Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Arbeitslosengeld (Alg), das auf einer Anwartschaftszeit beruht, die insgesamt "nach Beginn der Rente" erfüllt worden ist, so daß es nicht auf die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente) anzurechnen ist (§ 95 Satz 2 Nr 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI])

 

Beteiligte

…, Kläger und Revisionskläger

Bundesknappschaft, Bochum, Königsallee 175, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Streitig ist, ob das dem Kläger gewährte Arbeitslosengeld (Alg) auf einer Anwartschaftszeit beruht, die insgesamt "nach Beginn der Rente" erfüllt worden ist, so daß es nicht auf die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente) anzurechnen ist (§ 95 Satz 2 Nr 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]).

Der im Jahre 1935 geborene und zuletzt als Polier beschäftigte Kläger erkrankte am 15. November 1990 arbeitsunfähig und bezog im Anschluß an die Lohnfortzahlung vom 2. Januar 1991 bis 14. Mai 1992 Krankengeld (Krg) sowie vom 1. Mai bis 27. August 1991 (dem Abschluß einer Rehabilitationsmaßnahme) Übergangsgeld (Übg) der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz (Bescheid der LVA vom 21. Juli 1992).

Auf Antrag vom Oktober 1991 gewährte die Beklagte ab 28. August 1991 unter Annahme des Eintritts des Versicherungsfalles der BU am 15. November 1990 erhöhte BU-Rente nach Aufgabe der knappschaftlich versicherten Tätigkeit (Bescheid vom 19. Mai 1992). Vom "fiktiven Rentenbeginn" am 1. Mai 1991 (Monat des Antrags auf die Rehabilitationsmaßnahme, der als Rentenantrag gilt) an bis zum Ende des Heilverfahrens am 27. August 1991 habe Anspruch auf Übg bestanden, so daß für diese Zeit keine BU-Rente gewährt werden könne.

Im Juli 1992 teilte das Arbeitsamt (ArbA) Aachen der Beklagten mit, es gewähre dem Kläger im Anschluß an den Krg-Bezug ab 15. Mai 1992 Alg in Höhe von 389,40 DM wöchentlich für eine Anspruchsdauer von 832 Tagen. Die Beklagte ordnete daraufhin mit dem streitigen Bescheid vom 22. Juli 1992 und Widerspruchsbescheid vom 23. September 1992 nach § 95 Satz 1 SGB VI das Ruhen der BU-Rente in voller Höhe ab 1. Juni 1992 (§ 100 Abs 1 SGB VI) an, stellte die laufende Rente ab 1. September 1992 ein und ließ sich vom ArbA die Überzahlung von 4.695,90 DM für die Monate Juni bis August 1992 nach § 103 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erstatten.

Mit Urteil vom 19. März 1993 hat das Sozialgericht (SG) den angefochtenen Bescheid aufgehoben: Mit den Zeiten des Bezugs von Übg vom 1. Mai 1991 bis 27. August 1991 seien die Voraussetzungen für die Nichtanrechnung des Alg nach § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI erfüllt. Es sei nicht auf den tatsächlichen Beginn der BU-Rente abzustellen, der nach den §§ 40d Abs 1, 2 und 4, 82 Abs 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) zutreffend auf den 28. August 1991 gelegt worden sei. Vielmehr sei der "fiktive" Rentenbeginn maßgeblich. Der Grundanspruch auf die Rente habe auch während des Bezugs von Übg bestanden. Um dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" Rechnung zu tragen, dürften dem Versicherten keine Nachteile daraus entstehen, daß zunächst nur der Antrag auf die Rehabilitationsmaßnahme gestellt worden sei. Die Doppelleistung von Alg und BU-Rente habe der Gesetzgeber in Kauf genommen. Es bestehe auch keine Möglichkeit, das Alg, das aus dem letzten Einkommen vor Eintritt des Versicherungsfalles berechnet werde, nur zum Teil anrechnungsfrei zu lassen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 24. Februar 1994 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen: Sinn und Zweck des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI sei es nicht, Alg, das sich aus dem ungeminderten Verdienst vor Eintritt des Versicherungsfalles der BU berechne, anrechnungsfrei zu lassen. Auf den "fiktiven Rentenbeginn" sei für den Erwerb der Anwartschaft auf Alg nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht abzustellen, denn Übg und Rente seien materiell unterschiedliche Ansprüche und schlössen sich wechselseitig aus.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 40d RKG und des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI. Der Gesetzgeber stelle nunmehr allein auf den Erwerb einer "Anwartschaft" nach dem AFG ab, jedoch nicht mehr auf eine beitragspflichtige Beschäftigung nach dem AFG (§ 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG, § 1283 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Reichsversicherungsordnung [RVO], § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Angestelltenversicherungsgesetz [AVG]). Zeiten des Bezugs von Krg und Übg seien nach den §§ 104, 107 Satz 1 Nr 5 Buchst a, 186 AFG völlig gleichgestellt, mit der Konsequenz, daß Alg, dessen Anwartschaft mit diesen Zeiten erfüllt sei, anrechnungsfrei bleibe. Übg und Rente seien keine materiell-rechtlich verschiedenen Ansprüche, vielmehr werde Übg aus "psychologischen" Gründen gewährt, um dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" Geltung zu verschaffen. Dies sei auch den Einzelregelungen (vorgezogenes Übg anstelle der Rente bei Grundanspruch auf Rente, Übg wenigstens in Höhe der Rente) zu entnehmen. Letztlich dürften bei einer Gesamtschau der Einzelregelungen dem Versicherten rentenrechtlich keine Nachteile dadurch entstehen, daß zur Vermeidung einer Berentung zunächst ein (erfolgloses) Rehabilitationsverfahren durchgeführt wurde (Hinweis auf BSG vom 25. Mai 1993, SozR 3-2200 § 1304a Nr 2).

Der Kläger beantragt (sinngemäß),das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 1994 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19. März 1993 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 1994 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

II

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Weiterzahlung der BU-Rente über den 31. Mai 1992 hinaus. Denn diese ruht wegen des Zusammentreffens mit dem ab 15. Mai 1992 bezogenen Alg (§ 95 Satz 1 SGB VI). Die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI liegen nicht vor: Der Kläger hat eine neue Anwartschaftszeit für Alg (1) nicht insgesamt nach dem Beginn der Rente erfüllt. Insoweit ist auf den tatsächlichen Rentenbeginn, den 28. August 1991, abzustellen (2).

(zu 1) Nach § 104 Abs 1 Satz 1 AFG (in der ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung des Art 1 § 1 Nr 63 des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes [AFKG] vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1497) hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist (von drei Jahren, § 104 Abs 3 AFG) 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht nach dem AFG begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat. Die für Saisonarbeiter geltenden Ausnahmen (vgl § 104 Abs 1 Satz 3 und 4 AFG, Anwartschaftszeit-Verordnung vom 29. Januar 1982, BGBl I 112) sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig.

Für den Erwerb der Anwartschaftszeit für das Alg iS des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI sind - zugunsten des Klägers - auch die Zeiten des Bezugs von Krg zu berücksichtigen. Denn diese Zeiten sind nach den §§ 107 Satz 1 Nr 5 Buchst a, 186 Abs 1 AFG gleichgestellt. Unerheblich ist, ob das Krg noch auf einer Beschäftigung der Zeit vor Beginn der BU-Rente bzw vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der BU beruht.

Zwar bezweckt die Regelung des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI - ebenso wie die Vorläufer dieser Vorschrift (§ 80 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RKG = § 1283 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RVO, § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AVG), daß Alg, das aufgrund einer während und trotz des Bezugs einer BU-Rente mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen neu erworbenen Anwartschaft gezahlt wird, nicht auf die BU-Rente angerechnet werden darf (so BSG vom 23. April 1974, SozR 2200 § 1294 Nr 1 S 4). Denn ebenso wie das Arbeitsentgelt für eine neben dem Rentenbezug ausgeübte Beschäftigung zur Aufstockung der als Teilrente konzipierten BU-Rente anrechnungsfrei bleibt, soll generell auch die Lohnersatzleistung Alg für dieses (in der Regel geminderte) Entgelt nicht zur Kürzung der BU-Rente führen.

Die Gesamtschau von § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI und § 186 Abs 1 AFG gebietet jedoch nicht, wie LSG und Beklagte offenbar meinen, die Anwartschaft aufgrund Krg-Bezugs mit einer Anwartschaft aufgrund einer beitragspflichtigen Beschäftigung nur dann gleichzustellen wenn auch das Beschäftigungsverhältnis, aufgrund dessen Beiträge nach dem AFG wegen Entgeltersatzleistungen (Krg, Versorgungs-Krg, Verletztengeld, Übg) gezahlt wurden, nach Beginn der BU-Rente oder wenigstens nach Eintritt des Versicherungsfalles der BU (also in der Regel mit gegenüber früher gemindertem Entgelt) entweder neu begründet oder fortgeführt wurde (zur Frage, ob dies schon für die og Vorläufer der Vorschrift des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI zutraf, s das Urteil des Senats vom heutigen Tage - 8 RKn 17/94). Zwar bleibt die nunmehr verminderte Leistungsfähigkeit des BU-Rentners (auch aus sozialpolitischen Gründen, vgl BT-Drucks 8/4022, S 91) bei der Bemessung des Alg trotz eingeschränkter Verfügbarkeit nach den §§ 103 Abs 1 Satz 2, 112 Abs 8 Satz 2 AFG unberücksichtigt. Deshalb könnte die von LSG und Beklagter befürwortete Auslegung unerwünschte Doppelleistungen aus "vollem" Alg aufgrund noch uneingeschränkter Berufsausübung (hier: als Polier) einerseits und der wegen des nur noch eingeschränkten Leistungsvermögens gezahlte BU-Rente andererseits vermeiden. Zu einer echten Doppelleistung kommt es jedoch nur, soweit durch Alg und BU-Rente zusammen das frühere volle Arbeitsentgelt überschritten wird. Ansonsten ersetzt das anrechnungsfrei gestellte Alg das Entgelt aufgrund verbliebenen Restleistungsvermögens, denn die BU-Rente (Zahlbetrag 2/3 der Erwerbsunfähigkeitsrente [EU-Rente]) schafft keinen vollen Ausgleich.

Entscheidend ist aber, daß der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit sozialversicherungsrechtliche Massenerscheinungen generalisierend und pauschalierend regeln darf, ohne gegen das Gleichbehandlungsgebot zu verstoßen. Das og Regelungsziel hat der Gesetzgeber für die überwiegende Zahl der Fälle verwirklicht. Dann ist unerheblich, ob es im Einzelfalle zu Begünstigungen bzw Benachteiligungen kommt (vgl BVerfGE 78, 214, 227; 84, 348, 360 mwN). Zwar kann - anders als im vorliegenden Fall - durch den Bezug von Übg und vor allem Krg (Leistungsdauer längstens 78 Wochen, § 48 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]) noch nach Beginn der BU-Rente ggf die Anwartschaftszeit nach dem AFG aufgrund früherer, uneingeschränkter Berufsausübung erfüllt werden, so daß es nicht zu einem Ruhen der BU-Rente kommt. Solche Fälle können jedoch nicht als typisch angesehen werden.

Denn der Versicherte wird bestrebt sein, den Rentenantrag hinauszuschieben, um das (gegenüber der Rente in der Regel höhere) Krg bzw Übg (dies ggf mit einem Krg-Spitzbetrag) möglichst lange auszunutzen. Auch wird er meist nicht in der Lage sein, die Rentenantragstellung derart zu steuern, daß nach Beginn der BU-Rente noch eine neue Anwartschaft auf Alg (durch 360 Tage Krg oder Übg) erworben wird. Schließlich muß er auch immer damit rechnen, daß der Eintritt des Versicherungsfalles der EU - und nicht der BU - (und sei es aus Gründen des Arbeitsmarktes) festgestellt wird, mit der Folge, daß weder Alg noch Krg zusteht (§ 118 Abs 1 Nr 8 AFG, § 50 Abs 1 Nr 1 SGB V) und es zu einem Nebeneinander von Leistungen erst gar nicht kommen kann.

(zu 2) Auch unter Berücksichtigung der Zeit des Krg-Bezuges hat der Kläger jedoch "nach Beginn der Rente" lediglich Beitragszeiten nach dem AFG zurückgelegt, die für den Erwerb einer neuen Anwartschaft nach § 104 Abs 1 Satz 1 AFG nicht ausreichen. Denn die BU-Rente des Klägers hat iS des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI erst am 28. August 1991 begonnen. Zwischen diesem Datum und dem 12. Mai 1992 (dem Tag vor Alg-Beginn) liegen nur 261 und nicht die erforderlichen 360 Tage.

Mit den Zeiten des Bezugs von Übg vom 1. Mai 1991 bis 27. August 1991 wäre zwar die Anwartschaftszeit erfüllt. Als "Beginn der Rente" iS des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI zählt jedoch nicht der "fiktive Rentenbeginn", der für den Bezug des vorgezogenen Übg maßgeblich war. Die Beklagte hat dem Kläger die BU-Rente zutreffend erst ab 28. August 1991 gewährt (a). Dieser Termin ist mit dem Begriff "Beginn der Rente" in § 95 Satz 2 Nr 1 SGB VI gemeint. Dies folgt aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes (b). Etwas anderes läßt sich auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (c), der Zahlbetragsgarantie des Übg in Höhe der Rente (d) sowie dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (e) herleiten.

(zu a) Die Beklagte hat den Beginn der BU-Rente des Klägers zutreffend auf den 28. August 1991 festgesetzt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen gebunden ist (§ 163 SGG), ist der Versicherungsfall der BU am 15. November 1990 eingetreten. Den Rentenantrag hatte der Kläger erst im Oktober 1991 nach der Rehabilitationsmaßnahme (in der Zeit vom 16. Juli 1991 bis 27. August 1991) gestellt. Bei dieser Fallgestaltung kann die BU-Rente frühestens nach dem Ende der Rehabilitationsmaßnahme am 28. August 1991 beginnen. Zwar gilt bei einer erfolglosen Rehabilitationsmaßnahme der Antrag auf Rehabilitation als Rentenantrag, § 40d Abs 4 Satz 1 RKG (= § 1241d Abs 4 Satz 1 RVO, § 18d Abs 4 Satz 1 AVG, § 116 Abs 2 Nr 2 SGB VI), so daß die Rente nach § 82 Abs 2 RKG (= § 1290 Abs 2 RVO, § 67 Abs 2 AVG, § 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI) ab Beginn des Antragsmonats (wohl ab 1. Mai 1991) zugestanden hätte. Dem steht aber § 40d Abs 2 Satz 1 und 2 iVm Abs 4 Satz 2 und Abs 1 Satz 1 und 2 RKG (= § 1241d Abs 2 Satz 1 und 2, Abs 4 Satz 2, Abs 1 Satz 1 und 2 RVO, § 18d Abs 2 Satz 1 und 2, Abs 4 Satz 2, Abs 1 Satz 1 und 2 AVG, § 116 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB VI iVm § 25 Abs 2 SGB VI) entgegen: Von dem Zeitpunkt an, von dem Rente zu zahlen gewesen wäre, wird Übg - wenigstens in Höhe der Rente - als "vorgezogenes Übg" gewährt. Dem hat die LVA Rheinprovinz mit Bescheid vom 21. Juli 1992 über die Gewährung von Übg ab 1. Mai 1991 Rechnung getragen. Soweit Anspruch auf Übg besteht, ist der Anspruch auf die BU-Rente ausgeschlossen. Dies bedeutet, daß auch ein Stammrecht, der Grundanspruch auf die BU-Rente (vgl BSG vom 18. Dezember 1986, BSGE 61, 108 = SozR 2200 § 1269 Nr 3 mwN), während dieser Zeit nicht besteht.

(zu b) Aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Gesetz ergibt sich, daß mit dem Begriff "Beginn der Rente" der Zeitpunkt gemeint ist, zu dem - abgeleitet vom Stammrecht - der Anspruch auf die erste Einzelleistung entsteht (Kasseler Komm, Niesel, § 1290 RVO RdNr 2, § 99 SGB VI RdNr 5). Auf den "fiktiven Rentenbeginn" beim vorgezogenen Übg kommt es ebensowenig an wie auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles, den Tag der Entstehung des "Stammrechts" oder den Tag der Bekanntgabe des Rentenbescheides. Maßgeblich sind allein die allgemeinen Regelungen über den Beginn der BU-Rente, also § 82 Abs 1 Satz 1, Abs 2 RKG (= § 1290 Abs 1 Satz 1, Abs 2 RVO, § 67 Abs 1 Satz 1, Abs 2 AVG, ähnlich § 99 Abs 1 SGB VI) sowie ggf Sonderregelungen zB über den Rentenbeginn bei einer Rente auf Zeit, § 72 Abs 1 Satz 1 RKG (= § 1276 Abs 1 Satz 1 RVO, § 53 Abs 1 Satz 1 AVG, ähnlich § 101 SGB VI). Abweichendes hätte geregelt werden müssen. So bestimmt § 93 Abs 5 Nr 1 SGB VI für eine vergleichbare Ausgangslage, daß eine Rente aus der Unfallversicherung dann nicht zu einer Minderung laufender Renten nach Maßgabe der Abs 1 bis 4 führt, wenn sie für einen Arbeitsunfall geleistet wird, der sich nach Rentenbeginn oder nach Eintritt der für die Rente maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit ereignet hat.

Der Begriff "Beginn der Rente" ist übergreifend und einheitlich zu verwenden. Systematisch steht § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI (ebenso wie die entsprechenden Vorschriften des RKG, der RVO und des AVG) in dem Abschnitt des Gesetzes, der das Zusammentreffen von Renten, weiteren Sozialleistungen und Einkommen regelt. Anknüpfungspunkt ist dabei immer ein parallel bestehender Zahlanspruch auf Sozialleistungen oder sonstige Einkünfte. Im Gesetz kommt dies durch die Formulierungen "... trifft mit einer ... zusammen" oder "besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf ..." zum Ausdruck, womit stets auf die allgemeinen Regelungen über den Beginn der Rente verwiesen wird. Damit werden nicht nur Doppelleistungen vermieden, sondern es wird im Zusammenspiel mit einzelgesetzlichen Regelungen die Konkurrenzproblematik gelöst und dem jeweiligen Sozialleistungsträger das Risiko zugewiesen. Wenn § 95 Satz 1 SGB VI bestimmt, daß die BU-Rente in Höhe des gleichzeitig gewährten Alg ruht, dann wird dadurch der Rentenversicherungsträger begünstigt.

Übg und BU-Rente sind systematisch völlig unterschiedliche Leistungsarten, für die nicht immer die gleichen Sozialleistungsträger zuständig sind - wie auch der vorliegende Fall zeigt. Dies gilt auch für das "vorgezogene" Übg (vgl BSG vom 23. Juli 1986, SozR 2200 § 1241d Nr 10 mwN), einschließlich der verfahrensrechtlichen Konsequenzen (vgl BSG vom 6. März 1991, SozR 3-1500 § 146 Nr 1). Eine vermengende Gesetzesinterpretation, die Versicherten nur die Vorteile der jeweiligen Leistungsart beläßt und die vom Gesetz bezweckte Risikozuweisung auf die einzelnen Leistungsträger durchbricht, ist in der Regel unzulässig. Das "vorgezogene Übg" nach § 40d Abs 1 Satz 2 RKG und den entsprechenden Regelungen von RVO, AVG und SGB VI ist keine Rente, sondern Übg ohne Einschränkungen. Der Zahlbetrag nach eigenen Berechnungsvorschriften (§§ 13 Abs 3, 14 bis 16 des Gesetzes über die Angleichung von Leistungen der Rehabilitation [RehaAnglG], §§ 24 bis 26 SGB VI) ist meist höher als die BU- oder EU-Rente. Es bestehen eigenständige Konkurrenz- und Anrechnungsvorschriften (vgl § 18 RehaAnglG, § 27 SGB VI). Weiter sind einzelgesetzlich an den Bezug von Übg (in der Regel für den Betroffenen günstige) Rechtsfolgen geknüpft, wie zB die Beitragspflicht nach § 186 AFG oder die Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI. Diverse Konkurrenzregelungen (und die damit verbundenen Risikozuweisungen) knüpfen an den tatsächlichen Bezug von Übg an. So ist zB, wie oben dargelegt, der Anspruch auf EU- oder BU-Rente ausgeschlossen. Nach § 118 Abs 1 Nr 2 AFG ruht der Anspruch auf Alg, nach § 49 Abs 1 Nr 3 SGB V der Anspruch auf Krg "soweit und solange" Übg bezogen wird.

Der Meinung von Schimanski/Emmerich/Warode/Lueg im Kommentar zur Knappschaftsversicherung (Stand Mai 1987, § 80 RKG Anm 8 S 130z 7), gerade wegen der Konkurrenzverhältnisse sei im Rahmen des § 80 RKG als Vorläufervorschrift zu § 95 SGB VI auf den "fiktiven" Rentenbeginn nach § 40d Abs 1 und 2 RKG abzustellen, kann nicht gefolgt werden. Der Bezug auf den Erlaß des BMA vom 3. Januar 1969 (VI b1 - 4051.5 3340/68 - abgedruckt aaO Anm 3), der das Ruhen des Übg bis zur Höhe des Alg in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 80 RKG befürwortet hatte, ist nicht mehr schlüssig, da das am 1. Juli 1969 in Kraft getretene AFG mit seinem § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 2 das Konkurrenzverhältnis umgekehrt regelt: Das Alg ruht während der Zeit, für die Übg zuerkannt ist.

(zu c) Der Gleichheitssatz, Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), wird nicht verletzt. Denn es hängt nicht vom Zufall ab, ob die Weichenstellung in Richtung Rehabilitationsmaßnahme (mit Anspruch auf Übg und ggf vorgezogenes Übg) oder gleich in Richtung Rente erfolgt. Auch bei einer Rehabilitationsmaßnahme, die sich nachträglich als erfolglos herausstellt, bestand anfänglich und auch während der Durchführung eine günstige Prognose. Sonst hätte sie nicht vorrangig zur Rente bewilligt werden dürfen (vgl § 7 Abs 1 Satz 1 RehaAnglG) bzw sie hätte vorzeitig abgebrochen werden müssen. Der Gleichheitssatz verbietet nur, eine Gruppe von Normadressaten zu einer anderen verschieden zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st Rspr seit BVerfGE 55, 72, 88). Solche Unterschiede bestehen hier aber: Der Gruppe der Berechtigten mit einer günstigen Maßnahmeprognose steht die Gruppe der Berechtigten mit ungünstiger Maßnahmeprognose gegenüber. Letzterer werden das in der Regel günstigere Übg und die daran geknüpften in der Regel günstigen Rechtsfolgen verwehrt, so daß sich die Gleichbehandlungsproblematik bei genereller Betrachtung eher umgekehrt stellt. Der Bezieher von Übg wird letztlich nicht anders gestellt als ein Bezieher von Krg, bei dem bei rückblickender Betrachtung der Versicherungsfall der BU oder EU bereits eingetreten war.

Daß der Kläger durch die vom Senat befürwortete Auslegung des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI nicht in den Genuß von Alg und BU-Rente gleichzeitig kommt, entspricht dem Regelungsziel dieser Vorschrift (hierzu oben [zu 1]). Er kann deshalb aus Art 3 Abs 1 GG keinen Anspruch darauf herleiten, ebenso behandelt zu werden wie jene Versicherten, die jene typisierende Vorschrift - atypisch und dem Regelungszweck zuwiderlaufend - begünstigt.

(zu d) Aus der Zahlbetragsgarantie in Höhe der "fiktiven" Rente ab dem Monat des Antrags auf die Rehabilitationsmaßnahme nach § 40d Abs 1 und 4 RKG (= § 1241d Abs 1 und 4 RVO, § 18d Abs 1 und 4 AVG, § 24 Abs 4 SGB VI) ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Die Versicherten haben während dieser Zeit keinen Anspruch auf Rente, sollen jedoch - im Vergleich zu den ihnen ansonsten zustehenden Rentenbeträgen - nicht dadurch einen Nachteil erleiden, daß eine Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt wird. Dem entspricht, daß der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 25. Mai 1993 (SozR 3-2200 § 1304a Nr 2) das sog Rentnerprivileg (§ 83a Abs 4 Satz 2 Buchst a und b AVG) auch dann gelten läßt, wenn zum Zeitpunkt der Übertragung der Anwartschaften im Rahmen des Versorgungsausgleichs zwar noch keine Rente bezogen wurde, jedoch Anspruch auf Übg "wenigstens in Höhe der Rente" bestanden hatte. Die Zahlbetragsgarantie korrespondiert hier mit dem Besitzschutzgedanken des sog Rentnerprivilegs. Ebenso hat der 5. Senat des BSG im Urteil vom 4. Februar 1988 (SozR 2200 § 1241d Nr 13) bei der Zahlung von Übg in Höhe der Rente die Vorschrift über die Anrechnung von Einkommen auf das Übg (§ 1241f Abs 1 RVO) nicht angewendet, da dann die Zahlbetragsgarantie wertlos wäre. Anders liegt der Fall des Klägers: Dieser hatte hinsichtlich der Höhe der ihm vom 1. Mai bis zum 27. August 1991 zugeflossenen Leistungen (Übg sowie Krg) keinen finanziellen Nachteil gegenüber dem Zustand hinnehmen müssen, der sich ergeben hätte, wenn er bereits ab 1. Mai 1991 die BU-Rente erhalten hätte. Im übrigen garantiert nunmehr § 24 Abs 4 letzter Halbsatz SGB VI nur den Rentenzahlbetrag, der sich nach Anwendung der Regelungen über das Zusammentreffen von Renten und von Einkommen (also der §§ 89 ff SGB VI) ergibt. Das Ruhen der Rente wegen gleichzeitigen Bezugs von Alg hat also Vorrang.

(zu e) Nichts anderes folgt aus dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (§ 7 Abs 1 RehaAnglG, § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VI).

Entgegen der Meinung der Revision kann diesem Grundsatz nicht entnommen werden, daß der Versicherte von allen denkbaren rentenrechtlichen Nachteilen freizustellen ist, die sich auch indirekt aus dem hinausgezögerten Beginn der Rentenzahlung wegen der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme ergeben. Ein solcher Rechtssatz ist der vom Kläger herangezogenen Entscheidung des 4. Senats vom 25. Mai 1993 (SozR 3-2200 § 1304a Nr 2) nicht zu entnehmen. Das Urteil des BSG vom 28. Januar 1971 (BSGE 32, 186 = SozR Nr 56 zu § 183 RVO; ihm folgend BSG vom 17. April 1991, USK 9111) ist nicht einschlägig, denn es betrifft die Anrechnung von BU-Rente auf das Krg bei einer besonderen Fallkonstellation aufgrund einer mittlerweile überholten, unbefriedigenden Rechtslage. Die damals fehlende Harmonisierung des Beginns von Rente und Krg (Rente vom 1. des Monats des Eintritts des Versicherungsfalles, Krg mit Beginn der Krankheit bzw Feststellung der Arbeitsunfähigkeit während des laufenden Monats) führte dazu, daß entgegen der Intention des Gesetzgebers in aller Regel die BU-Rente nicht auf das Krg angerechnet werden konnte, da sie vor dem Krg eingesetzt hatte. Wer anstelle einer Rente Übg bezog, so daß der Beginn der Rente nach dem Beginn des Krg lag, sollte bei dieser Ausgangslage hinsichtlich der Höhe des Krg nicht schlechter und auch nicht besser gestellt werden, als wenn die Rehabilitationsmaßnahme nicht durchgeführt worden wäre.

Im vorliegenden Fall geht es allein um die (pauschalierende und generalisierende) Festlegung einer Grenzlinie, von der an eine neue Anwartschaft für den Bezug von nicht auf die BU-Rente anrechenbarem Alg aufgebaut werden kann. Beginnt die Rente nach erfolgloser Durchführung eines Rehabilitationsverfahrens erst mit dem Ende der Maßnahme, kann eine schützenswerte Vertrauensposition des Klägers hinsichtlich der evtl Nichtanrechnung von künftigem Alg auf die BU-Rente nicht entstanden sein. Denn zu dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherte eine Rehabilitationsmaßnahme beantragt oder an einer solchen mitwirkt, ist noch offen, ob diese vollen, teilweisen oder keinen Erfolg haben wird und zB zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, zur Vermeidung des Versicherungsfalles der EU oder auch nur zu einer zeitlichen Verschiebung oder Begrenzung des Versicherungsfalles der BU führt. Alle Eckdaten für die Anrechnung oder Nichtanrechnung von Alg sind also erst im nachhinein bekannt. Der Kläger erleidet zugegebenermaßen im Ergebnis dadurch einen Nachteil, daß er nicht bereits ab 1. Mai 1991 eine BU-Rente bezieht. Wäre bei ihm jedoch zB nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme EU festgestellt worden, wäre einerseits der Anspruch auf Krg (und später auf Alg) entfallen, andererseits hätte er wegen des durch die Rehabilitationsmaßnahme hinausgeschobenen Rentenbeginns das in der Regel gegenüber der Rente höhere Krg (als Spitzbetrag neben dem Übg, §§ 24 Abs 1, 21 SGB VI; § 49 Abs 1 Nr 3 SGB V) längere Zeit bezogen.

Nachdem die Weiterzahlung der BU-Rente des Klägers bereits an der fehlenden Erfüllung der (Mindest-)Anwartschaftszeit für das Alg nach § 104 AFG "nach Beginn der Rente" scheitert, kann der Senat offenlassen, welche Bedeutung dem Wort "insgesamt" bei der Auslegung des § 95 Satz 2 Nr 2 SGB VI zukommt und welcher der drei denkbaren Varianten der Vorzug zu geben ist. So könnte einerseits ausreichend sein, die Anwartschaftszeit für das Alg aus Beitragszeiten und gleichgestellten Zeiten "nach Beginn der Rente" zu erreichen, um das Alg, auch wenn es zum Großteil auf Beiträgen vor Beginn der Rente beruht, in voller Höhe und für die gesamte Leistungsdauer (maximal, wie auch im Falle des Klägers, für 832 Tage) anrechnungsfrei zu stellen. Andererseits könnte aber auch einschränkend nur ein "fiktives" Alg aus der nach Beginn der Rente erworbenen Anwartschaft anrechnungsfrei belassen werden (im Falle des Klägers aus 360 Tagen für 156 Tage, § 106 Abs 1 Satz 1 AFG). Schließlich könnte die Regelung so zu verstehen sein, daß unabhängig vom Erreichen der Anwartschaftszeit "nach Beginn der Rente" Alg stets angerechnet wird, wenn es tatsächlich hinsichtlich Höhe und Dauer auch auf Beschäftigungszeiten oder gleichgestellten Zeiten vor Beginn der Rente beruht, also nicht "insgesamt" auf einer "nach Beginn der Rente" erworbenen Anwartschaft (dies würde in einem Falle wie dem des Klägers zum Ruhen der BU-Rente in Höhe des Alg führen).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHTAz: 8 RKn 3/94

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518851

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