Entscheidungsstichwort (Thema)
Ambulantes Operieren - Anästhesie-Zuschlag nach Nr 90 EBM-Ä -Allgemein- und Praktische Ärzte - berufsrechtliche Anerkennung als Ärzte für Anästhesiologie
Leitsatz (amtlich)
Den Anästhesie-Zuschlag der Nr 90 EBM-Ä können auch solche Ärzte beanspruchen, die vertragsärztlich als Allgemein- und Praktische Ärzte zugelassen sind, sofern sie über die berufsrechtliche Anerkennung als Ärzte für Anästhesiologie verfügen.
Normenkette
SGB V § 115b Abs. 1 S. 1; EBM-Ä Nrn. 90, 462
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. November 2000 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 3. Februar 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten für alle Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist der Vergütungszuschlag für anästhesistische Leistungen.
Der Kläger wurde als Praktischer Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und erlangte später – mit Urkunde vom 11. Dezember 1996 – die Qualifikation eines Facharztes für Allgemeinmedizin. Er ist außerdem berufsrechtlich als Facharzt für Anästhesiologie anerkannt. In seinen Honoraranforderungen für die Quartale I bis IV/1996 setzte er 144-mal den – mit 1.500 Punkten bewerteten – Zuschlag nach Nr 90 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) an (Zuschlag für ambulante Durchführung von Anästhesien/Narkosen nach Nr 462 = Plexusanästhesie uä). Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) lehnte die Zuschlagsgewährung mangels entsprechenden vertragsärztlichen Zulassungsstatus ab. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat seiner Klage mit der Begründung stattgegeben, dass die Zuschlagsberechtigung nach Nr 90 EBM-Ä nur die dort genannte fachärztliche Qualifikation, aber nicht auch die entsprechende vertragsärztliche Zulassung voraussetze (Urteil vom 3. Februar 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. November 2000). Zur Begründung ist ausgeführt, für die Zuschlagsberechtigung reiche nicht aus, dass der Vertragsarzt nach der Weiterbildungsordnung zum Führen der gebietsärztlichen Bezeichnung “Facharzt für Anästhesiologie” berechtigt sei. Er müsse als solcher vertragsärztlich zugelassen sein. Wie der Wortlaut der Präambel zum Abschnitt B VII EBM-Ä ausweise, solle der Zuschlag den besonderen Aufwand in personeller und sachlicher Hinsicht abgelten, wie er in der Regel nur bei Ärzten anfalle, die als Fachärzte für Anästhesiologie niedergelassen und vertragsärztlich zugelassen seien. Unter systematischen Gesichtspunkten sei zu beachten, dass sich der EBM-Ä nur an Vertragsärzte wende und deshalb für Abrechnungs-Ausschlüsse und -Privilegierungen die vertragsärztliche Zulassung maßgebend sei. Die Förderung von Ärzten, die für ein anderes Fachgebiet vertragsärztlich zugelassen seien, sei auch mit Sinn und Zweck der Regelung, die anästhesistische Tätigkeit im vertragsärztlich-ambulanten Bereich zu begünstigen und deshalb besonders zu honorieren, nicht vereinbar. Gebietsärzte anderer Disziplinen müssten in ihrem jeweiligen Bereich die Versorgung sicherstellen und könnten daher nur in geringem Umfang – evtl in Zusammenarbeit mit einem weiteren Vertragsarzt – im Rahmen ambulanter Operationen anästhesistisch tätig sein.
Mit seiner Revision rügt der Kläger, das LSG habe die Präambel zu Abschnitt B VII EBM-Ä unzutreffend ausgelegt. Der Wortlaut stütze die Forderung nach vertragsärztlicher Zulassung als Facharzt für Anästhesiologie nicht. Mit dem besonderen personellen und sachlichen Aufwand werde nur der Grund für die Regelung beschrieben, aber nicht normiert, dass dieser Aufwand in jedem konkreten Fall angefallen sein müsse. Im Übrigen sei der Aufwand für einen Praktischen Arzt, der anästhesistisch tätig werde, nicht geringer als für einen Arzt, der als Anästhesist vertragsärztlich zugelassen sei. Die berufsrechtliche Anerkennung ausreichen zu lassen, entspreche dem Regelungsziel, die ambulante anästhesistische Tätigkeit umfassend zu fördern. Die These, die Qualifikationserfordernisse des EBM-Ä knüpften an die vertragsärztliche Zulassung an, treffe nicht zu. Dies sei auch die Ansicht in den Kommentierungen zum EBM-Ä.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. November 2000 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 3. Februar 1999 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend. Entscheidend sei der vertragsärztliche Zulassungsstatus. Dessen Wechsel sei gemäß § 18 Abs 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte nur in einem besonderen Verfahren möglich. Durch die Zuschlagsregelung solle gerade die vertragsärztliche Zulassung als Facharzt für Anästhesiologie gefördert werden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Er hat für die von ihm erbrachten anästhesistischen Leistungen nach Nr 462 EBM-Ä Anspruch auf Gewährung des Zuschlags nach Nr 90 EBM-Ä. Die Bescheide, mit denen die Beklagte die Honoraranforderungen des Klägers richtig stellte, sind rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für die Befugnis der KÄVen zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen sind die Regelungen des Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und des Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen ≪EKV-Ä≫ (siehe § 45 Abs 1 und 2 Satz 1 BMV-Ä, idF vom 19. Dezember 1994, DÄ 1995, A-625 = C-395, und § 34 Abs 4 EKV-Ä, idF vom 7. Juni 1994, DÄ 1994, A-1967 = C-1267). Nach diesen im Wesentlichen gleich lautenden Vorschriften berichtigt die KÄV die Honorarforderung des Vertragsarztes bei sachlich-rechnerischer Unrichtigkeit (vgl dazu BSG, Urteil vom 12. Dezember 2001, BSGE 89, 90, 93f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6 f). Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen nicht vor; denn der Kläger hat in seinen Honoraranforderungen zu Recht den Zuschlag nach Nr 90 EBM-Ä angesetzt.
Nach der Präambel zu Abschnitt B VII EBM-Ä, dem die Nr 90 EBM-Ä zugeordnet ist (DÄ 1993, C-681; zum 1. Januar 1996 erneut – ohne Nr 91 EBM-Ä – beschlossen, siehe Beilage zu Ausgabe A des DÄ 1995, Heft 39 vom 29. September 1995) kann der Arzt für Anästhesiologie bei ambulanter Durchführung von Anästhesien/Narkosen für den damit verbundenen besonderen personellen und sachlichen Aufwand – zB Lagerungs- und Ruhemöglichkeiten, EKG-Monitoring, Ausrüstung zur Reanimation, Schockbehandlung und Beatmung – einen der Zuschläge nach den Nrn 90, 186 oder 194 berechnen. Der Zuschlag nach Nr 90 EBM-Ä (Zuschlag für die ambulante Durchführung von Anästhesien/Narkosen nach Nr 462) ist mit 1.500 Punkten, Nr 462 EBM-Ä (Plexusanästhesie, Spinal-, Periduralanästhesie, intravenöse regionale Anästhesie oder Kombinationsnarkose) mit 950 Punkten bewertet.
Der Kläger war in den hier maßgeblichen Quartalen I bis IV/1996 zwar als Praktischer Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Auf Grund seiner berufsrechtlichen Anerkennung als Arzt für Anästhesiologie steht ihm für die anästhesistischen Leistungen nach Nr 462 EBM-Ä jedoch der Zuschlag nach Nr 90 EBM-Ä zu.
Grundsätzlich ist allerdings für die Frage, ob ein Vertragsarzt Leistungen, die einem bestimmten Fachgebiet zugeordnet sind, erbringen und abrechnen darf, entscheidend, dass er für dieses Fachgebiet vertragsärztlich zugelassen ist. Leistungen außerhalb des Gebietes seines Zulassungsstatus darf er danach nicht systematisch in der vertragsärztlichen Versorgung durchführen, auch wenn er auf Grund seiner Weiter- und Fortbildung die berufliche Qualifikation für die Erbringung der Leistungen besitzt (vgl BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 7 S 29 betr Arzt mit mehreren Gebietsbezeichnungen; BSG SozR 3-2500 § 101 Nr 4 S 24 betr Allgemeinarzt, der auch Chirurg ist; BSG, Urteil vom 31. Januar 2001 – B 6 KA 11/99 R, Die Leistungen – Rechtsprechung –, Beilage, 2002, S 203, 206 betr Allgemeinarzt, der auch Kinderarzt ist).
Da der Tatbestand der Nr 90 EBM-Ä die Zuschlagsberechtigung auf den “Arzt für Anästhesiologie” beschränkt, der Kläger aber als solcher nicht zugelassen ist, hätte dies an sich zur Folge, dass er den Zuschlag nicht beanspruchen kann. Der Kläger steht jedoch bei der Durchführung von Anästhesien auf Grund besonderer vertraglicher Regelungen über Qualitätssicherungsmaßnahmen bei ambulanten Operationen den als Anästhesisten zugelassenen Ärzten gleich. Daraus folgt auch eine vergütungsrechtliche Gleichstellung.
Auf der Rechtsgrundlage des § 115b Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben nämlich die dort genannten Institutionen einen “Vertrag nach § 115b Abs 1 SGB V – Ambulantes Operieren im Krankenhaus -” geschlossen (DÄ 1993, C-1293). Dessen § 14 Satz 1 sieht vor, dass die Vertragspartner bis zum 31. Dezember 1993 ergänzend zu den Anforderungen des EBM-Ä Maßnahmen zur Sicherung der Qualität beim ambulanten Operieren vereinbaren. Nach § 3 Abs 1 Satz 1 dieser am 13. Juni 1994 getroffenen Vereinbarung (DÄ 1994, C-1384, mit späteren Änderungen in DÄ 1995, C-2328 und DÄ 1998, C-2080) sind ambulante Operationen und Anästhesien nach Facharztstandard zu erbringen. Ambulante Operationen und Anästhesien sind von Fachärzten, unter Assistenz von Fachärzten oder unter deren unmittelbarer Aufsicht und Weisung mit der Möglichkeit des unverzüglichen Eingreifens durchzuführen (Abs 1 Satz 2 aaO). Zu dieser Festschreibung des Facharztstandards bestimmt § 3 Abs 2 Satz 1 der genannten Qualitätssicherungsvereinbarung, dass ambulante Operationen in der vertragsärztlichen Versorgung auch von Fachärzten für Allgemeinmedizin und Praktischen Ärzten sowie von Ärzten ohne Facharztbezeichnung erbracht werden dürfen, sofern und soweit sie das Recht zum Führen der Facharztbezeichnung eines Fachgebietes haben, zu dessen Weiterbildungsinhalt obligatorisch der Erwerb eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in den Operationen des Fachgebiets gehört. Nach Abs 2 Satz 3 aaO gilt dies für Anästhesien entsprechend unter der Voraussetzung, dass die in Satz 1 genannten Ärzte das Recht zum Führen der Facharztbezeichnung haben.
Ärzte für Allgemeinmedizin und Praktische Ärzte sind somit bei Vorliegen der in der genannten Regelung aufgestellten Voraussetzungen berechtigt, in der vertragsärztlichen Versorgung ambulante Operationen und dazugehörige Anästhesien durchzuführen. Anders als sonst bei der Zuordnung von Leistungen zu einem bestimmten Fachgebiet wird für diese Berechtigung nicht entscheidend auf die vertragsärztliche Zulassung als Facharzt für Allgemeinmedizin oder als Praktischer Arzt abgestellt. Maßgeblich ist vielmehr die weitere berufsrechtliche Qualifikation nach dem Weiterbildungsrecht für die Durchführung ambulanter Operationen und dazugehöriger Anästhesien. Sinn dieser Regelung ist es, denjenigen Chirurgen oder Anästhesisten, die sich als Allgemeinärzte bzw Praktische Ärzte niedergelassen haben und vertragsärztlich zugelassen sind, die Möglichkeit zu eröffnen, ambulant-vertragsärztlich Operationen bzw Anästhesien durchzuführen. Diese Erweiterung entspricht dem gesetzgeberischen Anliegen, das ambulante Operieren zu fördern (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 5 S 23 und SozR 3-2500 § 81 Nr 7 S 35/36). Der im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Zielsetzung widerspräche es, diesen Ärzten die entsprechenden Vergütungsansprüche vorzuenthalten (siehe § 115b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V: “einheitliche Vergütungen für Krankenhäuser und Vertragsärzte”). Anhaltspunkte dafür, dass die Regelungen nur für belegärztliche Tätigkeiten, nicht aber für den ambulanten vertragsärztlichen Bereich gelten sollten, bestehen nicht (vgl BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 7 S 36).
Aus der in § 115b SGB V normierten Zielsetzung, einheitliche Regelungen für das ambulante Operieren im vertragsärztlichen und im Krankenhaus-Bereich zu schaffen (siehe insbesondere § 115b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V), folgt, dass die Partner der dreiseitigen Verträge – die Spitzenverbände der Krankenkassen (KKn), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KÄBV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft – auch befugt sind, die Regelungen einheitlich auf den ambulanten vertragsärztlichen Bereich zu erstrecken, für den sonst die Spitzenverbände der KKn und die KÄBV die Regelungen allein treffen (siehe Dalichau/Grüner/Schiwy, SGB V – Krankenversicherung, Stand Juni 2001, § 115b Anm II am Ende – zur Geltung der dreiseitigen Vereinbarungen auch für die Vertragsärzte; Hencke in Peters, Handbuch der Krankenversicherung – SGB V –, Stand Oktober 2001, § 115b RdNr 2 – zur Bindung der KÄVen; vgl ferner betr § 115 SGB V BSG SozR 3-2500 § 115 Nr 1 S 3 f).
Zu Recht geht daher auch die Kommentarliteratur davon aus, dass für die Zuschlagsberechtigung nach Nr 90 EBM-Ä nicht der Zulassungsstatus des Arztes maßgeblich ist, sondern allein die Berechtigung zum Führen der Gebietsbezeichnung “Arzt für Anästhesiologie” (siehe Wezel/Liebold, Handkommentar BMÄ, E-GO und GOÄ, Stand April 2002, Kap 9, Abschnitt B VII, Nr 90 Anm a; ebenso Köhler/Hess in Kölner Kommentar zum EBM, Stand Oktober 2001, Abschnitt B VII ≪vor Nr 90≫, Anm 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz in der bis zum 1. Januar 2002 gültigen und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG, Urteile vom 30. Januar 2002 – B 6 KA 20/01 R und B 6 KA 73/00 R –, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Fundstellen
ArztR 2003, 167 |
SozR 3-2500 § 115b, Nr. 3 |