Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.11.1990) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. November 1990 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Krankengeld für die Zeit vom 16. Januar bis 28. Mai 1989.
Der 1932 geborene Kläger, der zuletzt 1984 als Packer im Versand versicherungspflichtig tätig und bei der Beklagten krankenversichert war, war seit dem 5. November 1984 ununterbrochen – auch über den 31. Dezember 1988 hinaus bis 28. Mai 1989 – wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig krank. Nach einem Bezug von Krankengeld und anschließend von Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit (vom 3. Juli 1985 bis 31. August 1987) bewilligte ihm die beklagte Krankenkasse mit Beginn eines neuen – des vierten -Dreijahreszeitraums am 30. November 1987 erneut Krankengeld für die weitere Dauer der Arbeitsunfähigkeit, begrenzt auf 78 Wochen. Im Januar 1989 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sein Anspruch auf Krankengeld wegen der Rechtsänderung in § 48 Abs 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) mit dem 1. Januar 1989 entfalle, daß ihm aber zwecks Anpassung an die veränderte Situation das Krankengeld noch bis zum 15. Januar 1989 weitergezahlt werde (Bescheid vom 5. Januar 1989; Widerspruchsbescheid vom 21. März 1989). Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 2. Mai 1990). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 14. November 1990).
Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe den Bewilligungsbescheid nur unter den Voraussetzungen des § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) aufheben dürfen, die jedoch nicht vorlägen. Insbesondere sei in den maßgeblichen rechtlichen Verhältnissen keine Änderung eingetreten. Der am 1. Januar 1989 in Kraft getretene § 48 Abs 2 SGB V, dessen verschärfte Voraussetzungen der Kläger nicht erfülle, erfasse nicht Fälle, in denen – wie hier – der Krankengeldanspruch in einem weiteren Dreijahreszeitraum bereits vor diesem Stichtag wiederaufgelebt sei. In diesem Falle richte sich der Fortbestand des Anspruchs auch über den 1. Januar 1989 hinaus nach bisherigem Recht. Das folge aus den zum zeitlichen Geltungsbereich einer Norm entwickelten allgemeinen Grundsätzen, wonach Entstehung und Fortbestand eines sozialrechtlichen Anspruchs sich nach dem bei Eintritt der anspruchsbegründenden Tatsachen geltenden Recht richteten, soweit nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimme (Anschluß an das Urteil des 16. Senats des LSG für das Land Nordhrein-Westfalen vom 16. August 1990 – L 16 Kr 78/90 –; Az des Revisionsverfahrens: 3 RK 15/90). Dafür, daß § 48 Abs 2 SGB V ausdrücklich oder sinngemäß eine derartige Rückwirkung habe beigelegt werden sollen, gebe es keinen Hinweis. Vielmehr sei Regelungsgegenstand dieser Bestimmung allein das Wiederentstehen eines neuen Krankengeldanspruchs in einem nach dem Inkrafttreten dieser Regelung beginnenden neuen Dreijahreszeitraum, nicht aber der Fortbestand eines bereits vor dem 1. Januar 1989 wiederaufgelebten Anspruchs. Eine dem entgegenstehende Übergangsvorschrift gebe es nicht.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 48 Abs 2 SGB V und 48 Abs 1 SGB X. Die in der Auszahlung des Krankengeldes liegende Verwaltungsentscheidung sei entgegen der Ansicht des LSG jeweils zeitlich befristet gewesen, zuletzt bis zum 15. Januar 1989. Deshalb sei über einen über diesen Zeitpunkt hinausreichenden Krankengeldanspruch erneut zu entscheiden gewesen, und zwar unter Zugrundelegung der Neuregelung in § 48 Abs 2 SGB V, dessen Voraussetzungen der Kläger aber nicht erfülle. Verfahrensrechtlich folge daraus, daß das Schreiben der Beklagten vom 5. Januar 1989 nur informatorischen Charakter gehabt habe und keine Entscheidung iS des § 31 SGB X gewesen sei. Selbst wenn von einer über den 15. Januar 1989 hinausreichenden Krankengeldbewilligung auszugehen sei, könne dem LSG nicht darin gefolgt werden, daß die Voraussetzungen des § 48 SGB X für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht vorgelegen hätten. Es treffe nicht zu, daß § 48 Abs 2 SGB V mangels einer entsprechenden Übergangsvorschrift Fälle der vorliegenden Art nicht erfasse. Das LSG habe insoweit verkannt, daß aufgrund des § 48 Abs 1 SGB X geändertes Recht grundsätzlich auch auf Altfälle Anwendung finde, soweit nicht Übergangsregelungen etwas anderes vorsähen. Wegen des Fehlens einer Übergangsregelung habe deshalb in Fällen der vorliegenden Art die Krankengeldzahlung eingestellt werden müssen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. November 1990 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 2. Mai 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, die Ausführungen der Beklagten zur fehlenden Bescheid-Qualität des Schreibens vom 5. Januar 1989 seien unbeachtlich, weil es sich dabei um tatsächliches Vorbringen handele, das in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigen sei. Mit diesem Schreiben habe die Beklagte in Regelung eines Einzelfalles zum Ausdruck gebracht, daß dem Kläger Krankengeld ab 1. Januar 1989 nicht mehr zustehe und diese Leistung lediglich zur Anpassung an die veränderte Situation noch bis zum 15. Januar 1989 weitergewährt werde. Damit sei eine Entziehungsentscheidung iS von § 48 SGB X getroffen worden, wovon die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid selbst ausgegangen sei. Das Gericht habe daraufhin die Klägerseite veranlaßt, den bisherigen Klageantrag im Sinne eines kombinierten Anfechtungs- und Leistungsantrags in einen bloßen Anfechtungsantrag umzuändern. Damit setze sich die Beklagte nunmehr in Widerspruch. Im übrigen sei das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß die Entziehung nicht auf § 48 SGB X habe gestützt werden dürfen, weil die Rechtsänderung in § 48 Abs 2 SGB V den vorliegenden Fall nicht erfasse. Anderenfalls werde geltend gemacht, daß § 48 Abs 2 SGB V mit dem Grundgesetz unvereinbar sei, weil in einer gegen das Übermaßverbot verstoßen-den, für den Kläger deshalb unzumutbaren Weise in eigentumsgeschützte Rechtspositionen eingegriffen werde.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den angefochtenen Entziehungsbescheid zu Recht aufgehoben. Dieser Bescheid war rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X, der allein Grundlage für die Entziehung des Krankengeldes sein könnte, nicht vorliegen.
Die Beklagte kann im Revisionsverfahren nicht damit gehört werden, ihre „Mitteilung” vom 5. Januar 1989 enthalte keinen Entziehungsbescheid, weil die vorhergehende Krankengeldbewilligung jeweils zeitlich befristet gewesen sei (§ 32 SGB X), zuletzt bis zum 15. Januar 1989. Daraus kann nicht hergeleitet werden, daß es sich nicht um eine Entziehung, sondern lediglich um eine informatorische Mitteilung über das Ende des Krankengeldbezuges gehandelt habe, und deshalb eine Neubewilligung dieser Leistung ab 15. Januar 1989 erforderlich gewesen sei. Dem stehen die – insoweit nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden – Feststellungen des LSG entgegen, wonach die Wiedergewährung des Krankengeldes in der neuen Blockfrist für die weitere Dauer der Arbeitsunfähigkeit erfolgt ist. Hat der Kassenarzt den Versicherten nicht nur vorübergehend arbeitsunfähig geschrieben, sondern für die weitere Dauer der Arbeitsunfähigkeit (vgl BSGE 47, 288 = SozR 2200 § 183 Nr 19 und SozR 2200 § 182 Nr 103 S 220), so kann der Versicherte davon ausgehen, daß sein Anspruch in dieser Blockfrist erst mit der Höchstbezugsdauer endet, sofern die Kasse ihm gegenüber nichts anderes zum Ausdruck bringt. Im vorliegenden Fall ist nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich, daß die Krankengeldbewilligung im Sinne der Beklagten befristet gewesen wäre. Da die Arbeitsunfähigkeit über den 15. Januar 1989 hinaus angedauert hat und der Anspruch erst Ende Mai 1989 erschöpft war, konnte die Beklagte den Bewilligungsbescheid mit Wirkung ab 16. Januar 1989 nur unter den Voraussetzungen des § 48 SGB X aufheben.
Eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS von § 48 SGB X, die zu einer Entziehung des Krankengeldes berechtigt hätte, ist nicht eingetreten, weil der vorliegende Fall nicht von dem zeitlichen Anwendungsbereich des § 48 Abs 2 SGB V und damit auch nicht von den gegenüber dem bisherigen § 183 Abs 2 RVO verschärften Voraussetzungen dieser Regelung erfaßt wird.
Dies hat das LSG zutreffend dem Inhalt des § 48 Abs 2 SGB V und den zum zeitlichen Geltungsbereich von Normen entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätzen entnommen. Grundsätzlich ist ein Rechtssatz nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Spätere Änderungen eines Rechtssatzes sind daher für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandenen Lebensverhältnissen unerheblich, es sei denn, daß das Gesetz seine zeitliche Geltung auf solche Verhältnisse erstreckt (vgl hierzu Evers, „Die Zeit – Eine Dimension des Sozialrechts?”, in: Rechtsschutz im Sozialrecht, Beiträge zum ersten Jahrzehnt der Rechtsprechung des BSG, 1965, S 63 ff, 79 ff jeweils mwN, ferner BSGE 62, 191, 194/195 = SozR 3100 § 1 Nr 39 mwN). Dementsprechend hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß sich Entstehung und Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt (allgemeine Meinung, vgl aus der jüngeren Rechtsprechung des BSG BSGE 44, 231, 232 = SozR 2200 § 1236 Nr 3; BSGE 45, 212, 214 = SozR 2200 § 182 Nr 29; SozR aaO Nr 85 mwN; BSGE 57, 211, 213 = SozR 1200 Art 2 § 18 Nr 1; BSGE 58, 243, 244 = SozR 2200 § 182 Nr 98). Dieser Grundsatz der Maßgeblichkeit des Versicherungsfalles (hier: des erstmaligen Eintritts der Erkrankung) gilt allerdings für das Krankengeld nicht uneingeschränkt; vielmehr kommt dem Wiederauflebensfall – wie noch auszuführen sein wird – eine gewisse selbständige Bedeutung zu. Auch für ihn gilt aber, daß dann, wenn das Gesetz einen bereits wiederaufgelebten, dh vor seinem Inkrafttreten im Sinne eines neuen Erfüllungstatbestandes wieder entstandenen Anspruch neu regeln will, sich dies eindeutig aus seinem Wortlaut oder jedenfalls schlüssig aus seinem Zweck ergeben muß.
Das Gesetz enthält weder in den Überleitungs- und Schlußvorschriften der Art 56 bis 79 des GRG eine Vorschrift, die den zeitlichen Anwendungsbereich des § 48 Abs 2 SGB V auf Wiederauflebensfälle vor seinem Inkrafttreten erstreckt, noch ist dem § 48 Abs 2 SGB V selbst eine derartige – unechte – Rückwirkung eindeutig zu entnehmen. Ob bereits – wovon das LSG ausgegangen ist – dem Wortlaut dieser Bestimmung entnommen werden kann, daß ihr Regelungsgegenstand allein das Wiederentstehen eines neuen Anspruchs auf Krankengeld in einem nach seinem Inkrafttreten beginnenden neuen Dreijahreszeitraum ist, mag bezweifelt werden. Daß jedenfalls Fälle der vorliegenden Art nicht erfaßt werden, ergibt sich aber schlüssig aus dem Zweck des § 48 Abs 2 SGB V, wie er in den Motiven des Gesetzes zum Ausdruck gekommen ist. Dort heißt es zu § 47 Abs 2, der dem heutigen § 48 Abs 2 SGB V entspricht: „Das Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld wegen derselben Krankheit nach Ablauf der dreijährigen Blockfrist wird eingeschränkt… Nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums besteht künftig ein Anspruch auf Krankengeld nur dann, wenn …” (vgl BT-Drucks 11/2237 S 181). Daraus wird klar ersichtlich, daß nur „das Wiederaufleben”, nicht aber der Fortbestand eines bereits – unter Geltung des alten Rechts – wiederaufgelebten Anspruchs auf Krankengeld wegen derselben Krankheit eingeschränkt werden soll. Der dort in Bezug genommene Begriff des „Wiederauflebens” bezeichnet nach dem in der Rechtsprechung bisher verstandenen Sinne nicht das (erstmalige) Entstehen eines Krankengeldanspruchs, sondern – als Erscheinungsform seines Weiterbestehens – das Wiederentstehen eines bereits in der Vergangenheit entstandenen, aber nach einer bestimmten Bezugszeit vorläufig erschöpften Anspruchs: Hat in der vorhergehenden Dreijahresfrist der Leistungsanspruch nach einer Höchstbezugsdauer von 78 Wochen vorläufig geendet, ist Krankengeld – bis zur Höchstdauer von erneut 78 Wochen – erst dann wieder zu gewähren, wenn in der neuen Blockfrist Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit (fort- oder wieder-) besteht, wenn dies ärztlich festgestellt, der Anspruch angemeldet ist, eine Mitgliedschaft besteht und diese Mitgliedschaft oder die Arbeitsunfähigkeit nicht für 26 Wochen unterbrochen gewesen sind. Der Versicherungsträger hat hierüber durch einen Verwaltungsakt ohne Bindung an die frühere Bewilligung erneut zu entscheiden (BSG SozR 2200 § 183 Nr 51). Damit ist der Wiederauflebenstatbestand dem Tatbestand des Entstehens eines neuen Anspruchs jedenfalls soweit angenähert, daß die Anwendung der genannten intertemporalen Auslegungsgrundsätze auch auf diesen – an sich nur die Fortdauer eines bereits entstandenen Anspruchs betreffenden -Teilabschnitt eines Dauersachverhalts gerechtfertigt ist. Sind – wie im vorliegenden Fall – sämtliche der das Wiederaufleben begründenden Tatsachen unter der Geltung des alten Rechts eingetreten und von diesem bereits – im Sinne eines Wiederauflebens – „rechtlich bewertet” worden, findet auf die weitere Dauer des wiederaufgelebten Krankengeldanspruchs – bis zur Höchstbezugsdauer von 78 Wochen – das alte Recht Anwendung, weil nicht klar erkennbar ist, daß das neue Recht auch diesen vor seinem Inkrafttreten verwirklichten Sachverhalt einer neuen Bewertung unterwerfen will. Hat nämlich der Gesetzgeber den zeitlichen Geltungsbereich eines geänderten Rechtssatzes nicht eindeutig bestimmt, ist nach den zum zeitlichen Geltungsbereich von Normen geltenden Auslegungsregeln eine Interpretation unzulässig, die zu einer neuen Bewertung eines bereits vom früheren Recht bewerteten Sachverhalts führen würde. Nur wenn der Gesetzgeber den zeitlichen Geltungsbereich einer Norm eindeutig dahin bestimmt hat, daß – bei einem Dauersachverhalt wie dem vorliegenden – auch der vor ihrem Inkrafttreten liegende Teil dieses Sachverhalts, der durch das frühere Recht schon bewertet war, einer neuen Regelung unterworfen werden soll, findet das neue Recht rückwirkend Anwendung. Ist dies nicht der Fall, ist davon auszugehen, daß die geänderte Norm nur den nach ihrem Inkrafttreten eintretenden, noch nicht bewerteten Teil des Dauersachverhalts neu regeln will (vgl Evers, aaO, S 88/89). Deshalb findet § 48 Abs 2 SGB V hinsichtlich seiner zeitlichen Geltung Anwendung grundsätzlich nur auf die Fälle, in denen das Wiederaufleben eines Krankengeldanspruchs wegen derselben Krankheit innerhalb einer neuen Dreijahresfrist in die Zeit nach dem 31. Dezember 1988 fällt. Denn dem Gesetzgeber ging es – wie aus den Motiven des Gesetzes unschwer zu erkennen ist – nur darum, das Wiederaufleben des Anspruchs nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums „künftig” zu erschweren.
Im übrigen kann der Gesetzgeber, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die übergangsrechtliche Problematik leistungskürzender Reformgesetze, zur Erfassung auch der laufenden Leistungsfälle entsprechende Übergangsvorschriften zu schaffen, nicht verkannt oder übersehen haben, zumal er auch im Rahmen des GRG in den Art 56 ff mehrere übergangsrechtliche Regelungen getroffen hat, ua auch solche im Sinne einer unechten Rückwirkung (vgl Art 60 GRG). Da ein übergangsloser Entzug von bereits laufenden Lohnersatzleistungen im Hinblick auf Art 14 GG verfassungsrechtliche Probleme aufwirft, liegt vielmehr die Annahme nahe, daß der Gesetzgeber bewußt eine Geltungserstreckung auf „laufende Altfälle” unterlassen hat.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision auch nicht aus § 48 SGB X selbst. Aus dieser Regelung kann nicht – im Sinne einer Umkehrung der bisherigen Grundsätze über die zeitliche Geltung von Normen – hergeleitet werden, daß nunmehr geändertes Recht grundsätzlich auch Altfälle erfaßt, soweit nicht ausnahmsweise etwas anderes vorgesehen ist. Für eine derartige materiell-rechtliche Bedeutung des § 48 SGB X bieten weder sein Zweck noch die Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift einen Anhalt (vgl die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren –, BT-Drucks 8/2034, S 35 zu § 46). Diese Norm, die an frühere Regelungen des Sozialrechts anknüpft, regelt nicht selbst, wann eine Änderung „wesentlich” ist und ob sie auf einen gegebenen Sachverhalt Anwendung findet, sondern setzt dies voraus. Als reine Verfahrensvorschrift dient sie lediglich dazu, eine Rechtsänderung durch den Gesetzgeber auf bereits ergangene, also an sich bindende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung „umzusetzen”. Das setzt aber voraus, daß das geänderte Recht die Rechtslage in unechter Rückwirkung auch für sog Altfälle gestalten will, daß also insoweit überhaupt eine zeitliche Geltungserstreckung vorliegt. Durch § 48 SGB X wollte der Gesetzgeber also nicht die allgemeinen Rechtsgrundsätze zur zeitlichen Geltung von Normen beseitigen. Vielmehr sind nach Inkrafttreten des SGB X (1. Januar 1981) diese Grundsätze weiter anzuwenden, und die Rechtsprechung des BSG hat sie auch bisher weiterbeachtet (vgl zB BSGE 62, 191, 194 f = SozR 3100 § 1 Nr 39; SozR 1300 Art 2 § 40 Nr 7 S 6).
Davon weicht auch das Urteil des 9. Senats des BSG vom 4. Juli 1989 (BSGE 65, 185 = SozR 1300 § 48 Nr 57) nicht ab. Denn auch in dieser Entscheidung (aaO, S 186) wird klar zum Ausdruck gebracht, daß § 48 SGB X lediglich dazu dient, bei geänderter Rechtslage einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung der neuen Rechtslage anzupassen, und daß bei sog Altfällen die Anpassung nur möglich ist, wenn das geänderte Gesetz dies selbst vorsieht. Es heißt dazu (aaO, S 186 f) wörtlich: „Soweit Gesetze in sog unechter Rückwirkung die Rechtslage neu gestalten, soll dieses geänderte Recht grundsätzlich auch Auswirkungen auf Altfälle haben, um den Rechtsfrieden innerhalb der Gemeinschaft, also die Gleichbehandlung bei gleichem Sachverhalt für alle Betroffenen zu gewährleisten.” Der dieser Entscheidung vorangestellte Leitsatz ist allerdings irreführend; denn der 9. Senat hat – wie sich unschwer den Entscheidungsgründen entnehmen läßt – nicht entschieden, daß dann, wenn ein Sozialleistungsgesetz ohne Übergangsvorschrift geändert wird, die durch einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung geregelten Rechtsverhältnisse nach § 48 SGB X neu zu regeln seien.
Die Revision der Beklagten konnte nach allem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen