Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Juni 1992 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 9. August 1990 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Revisions- und des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für die Zeit vom 3. bis 28. Juli 1989 Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) hat.
Nach Abschluß einer Berufsausbildung und anschließendem Besuch einer berufsbildenden Schule meldete sich die 1969 geborene Klägerin am 20. Juni 1989 arbeitslos und beantragte Alg. Vom 3. bis 28. Juli 1989 wirkte sie ehrenamtlich bei einer Ferienmaßnahme der Arbeiterwohlfahrt M. … mit. Im Rahmen dieses Projekts betreute sie täglich von 8.00 bis 17.00 Uhr Kinder. Sie erhielt dafür eine Aufwandsentschädigung von insgesamt 300,– DM, mit der auch die Kosten der Anfahrt mit dem eigenen PKW abgegolten wurden. Die Klägerin wohnte bei ihren Eltern in K. … und hatte ihre Mutter ermächtigt, vom Arbeitsamt eingehende Post zu öffnen und sie gebeten, ihr davon Nachricht zu geben.
Das Arbeitsamt Mayen bewilligte der Klägerin mit Bescheiden vom 16. August 1989 und 17. August 1989 Alg für die Zeit vom 20. Juni bis 1. Juli 1989 sowie ab dem 29. Juli 1989. Für die Zeit vom 3. bis 28. Juli 1989 lehnte es die Gewährung von Alg dagegen ab, da die Klägerin in dieser Zeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 1989 zurückgewiesen.
Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 9. August 1990), weil es im streitigen Zeitraum an der objektiven Verfügbarkeit der Klägerin gefehlt habe. Wegen der täglich ganztags ausgeübten Betreuungstätigkeit sei die Klägerin offensichtlich nicht in der Lage gewesen, daneben eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung auszuüben. Darauf, daß sie die Betreuungstätigkeit jederzeit hätte aufgeben können, komme es nicht an. Der Klägerin könne auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch Alg gewährt werden, da nach der Rechtsprechung die tatsächlich fehlende Verfügbarkeit nicht durch eine Fiktion ersetzt werden könne.
Mit der hiergegen eingelegten Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, das SG habe zu Unrecht den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verneint. Auf ihr Vorbringen, sie sei nicht darauf hingewiesen worden, daß sie ihren Anspruch auf Alg durch die ehrenamtliche Tätigkeit verliere, sei das SG nicht eingegangen.
Mit Urteil vom 30. Juni 1992 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten vom 16. August und 11. September 1989 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alg in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 3. bis 28. Juli 1989 zu gewähren. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Der streitige Leistungszeitraum erreiche zwar die nach § 144 Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderliche Grenze von 13 Wochen (3 Monaten) nicht. Auch habe das SG die Berufung nicht zugelassen. Die Berufung sei jedoch gem § 150 Nr 2 SGG zulässig. Die Klägerin habe sinngemäß zum Ausdruck gebracht, das SG habe seine Amtsermittlungspflicht nach § 103 Abs 1 SGG dadurch verletzt, daß es nicht der Frage nachgegangen sei, ob die Klägerin tatsächlich ohne jede Verzögerung die ehrenamtliche Tätigkeit habe aufgeben können. Die hierin liegende Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels greife durch. Aus seiner rechtlichen Sicht hätte sich das SG gedrängt fühlen müssen, die insoweit benannte Zeugin zu der von der Klägerin aufgestellten Behauptung zu vernehmen, sie sei durch die ehrenamtliche Tätigkeit an der Aufnahme einer beitragspflichtigen Beschäftigung nicht gehindert gewesen. Auch wenn es – wie das SG meine – auf den Grad der Bindung und die Absicht, die Tätigkeit fortzusetzen, für die Frage der Verfügbarkeit nicht ankomme, sei es vom Rechtsstandpunkt des SG aus entscheidungserheblich gewesen, ob die Tätigkeit der Klägerin auf längere Dauer angelegt und planvoll gestaltet gewesen sei. Hierzu hätte es der Vernehmung der von der Klägerin angebotenen Zeugin bedurft. Die demnach statthafte Berufung sei auch begründet. Die Klägerin habe im streitigen Zeitraum alle Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Alg erfüllt. Insbesondere habe sie dem Arbeitsmarkt objektiv zur Verfügung gestanden. Sie sei durch ihre Betreuungstätigkeit nicht gehindert gewesen, ohne Verzug eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Die Ausübung einer ehrenamtlichen karitativen Tätigkeit müsse während der üblichen Arbeitszeit zulässig sein, wenn der Arbeitslose bereit sei, diese Tätigkeit im Falle eines Arbeitsangebots aufzugeben. So liege es hier. Auch sei die Klägerin iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für das Arbeitsamt erreichbar gewesen, da ihre unter derselben Anschrift wohnhafte Mutter ermächtigt gewesen sei, die vom Arbeitsamt eingehende Post zu öffnen, und die Klägerin nach entsprechender telefonischer Benachrichtigung mit dem eigenen PKW die Heimfahrt von 10 km sofort hätte antreten können.
Mit ihrer vom LSG im Urteil zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 150 Nr 2 iVm § 103 SGG sowie der §§ 101 Abs 1 Satz 1 und 103 Abs 1 Satz 1 AFG iVm § 1 Satz 1 Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über den Aufenthalt von Arbeitlosen während des Leistungsbezugs. Zu der gerügten Verletzung des § 150 Nr 2 iVm § 103 SGG führt die Beklagte im wesentlichen aus, die Berufung der Klägerin sei nicht wegen eines Verfahrensmangels zulässig gewesen. Eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes habe nicht vorgelegen. Für die aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Klägerin objektiv verfügbar gewesen sei, sei es aus der Sicht des SG unerheblich gewesen, ob die Klägerin tatsächlich ohne jede Verzögerung die ehrenamtliche Tätigkeit habe aufgeben können. Hierauf habe es auch gar nicht ankommen können, da allein aus der Dauer der Tätigkeit auf die fehlende objektive Verfügbarkeit geschlossen werden könne.
Im übrigen habe das LSG materielles Recht verletzt, weil – das führt die BA näher aus – die Klägerin in der streitigen Zeit der Arbeitvermittlung aus Rechtsgründen objektiv nicht zur Verfügung gestanden habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Juni 1992 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 9. August 1990 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der BA ist begründet, denn das LSG hat zu Unrecht sachlich über die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG entschieden. Die Berufung war unzulässig. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Berufung der Klägerin als unzulässig zu verwerfen.
Die vom SG nicht zugelassene Berufung war gemäß § 144 Abs 1 Nr 2 SGG, der hier nach Art 14 Abs 1 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50) in der vor dem 1. März 1993 geltenden Fassung (aF) weiter Anwendung findet, grundsätzlich ausgeschlossen. Gegenstand der Berufung war nämlich ein Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von weniger als 13 Wochen (3 Monaten), weil die Klägerin weiterhin Alg für die Zeit vom 3. bis 28. Juli 1989 beanspruchte. Entgegen der Auffassung des LSG folgt die Zulässigkeit der Berufung nicht aus § 150 Nr 2 SGG aF. Ob eine grundsätzlich unzulässige Berufung dennoch eröffnet ist, ist vom Revisionsgericht in vollem Umfang zu überprüfen, denn die Zulässigkeit der Berufung ist eine Voraussetzung, von der die Rechtswirksamkeit des gesamten weiteren Verfahrens, mithin auch des Verfahrens in der Revisionsinstanz abhängt. Sie muß deshalb gegeben sein (ständige Rechtsprechung seit BSGE 1, 227, 230; vgl zB SozR 1500 § 150 Nr 18).
Nach § 150 Nr 2 SGG aF ist die Berufung ungeachtet der §§ 144 bis 149 SGG zulässig, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird. Diesem Erfordernis wird nur genügt, wenn die Tatsachen, die den Verfahrensmangel ergeben, genau bezeichnet werden und aus dem Vortrag hervorgeht, welcher Mangel des Verfahrens des SG gerügt wird (vgl BSG aaO). Die ordnungsgemäße Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 103 SGG) erfordert Darlegungen dazu, welche noch gebotenen Ermittlungen das SG unterlassen hat und aus welchen Gründen es auf diese angekommen wäre (BSG, Urteil vom 23. Juli 1992 – 7 RAr 56/91).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren eine mangelnde Sachaufklärung (§ 103 SGG) nicht ordnungsgemäß gerügt.
Die Auffassung des LSG, die Klägerin habe mit Schriftsatz vom 17. September 1991 in Verbindung mit ihrem erstinstanzlichen Vorbringen sinngemäß gerügt, das SG habe seine Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG dadurch verletzt, daß es nicht – durch Vernehmung der angebotenen Zeugin L. … – der Frage nachgegangen sei, ob die Klägerin tatsächlich ohne jede Verzögerung die ehrenamtliche Tätigkeit hätte aufgeben können, findet weder in dem genannten Schriftsatz vom 17. September 1991 noch dem Berufungsbegründungsschriftsatz vom 8. Oktober 1990 eine Stütze. Die Klägerin rügt dort nämlich nur, daß die schriftlichen Gründe des sozialgerichtlichen Urteils sich nicht hinreichend damit auseinandergesetzt hätten, daß sie nach dem ihr vom Arbeitsamt überreichten Merkblatt den Leistungsanspruch nicht verlieren würde, wenn sie eine unentgeltliche Tätigkeit bei einem anerkannten Wohlfahrtsverband ausüben werde. Hätte sich das SG mit diesem Vorbringen befaßt, hätte es über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ihren Anspruch auf Alg bejahen müssen, denn sie sei nicht hinreichend beraten worden. Hieraus ergibt sich, daß die Klägerin ihr Begehren in der Berufungsinstanz ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des ihrer Ansicht nach einschlägigen sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs weiterverfolgt hat. Diesem Vorbringen läßt sich hingegen nicht einmal ansatzweise eine hinreichend substantiierte Rüge dahingehend entnehmen, das SG habe für die Beurteilung der objektiven Verfügbarkeit der Klägerin gemäß § 103 SGG gebotene entscheidungserhebliche Ermittlungen unterlassen.
Selbst wenn die Klägerin aber insoweit ordnungsgemäß gerügt hätte, könnte die Verfahrensrüge nicht greifen, denn der vom LSG angenommene Verfahrensmangel hat tatsächlich nicht vorgelegen.
Voraussetzung für die Zulässigkeit der Berufung ist nämlich weiter, daß ein wesentlicher Verfahrensmangel auch tatsächlich vorlag (ständige Rechtsprechung, vgl zB BSG SozR 1500 § 150 Nr 18; BSGE 29, 10, 19). Verfahrensmängel sind dabei nur solche Mängel, die das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil betreffen; Rügen, die sich auf den sachlichen Inhalt des Urteils beziehen, sind hingegen keine Verfahrensmängel, begründen die Zulässigkeit der Berufung daher nicht (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl 1991, § 150 RdNr 15).
Wird eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, so liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel nur dann vor, wenn sich das SG auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 150 RdNrn 15, 18). Das SG verletzt deshalb seine Pflicht zur Sachaufklärung nicht, wenn es solche Ermittlungen unterläßt, die nach seiner Rechtsauffassung – unabhängig davon, ob diese richtig oder falsch ist – nicht erforderlich sind (BSG SozR Nr 40 zu § 103 SGG und Meyer-Ladewig, aaO, § 103 RdNr 5).
So liegt es hier. Das SG hat, wie die schriftliche Begründung seines Urteils ausweist, seine Auffassung, daß die Klägerin der Arbeitsvermittlung im streitigen Zeitraum nicht zur Verfügung gestanden habe, allein darauf gestützt, daß die Klägerin aufgrund ihrer täglich von 7.00 bis 17.00 Uhr dauernden Betreuungstätigkeit sowie hinzuzurechnenden Hin- und Rückfahrzeiten offensichtlich nicht in der Lage gewesen sei, eine mehr als kurzzeitige abhängige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes auszuüben. In diesem Zusammenhang, so hat das SG weiter ausgeführt, vermöge die glaubhafte Erklärung der Klägerin, im Falle eines Arbeitsangebots diesem sofort nachzugehen und die Betreuungstätigkeit mangels rechtlicher Bindung entsprechend aufzugeben, an der Beurteilung nichts zu ändern. Ein solches Verhalten würde sich mit dem Prinzip der objektiven Verfügbarkeit nicht vereinbaren lassen; denn Leistungen würden gewährt, obwohl feststehe, daß die Klägerin eine Beschäftigung nicht habe ausüben können. Daraus folgt eindeutig, daß aus der rechtlichen Sicht des SG keine weitere Sachverhaltsaufklärung geboten war, denn darauf kam es aus seiner Sicht für die Entscheidung nicht an.
Schließlich ergibt sich die Zulässigkeit der Berufung auch nicht daraus, daß der von der Klägerin behauptete, den von ihr geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch betreffende Verfahrensmangel hier tatsächlich vorliegt. Das SG hatte nämlich von seinem Rechtsstandpunkt aus keine Veranlassung, sich mit den tatsächlichen Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu befassen. Denn nach seiner eindeutigen, in den schriftlichen Entscheidungsgründen des Urteils zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung konnte die fehlende objektive Verfügbarkeit der Klägerin nicht mittels des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden. Der Frage einer etwaigen ungenügenden Beratung der Klägerin mußte das SG nach seiner Rechtsauffassung daher auch nicht nachgehen.
Nach alledem hätte das LSG die Berufung als unzulässig verwerfen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen