Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. Februar 1995 insoweit aufgehoben, als es den Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit betrifft.
Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Kläger hat ein Drittel der Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Im übrigen bleibt die Kostenentscheidung der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU) hat.
Der 1935 geborene Kläger war von Juni 1950 bis Juli 1960 versicherungspflichtig beschäftigt und zwar zunächst als Kunststeinzementeur. Im April 1955 wurde er von der Deutschen Bundespost als Arbeiter eingestellt und im Zustelldienst als Brief- und Paketzusteller eingesetzt. Die Entlohnung erfolgte zunächst nach Lohngruppe VIII, ab Juli 1955 nach Lohngruppe VII und ab 27. Mai 1960 nach Lohngruppe IV des Tarifvertrags für die Arbeiter der Deutschen Bundespost, nachdem der Kläger an diesem Tag die Prüfung für den einfachen Postdienst bestanden hatte. Am 1. August 1960 wurde er als Postschaffner mit der Besoldungsgruppe A 2 in das Beamtenverhältnis übernommen. Seither hat er keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.
Am 2. Januar 1979 erlitt der Kläger einen Dienstunfall (Bruch der rechten Kniescheibe). Wegen Dienstunfähigkeit wurde er zum 1. August 1990 in den Ruhestand versetzt. Im Oktober 1990 beantragte er bei der Beklagten Rente wegen EU bzw BU. Die Beklagte lehnte den Antrag ohne Begutachtung ab, weil der letzte Beitrag am 31. Juli 1960 geleistet worden war (Bescheid vom 12. November 1990; Widerspruchsbescheid vom 6. März 1991).
Im Rahmen des Klageverfahrens hat sich die Beklagte bereit erklärt (Schriftsatz vom 12. September 1991), im Wege des Herstellungsanspruchs die Entrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ablauf des Kalenderjahres vor Eintritt einer möglichen EU oder BU – ggf auch darüber hinaus – zuzulassen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Dezember 1992) und ausgeführt, es könne dahinstehen, ob der Kläger Facharbeiter oder nur Angelernter oberen Ranges sei. Als Facharbeiter könne er mit seinen Kenntnissen auf herausgehobene Tätigkeiten des Büro- und Verwaltungsbereiches der Vergütungsgruppe X und VIII des Bundesangestelltentarifvertrages verwiesen werden. Diese Tätigkeiten könne er aufgrund seines Gesundheitszustandes noch vollschichtig leisten. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger sei Angelernter oberen Ranges und könne noch körperlich leichte Arbeiten vollschichtig in wechselnder Körperhaltung verrichten. Er sei zumutbar auf die Tätigkeit eines einfachen Pförtners verweisbar (Urteil vom 10. Februar 1995).
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Berufungsgericht habe gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, als es seiner Beurteilung der Wertigkeit des vom Kläger ausgeübten Berufs Auskünfte zugrunde gelegt habe, die der 2. Senat des LSG in einem anderen Verfahren eingeholt habe. Diese Auskünfte seien dem Kläger während des Verfahrens weder zugänglich gemacht, noch sei auf solche hingewiesen worden. Insofern liege eine Überraschungsentscheidung vor. Außerdem sei dem LSG eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht vorzuwerfen, weil es abgelehnt habe, den Sachverhalt durch ein weiteres fachorthopädisches Gutachten aufzuklären. Ein solches Gutachten sei erforderlich, weil die bislang beauftragten Gutachter sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hätten, ob der Eintritt der BU durch die Folgen des Dienstunfalles bedingt sei. Insoweit seien die Entscheidungsgründe auch widersprüchlich. Im angefochtenen Urteil sei ausgeführt, daß gemäß dem Bericht des Postarztes Dr. W. … vom 24. Januar 1990 die Dienstunfähigkeit überwiegend auf die Folgen des Dienstunfalles zurückgeführt werde; demgegenüber finde sich an anderer Stelle die Feststellung, daß die Ärzte entsprechende Anhaltspunkte nicht gefunden hätten. Schließlich habe das LSG in materiell-rechtlicher Hinsicht dem Kläger zu Unrecht den Berufsschutz eines Facharbeiters verweigert. Die tarifliche Eingruppierung des Klägers in die Lohngruppe IV des einschlägigen Tarifvertrages rechtfertige die Zuordnung des Klägers zur Gruppe der Facharbeiter; als solcher müsse er sich nicht auf die Tätigkeit eines einfachen Pförtners verweisen lassen. Hierzu hätten im übrigen durch ein berufskundliches Gutachten typische Arbeitsabläufe und Belastungssituationen dieses Berufs festgestellt werden müssen. Durch ein medizinisches Gutachten sei weiter aufzuklären gewesen, ob nicht bereits aufgrund der erheblichen orthopädischen Beschwerden und der deutlichen Bewegungseinschränkungen des Klägers EU vorliege.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. Februar 1995 und des Sozialgerichts Mainz vom 15. Dezember 1992 aufzuheben sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 12. November 1990 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 1991 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab Antragstellung Erwerbs-, hilfsweise Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren,
hilfsweise, nach Zahlung der ab 1. Januar 1984 nachzuentrichtenden freiwilligen Beiträge, soweit dies nach den gesetzlichen Bestimmungen erforderlich ist, ab Antragstellung Rente wegen Erwerbs-, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren,
hilfsweise, den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zur weiteren Aufklärung zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig. Das LSG hat, wie sich aus dem entsprechenden Ausspruch im Tenor des Berufungsurteiles sowie aus der Rechtsmittelbelehrung ergibt, die Revision zugelassen (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Zwar wird in den Entscheidungsgründen im Widerspruch dazu das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zulassung der Revision verneint; dies steht jedoch der Statthaftigkeit der Revision nicht entgegen, weil aus dem Gesamtzusammenhang zu schließen ist, daß es sich insoweit lediglich um ein Formulierungsversehen handelt.
Die von dem Kläger eingelegte Revision ist auch im übrigen zulässig. Insbesondere liegt keine nach § 168 Satz 1 SGG unzulässige Klageänderung vor. Der Kläger hat zwar seinen Klageantrag im Revisionsverfahren im Vergleich zu dem Berufungsverfahren insofern erweitert, als er nicht mehr Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU ab dem 1. Januar 1992 (dann würden die §§ 43, 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫ iVm §§ 240, 241 SGB VI Anwendung finden), sondern Rentengewährung wegen EU, hilfsweise wegen BU nun bereits ab Antragstellung (Oktober 1990) begehrt. Auch im Revisionsverfahren sind jedoch solche Änderungen des Klageantrags zulässig, die nach § 99 Abs 3 SGG keine Klageänderungen darstellen (Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 5. Aufl 1993, § 168 SGG RdNr 2). Gemäß § 99 Abs 3 Nr 2 SGG ist es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, weil der auf einen früheren Rentenbeginn gerichtete neue Antrag – ausgehend vom angefochtenen Urteil – eine solche Erweiterung darstellt.
Die Revision ist jedoch unbegründet, soweit es den Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen EU anbelangt. In bezug auf den Anspruch auf Rente wegen BU ist sie dagegen sowohl hinsichtlich des Hauptantrages als auch bezüglich des ersten Hilfsantrages iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreites an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Es sind ergänzende Feststellungen zur Fähigkeit des Klägers, seinen bisherigen Beruf auszuüben, zur Wertigkeit seines bisherigen Berufs, ggf zu einer zumutbaren Verweisungstätigkeit sowie zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eines Rentenanspruchs erforderlich.
Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil der Kläger den Rentenantrag vor dem 1. April 1992 gestellt hat und der begehrte Rentenbeginn vor dem 1. Januar 1992 liegt (§ 300 Abs 2 SGB VI; Kasseler Komm-Niesel, Stand 1. April 1995, § 300 SGB VI RdNr 7).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen EU. Gemäß § 1247 Abs 2 Satz 1 RVO ist erwerbsunfähig der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Nach den insoweit unangegriffenen und somit den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger ab 1. November 1992 – und erst recht in der Zeit davor – durchaus noch in der Lage, jedenfalls noch körperlich leichte Arbeiten vollschichtig in wechselnder Körperhaltung zu verrichten. Bei einem derartigen Leistungsvermögen ist EU nicht gegeben.
Im Zusammenhang mit der Ablehnung des Anspruchs auf EU-Rente greift die Rüge des Klägers nicht durch, das LSG habe ihn auf die Tätigkeit eines Pförtners verwiesen, ohne zuvor anhand eines einzuholenden berufskundlichen Gutachtens das Anforderungsprofil dieser Verweisungstätigkeit geklärt zu haben.
Entgegen der Ansicht des Klägers war im vorliegenden Fall die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit und damit auch das Anstellen weiterer Ermittlungen über typische Arbeitsabläufe und Belastungssituationen der einfachen Pförtnertätigkeit im Rahmen der Prüfung der EU nicht erforderlich. Eine konkrete Benennungspflicht besteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich dann nicht, wenn der Versicherte – wie hier – noch mittelschwere oder leichte Arbeiten vollschichtig verrichten kann. In diesen Fällen kann der Versicherte – anders als bei der BU-Rente – grundsätzlich pauschal auf alle Tätigkeiten des sog allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, wobei er auch einen wesentlichen sozialen Abstieg in Kauf nehmen muß, solange er im Rahmen seiner objektiven Leistungsfähigkeit noch tätig sein kann (BSG, Urteile vom 28. August 1991 – 13/5 RJ 47/90 – SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 mwN und vom 14. September 1995 – 5 RJ 50/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Ausnahmsweise besteht zwar auch bei der Prüfung des Anspruchs auf EU-Rente die Pflicht, eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist (BSG, Urteile vom 18. Februar 1981 – 1 RJ 124/79 – SozR 2200 § 1246 Nr 75, vom 1. März 1984 – 4 RJ 43/83 – SozR 2200 § 1246 Nr 117, vom 6. Juni 1986 – 5b RJ 42/85 – SozR 2200 § 1246 Nr 136 und vom 28. August 1991 – 13/5 RJ 47/90 – SozR 3-2200 § 1247 Nr 8). Sinn der Rechtsprechung zur „schweren spezifischen Leistungsbehinderung” oder zur „Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeschränkungen” ist es, dann nicht von vornherein von einem „offenen” Arbeitsmarkt auszugehen, sondern diese Frage anhand bestimmter Verweisungstätigkeiten zu prüfen, wenn die Einschränkungen der Leistungsfähigkeit so erheblich sind, daß ernste Zweifel aufkommen müssen, ob der Versicherte überhaupt in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG, aaO).
Eine derartige Fallgestaltung ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Nach den unangegriffenen und daher den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des Berufungsgerichts ist das qualitative Leistungsvermögen des Klägers zwar eingeschränkt. Er kann aber noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung, für die als Beispiele die Einäugigkeit oder Einarmigkeit des Versicherten genannt worden sind (BSG, Urteil vom 27. April 1982 – 1 RJ 132/80 – SozR 2200 § 1246 Nr 90 mwN), liegt offensichtlich nicht vor. Auch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeschränkungen ist zu verneinen: Ein Teil der oben angeführten Einschränkung des Klägers stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein. Dies gilt insbesondere für das Erfordernis einer wechselnden Körperhaltung. Damit ist die gesundheitliche Fähigkeit des Klägers zur Verrichtung leichter Tätigkeiten nicht in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt.
Die Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem sog allgemeinen Arbeitsmarkt wäre allerdings auch dann zu verneinen, wenn er entweder nur noch Tätigkeiten verrichten könnte, die in dieser Weise typischerweise in der Arbeitswelt als Erwerbsmöglichkeiten nicht vorhanden sind, oder wenn er nur noch Vollzeittätigkeiten auszuüben vermöchte, bei denen wegen ihrer Seltenheit zumindest die erhebliche Gefahr einer „Verschlossenheit des Arbeitsmarktes” besteht. In der Rechtsprechung sind folgende Fälle anerkannt (vgl BSG, Urteile vom 25. Juni 1986 – 4a RJ 55/84 – SozR 2200 § 1246 Nr 137 und vom 9. September 1986 – 5b RJ 50/84 – SozR 2200 § 1246 Nr 139) ≪sog Seltenheits- oder Katalogfälle≫:
- Tätigkeiten, die nur unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen ausgeübt werden können;
- Arbeitsplätze, die der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen nicht von der Wohnung aus aufsuchen kann;
- Tätigkeiten, bei denen die Zahl der in Betracht kommenden Stellen dadurch nicht unerheblich reduziert ist, daß der Versicherte nur in Teilbereichen des Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann;
- Tätigkeiten, bei denen es sich um typische „Schonarbeitsplätze” handelt, die regelmäßig leistungsgeminderten Angehörigen des eigenen Betriebes vorbehalten bleiben und somit als Eingangsstelle für Betriebsfremde außer Betracht bleiben;
- Tätigkeiten, die auf einem Arbeitsplatz ausgeführt werden, der als Einstiegsstelle für Berufsfremde nicht zur Verfügung steht;
- Arbeitsplätze, die lediglich an bewährte Mitarbeiter als Aufstiegspositionen durch Beförderung oder Höherstufung vergeben werden;
- Fälle von besonderer Art, in denen es naheliegt, daß der Arbeitsplatz trotz einer tariflichen Erfassung nur in ganz geringer Zahl vorkommt.
- Dafür, daß bei dem Kläger einer dieser Fälle vorliegt, finden sich jedoch nach den Feststellungen des LSG keinerlei Anhaltspunkte. Die Voraussetzungen der EU nach § 1247 Abs 2 RVO sind somit nicht erfüllt, ein Anspruch auf Rente wegen EU nicht gegeben.
2. Für die Entscheidung der Frage, ob dem Kläger Versichertenrente wegen BU zu gewähren ist, reichen die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht aus.
§ 1246 Abs 1 RVO bestimmt, daß Rente wegen BU der Versicherte erhält, der berufsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der BU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Gemäß § 1246 Abs 2 Satz 1 und 2 RVO ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist der „bisherige Beruf” des Versicherten, wobei es hierbei nach ständiger Rechtsprechung in der Regel auf die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte, versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ankommt, sofern sie zugleich die qualitativ höchste gewesen ist. Dies gilt auch dann, wenn die letzte Tätigkeit nur kurzfristig ausgeübt wurde und – wie vorliegend – wegen Übertritts in eine versicherungsfreie Beschäftigung endete (BSG, Urteile vom 11. September 1980 – 1 RJ 94/79 – SozR 2200 § 1246 Nr 66, vom 1. Dezember 1983 – 5b RJ 114/82 -SozR 2200 § 1246 Nr 111, vom 27. April 1989 – 5/5b RJ 74/87 – SozR 2200 § 1246 Nr 163, vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 22/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 22 und vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 45). Nach diesen Grundsätzen ist das LSG (unter Bezugnahme auf die Ausführungen im SG-Urteil) zutreffend davon ausgegangen, daß als bisheriger Beruf des Klägers die nach Bestehen der Prüfung für den einfachen Postdienst bis zur Übernahme in das Beamtenverhältnis ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit als Zusteller zu werten ist.
Feststellungen darüber, ob und ggf ab wann der Kläger seinen bisherigen Beruf als Zusteller nicht mehr ausüben kann, fehlen im LSG-Urteil. Aus der festgestellten Dienstunfähigkeit des Klägers kann nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß der Kläger die Tätigkeit als Zusteller nicht mehr verrichten kann, denn die Dienstunfähigkeit bezieht sich lediglich auf die zuletzt vom Kläger ausgeübte versicherungsfreie Beamtentätigkeit. Zwar könnte aufgrund der Verweisung des Klägers auf die einfache Pförtnertätigkeit durch das LSG geschlossen werden, daß das LSG die Leistungsfähigkeit des Klägers im bisherigen Beruf nicht als gegeben angesehen hat. Dies ersetzt aber nicht eine entsprechende konkrete Tatsachenfeststellung. Eine solche Feststellung wäre nur dann entbehrlich, wenn der Kläger jedenfalls zumutbar auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden könnte und damit BU schon aus diesem Grunde abzulehnen wäre. Dies ist vorliegend jedoch aufgrund mangelnder Feststellungen hinsichtlich der Wertigkeit des bisherigen Berufes des Klägers nicht möglich.
Zur Beurteilung der Wertigkeit der verschiedenen beruflichen Tätigkeiten hat die Rechtsprechung des BSG ein Mehrstufenschema entwickelt, demzufolge die Berufe der Versicherten in vier Gruppen eingeteilt werden können. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Danach werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des „angelernten” Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des „ungelernten” Arbeiters (Ausbildung von weniger als drei Monaten) charakterisiert. Ausschlaggebend für die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Mehrstufenschema ist jedoch nicht allein die Ausbildung, sondern die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl BSG, Urteile vom 9. September 1986 – 5b RJ 82/85 – SozR 2200 § 1246 Nr 140, vom 8. Oktober 1992 – 13 RJ 49/91 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 27, vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 -SozR 3-2200 § 1246 Nr 46 sowie vom 18. Januar 1995 – 5 RJ 44/92 und 5 RJ 18/94 – nicht veröffentlicht).
Für die Ermittlung der Wertigkeit des bisherigen Berufs ist indessen auch zu prüfen, ob sich aus der tariflichen Einstufung etwas anderes zugunsten des Klägers ergibt. In diesem Rahmen hat das BSG nämlich tariflichen Regelungen Bedeutung beigemessen, und zwar unter zwei Gesichtspunkten: zum einen der abstrakten – „tarifvertraglichen” – Klassifizierung der Tätigkeit (iS eines verselbständigten Berufsbildes) innerhalb eines nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrages, zum anderen der – „tariflichen” – Eingruppierung des Versicherten in eine bestimmte Tarifgruppe des jeweiligen Tarifvertrages durch den Arbeitgeber. In beiden Bereichen sind die Folgerungen für die Wertigkeit einer Arbeit jedoch verschieden. Soweit die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Berufsart im Tarifvertrag aufführen und einer Tarifgruppe zuordnen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß die tarifvertragliche Einstufung der einzelnen, in der Tarifgruppe genannten Tätigkeiten auf deren Qualität beruht. Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn die Einstufung durch qualitätsfremde Merkmale bestimmt ist. Der tariflichen Zuordnung des einzelnen Versicherten durch den Arbeitgeber kommt demgegenüber eine andere Bedeutung zu. Sie ist zwar ein Hinweis dafür, daß die vom Versicherten ausgeübte Tätigkeit in ihrer Wertigkeit der Berufs- und Tarifgruppe entspricht, nach der er bezahlt wird. Das ist in der Rechtsprechung des BSG mitunter als „Indiz” oder „Anhalt” bezeichnet worden. Die Richtigkeit dieser Eingruppierung kann aber durchaus „widerlegt” werden, dh: die Eingruppierung kann als unrichtig erkannt werden (vgl BSG, Urteile vom 28. Mai 1991 – 13/5 RJ 69/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 14, vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 22/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 22 sowie vom 18. Januar 1995 – 5 RJ 44/92 und 5 RJ 18/94 – nicht veröffentlicht, mwN).
Diese Prüfung hat das LSG nicht vorgenommen. Nach seinen Feststellungen war der Kläger zuletzt vor Eintritt in das Beamtenverhältnis in die Tariflohngruppe IV Ziff 3 (Arbeiter, wenn sie die Prüfung für den einfachen Postdienst bestanden haben) eingestuft. Aufgrund dieser Feststellung kann der Senat indessen gemäß § 170 Abs 1 Satz 2 SGG nicht abschließend entscheiden, ob dem Kläger ein Anspruch auf Rente wegen BU zusteht.
Maßgebend für die Prüfung der Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers ist die Fassung des Tarifvertrages, die im Zeitpunkt der Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 22/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 22), also im Juli 1960, gegolten hat. Dem Berufungsurteil kann nicht entnommen werden, ob das LSG diese Fassung des Tarifvertrages herangezogen hat. Bereits aus diesem Grunde ist eine Zurückverweisung der Sache an das LSG erforderlich, weil der erkennende Senat die notwendigen Feststellungen hinsichtlich der einschlägigen Fassung des Tarifvertrags nicht selbst nachholen kann (§ 163 SGG).
Anschließend wird das LSG unter Zugrundelegung der einschlägigen Fassung des Tarifvertrags zu prüfen haben, ob und wie die vom Kläger zuletzt nach Ablegung der Prüfung für den einfachen Postdienst ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit ihrer Art nach tarifvertraglich eingestuft war. Insbesondere wird zu entscheiden sein, ob die maßgebliche Tarifgruppe von dem Leitberuf des Facharbeiters geprägt ist. Eine derartige von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Einstufung einer Tätigkeit in eine Facharbeiterlohngruppe läßt zwar, wie bereits ausgeführt wurde, in der Regel den Schluß zu, daß diese Berufstätigkeit als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren ist. Dies gilt aber nicht, wenn die Einstufung durch qualitätsfremde Merkmale bestimmt ist. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Einstufung im wesentlichen auf die mit der Tätigkeit verbundenen Nachteile und Erschwernisse (zB Akkord-, Nacht-, Schmutzarbeit uä) oder auf sozialen Gründen wegen in der Person des Versicherten liegender Umstände beruht „Bewährungsaufstieg”). Weitere Ausnahmefälle hat die Rechtsprechung, insbesondere auch der erkennende Senat bisher nicht zugelassen (BSG, Urteil vom 14. Mai 1991 – 5 RJ 82/89 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 13 mwN). Der 13. Senat hat demgegenüber in diesem Zusammenhang lediglich Bedenken geäußert, ob der Begriff „qualitätsfremde Merkmale” so weit eingeengt werden könne. Er hält es für möglich, daß die einzelne tarifvertragliche Einordnung eines Berufes auch noch von anderen Gesichtspunkten bestimmt sein könne, die ebenfalls als qualitätsfremd angesehen werden müßten (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 22/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 22).
Der gegenwärtige Stand des vorliegenden Verfahrens gibt indessen auch dem erkennenden Senat noch keinen Anlaß, diese Frage abschließend zu entscheiden. Selbst wenn der für den Kläger maßgebliche Tarifvertrag im wesentlichen der im angefochtenen Urteil zitierten Fassung entsprechen sollte, hat das LSG bislang noch keine ausreichenden Feststellungen getroffen, ob und inwieweit die Eingruppierung des Klägers qualitätsorientiert gewesen ist. Es hat den Kläger als „- allenfalls – Angelernten oberen Ranges” qualifiziert und die Begründung ua darauf gestützt, daß der 2. Senat des LSG aufgrund eingeholter Auskünfte zu dem Ergebnis gelangt sei, „daß die Einstufung der sog Beamtendiensttuer in Facharbeiterlohngruppen zur Gewährleistung der Flexibilität des Personaleinsatzes überragendes Moment war, nicht also den Wert der Arbeit ausdrückte”. Damit ist zum Ausdruck gebracht worden, daß die tarifvertragliche Einstufung des Klägers auf qualitätsfremde Gründe zurückzuführen sei. Diese Ausführungen des LSG reichen indessen nicht aus, um das Vorliegen einer aus qualitätsfremden Gründen zustande gekommenen tarifvertraglichen Zuordnung verfahrensfehlerfrei festzustellen. Sie beruhen nicht auf Beweismitteln, die prozeßordnungsgemäß in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt worden sind, sondern nehmen lediglich auf vom 2. Senat des LSG in einem anderen Verfahren gezogene Schlußfolgerungen Bezug. Das LSG wird daher – sofern nach dem maßgeblichen Tarifvertrag der bisherige Beruf des Klägers als Facharbeitertätigkeit eingestuft ist – den Sachverhalt in dieser Hinsicht weiter aufzuklären haben, wobei ua festzustellen sein wird, ob die vom 2. Senat des LSG eingeholten Auskünfte auf die Tätigkeit des Klägers anwendbar sind.
Sofern der Kläger Berufsschutz als Facharbeiter genießen sollte, kann er nach der Rechtsprechung zum Mehrstufenschema allenfalls auf eine Tätigkeit der nächstniedrigeren Stufe verwiesen werden. Das LSG wird dann zu prüfen haben, welche dem Kläger zumutbaren Verweisungstätigkeiten in Betracht kommen können. Die benannte ungelernte Tätigkeit eines einfachen Pförtners scheidet jedenfalls aus.
Sollte das LSG nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts dagegen wiederum zu dem Ergebnis gelangen, daß die Tätigkeit des Klägers nicht derart qualifiziert war, daß er Berufsschutz als Facharbeiter genießt, wird zu klären sein, ob der Kläger als „angelernter” Arbeiter oberen Ranges zu qualifizieren ist. Ggf wird das LSG dem Kläger nach der Rechtsprechung zum Mehrstufenschema eine zumutbare Verweisungstätigkeit (zumindest eine Tätigkeit ungelernter Art, jedoch nicht von sehr geringem qualitativem Wert) benennen und dies auf geeignete Ermittlungen berufskundlicher und medizinischer Art bezüglich einer zumutbaren Verweisungstätigkeit stützen müssen. Sollte das LSG dann erneut in Erwägung ziehen, den Kläger auf die Tätigkeit eines einfachen Pförtners zu verweisen, so wird es nicht ausreichen, allein auf die in den vom SG beigezogenen Urteilen getroffenen Tatsachenfeststellungen Bezug zu nehmen. Erforderlich sind vielmehr eigene Feststellungen darüber, ob sich die einfache „ungelernte”) Pförtnertätigkeit durch bestimmte Qualitätsmerkmale auszeichnet, welche Anforderungen diese Tätigkeit in gesundheitlicher Hinsicht stellt und ob auch der Kläger dieser Tätigkeit gesundheitlich und geistig gewachsen ist (BSG, Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 45).
Sofern hiernach das Vorliegen von BU bejaht werden sollte, wird das LSG schließlich zum Hauptantrag des Klägers die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eines Rentenanspruchs prüfen müssen. Ausgangspunkt sind einerseits die Regelungen in § 1246 Abs 1 und 2a RVO und andererseits der festzustellende Zeitpunkt des Eintritts der BU. Hierbei ist es entgegen der Auffassung des Klägers unerheblich, ob die BU auf den am 2. Januar 1979 erlittenen Dienstunfall zurückzuführen ist. Zwar regelt § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO iVm § 1252 Abs 1 Nr 1 RVO, daß die in § 1246 Abs 1 RVO für den Rentenanspruch erforderliche Voraussetzung, daß zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, auch dann erfüllt ist, wenn die BU aufgrund eines Arbeitsunfalles eingetreten ist. Als Arbeitsunfälle gemäß § 1252 Abs 1 Nr 1 RVO kommen jedoch nur solche iS der Unfallversicherung nach § 548 Abs 1 RVO in Betracht. Der Dienstunfall des Klägers, als in der Unfallversicherung versicherungsfreiem Beamten, läßt sich nicht unter diese Vorschrift subsumieren (BSG, Urteil vom 10. Februar 1972 – 1 RA 85/71 – SozR Nr 7 zu § 1252 RVO). Möglicherweise läßt sich deshalb ein Anspruch auf Rente wegen BU ab Antragstellung letztlich nur gemäß Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz iVm den dort genannten Vorschriften begründen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen