Leitsatz (amtlich)
Ein Kind ist nicht "in den Haushalt des Stiefvaters" aufgenommen (RVO § 1262 Abs 2 Nr 2), wenn dieser in keiner Form zu seinem Unterhalt beiträgt.
Normenkette
RVO § 1262 Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1267 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. April 1967 und das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 28. Juni 1965 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob der Klägerin die Waisenrente aus der Rentenversicherung ihres Stiefvaters zusteht.
Die außerehelich geborene Klägerin wohnte, nachdem ihre Mutter geheiratet hatte, mit in der Wohnung ihres Stiefvaters, des Versicherten. Zu ihrem Unterhalt trug der Stiefvater nichts bei. Das Kind erhielt von seinem Vater monatliche Zahlungen; außerdem kam seine Mutter, die ganztägig berufstätig war, für die Kosten seines Lebensbedarfs auf. In der Wohnung des Stiefvaters stand für das Kind kein besonderer Raum zur Verfügung; es schlief mit im Bett der Mutter. Tagsüber hielt es sich oft bei seinen Großeltern auf.
Die Beklagte lehnte die Bewilligung der Waisenrente ab, weil die Klägerin nicht in dem Sinne in den Haushalt des Stiefvaters aufgenommen gewesen sei, wie es für eine Leistung aus der Rentenversicherung vorausgesetzt werde. Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) haben der Klage stattgegeben. Zur Begründung des Waisenrentenanspruchs haben sie es als ausreichend angesehen, daß die Klägerin mit in der Wohnung des Stiefvaters gelebt habe. Es sei nicht notwendig, daß der Stiefvater zu dem Unterhalt des Kindes beigetragen habe.
Die Beklagte hat die - zugelassene - Revision eingelegt. Sie beantragt, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie hält die Rechtsansicht des LSG für unzutreffend, daß die Aufnahme des Stiefkindes in den Haushalt des Versicherten nicht notwendig auch eine Unterhaltsgewährung mit umfasse. Schon die Wortinterpretation deute an, daß der Haushalt und damit die in ihm vorhandenen sächlichen und personellen Kräfte für das Dasein des Kindes mit eingesetzt sein müßten. Das LSG übergehe den Willen des Gesetzgebers, der Stiefkinder nur insoweit für waisenrentenberechtigt gehalten habe, als sie vom Versicherten versorgt worden seien.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist begründet.
Der Klägerin steht die Waisenrente aus der Arbeiterrentenversicherung ihres Stiefvaters nicht zu. Der Anspruch wäre nur gerechtfertigt, wenn die Klägerin in den Haushalt des Stiefvaters aufgenommen gewesen wäre. An diesem Merkmal fehlt es jedoch. Zur Haushaltsaufnahme im Sinne des § 1262 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 1267 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gehört ein auf längere Dauer gerichtetes Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienähnlicher Art (BSG 20, 91, 93; 25, 109). Für die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes ist es weder ausreichend, noch stets erforderlich, daß das Kind in der Wohnung des Stiefvaters mitlebt (BSG 25, 111). In Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien zum Kindergeldergänzungsgesetz (Bundestagsdrucks. II 3490 B zu Nr. 1 S. 10) ist "in den Haushalt aufgenommen" gleichzusetzen mit "versorgen". Dafür ist es unerläßlich, daß der Stiefvater sich durch eigenen Beitrag um das Wohl des Kindes kümmert. Damit ist indessen nicht gesagt, daß der Begriff Haushaltsaufnahme notwendig die volle, überwiegende oder wesentliche Unterhaltsgewährung mit einschließt. Die Haushaltsaufnahme wird zB in bezug auf Enkel und Geschwister der überwiegenden Unterhaltsleistung alternativ ("oder") gegenübergestellt, also nicht mit ihr identifiziert (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 des Bundeskindergeldgesetzes - BKGG -). Die Unterscheidung von beidem zeichnet sich für Stiefkinder besonders deutlich in der Entwicklung des Rechts der Unfallversicherung ab. Kinderzulage ist nach § 583 Abs. 5 Nr. 2 RVO für die "in den Haushalt des Verletzten aufgenommenen Stiefkinder" zu gewähren. Nach Abs. 6 Satz 1 dieser Vorschrift wurde jedoch - zusätzlich - vorausgesetzt, daß der Verletzte das Kind überwiegend unterhielt. Dieses weitere Erfordernis ist für die Unfallversicherung durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (Art. 1 § 1 Nr. 3 Buchst. c) vom 9. Juni 1965 aufgehoben worden. Aufnahme in den Haushalt und Zurverfügungstellen von Bedarfsgütern werden auch als zweierlei für die Pflegekinder in § 2 Abs. 1 Nr. 6 BKGG behandelt, und zwar muß zu deren Aufnahme in den Haushalt hinzukommen ("und"), daß der Versicherte "zu den Kosten" des Kindesunterhalts "nicht unerheblich beiträgt". Für die hier maßgebliche Vorschrift des § 1262 Abs. 1 Nr. 2 RVO, in der die Unterhaltsgewährung nicht ausdrücklich erwähnt wird, kann also nicht verlangt sein, daß der Lebensbedarf des Kindes in einem größeren Umfange gedeckt worden ist. Andererseits genügt es dem Zweck des Gesetzes nicht, daß mit dem Kinde nur eine räumliche Verbindung hergestellt, seine Anwesenheit in der Wohnung lediglich geduldet wird. Ein Kind ist nicht in den Haushalt des Stiefvaters aufgenommen, wenn dieser in keiner Form zu seinem Unterhalt beiträgt. Der Stiefvater muß dem Kinde Dienste oder Leistungen zugewendet haben, denen Unterhaltscharakter beizumessen ist; denn die Waisenrente soll den weggefallenen Unterhalt ausgleichen. An einen solchen Ausgleich kann man im Hinblick auf jede Art von Fürsorge für das Kind denken: Beaufsichtigung, Erziehung, Pflege, alle ihm geltenden Hausarbeiten. Daß solche Aufgaben in den Begriff Haushaltsaufnahme einbezogen werden, entspricht natürlicher Lebensanschauung; sie müssen dem Kinde gegenüber regelmäßig und in nicht unbeachtlichem Ausmaß erfüllt worden sein, damit sie bei ihrem Wegfall Grund für einen Ausgleich in Gestalt der Waisenrente sein können.
So war es im vorliegenden Fall nicht. Das LSG hat nicht festgestellt, daß der Stiefvater der Klägerin wirtschaftliche Mittel oder persönliche geldwerte Dienste zukommen ließ. Die Bedürfnisse des Kindes waren durch Zahlungen seines Vaters und durch die Fürsorge seiner Mutter und seiner Großeltern sichergestellt. Das Verhältnis des Stiefvaters zur Klägerin ging über die äußere Wohngemeinschaft nicht hinaus; Versorgung oder Erziehung des Kindes lagen nicht in seinen Händen.
Der Revision ist deshalb mit der auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes beruhenden Kostenentscheidung stattzugeben.
Fundstellen