Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 25.10.1990) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Oktober 1990 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt Witwerrente nach seiner 1980 verstorbenen Ehefrau (Versicherten).
Die Ehefrau des Klägers stand seit 1950 bis zu ihrem Tod in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Daneben betrieb sie von Juni 1973 bis Ende März 1977 eine Gaststätte. Nachdem die Versicherte den Betrieb der Gaststätte aufgegeben hatte, eröffnete der Kläger im Mai 1977 ein Mietwagenunternehmen, das er auch nach dem Tod der Versicherten bis Juni 1986 weiter betrieb. Nach den Einkommenssteuerbescheiden, die auf Steuerschätzungen des Finanzamtes beruhten, hatten der Kläger und die Versicherte in den Jahren ab 1977 folgende Einkommen:
1977: |
Der Kläger: 2.212,00 DM aus Gewerbebetrieb (Gewerbeanmeldung am 2. Mai 1977). Die Versicherte: 20.828,00 DM aus nicht selbständiger Arbeit sowie aus Gewerbebetrieb (Abmeldung Ende März 1977). |
1978: |
Der Kläger: 8.617,00 DM aus Gewerbebetrieb sowie aus Vermietung und Verpachtung. Die Versicherte: 24.937,00 DM aus nicht selbständiger Tätigkeit. |
1979: |
Der Kläger: 43.244,00 DM aus Gewerbebetrieb und aus Vermietung und Verpachtung. Die Versicherte: 25.652,00 DM aus nicht selbständiger Tätigkeit. |
1980: |
Der Kläger: 15.369,00 DM aus Gewerbebetrieb. Die Versicherte: 12.127,00 DM aus nicht selbständiger Tätigkeit. |
Die Versicherte erkrankte im Mai 1980 und verstarb im Juli 1980. Im November 1987 beantragte der Kläger Witwerrente. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 29. April 1988; Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1989). Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 22. Januar 1990). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abgeändert und sinngemäß die Berufung für die Zeit ab Januar 1983 zurückgewiesen sowie die Klage für die Zeit vorher abgewiesen (Urteil vom 25. Oktober 1990). Das LSG hat den erhobenen Anspruch für die Zeit vor dem 1. Januar 1983 als verjährt angesehen. Im übrigen sei nicht das letzte Jahr vor dem Tod oder vor der Erkrankung der Versicherten für die Frage maßgebend, ob die Versicherte den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten habe, sondern der Zeitraum von Mai 1977 bis Mai 1980. Unter Zugrundelegung dieses letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes stehe dem Einkommen des Klägers in Höhe von insgesamt 59.105,00 DM ein Einkommen der Versicherten in Höhe von 62.813,00 DM gegenüber, so daß dem Kläger die geltend gemachte Witwerrente zustehe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Der Wert der Hausarbeit könne bei dem Kläger und der Versicherten außer Ansatz bleiben. Denn bei dem kinderlosen Haushalt sei anzunehmen, daß beide diese Arbeit in gleicher Weise geleistet hätten. Lege man das letzte Jahr vor der Erkrankung der Versicherten als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand zugrunde, so ergebe sich, daß der Kläger ein höheres Einkommen als die Versicherte gehabt habe.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zurückzuweisen. Zu Recht hat die Vorinstanz den Anspruch des Klägers auf Witwerrente insoweit bejaht, als er noch nicht verjährt ist.
Seit dem 1. Januar 1992 richten sich alle rentenrechtlichen Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch – 6. Buch – (SGB VI). Das gilt selbst dann, wenn die Tatsachen, auf die sich der Anspruch gründet, zu einem Zeitpunkt eingetreten sind, zu dem noch anders lautendes Recht gegolten hat (§ 300 Abs 1 SGB VI). Doch sind die bisherigen Vorschriften noch anzuwenden, wenn der Anspruch, der auf die aufgehobenen Bestimmungen gestützt wird, bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird (§ 300 Abs 2 SGB VI). Da hier der Anspruch des Klägers schon vor Inkrafttreten des SGB VI streitig war, ist weiterhin altes Recht anzuwenden. Insoweit ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß Rechtsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch § 1266 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der am 31. Dezember 1985 geltenden Fassung ist (vgl Art 2 § 19a Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz ≪ArVNG≫). Danach erhält Witwerrente der Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Dies hat das LSG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise für den insoweit maßgebenden letzten wirtschaftlichen Dauerzustand bejaht.
In tatsächlicher Hinsicht ist das LSG davon ausgegangen, daß die Steuerbescheide des Finanzamtes, obwohl sie nur auf Schätzungen beruhen, das Einkommen der Eheleute richtig wiedergegeben haben. Diese Feststellung des LSG ist von den Beteiligten nicht angegriffen worden und damit für das Revisionsgericht bindend (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Gleiches gilt für die darauf beruhende Feststellung des LSG, der Kläger habe in der Zeit von Mai 1977 bis Mai 1980 ein Einkommen von 59.105,00 DM, die verstorbene Versicherte aber selbst nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge ein Einkommen von 62.813,00 DM gehabt. Für die Annahme, die Versicherte habe den Familienunterhalt überwiegend bestritten, genügt allerdings nicht schon, daß sie nach den Feststellungen des LSG in dem maßgeblichen Zeitraum höhere Bezüge erhalten hat als der Kläger und daß sie deshalb in der Lage gewesen ist, mehr als dieser zum gemeinsamen Lebensbedarf beizutragen. Vielmehr kommt es auf den von ihr in Wirklichkeit geleisteten Unterhaltsbeitrag an (BSG SozR Nr 4 zu § 1266 RVO). Doch ist bei Ehegatten, die in häuslicher Gemeinschaft leben und die den ehelichen Aufwand aus ihrem Arbeitsverdienst gemeinsam bestreiten, die Gewährung des überwiegenden Unterhaltes schon dann anzunehmen, wenn der eigene Arbeitsverdienst eines Ehegatten mehr als die Hälfte des Gesamtverdienstes beider Ehegatten beträgt. In derartigen Fällen kann nämlich davon ausgegangen werden, daß das beiderseitige Einkommen in der Regel zusammengelegt und gemeinsam verbraucht wird. Die Annahme ist lediglich dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn das gemeinsame Einkommen so hoch ist, daß sich die Höhe des Familienunterhaltes mit dem Gesamteinkommen der Familie nicht mehr deckt (BSGE aaO). Da ein Fall eines so hohen Einkommens hier nicht vorgelegen hat, ist es nicht zu beanstanden, daß das LSG der Frage nicht weiter nachgegangen ist, ob die Versicherte ihr Einkommen zum Unterhalt der Familie verwendet hat. Das war hier den objektiven Verhältnissen nach nicht zweifelhaft und ist auch von den Beteiligten nicht in Frage gestellt worden.
Das LSG hat auch den Zeitraum des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes richtig bestimmt. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen war in den Verhältnissen der Eheleute die letzte einschneidende Veränderung vor dem Tode der Versicherten im Frühjahr 1977 eingetreten. Zu dieser Zeit hatte die Versicherte ihre selbständige Tätigkeit aufgegeben, während der Kläger eine solche aufgenommen hatte. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), daß der letzte wirtschaftliche Dauerzustand mit der letzten wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung vor dem Tode der Versicherten beginnt und grundsätzlich mit dem Tode der Versicherten endet (BSG SozR Nrn 1, 2, 3, 4, 9, 11 zu § 1266 RVO; SozR 2200 § 1266 Nrn 1, 8, 9, 11, 15, 23). Wenn die äußeren Umstände unverändert bleiben und lediglich das unter Fortbestehen dieser Umstände erzielte Einkommen schwankt, so begründet dies allerdings noch nicht den Beginn eines neuen wirtschaftlichen Dauerzustandes. Maßgebend ist auch in einem solchen Falle der gesamte letzte wirtschaftliche Dauerzustand einschließlich der in ihm enthaltenen Zeiten vorübergehender Einkommensschwankungen bei den Familienmitgliedern (BSG SozR Nr 1 zu § 1266 RVO). Auch davon ist das LSG richtig ausgegangen. Es hat auf den gesamten letzten wirtschaftlichen Dauerzustand und auf dessen Gesamtbild abgestellt, nicht auf einzelne Zeiträume, die aus diesem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand herausgegriffen sind. Wie das LSG richtig ausgeführt hat, kann das letzte Jahr vor dem Tod der Versicherten nur dann mit dem „letzten wirtschaftlichen Dauerzustand” gleichgesetzt werden, wenn die letzte wesentliche Änderung gerade ein Jahr vor dem Tod eingetreten ist oder wenn die Verhältnisse im letzten Jahr repräsentativ für die ganze Dauer des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes sind, wenn die Verhältnisse also seit längerer Zeit unverändert geblieben sind (BSG-Urteil vom 16. März 1989 4/1 RA 17/87). Das ist nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hier nicht der Fall gewesen. Richtigerweise hat das LSG hier den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand nicht vom Zeitpunkt des Todes, sondern vom Eintreten der zum Tod führenden Erkrankung an zeitlich rückwärts bestimmt. Angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Auftreten der Krankheit und dem Tod entspricht es der Billigkeit, als maßgeblichen wirtschaftlichen Dauerzustand die Zeit vor der Feststellung dieses Leidens anzunehmen. Das Leiden der Versicherten war deshalb schon bei seinem Auftreten eine „Vorstufe des Todes”. Ein solcher enger zeitlicher Zusammenhang ist vom BSG auch noch in einem Fall angenommen worden, in dem zwischen Ausbruch der Krankheit und dem Tod sieben Monate lagen (BSG SozR Nr 13 zu § 1266 RVO). Hier waren es nur etwa zwei Monate.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen