Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Arbeitslosenhilfe. Anwartschaft. Anwartschaftszeit. Arglist. Bezug. Gleichstellungstatbestand. Herstellungsanspruch. Leistungsbezug. Rahmenfrist. Ruhen. Stammrecht. Überbrückungsgeld. Überbrückungstatbestand. Vorbezug. Zuständigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Voraussetzungen der Bewilligung von Überbrückungsgeld sind nur gewahrt, wenn der ruhensbedingte Abstand zum Vorbezug von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe nicht länger ist als die bei Ablehnung von Arbeitsangeboten mögliche Sperrzeit (Fortführung von BSG SozR 3-4100 § 55a Nr 2).
Normenkette
SGB I § 31; AFG § 55a Abs. 1 S. 1 Fassung: 14.12.1987 und 18.12.1992, § 104 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 105b Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 1 Nr. 2, § 119 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 125 Abs. 2, § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 146 S. 1; FdAAnO § 22 Abs. 1 Fassung: 19.5.1989, Abs. 2 Fassung: 19.5.1989, Abs. 3 Fassung: 19.5.1989, Abs. 4 Fassung: 19.5.1989, Abs. 5 Fassung: 19.5.1989, § 38 Fassung: 16.3.1988, § 38 Abs. 2 Fassung: 28.1.1986
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.11.1991; Aktenzeichen L 9 Ar 1/91) |
SG Aachen (Urteil vom 16.11.1990; Aktenzeichen S 10 Ar 94/90) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. November 1991 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 16. November 1990 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisions- und des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Bewilligung von Überbrückungsgeld.
Der Kläger ließ sich am 15. November 1989 als praktischer Arzt nieder. Zuvor war er über einen längeren Zeitraum, unterbrochen von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und der Teilnahme an berufsbildenden Maßnahmen, arbeitslos. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) bezog der Kläger als Leistung wegen Arbeitslosigkeit zuletzt “bis November 1988 Arbeitslosenhilfe” (Alhi), danach vom 28. November 1988 bis 17. Juni 1989 Unterhaltsgeld (Uhg) sowie vom 19. Juni bis 14. November 1989 Krankengeld (Krg).
Den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Überbrückungsgeld (Übg) lehnte die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) ab, weil der Kläger in den letzten vier Wochen vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit weder Arbeitslosengeld (Alg) noch Alhi bezogen habe. Der Bezug von Krg oder Uhg könne nicht durch erweiternde Auslegung dem Bezug von Alg oder Alhi gleichgestellt werden (Bescheid vom 21. März 1990; Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1990).
Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 16. November 1990). Das LSG hat die BA verurteilt, den Kläger erneut zu bescheiden. Zur Begründung hat das LSG mit Hinweis auf das Urteil des Senats vom 17. Oktober 1990 – 11 RAr 109/88 – ausgeführt, nach dem Zweck des Gesetzes sollten bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit auch Arbeitslose gefördert werden, die – nach der ab 1. Januar 1988 geltenden Fassung des § 55a Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) – bereits durch einen Bezug von Alg oder Alhi für mindestens vier Wochen die Solidargemeinschaft belastet hätten. Dieser Entlastungszweck werde auch dann erreicht, wenn der Antragsteller nicht nahtlos bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit im Leistungsbezug gestanden habe, der Anspruch auf Alg oder Alhi aber wegen des Bezugs anderer Sozialleistungen geruht habe, ohne daß das Stammrecht entfallen sei. Diese Voraussetzung sei hier gegeben, weil der Kläger vor Ablauf der Jahresfrist des § 135 Abs 1 Nr 2 AFG die selbständige Tätigkeit aufgenommen habe. Im übrigen habe der Kläger durch den Bezug von Uhg und Krg im Zeitpunkt des Eintritts in die Selbständigkeit ein neues Stammrecht erworben, das die BA zur Leistung von Alg oder Alhi verpflichtet hätte, wenn der Kläger nicht mit Übg zu fördern gewesen wäre. Es sei mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar, Arbeitslose gleichsam zum Bezug von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu zwingen, um die Leistungsvoraussetzungen des Übg zu erfüllen.
Die BA hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt hinsichtlich der Dauer des Vorbezugs von Leistungen die Verletzung der Sachaufklärungspflicht des LSG. Aus den Unterlagen verschiedener Dienststellen der BA ergebe sich, daß der Kläger zuletzt bis Mai 1988 Alhi bezogen habe. Die Alhi-Bewilligung sei ab 2. Mai 1988 aufgehoben worden, weil dem Kläger für die Zeit ab 2. Mai 1988 Uhg bewilligt worden sei. Im Anschluß daran habe er vom 21. Juni 1988 bis 18. März 1989 Krg von der AOK Herne bezogen. Vom 20. März bis 17. Juni 1989 habe der Kläger erneut Uhg und daran anschließend vom 18. Juni bis 14. November 1989 erneut Krg erhalten. Es sei nicht ausgeschlossen, daß das LSG bei vollständiger Aufklärung des Sachverhaltes abweichend entschieden hätte. Im übrigen habe das LSG einen Alhi-Bezug von vier Wochen nicht festgestellt, so daß die Rechtsausführungen des Gerichts nicht geeignet seien, die getroffene Entscheidung zu tragen. Die vom LSG angeführte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei nicht heranzuziehen, wenn der Leistungsempfänger nicht mehr verfügbar sei und sich durch mehrfachen Bezug von Uhg oder Krg dem Bereich der Leistungen von Alg und Alhi entzogen habe. Im übrigen sei das Stammrecht erloschen, weil der Kläger zuletzt im Mai 1988 Alhi bezogen habe. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 55a AFG sei ein nahtloser Zusammenhang zwischen Bezug von Alg oder Alhi und Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zu fordern. Die Zulassung von Überbrückungstatbeständen über einen Zeitraum von möglicherweise einem Jahr würde zu einem Verwaltungsaufwand führen, der durch die hier anzuwendende Fassung des Gesetzes vermieden werden solle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Weiter trägt er vor, verschiedene Dienststellen der BA hätten seine frühere Niederlassung erschwert und seine ärztliche Qualifikation behindert. Auch sei er bei seinen Anträgen nicht sachgerecht beraten worden. Wenn die BA sich formal auf § 55a Abs 1 Satz 1 AFG berufe, so stehe dem der Einwand der Arglist entgegen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der BA ist begründet. Dem Kläger steht Übg ab 15. November 1989 nicht zu, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Leistung zum Zeitpunkt der damaligen Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nicht erfüllt waren. Die gegenteilige Entscheidung des LSG verletzt § 55a Abs 1 Satz 1 AFG. Die ablehnenden Bescheide der BA erweisen sich nicht als rechtswidrig.
1. Hinsichtlich der Zuständigkeit unterliegen die von der ZAV erlassenen Bescheide keinen durchgreifenden Bedenken. Zwar hat nach § 146 Satz 1 AFG Entscheidungen über den Anspruch der Direktor des Arbeitsamtes zu treffen. Dabei handelt es sich nicht um eine ausschließliche Zuständigkeit, denn nach § 189 Abs 4 AFG kann der Verwaltungsrat der BA bei Bedarf besondere Dienststellen für zentrale und überbezirkliche Aufgaben errichten. Von dieser Ermächtigung hat der Verwaltungsrat mit der Errichtung der ZAV Gebrauch gemacht. Der ZAV ist mit Runderlaß 41/80 vom 14. Februar 1980 die Zuständigkeit für Stellen- und Bewerberangebote aus Bereichen mit nur geringem Arbeitsmarktvolumen oder ganz spezifischer Ausprägung übertragen worden (Nr 3.21 Buchst b). Nach Anlage 3 und 4 des Runderlasses gehört zu diesem Aufgabenbereich auch die Arbeitsvermittlung und Förderung der Arbeitsaufnahme von Humanmedizinern. Die ZAV war danach zur Entscheidung über die Bewilligung von Übg anläßlich der Niederlassung des Klägers als praktischem Arzt zuständig.
2. Übg kann die BA nach § 55a Abs 1 Satz 1 AFG in der hier anzuwendenden Fassung des Art 1 Nr 13 Buchst a Achtes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 14. Dezember 1987 ≪8. AFG-ÄndG≫ (BGBl I, 2602) Arbeitslosen bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit unter weiteren, hier nicht zu behandelnden Voraussetzungen für längstens 26 Wochen gewähren, wenn der Arbeitslose bis zur Aufnahme dieser Tätigkeit mindestens vier Wochen Alg oder Alhi bezogen hat. Diese Voraussetzung hat der Kläger jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Niederlassung als praktischer Arzt am 15. November 1989 nicht erfüllt. Allerdings hat das LSG die Dauer des Vorbezugs von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit nicht festgestellt. Das kann hier auf sich beruhen.
2.1 Zutreffend ist das LSG im Anschluß an das Urteil des Senats vom 17. Oktober 1990 – 11 RAr 109/88 – (BSG SozR 3-4100 § 55a Nr 2) davon ausgegangen, daß Alg oder Alhi nicht unter allen Umständen nahtlos bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit bezogen werden muß. An dieser Rechtsprechung hält der Senat grundsätzlich fest. Allerdings folgt aus Entstehungsgeschichte und Zweck des Übg und seiner gesetzlichen Voraussetzungen, daß nicht ein in beliebigem Abstand zum Förderungszeitpunkt stehender Bezug von Alg oder Alhi von mindestens vier Wochen die Bewilligung von Übg rechtfertigen kann. Bei Unterbrechung des Leistungsbezugs ist die Erhaltung des Stammrechts auf Alg oder Alhi jedenfalls Voraussetzung für die Bewilligung von Übg. Ob diese im Falle des Klägers erfüllt ist, läßt sich mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Das LSG ist davon ausgegangen, der Kläger habe “bis November 1988 Alhi” bezogen. Danach läßt sich nicht ausschließen, daß das Stammrecht auf Alhi bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit am 15. November 1989 durch Ablauf eines Jahres seit dem letzten Tage des Bezuges von Alhi erloschen war (§ 135 Abs 1 Nr 2 AFG). Das kann jedoch ebenso wie die Erheblichkeit der gegen die ungenauen Feststellungen des LSG zur Dauer der Unterbrechung des Leistungsbezugs gerichteten Aufklärungsrüge der BA offenbleiben. Die Voraussetzungen für ein Übg sind im Falle des Klägers schon aus folgenden Gründen nicht erfüllt.
2.2 Wie der Senat in dem angeführten Urteil (BSG SozR 3-4100 § 55a Nr 2) entschieden hat, ist ein Bezug von Alg oder Alhi “bis zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit” iS des § 55a Abs 1 Satz 1 AFG bei Unterbrechung des Leistungsbezuges unter Erhaltung des Stammrechts nur gegeben, wenn der Bezug “zeitlich begrenzt” iS von “kurzzeitig” unterbrochen war. Dabei hatte der Senat nach dem dort zu beurteilenden Sachverhalt keinen Anlaß, näher festzulegen, was unter einer zeitlich begrenzten Unterbrechung des Vorbezugs von Alg oder Alhi zu verstehen ist. Bei Wahrung des Stammrechts hält der Senat eine Unterbrechung des Bezugs von Alg oder Alhi bis zur Dauer einer Sperrzeit wegen Ablehnung eines Arbeitsangebots (vgl § 119 Abs 1 Satz 1 AFG) für die Feststellung der Leistungsvoraussetzung “Bezug von Alg oder Alhi bis zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit” für unschädlich. Das beruht auf folgenden Erwägungen:
Die Forderung eines nahtlosen Übergangs vom Leistungsbezug zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, wie ihn die BA vertritt, würde kurzen Unterbrechungen des Leistungsbezugs zu weitreichende Folgen beilegen. Insbesondere würde ein solch enges, vom Wortlaut der Vorschrift nicht zwingend gebotenes Verständnis der gesetzlichen Voraussetzungen des Übg zu Ergebnissen führen, die dem Förderungszweck nicht gerecht werden. Dies gilt namentlich in den erwähnten Sperrzeitfällen. Hier wäre die an das Verhalten des Arbeitslosen geknüpfte Rechtsfolge nicht auf das Ruhen von Alg oder Alhi begrenzt (§ 119 Abs 1 Satz 3 AFG), sondern würde den Arbeitslosen bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit von der Förderung durch Bewilligung von Übg ausschließen. Ähnlich ist die Lage, wenn der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit eine vorübergehende, aber den Bezugszeitraum des sogenannten Arbeitslosenkrankengeldes (§ 105b Abs 1 Satz 1 AFG) übersteigende Arbeitsunfähigkeit vorausgeht. Allerdings können nur zeitlich begrenzte Unterbrechungen des Bezugs von Alg oder Alhi den gesetzlich geforderten zeitlichen Zusammenhang zwischen Leistungsbezug und Aufnahme der selbständigen Tätigkeit wahren. Andernfalls entsteht die Gefahr, daß bei der Bearbeitung von Anträgen von Übg durch Aufklärung zeitlich weit zurückliegender Umstände ein Verwaltungsaufwand erforderlich wird, den das Gesetz im Interesse der Praktikabilität gerade ausschließen will (vgl BT-Drucks 11/800, S 17). Ein solches Bedenken besteht aber nicht, wenn bei Unterbrechung des Bezugs von Alg oder Alhi ein zeitlicher Abstand zwischen Leistungsbezug und Aufnahme der selbständigen Tätigkeit bis zur Dauer einer Sperrzeit wegen Ablehnung eines Arbeitsangebots hingenommen wird. Damit weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des 7. Senats des BSG ab (BSG SozR 3-4100 § 55a Nr 3). Dort hat der 7. Senat die Frage verneint, ob das Bestehen eines Anspruchs trotz Ruhens dem in § 55a Abs 1 Satz 1 AFG geforderten Bezug von Alg oder Alhi gleichzustellen ist. Er hat sich dazu auf die Rechtsprechung des BSG berufen, wonach unter Bezug von Leistungen grundsätzlich der tatsächliche Erhalt von Leistungen zu verstehen ist (BSG SozR 4100 § 105b Nr 3; SozR 3-4100 § 55a Nr 2). Zur hier erheblichen Frage der Überbrückung eines zeitlich begrenzten Abstands zwischen Leistungsbezug und Aufnahme der selbständigen Tätigkeit hat der 7. Senat bei dem von ihm zu beurteilenden Sachverhalt nicht Stellung nehmen müssen.
Der Kläger hat bis zur Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit am 15. November 1989 nicht Alg oder Alhi bezogen, weil er nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) vom 19. Juni bis 14. November 1989 Krg erhalten hat. Dieses begründete nach § 118 Abs 1 Nr 2 AFG das Ruhen des Anspruchs und schloß damit den Bezug von Alg oder Alhi für mehr als acht Wochen aus.
2.3 Das LSG hat das Bestehen des Stammrechts ohne Begrenzung des zeitlichen Abstands zum Bezug von Alg oder Alhi zur Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzung des Übg als ausreichend erachtet. Diese Rechtsansicht kann wegen der unterschiedlichen Erlöschensfristen von Alg (vier Jahre nach Entstehen des Anspruchs – § 125 Abs 2 AFG) und Alhi (ein Jahr seit dem letzten Tag des Bezugs von Alhi – § 135 Abs 1 Nr 2 AFG) zu unterschiedlicher Behandlung von Alg- und Alhi-Beziehern führen, die für den Zugang zum Übg nicht einleuchten. Vor allem aber führt die Rechtsansicht des LSG zur Annahme genereller Gleichstellungs- oder Überbrückungstatbestände bei Ruhen von Ansprüchen auf Alg oder Alhi mit dem bzw für den Leistungsbezug im Rahmen des § 55a Abs 1 Satz 1 AFG.
Das Erfordernis des Vorbezugs von vier Wochen Alg oder Alhi bis zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit soll die Förderung der Begründung einer selbständigen Existenz auf Fälle begrenzen, in denen die Solidargemeinschaft bzw der Steuerfiskus durch Leistungsansprüche wegen Arbeitslosigkeit belastet wird. Ein Übergang aus einer abhängigen Beschäftigung in eine selbständige Tätigkeit wird nach § 55a Abs 1 Satz 1 AFG im Gegensatz zum früheren § 135 Abs 1 AVAVG nur nach Vorbezug von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit gefördert. Der Anreiz zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch Arbeitslose soll der Entlastung des Arbeitsmarktes dienen. Auf diese Entlastungsfunktion der Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit hat der Senat seine Ansicht gestützt, Übg könne auch erhalten, wer die erforderliche Vorbezugszeit zwar zurückgelegt, aber wegen einer Sperrzeit “zeitlich begrenzt” unmittelbar vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit Leistungen wegen Ruhens des Anspruchs nicht bezogen habe. Der Annahme allegemeiner Gleichstellungs- oder Überbrückungstatbestände bei Ruhen von Ansprüchen auf Alg oder Alhi steht aber jedenfalls die hier anzuwendende Fassung des § 55a Abs 1 Satz 1 AFG entgegen (vgl auch: Wanka SGb 1991, 364 f). Durch Art 1 Nr 13 8. AFG-ÄndG sind die Leistungsvoraussetzungen für Übg in zweifacher Hinsicht verändert worden. Die Vorbezugszeit ist von zehn auf vier Wochen verkürzt und die Ermächtigung des § 55a Abs 4 Satz 2 AFG aF an den Verwaltungsrat der BA, durch Anordnungen Ausnahmen von dem gesetzlichen Erfordernis des Vorbezugs zuzulassen, gestrichen worden. Der Gesetzgeber wollte damit Leistungsvoraussetzungen aufheben, die sich “als wenig praktikabel erwiesen” hatten (BT-Drucks 11/800, S 17). Von der Ermächtigung des § 55a Abs 4 Satz 2 AFG aF hatte der Verwaltungsrat in § 38 Abs 2 der Anordnung zur Förderung der Arbeitsaufnahme (FdAAnO) idF vom 28. Januar 1986 (ANBA S 566) Gebrauch gemacht, indem er ermöglicht hatte, dem Bezug von Alg oder Alhi Zeiten gleichzustellen, in denen der Arbeitslose andere Lohnersatzleistungen nach dem AFG erhalten oder Alg oder Alhi wegen der Teilnahme an einer nach dem AFG geförderten Maßnahme nicht bezogen hatte. Ob diese Voraussetzungen hier durch den Bezug von Uhg bzw Krg erfüllt wären, kann dahinstehen. Durch die Streichung der diese Regelung tragenden Ermächtigung des § 55a Abs 4 Satz 2 AFG aF ist die Möglichkeit ab 1. Januar 1988 entfallen, den Bezug von Uhg oder Krg dem Bezug von Alg oder Alhi gleichzustellen. Dementsprechend sahen die das Übg betreffenden Regelungen des § 38 der FdAAnO idF vom 16. März 1988 (ANBA S 675) ab 1. Januar 1988 und des § 22 Abs 1 bis 5 FdAAnO vom 19. Mai 1989 (ANBA S 997) eine Gleichstellung des Bezugs von anderen Leistungen mit dem Bezug von Alg oder Alhi zur Begründung des Übg nicht mehr vor. Die letztgenannte Regelung ist am 1. Juni 1989 in Kraft getreten (§ 28 FdAAnO) und damit für einen am 15. November 1989 eingetretenen Leistungsfall zu beachten.
Aus dieser Rechtsentwicklung und ihrer Zielsetzung, die Leistungsvoraussetzungen des Übg praktikabler zu gestalten, folgt, daß jedenfalls in dem in Betracht zu ziehenden Leistungszeitraum ab 15. November 1989 generelle Gleichstellungs- oder Überbrückungstatbestände bei Bezug anderer Sozialleistungen den Zusammenhang zwischen Bezug von Alg oder Alhi und der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nicht herstellen können.
Das wird auch durch die hier noch nicht zu berücksichtigende weitere Rechtsentwicklung bestätigt. Durch § 55a Abs 1a AFG idF des Gesetzes zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 (BGBl I, 2044) sind den Arbeitslosen, die den Vorbezug von vier Wochen Alg oder Alhi bis zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit aufzuweisen haben, Arbeitnehmer gleichgestellt, die vor der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit mindestens vier Wochen Kurzarbeitergeld nach § 63 Abs 4 AFG oder mindestens vier Wochen in einer Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung nach §§ 91 bis 96 AFG oder in einer Maßnahme nach § 249h AFG – dabei handelt es sich um die Förderung von Arbeiten zur Verbesserung der Umwelt, der sozialen Dienste oder der Jugendhilfe im Beitrittsgebiet – beschäftigt waren. Diese Regelungen lassen sich als Bestätigung des Konzepts des Gesetzgebers auffassen, im Interesse einer praktikablen Rechtsanwendung generelle Gleichstellungs- oder Überbrückungstatbestände nur in bestimmten, ausdrücklich geregelten Fällen zuzulassen.
3. Eine für den Kläger günstigere Entscheidung ist auch nicht mit der vom LSG gegebenen Hilfsbegründung zu erzielen. Bei seinem Hinweis, der Kläger habe durch den Bezug von Uhg und Krg eine neue Anwartschaft auf Alg und damit “nahtlos zum untergegangenen Stammrecht ein neues erworben”, verkennt das LSG, daß Tatbestandsmerkmal des Übg nicht das Bestehen eines Stammrechts auf Alg oder Alhi, sondern der Bezug dieser Leistungen für mindestens vier Wochen bis zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ist. Im übrigen trifft der rechtliche Ausgangspunkt des LSG, durch den Bezug von Uhg und Krg sei eine neue Anwartschaft am 15. November 1989 entstanden, nicht zu. Die Anwartschaftszeit ist durch eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung und dieser gleichstehende Zeiten innerhalb der Rahmenfrist zu erfüllen (§§ 104 Abs 1 Satz 1, 107 AFG). Die Rahmenfrist geht dem ersten Tage der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind oder nach § 105 AFG als erfüllt gelten (§ 104 Abs 2 AFG). Eine Rahmenfrist, in die die Bezugszeiten von Uhg und Krg fallen könnten, ist aber nicht ausgelöst worden, weil der Kläger am 15. November 1989 eine Tätigkeit als Selbständiger ausgeübt hat und deshalb nach § 101 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG Arbeitslosigkeit – ebensowenig wie die weiteren Anspruchsvoraussetzungen der Verfügbarkeit, der Arbeitslosmeldung und des Leistungsantrags (§ 100 Abs 1 AFG) – nicht vorlag (vgl dazu: BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 8).
4. Schließlich kann der Kläger nicht mit seinem Vortrag durchdringen, mangelhafte Betreuung der Dienststellen der BA habe ihn daran gehindert, sich zu einem früheren Zeitpunkt als praktischer Arzt niederzulassen. Allerdings hat die Rechtsprechung des BSG für Fälle, in denen ein Sozialleistungsträger die ihm obliegende Pflicht zur Auskunft und Beratung sowie zu einer dem konkreten Anlaß entsprechenden verständnisvollen Förderung verletzt und dadurch dem Betroffenen einen rechtlichen Nachteil zugefügt hat, den sogenannten Herstellungsanspruch entwickelt (BSGE 71, 17, 22 = SozR 3-4100 § 103 Nr 8 mwN). Ein Anspruch auf Ausgleich des eingetretenen Nachteils ist aber nur gegeben, wenn zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht (st Rspr BSGE 59, 60, 67 = SozR 5070 § 10 Nr 31; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 8). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, denn die Förderung des Klägers durch Übg anläßlich seiner Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit am 15. November 1989 scheitert – wie ausgeführt – daran, daß er wegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung mehr als acht Wochen vor der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 15. November 1989 nicht mehr Alg oder Alhi bezogen hat. Allein die individuellen Verhältnisse können Gegenstand der Prüfung des ursächlichen Zusammenhangs im Rahmen eines Herstellungsanspruchs sein. Dagegen kann der Kläger nicht mit Erfolg geltend machen, bei pflichtgemäßer Beratung durch die BA hätte er sich zu einem anderen Zeitpunkt, zu dem er die Voraussetzungen des § 55a Abs 1 Satz 1 AFG erfüllt hatte, als praktischer Arzt niedergelassen. Der Herstellungsanspruch ist zwar geeignet, bei pflichtwidrigen Verwaltungshandlungen durch eine ihrer Art nach zulässige Amtshandlung für den Betroffenen eingetretene Nachteile abzuwenden. Tatsächliche Gegebenheiten, wie der Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit des Klägers, die der Gestaltung durch Verwaltungshandeln der BA nicht unterliegen, sind auch nicht mit Hilfe des Herstellungsanspruchs herbeizuführen (BSGE 66, 258, 266 = SozR 3-4100 § 125 Nr 1 mwN). Deshalb bedarf es nicht der tatsächlichen Aufklärung, ob Dienststellen der BA überhaupt eine Beratungspflicht gegenüber dem Kläger verletzt haben.
5. Unter diesen Umständen steht den ablehnenden Bescheiden der BA auch der Einwand der Arglist nicht entgegen. Das aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen herzuleitende Verbot arglistigen Verhaltens ist wegen der Gesetzesbindung von Sozialleistungsträgern (§ 31 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil) nicht geeignet, primäre Leistungspflichten abweichend vom geltenden Recht zu begründen. Sekundäre Einstandspflichten wegen fehlerhaften Verhaltens von Dienststellen der BA bei der Abwicklung des Sozialrechtsverhältnisses können allenfalls unter den Voraussetzungen des Herstellungsanspruchs entstehen (BSGE 71, 17, 22 f = SozR 3-4100 § 103 Nr 8). Diese liegen hier – wie ausgeführt – nicht vor.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch Übg sind danach nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 915558 |
Breith. 1994, 782 |