Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 13.12.1990) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. Dezember 1990 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1953 geborene Kläger leidet an angeborener Einnierigkeit. Mit Bescheid vom 27. November 1987 stellte der Beklagte fest, daß dieser von ihm mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 bewertete Leidenszustand keine „äußerlich erkennbare dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit” bedinge; den gegen diese Feststellung gerichteten Widerspruch des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 1988 zurück. Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Abänderung seiner Bescheide zur Feststellung einer derartigen Beweglichkeitseinbuße als Voraussetzung für einen Behindertenpauschbetrag iS von § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) verurteilt (Urteil vom 8. Dezember 1989). Diese Vorschrift erfasse mehr Behinderungen als im Wortlaut zum Ausdruck komme. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Für die Feststellung des begehrten gesundheitlichen Merkmals müsse die vom eindeutigen Wortlaut des Gesetzes – § 33b Abs 2 Nr 1 Buchst b EStG 1987 – geforderte Funktionsstörung in Gestalt einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit feststellbar sein. Eine solche liege aber nach der eigenen Einlassung des Klägers nicht vor. Dagegen reiche es nicht aus, wenn sich die Behinderung des Klägers zwar nicht auf seine körperliche Beweglichkeit auswirke, dafür aber seine Lebensführung – zB durch besondere Ernährung und Medikamente – gegenüber der eines Nichtbehinderten verteuere.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 4 Abs 4 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) und § 33b Abs 2 EStG. Das Merkmal „äußerlich erkennbare dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit” iS der vorgenannten Bestimmung habe durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in der Vergangenheit eine deutlichere und letztlich zeitgemäßere Auslegung erfahren. Sinn dieser Bestimmung sei es, Minderbehinderten, deren Lebenshaltungskosten sich wegen der Behinderung erhöht hätten, eine steuerliche Vergünstigung in Form eines Pauschbetrages einzuräumen.
Der Kläger hat beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. Dezember 1990 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 8. Dezember 1989 zurückzuweisen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Landessozialgerichts für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Wie das LSG zutreffend entschieden hat, hat es der Beklagte zu Recht abgelehnt, beim Kläger eine Einbuße der körperlichen Beweglichkeit iS des § 33b Abs 2 Nr 1 Buchst b EStG 1987 bzw § 33b Abs 2 Nr 2 Buchst b EStG 1990 festzustellen. Die angeborene Einnierigkeit des Klägers hat nämlich zu keinem Zeitpunkt eine derartige Einbuße mit sich gebracht.
Gemäß der bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Fassung des § 33b Abs 2 Nr 1 Buchst b EStG 1987 vom 27. Februar 1987 (BGBl I S. 657) erhielten unter anderem solche Körperbehinderte bestimmte Pauschbeträge, deren „Minderung der Erwerbsfähigkeit” (MdE) auf weniger als 50 vH, aber mindestens 25 vH festgestellt war, wenn die Körperbehinderung zu einer äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt hatte. Das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I S. 1093) hat die Fassung dieser Vorschrift ab 1. Januar 1990 nur redaktionell geändert. So ist nicht mehr von „Körperbehinderten”, „Körperbehinderung” und von „Minderung der Erwerbsfähigkeit” um einen bestimmten Vomhundertsatz die Rede, sondern – in Anpassung an den Sprachgebrauch des SchwbG in der seit 1. August 1986 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des SchwbG vom 26. August 1986 (BGBl I S. 1421) – von „Behinderten”, „Behinderung” und von „Grad der Behinderung”. Im übrigen, insbesondere was die Einbuße gerade der körperlichen Beweglichkeit betrifft, ist die Vorschrift inhaltlich gleich geblieben. Bei der Leidensfolge „Einbuße der körperlichen Beweglichkeit” handelt es sich gegenüber der Behinderung selbst um ein weiteres gesundheitliches Merkmal als Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines außerhalb des SchwbG geregelten Nachteilsausgleichs (§ 48 Abs 2 SchwbG). Für die Feststellung derartiger gesundheitlicher Merkmale sind seit Inkrafttreten des SchwbG vom 24. April 1974 (BGBl I S. 981) am 1. Mai 1974 die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden – in der Regel die Versorgungsämter – zuständig (§ 3 Abs 4 SchwbG in der bis zum 31. Juli 1986 geltenden Fassung; § 4 Abs 4 SchwbG in der seit 1. August 1986 geltenden Fassung). Für die vor 1974 in den Einkommensteuerdurchführungsverordnungen (EStDV) (vgl etwa § 65 der EStDV 1971 idF vom 9. Februar 1972 – BGBl I 1972 S. 125) vorgesehenen Pauschbeträge wurde die Körperbehinderung und ggf die Einbuße der körperlichen Beweglichkeit durch eine „Bescheinigung der zuständigen Behörde” nachgewiesen (vgl § 65 Abs 3 Ziff 2 Buchst b EStDV 1971). In die seit Inkrafttreten des SchwbG von den Versorgungsbehörden zu erstellenden „Bescheinigungen”, aufgrund eines Feststellungsbescheides nach § 3 Abs 1 SchwbG aF (seit 1. August 1986 § 4 Abs 1 SchwbG nF) war und ist in den Fällen, in denen die „MdE” weniger als 50 vH, jedoch mehr als 25 vH beträgt, von Amts wegen die Feststellung aufzunehmen, ob die „Körperbehinderung” zu einer äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt hat (so noch heute § 65 Abs 1 S 2 EStDV 1986).
Zu Recht hält das LSG den Wortlaut des § 33b EStG nicht für so weit korrigierbar, wie es das SG gemeint hat. Aus ihm ergibt sich, daß für das Vorliegen des in dieser steuerrechtlichen Bestimmung typisierend für maßgeblich erklärten gesundheitlichen Merkmales die Behinderung – aus welchen medizinischen Gründen auch immer – im Endergebnis mindestens teilweise zur Einbuße der Fähigkeit, sich körperlich – insbesondere von Ort zu Ort – zu bewegen, geführt haben muß. Dies gilt auch, wenn man die zu § 26 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung 1952 iVm Abschnitt 40 der Lohnsteuerrichtlinien 1952 ergangene Entscheidung des BFH vom 22. November 1957 (Bundessteuerblatt 1958 Teil III S. 42) berücksichtigt. Der BFH legt darin den Begriff der körperlichen Beweglichkeit zwar weit aus (vgl dazu auch Abschnitt 194 der Einkommensteuerrichtlinien 1990). Er hat daher seinerzeit auch bei einem Einäugigen eine „dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit” bejaht, weil dieser durch den Verlust des plastischen Sehens im Verkehr behindert war. Auch der BFH hat aber daran festgehalten, daß es im Ergebnis – wenn auch mittelbar – zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Beweglichkeit, insbesondere im Verkehr, und nicht etwa nur zu einer wirtschaftlichen Beeinträchtigung gekommen sein muß. Eine Funktionseinbuße dieser Art liegt jedoch beim Kläger nach den für den Senat bindenden und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG nicht vor.
Es ist nicht Sache der Versorgungsbehörden und der für die Überprüfung ihrer Entscheidungen zuständigen Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu beurteilen, ob anderen Behinderten mit einem GdB zwischen 25 und 50, die wegen ihrer Behinderung außergewöhnlichen Belastungen wirtschaftlicher Art unterliegen, über den Wortlaut des § 33b EStG hinaus ebenfalls ein Pauschbetrag oder aber über § 33 EStG unmittelbar der Abzug ihrer konkret entstandenen außergewöhnlichen wirtschaftlichen Belastungen vom Gesamtbetrag der Einkünfte zuzuerkennen ist. Die Versorgungsbehörden haben lediglich im Rahmen einer begrenzten, insoweit allerdings ausschließlichen Sonderzuständigkeit, die gesundheitlichen Merkmale als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen festzustellen. Die Einräumung des steuerrechtlichen Nachteilsausgleichs selbst, und damit die Prüfung, ob unter Beachtung des Gleichheitssatzes die Gleichstellung von Fällen geboten ist, in denen diese Merkmale nicht vorliegen, ist dagegen Sache der Finanzbehörden und der sie kontrollierenden Gerichtsbarkeit. Dies ist auch sachgerecht, weil die Finanzbehörden aufgrund ihrer größeren Sachnähe und fachlichen Befähigung eher die Möglichkeit haben, nur wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte zu prüfen und ggf den in § 33b EStG normierten Tatbeständen gleichzustellen.
Nach allem muß die Revision des Klägers erfolglos bleiben.
Der Kostenentscheidung liegt § 193 Sozialgerichtsgesetz zugrunde.
Fundstellen