Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 28. August 1990 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Vormerkung einer Versicherungszeit der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986.
Die 1946 geborene Klägerin nahm im Juni 1973 das am 9. Mai 1972 geborene Kind D., das bis dahin in einem Kinderheim gelebt hatte, in ihre Familie in Adoptionspflege. Der Adoptionsvertrag wurde im September 1974 wirksam. Die Klägerin beantragte im April 1988 ua die Vormerkung einer Kindererziehungszeit für ihr Kind D. Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) lehnte dies mit Bescheid vom 4. Mai 1988, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 1988, ab, da die Klägerin das Kind D. nicht während der ersten zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt erzogen habe.
Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Berlin vom 7. Juli 1989; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Berlin vom 28. August 1990). Zur Begründung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Vormerkung einer Kindererziehungszeit für das Kind D. Die Voraussetzungen des § 28a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) seien nicht erfüllt, da sie das Kind nicht in den ersten zwölf Kalendermonaten nach der Geburt erzogen habe. Es sei auch nicht verfassungswidrig, daß die Erziehung von Adoptiv- bzw Pflegekindern nach Ablauf des in § 28a Abs 1 AVG genannten Zeitraumes keinen Anspruch auf Kindererziehungszeiten auslöse. Die Erziehung eines Kindes während der ersten zwölf Lebensmonate lasse sich mit der Erziehung in der nachfolgenden Zeit nicht vergleichen, so daß schon wegen des anders gelagerten Sachverhaltes eine Verletzung des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) ausscheide. Die sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers, dem die Problematik der Adoptiv- bzw Pflegeeltern bewußt gewesen sei, sei daher nicht verfassungswidrig.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. In der Beschränkung der rentenrechtlich zu berücksichtigenden Kindererziehungszeit auf die ersten zwölf Kalendermonate nach der Geburt des Kindes liege eine nicht gerechtfertigte Privilegierung aller Kinder, die zunächst bei den leiblichen Eltern aufwüchsen, und eine Benachteiligung von Adoptivkindern, die regelmäßig nicht schon in den ersten dreizehn Lebensmonaten nach der Geburt in eine Adoptivpflege übernommen werden könnten. Diese Gesetzeslücke müsse durch Rechtsfortbildung geschlossen werden, da die jetzige Fassung des § 28a AVG gegen Art 3 und 20 GG verstoße. Die sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers, die zu dieser Gesetzesfassung geführt habe, sei offensichtlich fehlerhaft. Die Pflege eines leiblichen Kindes in den ersten dreizehn Kalendermonaten sei nämlich durchaus mit der Pflege eines in Adoptionspflege befindlichen Kindes im vierzehnten bis sechsundzwanzigsten Lebensmonat vergleichbar, da die Pflege eines solchen Kindes wegen seiner aufgrund der Heimbetreuung verzögerten Entwicklung einen erhöhten Betreuungsaufwand notwendig mache. Aber auch hinsichtlich der Pflegepersonen sei der Sachverhalt vergleichbar. Voraussetzung für eine Adoption sei nämlich, daß einer der Adoptiveltern seine berufliche Tätigkeit aufgebe und sich ganz der Erziehung des in Pflege genommenen Kindes widme. Somit befänden sich leibliche Mutter und Adoptivmutter in der gleichen Situation. Beide könnten keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erbringen. Schließlich zeige § 2a Abs 3 AVG, daß der Gesetzgeber Pflegemütter und -väter, auch Adoptivpflegeeltern, den leiblichen Eltern habe gleichstellen wollen. Dabei sei aber unberücksichtigt geblieben, daß die Adoptiv- bzw Pflegeeltern keinen Einfluß auf das Alter des zu adoptierenden Kindes hätten. Die Nichtberücksichtigung dieses Umstandes stelle sich wiederum als Verstoß gegen Art 3 GG dar.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit der Erziehung des Kindes D. vom 1. Juli 1973 bis 30. Juni 1974 als Zeit der Kindererziehung anzuerkennen,
hilfsweise,
das Verfahren gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des § 28a AVG vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zwar sollten Adoptiveltern im Hinblick auf die Kindererziehungszeit den leiblichen Eltern grundsätzlich gleichgestellt werden. Dies gelte jedoch nur dann, wenn auch der zeitliche Rahmen für die Erziehung gegeben sei. Faktisch kämen deshalb Adoptiveltern selten in den vollen Genuß der Kindererziehungszeit, da sie meist erst einige Zeit nach der Geburt des Kindes mit der Erziehung beginnen könnten. Diese vom Gesetzgeber erkannte und gewollte Ungleichbehandlung sei allerdings nicht willkürlich und stelle keinen Verstoß gegen Art 3 GG dar, zumal nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden könne, daß die ersten zwölf Monate nach der Geburt für die Erziehenden mit ganz besonderen Belastungen verbunden seien. Die Anknüpfung an das Lebensalter des Kindes für die Berücksichtigung einer Kindererziehungszeit sei auch nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 28. November 1990 – 4 RA 40/90 –, das ebenfalls die Frage der Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei Pflegekindern betroffen habe, verfassungsmäßig.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf Vormerkung einer Versicherungszeit wegen Erziehung des Kindes D.
Nach § 104 Abs 3 Satz 1 AVG hat die BfA Zeiten wegen Kindererziehung nach § 28a AVG ua nur vorzumerken, wenn die Klärung des Versicherungskontos ergeben hat, daß der Tatbestand einer solchen Kindererziehungszeit erfüllt ist. Die Klägerin hat aber durch die Erziehung von D. keine Kindererziehungszeit iS von § 28a AVG zurückgelegt.
Nach § 28a Abs 1 Satz 1 AVG (idF durch Art 7 Nr 2 des Rentenreformgesetzes ≪RRG 1992≫ vom 18. Dezember 1989 – BGBl I S 2261) werden für die Erfüllung der Wartezeit ua Müttern, die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind, Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes angerechnet, wenn sie ihr Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes erzogen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufgehalten haben. Abs 3 Satz 1 aaO bestimmt weiterhin, daß § 2a Abs 3 bis 5 AVG entsprechend anzuwenden ist. Nach § 2a Abs 3 Satz 1 AVG, der in unmittelbarer Anwendung die Pflichtversicherung wegen Erziehung eines nach dem 31. Dezember 1985 geborenen Kindes betrifft, sind ua Mütter iS des § 2a Abs 1 AVG auch Pflegemütter (§ 56 Abs 3 Nrn 2 und 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫). Pflegemutter ist nach § 56 Abs 3 Nr 3 SGB I eine Frau, die ein Pflegekind aufgenommen hat, Pflegekind gemäß Abs 2 Nr 2 aaO eine Person, die mit der Pflegemutter durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie ein Kind mit den Eltern verbunden ist.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß die Klägerin das Kind D. vom 11. Juni 1973 an in häuslicher Gemeinschaft erzogen hat. Hieraus läßt sich jedoch ein Anspruch auf Vormerkung einer Kindererziehungszeit nicht herleiten, da die Klägerin die Erziehung von D. erst nach Ende des iS von § 28a Abs 1 Satz 1 AVG berücksichtigungsfähigen Zeitraums, nämlich der ersten zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Geburtsmonates des Kindes, dh nach dem 31. Mai 1973, aufgenommen hat. Eine Versicherungszeit wegen Kindererziehung gemäß § 28a AVG kann aber nach der derzeitigen Rechtslage ausschließlich eine Erziehung im Jahr nach der Geburt des Kindes sein. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend entschieden.
Die Klägerin erhebt verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, daß Adoptiv- bzw Pflegeeltern häufiger nicht oder nicht in vollem Umfang eine Kindererziehungszeit zurücklegen könnten, da sie vielfach eine Erziehung des Kindes erst mit zeitlicher Verzögerung nach seiner Geburt aufnehmen könnten. Diese Bedenken greifen jedoch nicht durch. Der Senat hat hierzu in der von der Beklagten angeführten Entscheidung vom 28. November 1990 – 4 RA 40/90 (SozR 3-2200 § 1251a Nr 8) entschieden, daß er nicht iS von Art 100 Abs 1 Satz 1 GG davon überzeugt ist, es sei verfassungswidrig, daß die Erziehung eines Kindes nur im Jahr nach seiner Geburt iS von § 28a Abs 1 Satz 1 AVG als Versicherungszeit wegen Kindererziehung berücksichtigt werden könne. Er hat in ihr im einzelnen ausgeführt:
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits zu der gleichliegenden Problematik bei der Gewährung von Bundeserziehungsgeld „vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats” (§ 4 Abs 1 Satz 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes ≪BErzGG≫) erkannt, daß die zeitliche Anknüpfung des gesetzlichen Leistungsanspruchs an den Tag der Geburt des Kindes verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist und insbesondere kein Verstoß gegen die Art 3 Abs 1, 6 Abs 4 und 20 Abs 3 GG vorliegt (BVerfG SozR 7833 § 1 Nr 3), ferner auch, daß die Anknüpfung an das Lebensalter des Kindes und nicht an den Zeitpunkt einer Aufnahme in die Familie der Adoptiv- und Pflegeeltern weder willkürlich (Art 3 Abs 1 GG) noch mit dem Schutz von Ehe und Familie (Art 6 Abs 1 GG) unvereinbar ist (Beschluß der 3. Kammer des 2. Senats vom 6. Oktober 1988 – 2 BvR 1328/88). Das hält der Senat auch im Blick auf Versicherungszeiten wegen Kindererziehung für zutreffend.
Hauptzweck des BErzGG ist es zu ermöglichen oder zu erleichtern, daß sich ein Elternteil der Betreuung und Erziehung des Kindes in dessen erster Lebensphase, die der Gesetzgeber für besonders wichtig erachtet hat, widmet. Durch die Gewährung von Erziehungssgeld soll für diesen Zeitraum ein bestimmter wirtschaftlicher Nachteil beseitigt oder gemindert werden, der – in typisierender und generalisierender Betrachtung – geeignet ist, einen Vater oder eine Mutter von der vollzeitigen persönlichen Betreuung und Erziehung eines Kleinstkindes abzuhalten. Er besteht darin, daß während der Betreuung eines Kindes die Möglichkeit, ein volles Erwerbseinkommen zu erzielen, eingeschränkt ist (BSGE 64, 296, 302 = SozR 7833 § 3 Nr 1 mwN). Zukunftsbezogen ist somit tragender Sachgrund des BErzGG die Förderung der Fürsorge für das Kind in dessen erstem Lebensjahr, nicht etwa die – abstrakte – „Anerkennung” (Honorierung) von Erziehungsleistungen. Derselbe Sachgrund prägt auch die – zeitgleich mit dem BErzGG eingeführte – Pflichtversicherung bei Kindererziehung iS von § 2a AVG. Die Zuwendung zum Kind durch Erziehung in der ersten Lebensphase unter „Verzicht” (vgl BSG, Urteile vom 27. September 1990 – 4 REg 27/89 = BSGE 67, 238 = SozR 3-7833 § 1 Nr 1 und 4 REg 30/89 = BSGE 67, 243 = SozR 3-7833 § 1 Nr 2) auf eine rentenanwartschaftsbegründende oder -steigernde Erwerbstätigkeit soll durch die Pflichtversicherung in einem Mindestumfang (§ 32 Abs 6a AVG) wie eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit anerkannt und dadurch gefördert werden. § 28a AVG und – worauf der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits hingewiesen hat (Urteil vom 19. April 1990 – 1 RA 35/88 = BSGE 66, 288 = SozR 3-2200 § 1251a Nr 1) – die Regelung über die Leistung für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 (§§ 61 ff des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes – AnVNG) dienen der Abrundung dieses Sachprogramms (Förderung der Zuwendung zum Kind in dessen erster Lebensphase). Diese Vorschriften sehen leistungsrechtliche Berechtigungen für diejenigen vor, die in der Vergangenheit, dh vor dem 1. Januar 1986, dem Inkrafttreten des BErzGG und des § 2a AVG, diese Fürsorge für das Kind durch seine Erziehung im ersten Jahr nach der Geburt bereits geleistet hatten. Denn auch diese Erzieher waren durch die Beanspruchung mit der Erziehung – wie das Gesetz typisierend unterstellt – in der Möglichkeit eingeschränkt, in der ersten Lebensphase des Kindes eine rentenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit auszuüben und durch Pflichtbeitragsleistungen eigene Rentenansprüche aufzubauen. Lediglich bei der Leistung für Kindererziehung (§§ 61 ff AnVNG) ist der leistungsauslösende Tatbestand nur aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und der Beweisprobleme bei derart weit zurückliegenden Sachverhalten auf die Lebendgeburt grundsätzlich im Inland beschränkt worden (Urteil des 1. Senats des BSG vom 19. April 1990 – aaO). Es ist nicht ersichtlich und auch dem Vortrag der Klägerin nicht zu entnehmen, daß das Sachprogramm des Gesetzgebers, die Erziehung des Kindes in dessen erstem Lebensabschnitt zu fördern bzw eine in dieser Zeit, aber vor Beginn der staatlichen Förderung am 1. Januar 1986 erfolgte Erziehung leistungsrechtlich anzuerkennen, verfassungswidrig sein könnte (vgl dazu BSGE 63, 282, 289 ff = SozR 2200 § 1251a Nr 2 mwN). Da dieser Gesetzeszweck nicht verfassungswidrig ist, widerspricht es dem Grundgesetz nicht, daß Erziehungsleistungen, die erst nach dem ersten Lebensjahr des Kindes iS von § 28a Abs 1 Satz 1 AVG – von wem auch immer – erbracht worden sind, nicht berücksichtigt werden.
Der Senat hält an dieser Entscheidung auch nach erneuter Überprüfung fest. Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen