Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 27.07.1994)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. Juli 1994 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Weitergewährung von Übergangsgeld zwischen dem Ende einer medizinischen Maßnahme und dem Beginn berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation (Reha) in der Zeit vom 18. Juli 1985 bis 14. August 1988.

Aufgrund seines Antrags von September 1984 gewährte die Beklagte dem Kläger medizinische Maßnahmen zur Reha vom 29. Mai bis zum 10. Juli 1985. Aus dem Heilverfahren wurde der Kläger arbeitsfähig nach ärztlich verordneter Schonzeit von sieben Tagen entlassen; die Prüfung von Berufsförderungsmaßnahmen wurde empfohlen. Ein während des Heilverfahrens gestellter Rentenantrag blieb – ebenso wie ein bereits im Jahre 1982 gestellter Rentenantrag – erfolglos.

Aufgrund eines zuvor im Juli 1984 gestellten Antrags des Klägers auf Gewährung berufsfördernder Maßnahmen zur Reha hatte die Beklagte das Arbeitsamt V … im September 1984 aufgefordert, einen Reha-Vorschlag zu unterbreiten. Ergebnis eines im Auftrag des Arbeitsamts erstellten psychologischen Gutachtens von Dezember 1986 war, daß der Kläger vor berufsfördernden Maßnahmen an einem Reha-Vorbereitungslehrgang teilnehmen solle. In vorangegangenen Gesprächen mit Reha-Fachberatern sowie zuletzt im Dezember 1986 gegenüber dem Arbeitsamt hatte der Kläger aber erklärt, er fühle sich einer Ausbildung zum Betriebswirt im Kfz-Handwerk gesundheitlich sowie den theoretischen Anforderungen einer solchen Maßnahme nicht gewachsen. Deshalb allein angestrengte betriebliche Wiedereingliederungsbemühungen des Arbeitsamtes scheiterten in der Folgezeit an den Bedenken des Kläges hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit.

Nachdem der Kläger dem Arbeitsamt im September 1987 schließlich fernmündlich mitgeteilt hatte, daß er noch an einer Umschulung interessiert sei, erklärte er sich in einem Beratungsgespräch am 1. März 1988 mit der Teilnahme an einer Berufsfindungsmaßnahme im Berufsförderungswerk H … einverstanden. Die im Bescheid vom 30. März 1988 bewilligte Maßnahme absolvierte der Kläger in der Zeit vom 15. bis zum 26. August 1988; den am 15. Januar 1990 begonnenen Aufbaulehrgang mußte er aus medizinischen Gründen am 1. März 1990 vorzeitig abbrechen. Im selben Monat stellte er erneut einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit.

Den im Juli 1991 gestellten Antrag auf rückwirkende Gewährung von Übergangsgeld für die Zeit vom 18. Juli 1985 bis 14. August 1988 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 29. November 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 1992 ab. Das Sozialgericht (SG) hat dem Kläger das Übergangsgeld durch Urteil vom 12. August 1993 zugesprochen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juli 1994). Es hat das Vorliegen eines Überbrückungstatbestandes iS des § 1241e Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bejaht, jedoch angenommen, daß der Kläger zu vertreten habe, daß die berufsfördernden Maßnahmen nicht unmittelbar anschließend an die medizinischen Maßnahmen zur Reha hätten durchgeführt werden können.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er ist der Ansicht, daß ihm die Verzögerung zwischen beiden Maßnahmen der Reha subjektiv nicht vorgeworfen werden könne; ein besonderer – objektiver – Begriff des Vertretenmüssens lasse sich § 1241e Abs 1 RVO – entgegen der Ansicht des LSG – nicht entnehmen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 27. Juli 1994 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 12. August 1993 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält einen Überbrückungstatbestand für nicht gegeben, weil der Kläger in den Gesprächen mit Reha-Fachberatern vor und während des Heilverfahrens am 17. September 1984 und 12. Juni 1985 sowie später gegenüber dem Arbeitsamt am 11. Dezember 1986 unmißverständlich erklärt habe, daß für ihn eine Umschulungsmaßnahme nicht in Betracht komme; erst in dem Arbeitsberatungsgespräch am 1. März 1988 – über zweieinhalb Jahre nach Abschluß des Heilverfahrens -habe er sich mit einer Berufsfindungsmaßnahme im Berufsförderungswerk H … einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision ist unbegründet.

Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß dem Kläger Übergangsgeld für die Zeit vom 18. Juli 1985 bis 14. August 1988 nicht zusteht. Denn die Voraussetzungen für die Weitergewährung von Übergangsgeld iS des § 1241e Abs 1 RVO liegen nicht vor.

Gemäß § 1241e Abs 1 RVO, der gemäß § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) weiterhin Anwendung findet, ist Übergangsgeld weiterzugewähren, wenn nach Abschluß medizinischer Maßnahmen zur Reha berufsfördernde Maßnahmen erforderlich sind, sie aus Gründen, die der Betreute nicht zu vertreten hat, nicht unmittelbar anschließend durchgeführt werden können und der Betreute in der Zwischenzeit nicht in eine ihm zumutbare Beschäftigung vermittelt werden kann. Diese Voraussetzungen sind in der Person des Klägers nicht erfüllt. Denn der Kläger hat die Durchführung qualifizierter berufsfördernder Maßnahmen nach Abschluß des bis zum 10. Juli 1985 dauernden Heilverfahrens mit anschließender Schonzeit bis 17. Juli 1985 wiederholt – auch nach Kenntnis des im Dezember 1986 erstellten psychologischen Gutachtens – abgelehnt. Mit Ablehnung der ärztlicher- und psychologischerseits angeratenen qualifizierten Berufsförderungsmaßnahmen hat der Kläger aber die Rechte aus seinem im Juli 1984 gestellten Reha-Antrag verbraucht.

Nach dem Sinn des § 1241e Abs 1 RVO muß nur ein Versicherter, der während einer Pause zwischen der medizinischen und der berufsfördernden Maßnahme zur Reha nicht als Arbeitsunfähiger durch Krankengeld oder als Arbeitsfähiger durch Arbeitsentgelt in seiner wirtschaftlichen Existenz gesichert ist, vom Rentenversicherungsträger unterhalten werden, soweit dieser ihn durch die Anordnung der weiteren Reha-Maßnahme an anderen Dispositionen hindert (Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 19. Mai 1983 – 1 RJ 72/82 – SozR 2200 § 1241e Nr 14). Mit der Weitergewährung des Übergangsgeldes tritt der Rentenversicherungsträger mithin für die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Versicherten ein, wobei offenbleiben kann, inwieweit sich dieser zur Verfügung des Rentenversicherungsträgers halten muß (so 1. Senat des BSG, Urteil vom 19. Mai 1983 – 1 RJ 72/82 – SozR 2200 § 1241e Nr 14; kritisch dazu 11. Senat des BSG, Urteil vom 23. September 1981 – 11 RA 58/80 – SozR 2200 § 1241e Nr 12). Selbst wenn die Notwendigkeit eines zeitlichen, sachlichen bzw inneren Zusammenhangs der Maßnahmen, die der 4. Senat des BSG aus dem Wortsinn „Weitergewährung” in § 1241e Abs 1 RVO bzw „Weiterzahlung” in § 17 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (Reha-AnglG) herleiten will (BSGE 46, 295, Urteil vom 27. Juni 1978 – 4 RJ 90/77 – = SozR 2200 § 1241e Nr 4), nicht bestehen sollte, weil nach dem Wortlaut des § 1241e Abs 1 RVO die objektiv bestehende Erforderlichkeit einer berufsfördernden Maßnahme genügt, läßt sich ein Anspruch des Klägers auf Überbrückungsübergangsgeld nicht herleiten. Denn ein Sachverhalt, der die Beklagte zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Klägers in der Zeit zwischen den beiden Reha-Maßnahmen verpflichtet hätte, lag infolge der endgültigen Verweigerung der Mitwirkung durch den Kläger nicht vor.

Zwar ist grundsätzlich unerheblich, wann der Rentenversicherungsträger die – objektiv bestehende – Erforderlichkeit der weiteren berufsfördernden Reha-Maßnahmen erkennt und diese weiteren Maßnahmen in die Wege leitet (BSG, Urteil vom 23. April 1980 – 4 RJ 25/79 – SozR § 1241e Nr 11 und Urteil vom 23. September 1981 – 11 RA 58/80 – SozR § 1241e Nr 12). Von der Regelung des § 1241e Abs 1 RVO werden jedoch nicht alle berufsfördernden Maßnahmen umfaßt. Überbrückungsübergangsgeld steht nämlich dann nicht zu, wenn bei Abschluß des Heilverfahrens lediglich die Gewährung eines Einarbeitungszuschusses, also eine Maßnahme, für die Übergangsgeld nicht beansprucht werden kann, in Betracht kommt. Maßnahmen iS des § 1241e Abs 1 RVO sind vielmehr nur solche Veranstaltungen, an denen der Betreute auf Veranlassung und auf Kosten des Reha-Trägers teilnimmt und die in einer dafür vorgesehenen Einrichtung mit gewisser Dauer und in der Regel ganztägiger Beanspruchung des Teilnehmers durchgeführt werden (BSG, Urteil vom 10. August 1989 – 4 RA 46/88 – SozR 2200 § 1241e Nr 19, vgl auch Verbandskomm RdNr 15 zu § 25 SGB VI). Seine Teilnahme an solchen qualifizierten Maßnahmen hat der Kläger aber verweigert.

Gemäß § 4 Abs 1 Satz 1 Reha-AnglG bedürfen Maßnahmen zur Reha der Zustimmung des Behinderten. Diese Zustimmung im Hinblick auf qualifizierte Berufsförderungsmaßnahmen hat der Kläger erstmals im Gespräch am 1. März 1988 – mehr als zweieinhalb Jahre nach Abschluß des Heilverfahrens – erklärt. Eine „Reha-Pause” iS des § 1241e Abs 1 RVO lag damit zumindest nach Dezember 1986 nicht mehr vor. Es bestand nämlich zwischen den Beteiligten Einvernehmen,

daß lediglich Eingliederungshilfe in Form eines Einarbeitungszuschusses als Maßnahme der beruflichen Förderung in Betracht komme. Das Begehren des Klägers vom 1. März 1988 steht zu dem im Juli 1985 abgeschlossenen Heilverfahren in keinem rechtserheblichen Zusammenhang mehr. In diesem Begehren kommt vielmehr ein neuer Antrag auf Gewährung – nunmehr qualifizierter – berufsfördernder Maßnahmen zum Ausdruck. Die im Juli 1984 beantragte berufsfördernde Maßnahme zur Reha im Anschluß an das Heilverfahren vom 29. Mai bis 10. Juli 1985 war dagegen durch den auf Wunsch des Klägers in Aussicht genommenen Eingliederungsversuch abgeschlossen. Nach dem Scheitern der im Einvernehmen von Kläger, Beklagter und Arbeitsverwaltung vorgesehenen Eingliederungsmaßnahme bestand damit keine Sachlage mehr, in der die Beklagte durch die Weitergewährung von Übergangsgeld die wirtschaftliche Existenz des Klägers sichern mußte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174141

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