Entscheidungsstichwort (Thema)
Landwirtschaftliche Alterskasse – Hinweispflicht – geeigneter Fall – Beitragserstattung – Frist – unbefristeter Anspruch – befristeter Anspruch – Fristversäumung – Herstellungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Hinweispflicht des Versicherungsträgers nach § 44 Abs 2 ALG (Parallelvorschrift zu § 115 Abs 6 SGB 6) kann auch bei Ansprüchen auf Beitragserstattung bestehen (Fortführung von BSG vom 9.12.1997 – 8 RKn 1/97 = BSGE 81, 251 = SozR 3-2600 § 115 Nr 2).
2. Hat die Landwirtschaftliche Alterskasse einen ehemaligen versicherungspflichtigen Landwirt nach Inkrafttreten des ALG nicht rechtzeitig darauf hingewiesen, daß sein nach altem Recht unbefristeter Anspruch auf Beitragserstattung nunmehr nur noch befristet geltend gemacht werden konnte, steht ihm hinsichtlich der Fristversäumung der Herstellungsanspruch iVm § 44 Abs 2 ALG zur Seite.
Stand:28. August 2000
Normenkette
ALG § 44 Abs. 2 S. 1, § 75 Nr. 1, § 76 Abs. 1 S. 1, § 94 Abs. 2, § 117 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; GAL § 27 Abs. 1 S. 1, § 27a Abs. 1 S. 1, Abs. 2; SGB VI § 115 Abs. 6 S. 2
Beteiligte
Landwirtschaftliche Alterskasse Rheinland-Pfalz |
den Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. August 1999 geändert; das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 7. Juli 1998 sowie die angefochtenen Bescheide werden in vollem Umfang aufgehoben.
Die Beklagte wird – über das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. August 1999 hinaus – verpflichtet, dem Kläger auch die andere Hälfte der in der Zeit vom 1. Mai 1965 bis zum 30. November 1993 gezahlten Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtlichen Kosten für sämtliche Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I
Im Verfahren über die Revision des Klägers ist nur noch streitig, ob er die volle Erstattung der von ihm zwischen Mai 1965 und November 1993 zur Beklagten entrichteten Beiträge verlangen kann; das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) hat die Beklagte verurteilt, diese Beiträge zur Hälfte zu erstatten.
Der im Juli 1937 geborene Kläger entrichtete von Mai 1965 bis November 1993 als landwirtschaftlicher Unternehmer Beiträge zur Alterskasse der Rheinischen Landwirtschaft, der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Mit Schreiben der Alterskasse der Rheinischen Landwirtschaft vom 4. März 1994 sowie mit dem Bescheid vom 21. April 1994 über die Feststellung des Endes der Beitragspflicht zum 30. November 1993 war der Kläger auf die Voraussetzungen einer Rentengewährung sowie auf die Möglichkeiten einer Weiterentrichtung freiwilliger Beiträge und einer möglichen Beitragserstattung nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) hingewiesen worden. Seinen Angaben nach hatte er seit Juni 1995 wegen Arbeitsunfähigkeit nicht mehr gearbeitet. Seit dem 1. Januar 1996 bezieht er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) von der Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz (LVA). Seinen erstmals im Mai 1996 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit bindendem Bescheid vom 5. November 1996 ab, weil der Kläger die Wartezeit von fünf Jahren vor Eintritt der EU nicht erfüllt habe; wegen der Beitragslücke nach dem 30. November 1993 seien insoweit die vor dem 1. Januar 1995 zurückgelegten Beitragszeiten nicht anzurechnen (§ 90 Abs 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte ≪ALG≫).
Daraufhin beantragte der Kläger unter dem 15. November 1996, ihm die Beiträge zu erstatten. Das lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. April 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 1998 ab. Der Kläger habe entgegen § 117 Abs 1 ALG den Antrag erst nach Ablauf der Frist von zwei Jahren nach dem Ende der Beitragspflicht – und damit verspätet – gestellt. Der hälftigen Beitragserstattung nach § 75 ALG stehe die Sperrwirkung des § 117 Abs 2 ALG entgegen, denn der Kläger habe am 31. Dezember 1994 keine Beiträge zur Altershilfe für Landwirte gezahlt; eine Beitragserstattung sei nach dem am 31. Dezember 1994 geltenden Recht ausgeschlossen gewesen, da damals (bis längstens 30. November 1995) noch die Berechtigung zur Weiterentrichtung von Beiträgen gemäß § 27 GAL bestanden habe.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Koblenz mit Urteil vom 7. Juli 1998 abgewiesen. Das LSG hat mit Urteil vom 19. August 1999 die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Hälfte der in der Zeit von Mai 1965 bis November 1993 gezahlten Beiträge zu erstatten. Eine volle Erstattung stehe dem Kläger nicht zu, da die Zweijahresfrist des § 117 Abs 1 ALG abgelaufen sei, einerlei, ob man auf das Ende der Beitragspflicht im November 1993 oder auf den Erlaß des Bescheides der Beklagten vom 21. April 1994 abstelle. Dem Kläger stehe insoweit auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht zur Seite, denn eine fehlerhafte oder unterlassene Beratung der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerin liege nicht vor. Auf die mit Wirkung vom 1. Januar 1995 eingeführte Zweijahresfrist auch für die Beitragserstattung nach dem am 29. Juli 1994 verabschiedeten ALG habe die Beklagte nicht hinzuweisen brauchen. Dem Kläger stehe jedoch der hälftige Beitragserstattungsanspruch nach § 75 Nr 1 iVm § 76 Abs 1 Satz 1 ALG zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung des § 117 Abs 1 ALG. Nach dieser Vorschrift habe er einen Anspruch entsprechend den Regeln des GAL auf Erstattung sämtlicher gezahlter Beiträge. Der Beklagten wäre es jedenfalls auch vor Einführung des ALG möglich gewesen, ihn individuell auf die Gesetzesänderung (Einführung einer Zweijahresfrist für die volle Beitragserstattung) hinzuweisen. Eine Pflicht zur spontanen Beratung des Klägers hätte für die Beklagte ferner anläßlich des Ablaufs der Frist nach § 27 GAL bestanden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Änderung bzw Aufhebung der angefochtenen Urteile und Bescheide zu verurteilen, ihm auch die andere Hälfte der in der Zeit vom 1. Mai 1965 bis zum 30. November 1993 gezahlten Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch folge weder aus den gesetzlichen Regelungen noch aus den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, auch nicht unter Berücksichtigung der Hinweispflicht nach § 44 Abs 2 ALG; letztere beziehe sich im übrigen nur auf Rentenanträge. Ein Verstoß gegen den Eigentumsschutz nach Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG) sei ebensowenig ersichtlich wie eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes nach Art 3 Abs 1 GG oder des im Rahmen des Art 2 Abs 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) zu prüfenden Rechtsstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG).
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) erklärt.
II
Die Revision des Klägers ist begründet.
Zu Recht verlangt er von der Beklagten, ihm auch die vom LSG nicht zugesprochene Hälfte der umstrittenen Beiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse zu erstatten. Gegenstand der Entscheidung des Senats ist nicht, ob das LSG andererseits dem Kläger zu Recht den Anspruch zugesprochen hat, ihm die eine Hälfte der umstrittenen Beiträge zu erstatten (§ 75 Nr 1 iVm § 76 Abs 1 Satz 1 ALG). Die Beklagte hat gegen ihre entsprechende Verurteilung kein Rechtsmittel eingelegt. Im vorliegenden Verfahren streitig ist damit lediglich der Anspruch des Klägers auf Erstattung der verbleibenden Hälfte der von ihm entrichteten Beiträge.
Dieser Anspruch ist aus § 117 Abs 1 ALG iVm den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründet.
Nach der Übergangsvorschrift des § 117 Abs 1 Satz 1 ALG werden
„Personen, die am 31. Dezember 1994
- für 180 Kalendermonate Beiträge als Landwirt an die landwirtschaftliche Alterskasse gezahlt haben,
- als Landwirt oder unabhängig von einer Tätigkeit als Landwirt oder mitarbeitender Familienangehöriger nicht beitragspflichtig waren und
- mit den gezahlten Beiträgen bei Vollendung des 65. Lebensjahres einen Anspruch auf Rente wegen Alters nicht gehabt hätten,
… innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach dem Ende der Beitragspflicht auf Antrag die Beiträge, die sie als Landwirt entrichtet haben, erstattet”.
Der Kläger hat die Voraussetzungen nach Buchst a) bis c) dieser Vorschrift erfüllt; die Zweijahresfrist hat er jedoch nicht eingehalten: Er hat seinen Antrag auf Beitragserstattung am 15. November 1996 gestellt, also über zwei Jahre nach Verstreichen jener Frist. Hierbei kann der Senat offenlassen, ob sie im Falle des Klägers – dem Wortlaut des § 117 Abs 1 Satz 1 ALG folgend – mit dem Ende der Beitragspflicht (30. November 1993) begann oder mit der Erteilung des Bescheides vom 21. April 1994 über die Feststellung des Endes der Beitragspflicht (so der Kommentar Alterssicherung der Landwirte, herausgegeben vom Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen, § 117 Erl zu Abs 1, S 1.2; vgl zur Frist des früheren § 27 Abs 1 Satz 1 GAL: BSG vom 19. März 1976, SozR 5850 § 27 Nr 1; ferner zu § 85 Abs 3a ALG die Senatsurteile vom 28. März 2000 – B 10 LW 2 und 4/99 R).
Die Beklagte ist jedoch nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verpflichtet, den Kläger so zu stellen, als hätte er die Beitragserstattung rechtzeitig beantragt. Denn die Beklagte hat dem Kläger gegenüber ihre Hinweispflicht nach § 44 Abs 2 Satz 1 ALG verletzt. Hiernach sollen die landwirtschaftlichen Alterskassen die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, daß sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen.
Zu der Parallelvorschrift des § 44 Abs 2 ALG im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, § 115 Abs 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), sind in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bereits zwei grundsätzliche Fragen geklärt: Die aus Satz 1 dieser Vorschrift folgenden Pflichten der Versicherungsträger sind nicht davon abhängig, daß die Träger der Rentenversicherung in den – in ihr Ermessen gestellten – gemeinsamen Richtlinien nach § 115 Abs 6 Satz 2 SGB VI (= § 44 Abs 2 Satz 2 ALG) bestimmt haben, unter welchen Voraussetzungen solche Hinweise erfolgen sollen (BSG vom 9. Dezember 1997, BSGE 81, 251, 255 = SozR 3-2600 § 115 Nr 2; BSG vom 22. Oktober 1996, BSGE 79, 168, 173 f = SozR 3-2600 § 115 Nr 1); gleichfalls geht der Senat mit der zitierten Rechtsprechung davon aus, daß eine Verletzung der Hinweispflicht nach § 115 Abs 6 SGB VI oder § 44 Abs 2 ALG den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen kann (BSG aaO, BSGE 81, 251, 255; BSGE 79, 168, 173).
Die mit dem Inkrafttreten des ALG entstandene Rechtslage, nach der – gegenüber den früheren Vorschriften (§ 27a Abs 1 GAL) – nur noch eine zeitlich sehr eingeschränkte Möglichkeit eingeräumt wurde, die volle Erstattung der nach dem GAL gezahlten Beiträge zu verlangen, ist ein „geeigneter Fall” iS des § 44 Abs 2 Satz 1 ALG. Ein solcher liegt – jedenfalls – dann vor, wenn es naheliegt, daß ein Versicherter eine Leistung in Anspruch nehmen will und der Anspruch ohne weitere Ermittlungen lediglich aus dem Versicherungskonto ersichtlich ist (so die Formulierung in den zum 1. Juli 1998 in Kraft getretenen gemeinsamen Richtlinien ≪DAngVers 1998, 449≫). Ein geeigneter Fall in diesem Sinne ist – nach der Rechtsprechung – auch bei typischen Sachverhalten anzunehmen, die eine (zB mit Mitteln der EDV) abgrenzbare Gruppe von Versicherten betreffen: Sobald es dem Versicherungsträger möglich ist zu erkennen, daß die Angehörigen dieser Gruppe einen Antrag aus Unwissenheit nicht stellen, die Antragstellung in der Regel jedoch zu höheren Leistungen führt, sollen die Versicherungsträger darauf hinweisen (BSG aaO, BSGE 81, 251, 256; vgl BSGE 79, 168, 175).
Eine derartige Hinweispflicht beschränkt sich nicht nur auf Rentenansprüche. Zwar hat das BSG im Rahmen der Parallelvorschrift des § 115 Abs 6 SGB VI bislang nur über Rentenfälle entschieden. Es hat jedoch nicht ausgeschlossen, daß auch andere Ansprüche unter diese Vorschrift fallen können. Dem entspricht nicht nur der Wortlaut, sondern auch die systematische Einordnung des Abs 6 in die Vorschrift des § 115 SGB VI. In § 115 Abs 6 SGB VI wird die Hinweispflicht allgemein auf die Möglichkeit des Anspruchs auf „eine Leistung” bezogen; die Regelung des § 115 SGB VI (im Sechsten Abschnitt ≪„Durchführung”≫, Erster Unterabschnitt ≪„Beginn und Abschluß des Verfahrens”≫ des Zweiten Kapitels ≪„Leistungen”≫ des SGB VI) bezieht sich insgesamt auf sämtliche Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Nichts anderes gilt im Rahmen des § 44 Abs 2 ALG (im Siebten Abschnitt ≪„Durchführung”≫, Erster Unterabschnitt ≪„Beginn und Abschluß des Verfahrens”≫ des Zweiten Kapitels ≪„Leistungen”≫ des ALG). Die Gesetzesbegründung des ALG (BT-Drucks 12/5700 S 79) verweist allgemein auf die Regelung in der gesetzlichen Rentenversicherung; die Begründung zu § 115 Abs 6 SGB VI wiederum (BT-Drucks 11/5530 S 46 zu § 116 Abs 6 ff des Entwurfs) führt zwar als geeignete Fälle die Regelaltersrente und die Hinterbliebenenrente an, dies jedoch ausdrücklich nur als Beispiele. Nach dieser Begründung der auf Vorschlag des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung in § 115 SGB VI eingefügten Regelung handelt es sich um eine Vorschrift, die das Antragsverfahren und die sich daraus ergebenden Härten für materiell Berechtigte betrifft. Kernpunkte der Regelungsmotivation sind diese Härten, insbesondere der Anspruchsverlust bei verspätetem Antrag, und nicht die besondere Qualität der entgangenen Leistung. Das rechtfertigt es, unter dem Begriff der Leistung hier auch eine Beitragserstattung zu verstehen.
Daß die Voraussetzungen der Hinweispflicht im vorliegenden Fall erfüllt sind, ergibt sich aus dem Zusammenhang, in dem der Kläger seinen Anspruch auf Beitragserstattung geltend macht.
Endete die Beitragspflicht zur Alterskasse wegen Aufgabe der Landwirtschaft vor Vollendung des 60. Lebensjahres, so entfiel damit nach dem GAL grundsätzlich jeder Rentenanspruch, da das Lückenlosigkeitsprinzip die Beitragsentrichtung entweder bis zum 60. Lebensjahr oder bis zum Versicherungsfall der EU (für das vorzeitige Altersgeld) voraussetzte (§ 2 Abs 1 Buchst b, Abs 2 Buchst b GAL). Diese Rechtsfolge einer Betriebsaufgabe konnte der ehemalige landwirtschaftliche Unternehmer nur dadurch vermeiden, daß er sich für die Beitragsweiterentrichtung nach § 27 GAL entschied. Hierfür galt nach § 27 Abs 1 Satz 1 GAL eine Frist von zwei Jahren nach dem Ende der Beitragspflicht oder nach der Zustellung des Bescheides über die Aufnahme in das Mitgliederverzeichnis (gemeint sind die Fälle nachträglicher Erfassung, in klaren Fällen jedoch nicht der Bescheid über die Löschung im Mitgliederverzeichnis: BSG vom 19. März 1976, SozR 5850 § 27 Nr 1).
Machte der frühere Landwirt hiervon keinen Gebrauch, stand ein – unbefristetes – Recht auf (volle) Beitragserstattung zu, wenn 180 Monatsbeiträge gezahlt waren, keine Beitragspflicht bestand, mit den gezahlten Beiträgen kein Anspruch auf Altersgeld bei Vollendung des 65. Lebensjahres erworben wurde und außerdem keine Berechtigung zur Weiterentrichtung nach § 27 GAL erlangt worden war (§ 27a Abs 1 Satz 1 GAL). Dies schloß nicht aus, bereits vor Ablauf der Zweijahresfrist nach § 27 Abs 1 Satz 1 GAL einen Anspruch auf Beitragserstattung zu erwerben, wenn der Betroffene das Recht zur Weiterentrichtung bereits vor Ablauf jener Frist durch formfreie, empfangsbedürftige und unwiderrufliche Erklärung gegenüber der Alterskasse endgültig ausgeschlagen hatte: Dann stand ihm schon zu diesem Zeitpunkt der Beitragserstattungsanspruch zu (BSG vom 21. Juli 1992, SozR 3-5850 § 27a Nr 2).
Diese Rechtslage änderte sich mit Inkrafttreten des ALG zum 1. Januar 1995: Das neue Recht kennt lediglich noch einen Anspruch auf hälftige Beitragserstattung nach den §§ 75, 76 Abs 1 ALG. Voraussetzung hierfür ist, daß der Versicherte die Wartezeit von 15 Jahren bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr erfüllen kann. Diesen Anspruch hat das LSG dem Kläger zugebilligt, nachdem sich die Beklagte zunächst auch gegen den Anspruch nach § 75 ALG auf die Ausschlußklausel der Übergangsvorschrift des § 117 Abs 2 ALG berufen hatte: „Beiträge für Zeiten vor dem 1. Januar 1995 werden nicht erstattet, soweit am 31. Dezember 1994 keine Beiträge zur Altershilfe gezahlt wurden und nach dem am 31. Dezember 1994 geltenden Recht eine Erstattung von Beiträgen ausgeschlossen war.” Insoweit hat die Beklagte keine Revision eingelegt.
Darüber hinaus enthält das ALG in zweierlei Hinsicht Übergangsrecht: Nach § 94 Abs 2 ALG sind durch dieses Gesetz aufgehobene und ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Dies bedeutet, daß ein Anspruch auf volle Beitragserstattung nach § 27a GAL jedenfalls bis zum 31. März 1995 geltend gemacht werden konnte.
Eine spezifische Übergangsvorschrift für die Beitragserstattung stellt § 117 Abs 1 ALG dar: Personen, die am 31. Dezember 1994 die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung nach § 27a GAL erfüllt hatten, werden innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach dem Ende der Beitragspflicht auf Antrag die als Landwirt entrichteten Beiträge erstattet. Dies bedeutet, daß die unbefristete – altrechtliche – Möglichkeit einer Beitragserstattung ersetzt wurde durch eine fristgebundene, die – wenn das Ende der Beitragspflicht länger als zwei Jahre zurücklag – im Extremfall nach Inkrafttreten des ALG nur noch für drei Monate (§ 94 Abs 2 ALG) wahrgenommen werden konnte, um dann zu erlöschen. Im Falle des Klägers endete jene Zweijahresfrist am 30. November 1995.
Hieraus wird deutlich, daß das Agrarsozialreformgesetz 1995 (ASRG 1995) den Betroffenen ein ihnen nach dem GAL ohne weiteres zustehendes, jederzeit ohne zeitliche Einschränkung abrufbares „Guthaben” in Höhe der zur Alterskasse entrichteten Beiträge (unter Anrechnung etwa gewährter Beitragszuschüsse) ersatzlos entzogen hat (wenn auch, folgt man der Rechtsansicht des LSG, „nur” zur Hälfte).
Der Senat hat anläßlich der vorliegenden Fallkonstellation Bedenken, ob die in § 117 Abs 1 Satz 1 ALG geregelte Zweijahresfrist nicht auf einem Redaktionsversehen beruht. Denn es ist kein Grund ersichtlich, dem Personenkreis, dem der Kläger angehört (oder solchen Landwirten, deren Beitragspflicht bereits mehr als zwei Jahre vor Inkrafttreten des ALG am 1. Januar 1995 geendet hatte), die nach altem Recht ohne zeitliche Begrenzung weitergeltenden Erstattungsansprüche ersatzlos (folgt man dem LSG: jedenfalls zur Hälfte) zu entziehen. Die Materialien (BT-Drucks 12/7599 S 19 zu § 119 des Entwurfs: „Abs 1 regelt die Erstattung von Beiträgen entsprechend dem geltenden Altershilferecht …”) erwecken insoweit den Eindruck, als habe der Gesetzgeber angenommen, lediglich altes Recht fortzuführen und jedenfalls keine Eingriffe in bestehende Rechte vornehmen wollen, die ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken auslösen könnten (ohne derartige Bedenken: Bayerisches LSG vom 15. Juli 1998 – L 16 LW 28/97, Volltext in JURIS).
Zur Rechtfertigung eines solchen Eingriffs kann jedenfalls nicht auf die Argumentation im Senatsurteil vom 2. Dezember 1999 (B 10 LW 15/98 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) zurückgegriffen werden. In dem zitierten Urteil hatte der Senat die Abschaffung der Beitragserstattung an mitarbeitende Familienangehörige nach § 27a Abs 2 GAL durch das ASRG 1995 damit gerechtfertigt, daß der damaligen Klägerin die aus den entrichteten Beiträgen folgenden Ansprüche erhalten bleiben und auch die Wartezeit von 15 Jahren noch ggf unter Anrechnung der Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung – bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres – noch erfüllt werden kann. Dies trifft jedoch auf den Kläger nicht zu. Seine Beiträge nach dem GAL als Landwirt werden – im Gegensatz zu jenen eines mitarbeitenden Familienangehörigen: § 90 Abs 7 ALG – nach dem 1. Januar 1995 nicht mehr angerechnet, wenn die Beitragszahlung vor dem 31. Dezember 1994, vor Vollendung des 60. Lebensjahres oder dem Eintritt der EU eingestellt worden war (§ 90 Abs 1 ALG).
Den angesprochenen Bedenken muß der Senat jedoch nicht nachgehen. Denn aus der Hinweispflicht der Alterskassen nach § 44 Abs 2 ALG iVm dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch folgt auch für die Fallkonstellation des Klägers eine sowohl stimmige als auch verfassungskonforme Lösung.
Auf der geschilderten Grundlage muß es als (zumindest) naheliegend angesehen werden, daß der betroffene Personenkreis – soweit er nicht von der nach § 84 Abs 3 ALG (in Fortführung der Regelung des § 27 Abs 1 GAL) vorgesehenen Möglichkeit der Weiterentrichtung von Beiträgen Gebrauch machte, jedenfalls die – neuerdings befristete – Möglichkeit der Beitragserstattung in Anspruch nehmen wollte (anders als zB bei der im zitierten Urteil vom 2. Dezember 1999 – B 10 LW 15/98 R – entschiedenen Fallkonstellation, bei der nicht derart eindeutig von einem Erstattungsbegehren ausgegangen werden konnte).
Jener Personenkreis war für die Alterskassen auch ohne Schwierigkeiten aus ihrem Datenbestand zu entnehmen: Es handelte sich um diejenigen früheren Versicherten mit zumindest 180 Kalendermonaten an Beiträgen als Landwirt, die am 31. Dezember 1994 nicht beitragspflichtig waren, mit den gezahlten Beiträgen bei Vollendung des 65. Lebensjahres einen Anspruch auf Rente wegen Alters nicht gehabt hätten (§ 117 Abs 1 Satz 1 Buchst a bis c ALG) und die ferner nicht bereits nach § 84 Abs 3 ALG eine Erklärung über die Fortsetzung der Versicherungspflicht abgegeben hatten. Auch die Beklagte stellt (in ihrem Schriftsatz vom 28. April 2000) nicht in Abrede, daß dieser Personenkreis für die Alterskassen aus den Versicherungskonten ermittelbar ist.
Gegen eine Hinweispflicht nach § 44 Abs 2 ALG kann in der vorliegenden Fallkonstellation nicht die Unsicherheit sprechen, ob sich die Betroffenen nicht bis zum letzten Tage der – mit der Frist zur Beantragung einer Beitragserstattung nach § 117 Abs 1 ALG übereinstimmenden – Frist zur Erklärung über die Fortführung der Versicherungspflicht nach § 84 Abs 3 ALG noch für die Beitragsweiterentrichtung entscheiden würden. Denn mit der hierfür geltenden Frist lief gleichzeitig auch die Frist für die Beantragung der Beitragserstattung ab. Jedenfalls bei einem derartigen Zusammentreffen kann dies den Träger von seiner Hinweispflicht auch dann nicht entbinden, wenn hinsichtlich der Möglichkeit der Weiterentrichtung keine derartige Hinweispflicht bestand. Dem Kläger waren aus Anlaß der Beendigung seiner Beitragspflicht bereits entsprechende Hinweise gegeben worden. Den damaligen Hinweisen auch auf die Möglichkeit einer Beitragserstattung kam jedoch nicht die hier geforderte Wirkung zu. Auf die erst durch das ASRG 1995 eingeführte Zweijahresfrist ist damals noch nicht hingewiesen worden.
Der Senat hat schließlich keinen Zweifel daran, daß der Kläger einen entsprechenden Antrag gestellt hätte, wenn er auf die nur noch zeitlich begrenzt bestehende Frist zur Beantragung der Beitragserstattung hingewiesen worden wäre. Eine andere Handlungsweise zu unterstellen, wäre lebensfremd.
Die Anwendung der Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch scheitert im vorliegenden Fall auch nicht etwa daran, daß bei Versäumung der Zweijahresfrist des § 117 Abs 1 Satz 1 ALG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 SGB X) ausgeschlossen wäre (ob in einem solchen Fall der Herstellungsanspruch einspringen kann, ist vom Senat bisher offengelassen worden, vgl Urteil vom 28. März 2000 – B 10 LW 4/99 R). Dies läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen; im Gegenteil ist daraus, daß ein entsprechender Ausschluß bei anderen Übergangsvorschriften des ALG ausdrücklich geregelt ist – vgl § 85 Abs 3 Satz 3 ALG –, zu entnehmen, daß dies in anderen Zusammenhängen nicht gilt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 514936 |
DStR 2001, 40 |
SozR 3-5868 § 44, Nr. 1 |