Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Anrechnung von Arbeitslosengeld (Alg) auf die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente)

 

Beteiligte

…, Kläger und Revisionsbeklagter

Bundesknappschaft, Bochum, Königsallee 175, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Streitig ist, ob die Anrechnung von Arbeitslosengeld (Alg) auf die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente) entfällt, weil der Kläger "nach Beginn der Rente" eine die Beitragspflicht nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) begründende Beschäftigung von 26 Wochen oder sechs Monaten ausgeübt hat (§ 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Reichsknappschaftsgesetz [RKG] = § 1283 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Reichsversicherungsordnung [RVO], § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Angestelltenversicherungsgesetz [AVG]).

Nach einem Herzinfarkt wurde der im Jahre 1948 geborene Kläger am 25. März 1989 arbeitsunfähig. Er bezog im Anschluß an die Lohnfortzahlung vom 7. Mai 1989 bis zur Beendigung der knappschaftlich versicherungspflichtigen Beschäftigung am 30. April 1990 Krankengeld (Krg), unterbrochen durch die Zahlung von Übergangsgeld (Übg) für die Dauer einer Rehabilitationsmaßnahme vom 31. Oktober 1989 bis 12. Dezember 1989 (Antrag vom 14. September 1989). Eine weitere Rehabilitationsmaßnahme fand in der Zeit vom 29. Januar 1991 bis 26. Februar 1991 statt.

Auf Antrag vom 26. Oktober 1989 gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 21. März 1990 ab 13. Dezember 1989 unter Annahme des Eintritts des Versicherungsfalles der BU am 25. März 1989 BU-Rente. Vom "fiktiven Rentenbeginn" am 1. September 1989 (Monat des Antrags auf die erste Rehabilitationsmaßnahme) an bis zum Ende des Heilverfahrens am 12. Dezember 1989 habe Anspruch auf Übg bestanden, so daß für diese Zeit keine BU-Rente gewährt werden könne.

Im November 1991 teilte das Arbeitsamt (ArbA) Saarbrücken der Beklagten mit, es gewähre dem Kläger ab Antragstellung (9. Oktober 1991) Alg in Höhe von 451,20 DM wöchentlich für eine Anspruchsdauer von 468 Tagen aufgrund einer die Beitragspflicht nach dem AFG begründenden Beschäftigung vom 8. April 1963 bis 30. April 1990. Die Beklagte stellte daraufhin mit streitigem Bescheid vom 27. November 1991 das Ruhen der BU-Rente in Höhe des Alg nach § 80 Abs 1 Satz 1, Abs 2 RKG für die Zeit ab 1. November 1991 fest, kürzte die laufende Rente ab 1. Januar 1992 von (netto) 2.606,48 DM auf (netto) 770,55 DM monatlich und ließ sich vom ArbA die Überzahlung von 3.671,86 DM für die Monate November und Dezember 1991 nach § 103 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erstatten.

Mit Gerichtsbescheid vom 11. Oktober 1993 hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. November 1991 die ungekürzte BU-Rente zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 27. September 1994): Mit den Zeiten des Bezugs von Übg vom 1. September 1989 bis 12. Dezember 1989 seien die Voraussetzungen für die Nichtanrechnung des Alg nach § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG erfüllt. Es sei nicht auf den tatsächlichen Beginn der BU-Rente abzustellen. Vielmehr sei der "fiktive" Rentenbeginn maßgeblich, dh der Zeitpunkt, von dem ab BU-Rente zu zahlen gewesen wäre, wenn nicht anstelle der Rente Übg bzw vorgezogenes Übg gezahlt worden wäre. Ob überhaupt und mit welchem zufälligen Endzeitpunkt eine Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt werde, sei offen. Es entspreche deshalb dem Gleichbehandlungsgebot, auf den "fiktiven" Rentenbeginn abzustellen. Zu einer Doppelleistung von Alg und BU-Rente könne es im übrigen auch dann kommen, wenn man der Rechtsauffasssung der Beklagten folge.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 40d, 80 und 82 RKG. Sie ist der Meinung, bei Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG sei auf den tatsächlichen Rentenbeginn abzustellen, der nicht nur in den Fällen der Zahlung von Übg wegen einer Rehabilitationsmaßnahme, sondern auch bei "verspäteter" Antragstellung und bei Gewährung einer Rente auf Zeit verschoben werde und von der Antragstellung bzw dem Eintritt des Versicherungsfalles abweiche. Übg und Rente seien materiell-rechtlich verschiedene Ansprüche. Neben dem Anspruch auf Übg bestehe kein Anspruch auf Knappschaftsrente. Die Einbeziehung von Zeiten des Bezugs von Übg vor dem tatsächlichen Rentenbeginn führe zu sozialpolitisch unerwünschten Doppelleistungen. Es entspreche nicht dem Sinn und Zweck der Gleichstellung von Zeiten des Bezugs von Übg mit Zeiten einer die Beitragspflicht nach dem AFG begründenden Beschäftigung (§ 107 Satz 1 Nr 5 Buchst a AFG), wenn ein Versicherter während des - den Rentenausschluß bewirkenden - Bezugs von Übg Anwartschaften ansammle, die ihm später den Bezug von Doppelleistungen ermöglichten. Der Kläger erhalte zusätzlich zur BU-Rente die volle Lohnersatzleistung. Die Argumentation des LSG überzeuge nicht. Ob überhaupt eine Rehabilitationsmaßnahme durchzuführen sei, regele § 7 Abs 1 Satz 1 Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG). Bis zum Abschluß der Maßnahme werde grundsätzlich von deren Erfolgsaussicht ausgegangen. Rehabilitanden und Rentner seien deshalb unterschiedliche Personengruppen und auch dann nicht miteinander vergleichbar, wenn die Rehabilitationsmaßnahme nicht zum Erfolg führe.

Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 27. September 1994 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 11. Oktober 1993 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27. November 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1992 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 27. September 1994 zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend. Die Ausnahmevorschrift des § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG sei keinesfalls auf die Fälle der Weiterarbeit nach Eintritt des Versicherungsfalles der BU beschränkt, denn die Gleichstellungstatbestände für eine nach dem AFG beitragspflichtige Beschäftigung nach § 107 Satz 1 Nr 5 Buchst a AFG seien zu berücksichtigen. Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig, so daß eine Auslegung nach dem mutmaßlichen Zweck des Gesetzes zurücktreten müsse.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

Anzuwenden ist das Recht vor und nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 95 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) am 1. Januar 1992. § 300 Abs 1 SGB VI bestimmt zwar, daß das neue Recht ab 1. Januar 1992 auf einen Sachverhalt (hier das Zusammentreffen von BU-Rente und Alg vor und nach dem 1. Januar 1992) auch dann anzuwenden ist, wenn dieser bereits vor dem 1. Januar 1992 bestanden hat. Als Sonderregelung (§ 300 Abs 5 SGB VI) relativiert jedoch § 313 SGB VI diese Aussage: War am 31. Dezember 1991 eine BU-Rente ohne Berücksichtigung von Alg ("ruhensfrei") zu leisten, verbleibt es dabei.

Die Beklagte hat zu Recht das Ruhen der BU-Rente in Höhe des für denselben Zeitraum bezogenen Alg nach § 80 Abs 1 Satz 1 RKG (= § 1283 Abs 1 Satz 1 RVO, § 60 Abs 1 Satz 1 AVG; ähnlich § 95 Satz 1 SGB VI) angeordnet und die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG (= § 1283 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RVO, § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AVG) verneint: Der Kläger hat keine die Beitragspflicht nach dem AFG begründende Beschäftigung von 26 Wochen oder sechs Monaten (1) ausgeübt, die nach Beginn der Rente liegt. Insoweit ist auf den tatsächlichen Rentenbeginn, den 13. Dezember 1989, abzustellen (2).

(zu 1) Das alte Recht ist als das für den Kläger günstigere über § 313 SGB VI weiterhin anzuwenden. Die ab 1. Januar 1992 geltende Neufassung des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI setzt den Erwerb einer neuen Anwartschaftszeit nach dem AFG - und damit nach § 104 Abs 1 Satz 1 AFG (in der ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung des Art 1 § 1 Nr 63 des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes [AFKG] vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1497) eine die Beitragspflicht nach dem AFG begründende Beschäftigung von in der Regel 360 Tagen innerhalb der Rahmenfrist des § 104 Abs 3 AFG - voraus. Nach der Vorläuferregelung des § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG (= § 1283 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RVO, § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AVG) ist dagegen eine die Beitragspflicht nach dem AFG begründende Beschäftigung von 26 Wochen oder sechs Monaten ausreichend. Der Gesetzgeber hat damit die Anrechnungsfreiheit des Alg auf das ursprüngliche Regelungsziel zurückgeführt und die seit 1. Januar 1982 bestehende Diskrepanz zwischen den Bestimmungen für den Erwerb einer Anwartschaftszeit nach dem AFG und den rentenrechtlichen Anrechnungsvorschriften beseitigt. Sinn und Zweck der Regelung des § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG - ebenso wie des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI - ist es, Alg, das aufgrund einer während und trotz des Bezugs einer BU-Rente mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen neu erworbenen Anwartschaft gezahlt wird, nicht auf die BU-Rente anzurechnen (so BSG vom 23. April 1974, SozR 2200 § 1294 Nr 1 S 4). Denn ebenso wie das Arbeitsentgelt für eine neben dem Rentenbezug ausgeübte Beschäftigung zur Aufstockung der als Teilrente konzipierten BU-Rente anrechnungsfrei bleibt, soll generell auch die Lohnersatzleistung Alg für dieses (in der Regel geminderte) Entgelt nicht zur Kürzung der BU-Rente führen.

Die beschriebenen Zusammenhänge rechtfertigen nicht, den bis 31. Dezember 1991 geltenden § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG - einschränkend - dahingehend auszulegen, daß bereits ab 1. Januar 1982 nur eine die Beitragspflicht nach dem AFG begründende Beschäftigung von 52 Wochen oder zwölf Monaten nach Beginn der BU-Rente deren Ruhen bei Zusammentreffen mit Alg ausschließt (so Kasseler Komm, Funk, § 1283 RVO RdNr 7). Eine solche Auslegung widerspricht dem Gesetzeswortlaut. Entscheidend ist aber, daß es dann der Regelung des § 313 SGB VI nicht bedurft hätte. Der Gesetzgeber hat die für die Versicherten günstige Rechtslage vor dem 1. Januar 1992 ausdrücklich sanktioniert, denn "der bisherige Rechtszustand hinsichtlich des Zusammentreffens mit Alg sollte aufrechterhalten werden" (BT-Drucks 11/4124 S 208).

Eine die Beitragspflicht nach dem AFG begründende Beschäftigung insbesondere als Arbeitnehmer (§ 168 Abs 1 AFG) hat der Kläger nach Eintritt des Versicherungsfalles der BU nicht ausgeübt. Nach den §§ 107 Satz 1 Nr 5 Buchst a, 186 Abs 1 AFG sind jedoch Zeiten des Bezugs von Krg und Übg gleichgestellt. Die Gesamtschau von § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG und § 186 Abs 1 AFG gebietet nicht, wie die Revision offenbar meint, Zeiten des Bezugs von Krg und Übg mit Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung nach dem AFG nur dann gleichzustellen, wenn auch das Beschäftigungsverhältnis, aufgrund dessen Beiträge nach dem AFG wegen Entgeltersatzleistungen (Krg, Versorgungs-Krg, Verletztengeld, Übg) gezahlt wurden, nach Beginn der BU-Rente oder wenigstens nach Eintritt des Versicherungsfalles der BU (also in der Regel mit gegenüber früher gemindertem Entgelt) entweder neu begründet oder fortgeführt wurde. Denn die verminderte Leistungsfähigkeit des BU-Rentners bleibt (auch aus sozialpolitischen Gründen, vgl BT-Drucks 8/4022, S 91) bei der Bemessung des Alg trotz eingeschränkter Verfügbarkeit nach den §§ 103 Abs 1 Satz 2, 112 Abs 8 Satz 2 AFG unberücksichtigt. Deshalb könnte die von der Revision befürwortete Auslegung unerwünschte Doppelleistungen aus "vollem" Alg aufgrund noch uneingeschränkter Berufsausübung einerseits und aus der wegen des nur noch eingeschränkten Leistungsvermögens gezahlten BU-Rente andererseits vermeiden. Der Senat kann sich dem jedoch nicht anschließen: Für eine solche Auslegung bietet der Gesetzeswortlaut

- sowohl des § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG als auch des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI - keinen Anhalt. Das Gesetz stellt lediglich - generalisierend und pauschalierend - auf die nach Rentenbeginn zurückgelegten Anwartschaftszeiten ab. Zu einer echten Doppelleistung kommt es überdies nur, soweit durch "volles" Alg und BU-Rente zusammen das frühere volle Arbeitsentgelt überschritten wird. Ansonsten ersetzt das anrechnungsfrei gestellte Alg das Entgelt aufgrund der verbliebenen Restleistungsvermögens, denn die BU-Rente (Zahlbetrag 2/3 der Erwerbsunfähigkeitsrente [EU-Rente]) schafft keinen vollen Ausgleich.

Der maßgebende Gesichtspunkt ist aber, daß der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit sozialversicherungsrechtliche Massenerscheinungen generalisierend und pauschalierend regeln darf, ohne gegen das Gleichbehandlungsgebot zu verstoßen. Das og Regelungsziel hat der Gesetzgeber in der überwiegenden Zahl der Fälle verwirklicht. Dann ist unerheblich, ob es im Einzelfalle zu Begünstigungen bzw Benachteiligungen kommt (vgl BVerfGE 78, 214, 227; 84, 348, 360 mwN). Zwar kann - anders als im vorliegenden Fall - durch den Bezug von Übg und vor allem Krg (Leistungsdauer längstens 78 Wochen, § 48 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]) noch nach Beginn der BU-Rente ggf die Anwartschaftszeit nach dem AFG bzw eine Beitragszeit von 26 Wochen oder sechs Monaten aufgrund früherer, uneingeschränkter Berufsausübung erfüllt werden, so daß es nicht zu einem Ruhen der BU-Rente kommt. Solche Fälle können jedoch nicht als typisch angesehen werden.

Denn der Versicherte wird bestrebt sein, den Rentenantrag hinauszuschieben, um das (gegenüber der Rente in der Regel höhere) Krg bzw Übg (dies ggf mit einem Krg-Spitzbetrag) möglichst lange auszunutzen. Auch wird er meist nicht in der Lage sein, die Rentenantragstellung derart zu steuern, daß das Alg anrechnungsfrei bleibt. Schließlich muß er immer damit rechnen, daß der Eintritt des Versicherungsfalles der EU - und nicht der BU - (und sei es aus Gründen des Arbeitsmarktes) festgestellt wird, mit der Folge, daß weder Alg noch Krg zusteht (§ 118 Abs 1 Nr 8 AFG, § 50 Abs 1 Nr 1 SGB V) und es zu einem Nebeneinander von Leistungen erst gar nicht kommen kann.

(zu 2) Auch unter Berücksichtigung der Zeit des wiederaufgenommenen Bezugs von Krg vom 13. Dezember 1989 bis 30. April 1990 sowie des Übg-Bezugs während der zweiten Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 29. Januar 1991 bis 26. Februar 1991 wurden "nach Beginn der Rente" lediglich 168 Kalender-Tage, dh weniger als die nach § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG erforderlichen 26 Wochen oder sechs Monate (gleichgestellte) die Beitragspflicht nach dem AFG begründende Zeiten zurückgelegt. Denn die BU-Rente des Klägers hat iS des § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG erst am 13. Dezember 1989 begonnen.

Die Zeiten des Bezugs von Übg vom 1. September 1989 bis 12. Dezember 1989 sind nicht zu berücksichtigen. Als "Beginn der Rente" iS des § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG zählt nicht der "fiktive Rentenbeginn", der für den Bezug des vorgezogenen Übg maßgeblich war. Die Beklagte hat dem Kläger die BU-Rente zutreffend erst ab 13. Dezember 1989 gewährt (a). Dieser Termin ist mit dem Begriff "Beginn der Rente" in § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG gemeint. Dies folgt aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes (b). Etwas anderes läßt sich auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (c), der Zahlbetragsgarantie des Übg in Höhe der Rente (d) sowie dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (e) herleiten.

(zu a) Die Beklagte hat den Beginn der BU-Rente des Klägers zutreffend auf den 13. Dezember 1989 festgesetzt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen gebunden ist (§ 163 SGG), ist der Versicherungsfall der BU am 25. März 1989 eingetreten. Den Rentenantrag hatte der Kläger erst am 26. Oktober 1989 vor der am 14. September 1989 beantragten Rehabilitationsmaßnahme (in der Zeit vom 31. Oktober 1989 bis 12. Dezember 1989) gestellt. Bei dieser Fallgestaltung kann die BU-Rente frühestens nach dem Ende der Rehabilitationsmaßnahme am 13. Dezember 1989 beginnen. Zwar gilt bei einer erfolglosen Rehabilitationsmaßnahme der Antrag auf Rehabilitation als Rentenantrag, § 40d Abs 4 Satz 1 RKG (= § 1241d Abs 4 Satz 1 RVO, § 18d Abs 4 Satz 1 AVG; nunmehr § 116 Abs 2 Nr 2 SGB VI), so daß die Rente nach § 82 Abs 2 RKG (= § 1290 Abs 2 RVO, § 67 Abs 2 AVG; nunmehr § 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI) ab Beginn des Antragsmonats (dh ab 1. September 1989) zugestanden hätte. Dem steht aber § 40d Abs 2 Satz 1 und 2 iVm Abs 4 Satz 2 und Abs 1 Satz 1 und 2 RKG (= § 1241d Abs 2 Satz 1 und 2, Abs 4 Satz 2, Abs 1 Satz 1 und 2 RVO, § 18d Abs 2 Satz 1 und 2, Abs 4 Satz 2, Abs 1 Satz 1 und 2 AVG; nunmehr § 116 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB VI iVm § 25 Abs 2 SGB VI) entgegen: Von dem Zeitpunkt an, von dem Rente zu zahlen gewesen wäre, wird Übg - wenigstens in Höhe der Rente - als "vorgezogenes Übg" gewährt. Dem hat die Beklagte Rechnung getragen. Soweit Anspruch auf Übg besteht, ist der Anspruch auf die BU-Rente ausgeschlossen. Dies bedeutet, daß auch ein Stammrecht, der Grundanspruch auf die BU-Rente (vgl BSG vom 18. Dezember 1986, BSGE 61, 108 = SozR 2200 § 1269 Nr 3 mwN), während dieser Zeit nicht besteht.

(zu b) Aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Gesetz ergibt sich, daß mit dem Begriff "Beginn der Rente" der Zeitpunkt gemeint ist, zu dem - abgeleitet vom Stammrecht - der Anspruch auf die erste Einzelleistung entsteht (Kasseler Komm, Niesel, § 1290 RVO RdNr 2, § 99 SGB VI RdNr 5). Auf den "fiktiven Rentenbeginn" beim vorgezogenen Übg kommt es ebensowenig an wie auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles, den Tag der Entstehung des "Stammrechts" oder den Tag der Bekanntgabe des Rentenbescheides. Maßgeblich sind allein die allgemeinen Regelungen über den Beginn der BU-Rente, also § 82 Abs 1 Satz 1, Abs 2 RKG (= § 1290 Abs 1 Satz 1, Abs 2 RVO, § 67 Abs 1 Satz 1, Abs 2 AVG; ähnlich § 99 Abs 1 SGB VI) sowie ggf Sonderregelungen zB über den Rentenbeginn bei einer Rente auf Zeit, § 72 Abs 1 Satz 1 RKG (= § 1276 Abs 1 Satz 1 RVO, § 53 Abs 1 Satz 1 AVG; ähnlich § 101 SGB VI). Abweichendes hätte geregelt werden müssen. So bestimmt § 93 Abs 5 Nr 1 SGB VI für eine vergleichbare Ausgangslage, daß eine Rente aus der Unfallversicherung dann nicht zu einer Minderung laufender Renten nach Maßgabe der Abs 1 bis 4 führt, wenn sie für einen Arbeitsunfall geleistet wird, der sich nach Rentenbeginn oder nach Eintritt der für die Rente maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit ereignet hat.

Der Begriff "Beginn der Rente" ist übergreifend und einheitlich zu verwenden. Systematisch steht § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG (ebenso wie die entsprechenden Vorschriften der RVO und des AVG sowie nunmehr § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI) in dem Abschnitt des Gesetzes, der das Zusammentreffen von Renten, weiteren Sozialleistungen und Einkommen regelt. Anknüpfungspunkt ist dabei immer ein parallel bestehender Zahlanspruch auf Sozialleistungen oder sonstige Einkünfte. Im Gesetz kommt dies durch die Formulierungen "... trifft mit einer ... zusammen" oder "besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf ..." zum Ausdruck, womit stets auf die allgemeinen Regelungen über den Beginn der Rente verwiesen wird. Damit werden nicht nur Doppelleistungen vermieden, sondern es wird im Zusammenspiel mit einzelgesetzlichen Regelungen die Konkurrenzproblematik gelöst und dem jeweiligen Sozialleistungsträger das Risiko zugewiesen. Wenn § 80 Abs 1 Satz 1 RKG bestimmt, daß die BU-Rente in Höhe des gleichzeitig gewährten Alg ruht, dann wird dadurch der Rentenversicherungsträger begünstigt.

Übg und BU-Rente sind systematisch völlig unterschiedliche Leistungsarten, für die nicht immer die gleichen Sozialleistungsträger zuständig sind. Dies gilt auch für das "vorgezogene" Übg (vgl BSG vom 23. Juli 1986, SozR 2200 § 1241d Nr 10 mwN), einschließlich der verfahrensrechtlichen Konsequenzen (vgl BSG vom 6. März 1991, SozR 3-1500 § 146 Nr 1). Eine vermengende Gesetzesinterpretation, die Versicherten nur die Vorteile der jeweiligen Leistungsart beläßt und die vom Gesetz bezweckte Risikozuweisung auf die einzelnen Leistungsträger durchbricht, ist in der Regel unzulässig. Das "vorgezogene Übg" nach § 40d Abs 1 Satz 2 RKG und den entsprechenden Regelungen von RVO, AVG und SGB VI ist keine Rente, sondern Übg ohne Einschränkungen. Der Zahlbetrag nach eigenen Berechnungsvorschriften (§§ 13 Abs 3, 14 bis 16 RehaAnglG, §§ 24 bis 26 SGB VI) ist meist höher als die BU- oder EU-Rente. Es bestehen eigenständige Konkurrenz- und Anrechnungsvorschriften (vgl § 18 RehaAnglG, § 27 SGB VI). Weiter sind einzelgesetzlich an den Bezug von Übg (in der Regel für den Betroffenen günstige) Rechtsfolgen geknüpft, wie zB die Beitragspflicht nach § 186 AFG oder die Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI. Diverse Konkurrenzregelungen (und die damit verbundenen Risikozuweisungen) knüpfen an den tatsächlichen Bezug von Übg an. So ist zB, wie oben dargelegt, der Anspruch auf EU- oder BU-Rente ausgeschlossen. Nach § 118 Abs 1 Nr 2 AFG ruht der Anspruch auf Alg, nach § 49 Abs 1 Nr 3 SGB V der Anspruch auf Krg "soweit und solange" Übg bezogen wird.

Der Meinung von Schimanski/Emmerich/Warode/Lueg im Kommentar zur Knappschaftsversicherung (Stand Mai 1987, § 80 RKG Anm 8 S 130z 7), gerade wegen der Konkurrenzverhältnisse sei im Rahmen des § 80 RKG als Vorläufervorschrift zu § 95 SGB VI auf den "fiktiven" Rentenbeginn nach § 40d Abs 1 und 2 RKG abzustellen, kann nicht gefolgt werden. Der Bezug auf den Erlaß des BMA vom 3. Januar 1969 (VI b1 - 4051.5 3340/68 - abgedruckt aaO Anm 3), der das Ruhen des Übg bis zur Höhe des Alg in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 80 RKG befürwortet hatte, ist nicht mehr schlüssig, da das am 1. Juli 1969 in Kraft getretene AFG mit seinem § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 2 das Konkurrenzverhältnis umgekehrt regelt: Das Alg ruht während der Zeit, für die Übg zuerkannt ist.

(zu c) Der Gleichheitssatz, Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), wird nicht verletzt. Denn es hängt nicht vom Zufall ab, ob die Weichenstellung in Richtung Rehabilitationsmaßnahme (mit Anspruch auf Übg und ggf vorgezogenes Übg) oder gleich in Richtung Rente erfolgt. Auch bei einer Rehabilitationsmaßnahme, die sich nachträglich als erfolglos herausstellt, bestand anfänglich und auch während der Durchführung eine günstige Prognose. Sonst hätte sie nicht vorrangig zur Rente bewilligt werden dürfen (vgl § 7 Abs 1 Satz 1 RehaAnglG) bzw sie hätte vorzeitig abgebrochen werden müssen. Der Gleichheitssatz verbietet nur, eine Gruppe von Normadressaten zu einer anderen verschieden zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st Rspr seit BVerfGE 55, 72, 88). Solche Unterschiede bestehen hier aber: Der Gruppe der Berechtigten mit einer günstigen Maßnahmeprognose steht die Gruppe der Berechtigten mit ungünstiger Maßnahmeprognose gegenüber. Letzterer werden das in der Regel günstigere Übg und die daran geknüpften in der Regel günstigen Rechtsfolgen verwehrt, so daß sich die Gleichbehandlungsproblematik bei genereller Betrachtung eher umgekehrt stellt. Der Bezieher von Übg wird letztlich nicht anders gestellt als ein Bezieher von Krg, bei dem bei rückblickender Betrachtung der Versicherungsfall der BU oder EU bereits eingetreten war.

Daß der Kläger durch die vom Senat befürwortete Auslegung des § 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG nicht in den Genuß von Alg und BU-Rente gleichzeitig kommt, entspricht dem Regelungsziel dieser Vorschrift (hierzu oben [zu 1]). Er kann deshalb aus Art 3 Abs 1 GG keinen Anspruch darauf herleiten, ebenso behandelt zu werden wie jene Versicherten, die jene typisierende Vorschrift - atypisch und dem Regelungszweck zuwiderlaufend - begünstigt.

(zu d) Aus der Zahlbetragsgarantie in Höhe der "fiktiven" Rente ab dem Monat des Antrags auf die Rehabilitationsmaßnahme nach § 40d Abs 1 und 4 RKG (= § 1241d Abs 1 und 4 RVO, § 18d Abs 1 und 4 AVG; nunmehr § 24 Abs 4 SGB VI) ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Die Versicherten haben während dieser Zeit keinen Anspruch auf Rente, sollen jedoch - im Vergleich zu den ihnen ansonsten zustehenden Rentenbeträgen - nicht dadurch einen Nachteil erleiden, daß eine Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt wird. Dem entspricht, daß der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 25. Mai 1993 (SozR 3-2200 § 1304a Nr 2) das sog Rentnerprivileg (§ 83a Abs 4 Satz 2 Buchst a und b AVG) auch dann gelten läßt, wenn zum Zeitpunkt der Übertragung der Anwartschaften im Rahmen des Versorgungsausgleichs zwar noch keine Rente bezogen wurde, jedoch Anspruch auf Übg "wenigstens in Höhe der Rente" bestanden hatte. Die Zahlbetragsgarantie korrespondiert hier mit dem Besitzschutzgedanken des sog Rentnerprivilegs. Ebenso hat der 5. Senat des BSG im Urteil vom 4. Februar 1988 (SozR 2200 § 1241d Nr 13) bei der Zahlung von Übg in Höhe der Rente die Vorschrift über die Anrechnung von Einkommen auf das Übg (§ 1241f Abs 1 RVO) nicht angewendet, da dann die Zahlbetragsgarantie wertlos wäre. Anders liegt der Fall des Klägers: Dieser hatte hinsichtlich der Höhe der ihm vom 1. September bis 12. Dezember 1989 zugeflossenen Leistungen (Übg) keinen finanziellen Nachteil gegenüber dem Zustand hinnehmen müssen, der sich ergeben hätte, wenn er bereits ab 1. September 1989 die BU-Rente erhalten hätte.

(zu e) Nichts anderes folgt aus dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (§ 7 Abs 1 RehaAnglG, § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VI).

Diesem Grundsatz kann nicht entnommen werden, daß der Versicherte von allen denkbaren rentenrechtlichen Nachteilen freizustellen ist, die sich auch indirekt aus dem hinausgezögerten Beginn der Rentenzahlung wegen der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme ergeben. Ein solcher Rechtssatz ist auch der Entscheidung des 4. Senats vom 25. Mai 1993 (SozR 3-2200 § 1304a Nr 2) nicht zu entnehmen. Das Urteil des BSG vom 28. Januar 1971 (BSGE 32, 186 = SozR Nr 56 zu § 183 RVO; ihm folgend BSG vom 17. April 1991, USK 9111) ist nicht einschlägig, denn es betrifft die Anrechnung von BU-Rente auf das Krg bei einer besonderen Fallkonstellation aufgrund einer mittlerweile überholten, unbefriedigenden Rechtslage. Die damals fehlende Harmonisierung des Beginns von Rente und Krg (Rente vom 1. des Monats des Eintritts des Versicherungsfalles, Krg mit Beginn der Krankheit bzw Feststellung der Arbeitsunfähigkeit während des laufenden Monats) führte dazu, daß entgegen der Intention des Gesetzgebers in aller Regel die BU-Rente nicht auf das Krg angerechnet werden konnte, da sie vor dem Krg eingesetzt hatte. Wer anstelle einer Rente Übg bezog, so daß der Beginn der Rente nach dem Beginn des Krg lag, sollte bei dieser Ausgangslage hinsichtlich der Höhe des Krg nicht schlechter und auch nicht besser gestellt werden, als wenn die Rehabilitationsmaßnahme nicht durchgeführt worden wäre.

Im vorliegenden Fall geht es allein um die (pauschalierende und generalisierende) Festlegung einer Grenzlinie, von der an Beitragszeiten nach dem AFG als Voraussetzung für den Bezug von nicht auf die BU-Rente anrechenbarem Alg zurückgelegt werden können. Beginnt die Rente nach erfolgloser Durchführung eines Rehabilitationsverfahrens erst mit dem Ende der Maßnahme, kann eine schützenswerte Vertrauensposition des Klägers hinsichtlich der evtl Nichtanrechnung von künftigem Alg auf die BU-Rente nicht entstanden sein. Denn zu dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherte eine Rehabilitationsmaßnahme beantragt oder an einer solchen mitwirkt, ist noch offen, ob diese vollen, teilweisen oder keinen Erfolg haben wird und zB zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, zur Vermeidung des Versicherungsfalles der EU oder auch nur zu einer zeitlichen Verschiebung oder Begrenzung des Versicherungsfalles der BU führt. Alle Eckdaten für die Anrechnung oder Nichtanrechnung von Alg sind also erst im nachhinein bekannt. Der Kläger erleidet zugegebenermaßen im Ergebnis dadurch einen Nachteil, daß er nicht bereits ab 1. September 1989 eine BU-Rente bezieht. Wäre bei ihm jedoch zB nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme EU festgestellt worden, wäre einerseits der Anspruch auf Krg (und später auf Alg) entfallen, andererseits hätte er wegen des durch die Rehabilitationsmaßnahme hinausgeschobenen Rentenbeginns das in der Regel gegenüber der Rente höhere Krg (als Spitzbetrag neben dem Übg, §§ 24 Abs 1, 21 SGB VI; § 49 Abs 1 Nr 3 SGB V) längere Zeit bezogen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHTAz: 8 RKn 17/94

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518850

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