Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines selbständigen Rechtsanwalts auf Arbeitslosenhilfe
Orientierungssatz
1. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft schließt die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung und damit Arbeitslosigkeit iS des § 101 Abs 1 S 1 nicht aus.
2. Selbst der Rechtsanwalt, der letztlich nur selbständig tätig werden will, kann arbeitslos sein, solange er ua zur Absicherung seiner Existenz für eine Übergangszeit eine abhängige Beschäftigung von mehr als geringfügigem (kurzzeitigem) Umfang anstrebt.
3. Bei der Beurteilung, ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit geringfügig (kurzzeitig) ist, ist ein objektiver Maßstab anzusetzen, dh darauf abzustellen, welche Zeit normalerweise benötigt wird. Generalisiert wird dabei nicht "die Sache", sondern die Fähigkeit des Ausführenden. Das bedeutet, daß es nicht auf die individuellen Fähigkeiten des Antragstellers ankommt, sondern auf durchschnittliche, daß aber andererseits nicht von einer abstrakten, generalisierten Tätigkeit auszugehen ist, sondern von den Verrichtungen, die der Antragsteller vorzunehmen hat bzw voraussichtlich vornehmen muß (vgl BSG 1981-03-17 7 RAr 19/80).
4. Es gibt keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, daß die Tätigkeit eines selbständigen Rechtsanwalts ihrer Art und ihrem Wesen nach nicht auf weniger als 20 Stunden wöchentlich beschränkt zu sein pflegt; eine solche Beschränkung könnte nur vorliegen, wenn die Praxis durch besondere Einschränkungen gekennzeichnet wäre, die das Tätigkeitsfeld des Anwalts durch äußere Vorkehrungen begrenzen.
Normenkette
AFG § 101 Abs 1 S 1, § 102 Abs 1 S 1, § 134 Abs 1 S 1 Nr 1; BRAO
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 30.06.1980; Aktenzeichen L 10/1 Ar 767/79) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 27.03.1979; Aktenzeichen S 7 Ar 668/77) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften trat der Kläger am 1. März 1972 den juristischen Vorbereitungsdienst an, den er am 9. Januar 1976 mit der zweiten juristischen Staatsprüfung abschloß; am 24. Februar 1976 wurde er als Rechtsanwalt zugelassen.
Auf den Antrag vom 20. Januar 1976 gewährte die Beklagte dem Kläger Alhi. Nachdem der Kläger vom 26. Juli bis 16. September 1976 Anwaltsvertretungen übernommen hatte, gewährte die Beklagte ihm durch Bewilligungsverfügung vom 19. Oktober 1976 erneut Alhi ab 29. September 1976.
Im März 1977 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er sich bemühe, eine eigene Kanzlei aufzubauen. Daraufhin hob die Beklagte die Alhi-Bewilligung ab 1. März 1977 auf (Bescheide vom 21. April und 27. September 1977; Widerspruchsbescheid vom 30. September 1977). Das Sozialgericht (SG) hob die genannten Bescheide auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger ab 27. März 1973 Alhi in gesetzlichem Umfange weiterzugewähren. Es nahm an, der Kläger sei unbeschadet seiner freiberuflichen Tätigkeit als Arbeitnehmer anzusehen und habe weiterhin der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Er sei arbeitslos; seine freiberufliche Anwaltstätigkeit pflege nach ihrer tatsächlichen Gestaltung auf weniger als 20 Stunden wöchentlich beschränkt zu sein (Urteil vom 27. März 1979). Den am 11. April 1979 gestellten Antrag auf Wiederbewilligung von Alhi hat die Beklagte durch Bescheide vom 4. Dezember 1979, 14. und 18. Januar 1980 abgelehnt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG), das die Ablehnung der Wiederbewilligung gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Gegenstand des Berufungsverfahrens angesehen hat, das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 30. Juni 1980). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe gemäß § 151 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die Bewilligung aufheben und die Wiederbewilligung ablehnen können, da dem Kläger vom Zeitpunkt seiner Niederlassung als Anwalt am 1. März 1977 ein Anspruch auf Alhi nicht mehr zustehe. Zwar scheitere der Anspruch nicht daran, daß es etwa an der Arbeitsbereitschaft fehle; doch sei der Kläger nicht arbeitslos, wie dies § 134 Abs 1 Nr 1 AFG ua voraussetze. Der Kläger übe nämlich als Selbständiger eine Tätigkeit aus, die die Grenze der Geringfügigkeit bzw Kurzzeitigkeit (§ 102 AFG) überschreite. Dabei sei ein objektiver Maßstab anzulegen, dh zu fragen, ob bei normalem Ablauf ein durchschnittlich Begabter weniger als 20 Stunden für die Arbeiten benötige. Daher komme es nicht darauf an, wie lange der Kläger tätig geworden sei. Entscheidend sei vielmehr, daß die Tätigkeit eines selbständigen Rechtsanwalts ihrer Art und ihrem Wesen nach nicht auf weniger als 20 Stunden wöchentlich beschränkt zu sein pflege. Dies könne nur der Fall sein, wenn die Praxis durch besondere Einschränkungen gekennzeichnet sei, die das Tätigkeitsfeld durch äußere Vorkehrungen begrenzten. Besonderheiten, die im Falle des Klägers darauf schließen ließen, daß die Anwaltstätigkeit auf weniger als 20 Stunden wöchentlich beschränkt zu sein pflege, seien nicht erkennbar. Der zeitliche Umfang lasse sich aus der Zahl der Mandate nicht in Stunden feststellen; bereits die von vornherein zeitlich kaum einschränkbare Tätigkeit bei Gericht entziehe sich der objektiven Einschätzung. Dies gelte auch für die Beratung, die im Falle des Klägers zudem Rechtsfälle von besonderer Tragweite umfaßt habe. Sobald die Zulassung als Anwalt durch das Unterhalten einer Kanzlei in der Innenstadt von Frankfurt nach außen in Erscheinung trete, könne - unabhängig von der Zahl der Mandate und den Zeitaufwand für Sprechstunden und Reisen - nicht mehr davon ausgegangen werden, daß der anwaltlichen Tätigkeit von der Natur der Sache her eine zeitliche Begrenzung immanent sei; es fehlten annähernd sichere objektive Zeitkriterien. Auch der Umsatz lasse keine Schlüsse zu, zumal da der Kläger zum Teil ohne Honorar gearbeitet haben wolle. Die Tätigkeit eines Rechtsanwalts entziehe sich der zeitlichen Kalkulierbarkeit, so daß auch die Zahl der Mandate keine Rückschlüsse erlaube. Ein solcher Schluß lasse sich auch nicht aus dem Kanzleischild ziehen, das keine Sprechzeiten aufweise. Der Kläger, der durch Kanzleischild und Telefonbucheintrag auf seine Praxis hinweise, habe die Möglichkeit, seine Tätigkeit durch äußere Vorkehrungen zu begrenzen, nicht wahrgenommen; eine irgendwie geartete zeitliche Begrenzung seiner Tätigkeit lasse sich aus allen objektiv erkennbaren Umständen nicht herleiten.
Der Kläger rügt mit der Revision, das LSG stelle die Rechtsprechung des Senats zu § 102 AFG zum Nachteil arbeitsloser Rechtsanwälte auf den Kopf. Wenn bei Zeitungszustellern und bei Lehrern sämtliche meßbaren Tätigkeitsumstände heranzuziehen seien (s SozR 4100 § 102 Nr 3 und 4), müßten für anwaltliche Tätigkeiten um so mehr qualifizierbare und quantifizierbare Tatbestandsmerkmale berücksichtigt werden. Das habe das LSG verkannt, wenn es die Zahl der Mandate, die vom Kläger für die Mandate aufwendete Zeit, als auch die Zeit, die ein durchschnittlicher Anwalt dafür benötigt hätte, als unbeachtlich erkläre. Anwaltstätigkeiten seien zudem objektivierbar, zumal da der Kläger, der keine Hilfskräfte beschäftige, nachweislich eine Ausweitung seiner Praxis abgelehnt habe, um seine Verfügbarkeit nicht zu gefährden. Schließlich verstoße das LSG gegen die Logik, wenn aus Marginalien (wie Telefonbucheintragung oder Kanzleischild) auf den Umfang der Tätigkeit geschlossen werde, während der Zeitaufwand anhand der Anzahl der Mandate angeblich nicht objektivierbar sei, oder aus der Lage der Kanzlei in der Innenstadt geschlossen werde, daß der Tätigkeit von der Natur der Sache her eine zeitliche Beschränkung nicht immanent sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, ihm ab 27. März 1977 Alhi
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie nimmt auf das Urteil des LSG Bezug.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet, soweit er die Verurteilung der Beklagten begehrt, ihm Alhi weiter zu gewähren. Dieses Leistungsbegehren ist neben der Anfechtung unzulässig; der Klage fehlt insoweit das Rechtsschutzbedürfnis. Dem Kläger ist durch Bewilligungsverfügung ab 29. September 1976 Alhi bewilligt worden. Diese Bewilligung ist durch die angefochtenen Bescheide mit Wirkung vom 1. März 1977 aufgehoben worden; die den Wiederbewilligungsantrag ablehnenden Bescheide haben die Aufhebung von der erneuten Antragstellung an bestätigt. Ein Urteil, das der gegen die aufhebenden Bescheide gerichteten Anfechtungsklage stattgibt, stellt die ausgesprochene Bewilligung in vollem Umfange wieder her; ein solches Urteil hat ferner zur Folge, daß die Beklagte den angefochtenen Verwaltungsakt bei gleicher Sachlage nicht wiederholen darf (vgl BSGE 8, 185, 189 f; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 2. Aufl, § 141 Rdnr 10). Der Kläger erreicht sein Prozeßziel mithin schon durch die Anfechtung. Sein weitergehender Antrag ist nicht erforderlich (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 54 Rdnr 40); für ihn fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Im übrigen, dh hinsichtlich der Anfechtungsklage, ist die Revision mit der Maßgabe begründet, daß das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen wird.
Rechtsgrundlage der Aufhebung der Bewilligung der Alhi ist § 151 Abs 1 AFG idF vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582). Diese Vorschrift ist zwar durch Art II § 2 Nr 1 Buchst a des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) gestrichen worden. Das SGB 10 ist jedoch gemäß Art II § 40 Abs 1 SGB 10 erst am 1. Januar 1981 in Kraft getreten. Die Rechtmäßigkeit der vor dem 1. Januar 1981 erfolgten Aufhebungen von Bewilligungen im Arbeitsförderungsrecht ist daher weiterhin nach § 151 Abs 1 AFG zu beurteilen. Danach sind Entscheidungen, durch die Leistungen bewilligt worden sind, insoweit aufzuheben, als die Voraussetzungen für die Leistungen nicht vorgelegen haben oder weggefallen sind. Ob, wie das LSG angenommen hat, die Alhi-Voraussetzungen ab 1. März 1977 beim Kläger weggefallen sind, läßt sich aufgrund der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden.
Nach § 134 Abs 1 AFG in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) hat Anspruch auf Alhi, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) hat, bedürftig ist und außerdem innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, mindestens 10 Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden hat. Nach § 101 Abs 1 Satz 1 AFG (idF vom 25. Juni 1969, BGBl I 582), der für die Alhi entsprechend gilt (§ 134 Abs 2 AFG), ist arbeitslos ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine geringfügige Beschäftigung ausübt. Mit Wirkung vom 1. Juli 1977 ist das Wort "geringfügige" durch "kurzzeitige" ersetzt worden (Art II § 9 Nr 1 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 23. Dezember 1976, BGBl I 3845); eine sachliche Änderung ist hierdurch nicht eingetreten (BSG SozR 4100 § 102 Nr 3). Arbeitsloser Arbeitnehmer ist demnach, wer im Zeitpunkt der Antragstellung und während der Zeit der anschließenden faktischen Beschäftigungslosigkeit zu den Personen zählt, die andernfalls in dieser Zeit eine abhängige Beschäftigung von mehr als geringfügigem (kurzseitigem) Umfange ausüben würden; es ist nicht erforderlich, daß der Antragsteller berufsmäßig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegt (BSGE 41, 229 = SozR 4100 § 101 Nr 1; BSGE 42, 76, 77 = SozR 4100 § 101 Nr 2; BSGE 44, 164, 167 = SozR 4100 § 134 Nr 3).
Danach kann auch der Kläger arbeitslos im Sinne des § 101 Abs 1 Satz 1 AFG sein. Trotz seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kann der Kläger einer abhängigen Beschäftigung nachgehen. Zwar übt der Rechtsanwalt einen freien Beruf aus (§ 2 Abs 1 Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO -). Dieser freie Beruf kann jedoch in abhängiger Beschäftigung, nämlich als Angestellter eines Rechtsanwalts ausgeübt werden (vgl BSG AnwBl 1970, 52; Isele, Kommentar zur BRAO, 1976, 715). Außerdem darf der Anwalt selbständig neben einer abhängigen Beschäftigung in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden, selbst wenn das Beschäftigungsverhältnis die Arbeitszeit und -kraft des Rechtsanwalts überwiegend in Anspruch nimmt; denn § 46 BRAO, der in diesen Fällen dem Rechtsanwalt untersagt, vor Gerichten und Schiedsgerichten für den Arbeitgeber als Anwalt aufzutreten, setzt die Zulässigkeit solcher Beschäftigungsverhältnisse von Rechtsanwälten gerade voraus (BGHZ 33, 266, 267f; 71, 138, 140). Allerdings ist nicht jede abhängige Beschäftigung neben der Rechtsanwaltschaft möglich; die Zulassung wird nicht erteilt, bzw kann zurückgenommen werden, wenn der Anwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf eines Rechtsanwalts oder mit dem Ansehen der Rechtsanwaltschaft nicht vereinbar ist (§ 7 Nr 8, § 15 Nr 2 BRAO). Grundsätzlich schließt die Zulassung jedoch die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung nicht aus.
Reicht es nach § 101 Abs 1 Satz 1 AFG aus, daß der Antragsteller während der faktischen Beschäftigungslosigkeit zu den Personen zählt, die andernfalls in dieser Zeit eine abhängige Beschäftigung von mehr als geringfügigem (kurzzeitigem) Umfange ausüben würden, können auch Personen, die nur für eine Übergangszeit eine abhängige Beschäftigung suchen, arbeitslos sein; maßgebend ist, ob der Antragsteller bei Antragstellung und während der Zeit, für die Alg bzw Alhi begehrt wird, eine abhängige Beschäftigung von mehr als geringfügigem Umfange anstrebt. Daher kann Arbeitslosigkeit nicht nur bei dem Rechtsanwalt vorliegen, der nach Verlust seines Beschäftigungsverhältnisses die nebenbei betriebene selbständige Tätigkeit geringen Umfangs beibehalten will oder bemüht ist, die Kanzlei, die er nach § 27 Abs 1 BRAO von Amts wegen zu unterhalten hat, nunmehr bis zu einem solchen Umfange aufzubauen; selbst der Rechtsanwalt, der letztlich nur selbständig tätig werden will, kann arbeitslos sein, solange er ua zur Absicherung seiner Existenz für eine Übergangszeit eine abhängige Beschäftigung von mehr als geringfügigem (kurzzeitigem) Umfang anstrebt. Wesen und Zweck der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit stehen dem nicht entgegen. Zwar ist es nicht Aufgabe von Alg und Alhi, die Gründung selbständiger Tätigkeiten zu fördern; ebenso wie der Arbeitnehmer jedoch seinen Lohn hierzu verwenden kann, kann ihm bei Arbeitslosigkeit nicht verwehrt werden, Lohnersatzleistungen hierfür einzusetzen, sofern ihm solche zustehen.
Daß der Kläger, wenn er nicht faktisch beschäftigungslos wäre, eine abhängige Beschäftigung von mehr als geringfügigem (kurzzeitigem) Umfange ausübte, hat das LSG nicht in Frage gestellt. Es hat vielmehr die Arbeitslosigkeit verneint, weil nach § 101 Abs 1 Satz 2 AFG nicht arbeitslos ist, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt, die die Grenze des § 102 AFG überschreitet. Nach § 102 AFG ist geringfügig (ab 1. Juli 1977: kurzzeitig) eine Beschäftigung, die auf weniger als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Ob die selbständige Tätigkeit des Klägers geringfügig (kurzzeitig) ist, ist somit nach der Natur der Sache, dh, der Art und dem Umfange der anfallenden Verrichtungen sowie den zeitlichen Umständen ihrer Erledigung nach, zu beurteilen. Dem § 102 AFG liegt die Erwägung zugrunde, daß ein Arbeitnehmer, der innerhalb der Geringfügigkeits- bzw Kurzzeitigkeitsgrenze tätig oder beschäftigt ist, daneben noch eine mehr als geringfügige Beschäftigung ausüben kann und deshalb wegen der ausgeübten Beschäftigung oder Tätigkeit dem Arbeitsmarkt nicht entzogen ist (vgl BSGE 2, 67, 77; 3, 1, 3). Daher bleibt bei der Beurteilung, ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit geringfügig (kurzzeitig) ist, die Mitarbeit Dritter bei der Beschäftigung oder der selbständigen Tätigkeit außer Betracht (vgl BSGE 18, 222, 224; Urteil des Senats vom 17. März 1981 - 7 RAr 19/80 - mwN); andererseits sind die individuellen Besonderheiten der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer ausführen soll oder will, zu berücksichtigen. Maßgebend ist, ob bei normalem Ablauf der Ereignisse eine durchschnittlich begabter Ausführender mit durchschnittlichen Fähigkeiten unter üblichen Bedingungen nicht mehr bzw weniger als 20 Stunden benötigt oder nicht; es ist ein objektiver Maßstab anzusetzen, dh darauf abzustellen, welche Zeit normalerweise benötigt wird. Generalisiert wird dabei nicht "die Sache", sondern die Fähigkeit des Ausführenden. Das bedeutet, daß es nicht auf die individuellen Fähigkeiten des Antragstellers ankommt, sondern auf durchschnittliche, daß aber andererseits nicht von einer abstrakten, generalisierten Tätigkeit auszugehen ist, sondern von den Verrichtungen, die der Antragsteller vorzunehmen hat bzw voraussichtlich vornehmen muß (vgl BSG SozR 4100 § 102 Nr 4; Urteil des Senats vom 21. Mai 1980 - 7 RAr 31/79 -; Urteil des Senats vom 17. März 1981 - 7 RAr 19/80 -).
Auch wenn es um das Ausmaß der selbständigen Tätigkeit eines Rechtsanwalts geht, sind die individuellen Besonderheiten der Tätigkeit des Antragstellers zu berücksichtigen; der Rechtsanwalt ist nämlich nicht gehalten, in einem zeitlich bestimmten Umfange den Rechtsuchenden zur Verfügung zu stehen. Vielmehr gehört es zum Wesen der freien (§ 2 Abs 1 BRAO) und unabhängigen (§ 1 BRAO) Berufsausübung, daß der Rechtsanwalt selbst bestimmen kann, wieviele und welche Aufträge er übernehmen und durchführen will (vgl § 44 BRAO). Nicht nur durch die Zahl, sondern auch die Art der zu übernehmenden Aufträge sowie durch den Einsatz von Mitarbeitern und Hilfsmitteln läßt sich der Umfang der Verrichtungen, die der selbständige Rechtsanwalt schließlich selbst ausführen muß, verringern. So kann sich der Rechtsanwalt auf reine Rechtsberatung spezialisieren. Abgesehen von den Fällen der §§ 48 und 49 BRAO (Beiordnungen und Pflichtverteidigungen) ist der Anwalt zu forensischer Tätigkeit nicht verpflichtet (BGHZ 53, 103, 105); Beiordnungen und Pflichtverteidigungen lassen sich zudem abwenden (vgl §§ 48 Abs 2, 49 Abs 2 BRAO). In der Gestaltung seiner Mandate unterliegt er keiner Beschränkung (BGH aaO). Deshalb ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen des Umfangs einer anderen Tätigkeit solange nicht ausgeschlossen, als der Bewerber rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, den Anwaltsberuf in einem, wenn auch beschränkten, so doch irgendwie nennenswerten Umfange und jedenfalls mehr als gelegentlich auszuüben; lediglich eine nur geringfügige Möglichkeit, sich als Rechtsanwalt zu betätigen, schließt die Zulassung aus (vgl BGHZ 33, 266, 268; 71, 138, 140 f mwN). Das für eine ordnungsmäßige Ausübung des Anwaltsberufs (noch) zulässige Maß der Beschränkung kann nicht schematisch, etwa in bestimmten Bruchteilen der Arbeitszeit und Arbeitskraft festgelegt werden (BGHZ 71, 138, 140). Von Gesetzes wegen ist mithin kein Rechtsanwalt gehindert, seine anwaltliche Tätigkeit derart zu gestalten, daß sie im Sinne des § 102 FG der Natur der Sache nach auf weniger als 20 Stunden in der Woche beschränkt ist.
Feststellungen, wieviele Stunden in der Woche ein durchschnittlich begabter Rechtsanwalt benötigt, um die Verrichtung zu erledigen, die den Kläger in seiner Praxis erwarten, hat das LSG nicht getroffen. Es ist vielmehr davon ausgegangen, die Tätigkeit eines selbständigen Rechtsanwalts pflege ihrer Art und ihrem Wesen nach nicht auf weniger als 20 Stunden wöchentlich beschränkt zu sein; eine solche Beschränkung könnte nur vorliegen, wenn die Praxis durch besondere Einschränkungen gekennzeichnet wäre, die das Tätigkeitsfeld des Anwalts durch äußere Vorkehrungen begrenzen. Entsprechend hat das LSG lediglich geprüft, ob der Kläger äußere Vorkehrungen getroffen hat, die sein Tätigkeitsfeld begrenzen. Dem kann nicht gefolgt werden, mag auch die Feststellung des Umfangs der selbständigen Tätigkeit, besonders eines Anwalts, schwierig sein. Einen Rechts- oder Erfahrungssatz, wie ihn das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, gibt es nicht. Selbständige Rechtsanwälte müssen, wie dargestellt, ihren Beruf nicht als Vollzeitberuf ausüben; vielfach wird die Anwaltstätigkeit nur in geringem Umfang (zB im Alter) oder als Nebentätigkeit ausgeübt; insbesondere trifft es nicht zu, daß von Rechts wegen die selbständige Tätigkeit eines Rechtsanwalts nur dann geringfügig (kurzzeitig) ist, wenn der Anwalt sein Tätigkeitsfeld durch äußere Vorkehrungen begrenzt hat; allerdings erleichtern solche Vorkehrungen den Nachweis, daß der Rechtsanwalt, der Alg oder Alhi beantragt hat, trotz seiner Tätigkeit arbeitslos ist und objektiv und subjektiv der Arbeitsvermittlung für eine Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zur Verfügung steht, also auch eine hinsichtlich ihrer Dauer übliche Tätigkeit aufnehmen will und kann (vgl BSGE 42, 76, 83f = SozR 4100 § 101 Nr 2).
Fehlen mithin die erforderlichen Feststellungen über den Umfang der selbständigen Tätigkeit des Klägers, ist die Revision begründet. Die Klageabweisung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig. Der Kläger hat zwar innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, nicht 10 Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden.
An die Stelle der ganz oder teilweise fehlenden entlohnten Beschäftigung tritt jedoch nach § 1 Nr 1 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 7. August 1974 (BGBl I 1929) das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis; in einem solchen Dienstverhältnis hat sich der Kläger bis zur Ablegung der zweiten juristischen Staatsprüfung als Gerichtsreferendar befunden. Angesichts der vom LSG getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, daß mit dem 1. März 1977 eine der weiteren Alhi-Voraussetzungen (Verfügbarkeit, kein Anspruch auf Alg, Arbeitslosmeldung, Bedürftigkeit) weggefallen ist. Eine Entscheidung in der Sache selbst ist dem Senat verwehrt. Das Urteil des LSG ist daher gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Für die erneute Entscheidung wird folgendes zu beachten sein: Die Prüfung, ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit geringfügig (kurzzeitig) ist, ist grundsätzlich nach der voraussichtlichen Entwicklung bei Beginn bzw einer Änderung des Beschäftigungsverhältnisses bzw der selbständigen Tätigkeit vorzunehmen. Mithin kommt es, auch wenn der tatsächliche Verlauf inzwischen bekannt ist, grundsätzlich auf die Merkmale und Umstände an, wie sie bei Beginn der selbständigen Tätigkeit vorgelegen haben (vgl BSG SozR 4100 § 102 Nr 3 mwN; Urteil des Senats vom 19. Juni 1980 - 7 RAr 14/79 -; zum früheren Recht BSGE 13, 98, 100). Es ist daher zunächst festzustellen, welche Verrichtungen nach der Art und Weise, wie der Kläger seine Praxis aufzubauen gedachte, auf ihn zukommen würden und wie der Kläger die anfallenden Arbeiten erbringen wollte. Es wird daher zu prüfen sein, mit welchen Mandaten der Kläger bei realistischer Betrachtung seiner Lage rechnen konnte, ob und wie er den Mandantenkreis erweitern wollte und schließlich, wer die anfallenden Arbeiten erbringen sollte. Gegebenenfalls sind Zeitabschnitte zu bilden, wenn nach und nach mit einer Zunahme an Mandaten zu rechnen war.
Beabsichtigte der Kläger, sich zu bestimmten Stunden (etwa während der üblichen Bürostunden) für Mandantenbesuche, Telefonate usw ständig bereit zu halten, muß diese Zeit voll berücksichtigt werden, selbst wenn der Kläger sie nicht mit der Bearbeitung von Aufträgen ausfüllen konnte. Das gleiche gilt für die Zeit, die der Kläger regelmäßig aufwenden wollte, um auf andere Weise Mandate zu erhalten. Ebenso wird zu berücksichtigen sein, daß der Kläger sich nach seinen Angaben keiner Hilfskräfte bediente, er mithin selbst solche Arbeiten erbringen mußte, die andere Anwälte Kanzleikräften zu überlassen pflegen. Je nach den Umständen können auch Einrichtung und Ausstattung des Büros den behaupteten Umfang bestätigen; denn im allgemeinen werden Einrichtung und Ausstattung der jeweiligen Inanspruchnahme angepaßt. Als zusätzliches Beweismittel wird das LSG ggf die tatsächliche Entwicklung mit heranziehen können (vgl BSGE 13, 98, 101); auch wird zu berücksichtigen sein, daß ein von der Erwartung völlig abweichender tatsächlicher Verlauf von der endgültigen Abänderung dieser Verhältnisse an eine neue Beurteilung zu rechtfertigen vermag (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 168 RVO), etwa wenn sich der Kanzleibetrieb in erheblichem Umfange erweitert hat oder bestimmte Aufträge nicht nur vorübergehend eine größere zeitliche Belastung mit sich bringen.
Für die Beurteilung, welchen zeitlichen Aufwand die Verrichtungen erfordern, die den Kläger erwarteten, ist, wie das LSG nicht verkannt hat, nicht entscheidend, wie lange der Kläger persönlich für die Bearbeitung braucht bzw gebraucht hat; allerdings sollte das LSG beachten, daß, je mehr Zeit der Kläger für seine Anwaltstätigkeit benötigt, seine Verfügbarkeit zweifelhaft wird (vgl BSGE 42, 76, 83f = SozR 4100 § 101 Nr 2; Hennig/Kühl/Heuer, Kommentar zum AFG, § 101 Anm 6, Januar 1979). Es ist vielmehr auf einen Rechtsanwalt mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen abzustellen. Hierbei sollte sich das LSG ggf sachverständiger Hilfe bedienen. Es mögen bislang kaum einschlägige Untersuchungen vorliegen (vgl aber Koch AnwBl 1976, 63; Franzen NJW 1973, 2054). Erfahrene Rechtsanwälte dürften aber zumindest Schätzungen anhand von Mandatszahlen vornehmen können; Fragen ähnlicher Art stellen sich nämlich sowohl bei der Übernahme größerer Aufträge, bei der Übernahme einer Kanzlei, bei Gründung und Verkleinerung von Sozietäten sowie der Einstellung und Entlassung angestellter Rechtsanwälte. Sollte sich jedoch nicht klären lassen, ob die Tätigkeit des Klägers geringfügig (kurzzeitig) ist oder nicht oder ob sonstige Voraussetzungen des Alhi-Anspruchs entfallen sind, wird das LSG zu beachten haben, daß bei der Aufhebung der Bewilligung einer Leistung den Nachteil der Nichterweislichkeit, daß die Voraussetzungen für die Leistung weggefallen sind, im allgemeinen die Beklagte trägt (vgl Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 2. Aufl § 103 Rdnr 19).
Fundstellen