch ausdrücklich bestätigt und in Satz 2 dieser beiden Vorschriften auch auf Pflegedienste außerhalb des örtlichen Einzugsbereichs erstreckt, wobei lediglich entstehende Mehrkosten nicht gegenüber der Pflegekasse geltend gemacht werden können. Damit wird einerseits den Bedürfnissen der Versicherten Rechnung getragen, andererseits aber auch dafür gesorgt, dass die Ausübung des Wahlrechts nicht unwirtschaftlich ist und zu Lasten der Versichertengemeinschaft geht. Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 39 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch über das Krankenhauswahlrecht der Versicherten. Wenn aber ein grundsätzliches Wahlrecht zu Gunsten außerhalb des Wohn- und Aufenthaltsorts ansässiger Pflegedienste eingeräumt wird, dann müssen Pflegedienste notwendigerweise auch außerhalb ihres örtlichen Einzugsbereichs tätig werden und mit den Pflegekassen, bis auf die Mehrkosten, abrechnen dürfen.
Allerdings hat der Gesetzgeber in § 72 Abs 3 Satz 3 SGB XI für den Abschluss von Versorgungsverträgen und in § 75 Abs 2 Nr 8 SGB XI für Rahmenverträge weitgehende identische Regelungen dahingehend geschaffen, dass bei ambulanten Pflegediensten ein örtlicher Einzugsbereich festzulegen ist, und zwar so, dass Pflegeleistungen ohne lange Wege möglichst orts- und bürgernah angeboten werden können. Damit soll eine besonders bürgerfreundliche Versorgung gewährleistet werden (vgl BT-Drucks 12/5262 S 136); dies ist im vorliegenden Fall in Übereinstimmung mit §§ 32 ff Rahmenvertrag durch die Festlegung auf das Stadtgebiet N. und den Altlandkreis erfolgt. Diese örtliche Beschränkung dient aber allein zur Verwirklichung des Sicherstellungsauftrages; ihr Ziel ist es, die pflegerische Versorgung der Versicherten im örtlichen Einzugsbereich zu garantieren. Diesen lokalen Sicherstellungsauftrag hat der Kläger auch übernommen; deshalb muss er aber nicht auf außerhalb dieses Einzugsbereichs gerichtete Einsätze verzichten. Denn bei der Festlegung des örtlichen Einzugsbereichs handelt es sich nicht um eine tätigkeitsbeschränkende Zulassungsvoraussetzung, sondern nur um eine - weitere - Konkretisierung des Versorgungsvertrages (Leitherer aaO § 72 SGB XI RdNr 24), mit der die pflegerische Versorgung vorrangig in N. und Umgebung sichergestellt werden soll. Diese Voraussetzung könnte aber auch ein überregional tätiger Leistungsanbieter erfüllen, wenn er im jeweiligen örtlichen Einzugsbereich entweder selbst entsprechend qualifizierte Pflegekräfte zur Verfügung stellt oder dieses Personal durch Kooperationsverträge mit anderen örtlich niedergelassenen Einrichtungen "einkauft" bzw durch Beteiligung an regionalen Kooperationen mit anderen Einrichtungen einbringt (Roßbruch PflR 2005, 325). Oder anders ausgedrückt - durch den Versorgungsvertrag ist der Kläger zur Sicherstellung einer wirksamen und wirtschaftlichen ambulanten pflegerischen Versorgung der Versicherten innerhalb des örtlichen Einzugsbereichs verpflichtet, ohne aber die Möglichkeit zur Erbringung entsprechender Leistungen außerhalb desselben zu verlieren.
Die Gefahr, dass eine örtlich entfernte Pflegekasse die Qualität der Leistungserbringung vor Ort nur beschränkt überprüfen kann, hat der Gesetzgeber erkennbar nicht für gravierend angesehen; sonst hätte er bereits die Bindung landesfremder Pflegekassen an die Versorgungsverträge und die daraus folgende Zahlungsverpflichtung nicht angeordnet. Im Übrigen ist es aber auch ortsfremden Pflegekassen möglich, die Qualität der Leistungserbringung überprüfen zu lassen, etwa durch Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) oder bestellte Sachverständige, notfalls über die örtlich zuständigen Landesverbände (vgl jetzt §§ 79, 112, 114 SGB XI). Für die Beklagte als bundesweit mit Zweigstellen agierende Kasse ist dies ebenfalls ohne weiteres möglich. Die vertragliche Festlegung eines örtlichen Einzugsbereichs gemäß §§ 75 Abs 2 Nr 8, 72 Abs 3 Satz 3 SGB XI bedeutet deshalb nicht, wie das LSG meint, dass der Versorgungsauftrag im Versorgungsvertrag örtlich im Sinne von Ausschließlichkeit beschränkt ist; sie entspricht vielmehr nur der Intention des Gesetzgebers, eine wirtschaftliche und effiziente Versorgung der Pflegebedürftigen zu gewährleisten. Das gesetzlich verankerte Recht der Pflegebedürftigen auf freie Wahl der Pflegeeinrichtung könnte vertraglich ohnehin nicht außer Kraft gesetzt werden (Neumann aaO § 21 RdNr 29).
Zu Unrecht haben das LSG und ihm folgend die Beklagte ihre Rechtsauslegung ferner darauf gestützt, dass der Kläger nicht "die gesetzlich gewünschte Qualität der Pflege" gewährleisten könne; er setze überwiegend Pflegehilfskräfte ein und sei nicht in der Lage nachzuweisen, dass seine Pflegeleistungen unter ständiger Verantwortung und Kontrolle einer ausgebildeten Pflegefachkraft erbracht würden. Dieses Argument vermag indes die Zahlungsverweigerung durch die Beklagte nicht zu rechtfertigen: Zum einen hat das LSG selbst festgestellt, dass es weder im konkreten Fall noch darüber hinaus zu Beanstandungen der Pflegeleistungen des Klägers gekommen ist; es wird lediglich allgemein bezweifelt, dass die Qualität der Pflege gesetzeskonform gesichert sei (LSG-Urteil, Umdruck S 12). Es kann deshalb offen bleiben, ob Qualitätsmängel zur Leistungskürzung oder -verweigerung im Einzelfall führen können (vgl die hier noch nicht anwendbare, erst durch das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz vom 9. September 2001 ≪BGBl I 2320≫ eingeführte Regelung in § 115 Abs 3 SGB XI). Allgemeine Zweifel am Qualitätsmanagement - ihre Richtigkeit unterstellt - können den Anspruch auf Vergütung einer im Übrigen vollständig und beanstandungsfrei erbrachten Pflegeleistung nicht berühren.
Anhaltspunkte dafür, dass der geltend gemachte Vergütungsanspruch rechnerisch unzutreffend beziffert worden sein könnte, sind weder vorgetragen worden noch ansonsten ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG aF.
Fundstellen
BSGE 2007, 233 |
NZS 2007, 135 |
SGb 2006, 531 |
SGb 2007, 156 |
SGb 2007, 359 |
PflR 2006, 522 |
BtMan 2007, 40 |