Entscheidungsstichwort (Thema)
Postzusteller. Beamtentätigkeit. Facharbeiter
Orientierungssatz
Ein in die Lohngruppe II eingestufter Bediensteter der Bundespost, der Beamtentätigkeiten ausführt, ist bei der Prüfung des "bisherigen Berufs" in die Gruppe einzuordnen, die durch den Leitberuf des Facharbeiters charakterisiert ist (Festhaltung an BSG vom 1.12.1983 5b RJ 114/82, vom 3.10.1984 5b RJ 20/84 und vom 3.10.1984 5b RJ 28/84 = SozR 2200 § 1246 Nr 111, Nr 122 und Nr 123; vergleiche BSG vom 3.4.1986 4a RJ 19/84.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 29.04.1987; Aktenzeichen L 2 J 1335/85) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 19.03.1985; Aktenzeichen S 6 J 1140/84) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente) zu gewähren hat.
Die 1930 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Von Mai 1961 bis Februar 1984 stand sie im Dienst der Deutschen Bundespost. Nach Tätigkeit im Postfach- und Verwaltungsdienst wurde sie im Brief- und Paketzustelldienst, ab September 1977 infolge Rationalisierung hauptsächlich nur noch im Briefzustelldienst eingesetzt. Zunächst entlohnt nach Lohngruppe VII des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost, erhielt sie ab Mai 1975 infolge Höherbewertung ihres Dienstpostens eine Tätigkeitszulage in Höhe des Unterschiedes zwischen dem Lohn der Lohngruppe VII und der Vergütung der Vergütungsgruppe IX des Tarifvertrages für Angestellte. Wegen Änderung des Lohngruppenverzeichnisses wurde sie ab Oktober 1976 in die Lohngruppe V höhergruppiert. Infolge der tarifvertraglichen Absicherung wurde ihr trotz Wegfalls der Paketzustellung im September 1977 der für diese Tätigkeit geleistete Erschwerniszuschlag weitergewährt. Infolge Neuregelung des Tarifrechts wurde die Klägerin ab 1. Mai 1982 in die Lohngruppe II höhergruppiert, weil sie eine Beamtentätigkeit verrichtete, das 50. Lebensjahr vollendet hatte und fünf Jahre lang eine Tätigkeitszulage für die Wahrnehmung von Beamtentätigkeiten erhalten hatte.
Ab September 1983 war die Klägerin arbeitsunfähig krank. Ihren im Dezember 1983 gestellten Antrag auf Versichertenrente wegen BU oder Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Februar 1984 ab.
Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 19. März 1985 ab. Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil wies das Landessozialgericht (LSG) mit Entscheidung vom 29. April 1987 zurück. Zur Begründung führte das Gericht aus, daß die Klägerin nach dem qualitativen Wert des von ihr ausgeübten "bisherigen Berufes" entsprechend dem vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entwickelten sogenannten Mehrstufenschema lediglich der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zuzuordnen sei. Da die Klägerin noch nicht einmal dem oberen Bereich dieses Leitberufes zugehöre, könne sie auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zumutbar verwiesen werden. Die bei der Klägerin bestehenden Einschränkungen in gesundheitlicher Hinsicht seien nicht so vielfältig und/oder schwerwiegend, daß sie entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BSG die Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes, den die Klägerin mit ihrem gesundheitlichen Leistungsvermögen noch ausfüllen könne, erforderten. Selbst wenn man die Klägerin abweichend davon dem oberen Bereich der Gruppe der angelernten Arbeiter zuordnen wolle, sei sie noch nicht berufsunfähig, da sie mit ihrem verbliebenen gesundheitlichen Leistungsvermögen zumindest eine zumutbare Verweisungstätigkeit, konkret eine Löt-und Montagetätigkeit im elektrotechnischen Bereich ausüben könne.
Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden- Württemberg vom 29. April 1987, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. März 1985 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 1. Dezember 1983 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu bewilligen, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Baden- Württemberg vom 29. April 1987 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die kraft Zulassung durch den erkennenden Senat statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden muß. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob die Klägerin auf der Grundlage, daß sie nach ihrem bisher ausgeübten Beruf der Gruppe mit dem Leitbild des Facharbeiters zuzuordnen ist, berufsunfähig iS des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist.
Der erkennende Senat hat zur Einstufung von Post(Brief-)zustellern im Rahmen des vom BSG in ständiger Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschemas bereits mit mehreren Urteilen Stellung genommen (s Urteile vom 1. Dezember 1983 und 3. Oktober 1984 - 5b RJ 114/82; 5b RJ 20/84; 5 RJ 28/84 = SozR 2200 § 1246 Nrn 111, 122, 123). Er hat in allen drei Fällen den Postzusteller in die Gruppe eingeordnet, die durch den Leitberuf des Facharbeiters charakterisiert ist. Der Senat hält an dieser Auffassung mit den in den Entscheidungen gegebenen Begründungen fest. Eine in die Lohngruppe II eingestufte Bedienstete der Bundespost wie die Klägerin kann daher hinsichtlich des von ihr ausgeübten "bisherigen Berufs" iS von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO nur als Facharbeiterin bewertet werden. Wie der Senat in seinem Urteil vom 3. Oktober 1984 - 5b RJ 20/84, SozR 2200 § 1246 Nr 122 - näher ausgeführt hat, ist tragende Grundlage hierfür der Umstand, daß der Bedienstete eine Beamtentätigkeit ausgeübt hat, die ihrer Qualität wegen tariflich den anderen in Lohngruppen II - IV aufgeführten Tätigkeiten gleichgestellt ist. Die vom LSG hierzu getroffene Feststellung, daß die Klägerin eine Beamtentätigkeit ausgeübt hat, ist nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden und damit für das Revisionsgericht gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend.
Eine davon abweichende Einstufung im konkret gegebenen Einzelfall, die wie im Urteil vom 3. Oktober 1984 - 5 RJ 28/84, SozR 2200 § 1246 Nr 123 - näher ausgeführt prinzipiell stets möglich ist, kann im gegebenen Rechtsstreit nicht erfolgen. Im allgemeinen ist nämlich bei einem grundsätzlich nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrag davon auszugehen, daß die tarifliche Einstufung auf der Qualität der Tätigkeit beruht. Bei hinreichenden konkreten Anhaltspunkten, die im Einzelfall für eine tarifliche Einstufung aufgrund von qualitätsfremden Merkmalen sprechen, können sich die Tatsachengerichte zu Ermittlungen über die Qualität einer vom Versicherten ausgeübten Tätigkeit gedrängt fühlen. Ist eine Tätigkeit tariflich erfaßt, so ist eine von dieser Einstufung abweichende Bestimmung des qualitativen Wertes nur zulässig, wenn feststeht, daß die tarifliche Einstufung dem qualitativen Wert nicht entspricht. Das LSG hat für seine andersartige Einstufung der Klägerin keine hinreichenden Gründe angeführt, die es im dargelegten Sinn erlauben, von der tarifvertraglich festgelegten Einstufung abzuweichen, dh das mit der tariflichen Einstufung für einen bestimmten qualitativen Wert der ausgeübten Tätigkeit gegebene Indiz zu entkräften.
Einer Vorlage an den Großen Senat gemäß § 42 SGG im Hinblick auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 3. April 1986 - 4a RJ 19/84 - bedarf es nicht. Der 4. Senat ist nicht mehr zur Entscheidung von Fragen der Arbeiterrentenversicherung zuständig.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen