Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit eines Facharbeiters. Verweisung. gehobener Pförtner
Orientierungssatz
Der "gehobene Pförtner", dh ein Pförtner, der in nicht unerheblichem Umfang mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt wird, oder Pförtner mit Fernsprechvermittlungsdienst bei mehr als einem Amtsanschluß, stellt eine für den Facharbeiter zumutbare Verweisungstätigkeit dar (vgl BSG vom 9.9.1986 5b RJ 50/84 = SozR 2200 § 1246 Nr 139).
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 16.01.1989; Aktenzeichen L 2 J 16/88) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 14.12.1987; Aktenzeichen S 5 J 282/86) |
Tatbestand
Gegenstand des Streitverfahrens ist ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der im Jahr 1937 geborene Kläger ist gelernter Maler und Anstreicher mit Gesellenprüfung. Von 1955 bis 1985 war er als Autolackierer beschäftigt und erhielt den Facharbeiterlohn. Diese Arbeit mußte er aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Seitdem ist er im Betrieb seiner bisherigen Arbeitgeberin als Pförtner tätig. Er wird nach der Gruppe C II des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer und die Angestellten des Kraftfahrzeuggewerbes im Verbandsgebiet Rheinland-Pfalz entlohnt. Außerdem erhält er im Rahmen einer Verdienstsicherung aufgrund einer freiwilligen betrieblichen Vereinbarung Lohnausgleichszahlungen. Eine Rente wegen Berufsunfähigkeit würde bis zur Hälfte auf den Lohnausgleich angerechnet. Den im April 1986 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni 1986 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Mai 1986 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren (Urteil vom 14. Dezember 1987). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Januar 1989). Seinen langjährig ausgeübten Facharbeiterberuf als Autolackierer oder Maler, so hat das LSG ausgeführt, könne der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten. Er müsse sich aber auf die ausgeübte Tätigkeit als Pförtner verweisen lassen. Rente wegen Berufsunfähigkeit stehe dem Kläger daher nicht zu.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er rügt eine Verletzung des § 1246 Abs 2 RVO; denn er könne nicht auf den Pförtner verwiesen werden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Auf Grund des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts steht ihm die begehrte Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht zu.
Das LSG ist von einer "bisherigen Berufstätigkeit" als gelernter Maler und Anstreicher sowie als Autolackierer ausgegangen und hat den Kläger derjenigen Gruppe zugeordnet, die durch den Leitberuf des Facharbeiters gekennzeichnet ist. Das ist nicht zu beanstanden und entspricht den insoweit übereinstimmenden Ansichten der Beteiligten. Als Facharbeiter kann der Kläger nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) lediglich auf Tätigkeiten verwiesen werden, die - unterhalb der Ebene von Facharbeiterberufen - zu den sonstigen, staatlich anerkannten Ausbildungsberufen gehören oder eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten Dauer erfordern oder wegen ihrer Qualität tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe bewertet werden (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn 147 und 152 mwN). Die tatsächlich vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Pförtner, so wie sie sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts darstellt, entspricht diesen Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Das LSG hat drei Aufgabenbereiche beschrieben, die die Arbeit des Klägers als Pförtner umfaßt: Dienst am Kunden, Kontrolle des Betriebspersonals und Kontrolle des Betriebsgeländes. Der Dienst am Kunden bestehe darin, diesen zur Annahmestelle für Reparaturen, zum Ersatzteillager oder zum Verkauf weiterzuleiten bzw diesbezügliche Auskünfte zu erteilen. Der Pförtner müsse Rechnungsbeträge für Barverkäufe kassieren und quittieren sowie nach Betriebsschluß auch entsprechende Rechnungen ausstellen. Er habe Telefonverbindungen herzustellen und Kundenferngespräche abzurechnen, für auswärtige Kundschaft auch Übernachtungsmöglichkeiten zu vermitteln. Zur Kontrolle des Personals müßten die Tageslohnkarten der Mitarbeiter abgestempelt sowie ein- und ausfahrende Fahrzeuge des Betriebs in ein Kontrollbuch eingetragen werden. Die Kontrolle des Betriebsgeländes erfordere Rundgänge, die Meldung und auch das Abstellen von Unregelmäßigkeiten sowie den Notdienst. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, ist nach den Erkenntnissen des LSG eine Anlernzeit erforderlich, die über eine bloße Einweisung und Einarbeitung hinausgeht und je nach betriebsspezifischen Vorkenntnissen drei bis sechs Monate erfordert.
An diese Feststellungen des LSG, die von der Revision nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden sind, ist der erkennende Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden. Von diesen Feststellungen hat er auszugehen und sie hat er zur Grundlage der revisionsgerichtlichen Entscheidung zu machen. Der Kläger führt in seiner Revisionsbegründung ausdrücklich nur eine Verletzung des materiellen Rechts und zwar des § 1246 Abs 2 RVO an, die von ihm gerügt wird. Wenn auch - so meint der Kläger - nach Auskunft seiner Arbeitgeberin für die Ausübung dieser Pförtnertätigkeit drei bis sechs Monate "Anlernzeit" erforderlich seien, so vermöge diese für sich allein noch keine echte betriebliche Ausbildung zu begründen. Die Revisionsbegründung hält eine den zu Verweisenden qualifizierende Ausbildung für erforderlich, die der Qualität nach eine Vergleichbarkeit mit der eines Facharbeiters begründe. Das entspricht nicht der Rechtsprechung des BSG.
Um im Rahmen des Anspruchs auf Rente wegen Berufsunfähigkeit die Verweisung, die durch § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO vorgegeben ist, insbesondere auch für die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung handhabbar zu machen, hat das BSG ein Mehrstufenschema entwickelt und modifiziert. Darin werden die Arbeiterberufe unterteilt in Gruppen, die durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des sonstigen Ausbildungsberufes bzw des Angelernten und des ungelernten Arbeiters charakterisiert werden. Eine Verweisung des Versicherten ist begrenzt auf die Tätigkeiten der nächsten Gruppe unterhalb derjenigen, der sein bisheriger Beruf zuzuordnen ist (so BSG in SozR 2200 § 1246 Nr 140 mwN). Für die Verweisung des Klägers sind folglich keine Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich, die der Qualität nach eine Vergleichbarkeit mit Facharbeitern begründen. Die Verweisungstätigkeit muß vielmehr ihrem qualitativen Wert nach einem sonstigen Ausbildungsberuf bzw einer Anlerntätigkeit entsprechen. Das hat das LSG für die Arbeit des Klägers als Pförtner bejaht. Soweit der Revisionsbegründung zu entnehmen ist, daß der Kläger mit der Beweiswürdigung des LSG nicht einverstanden ist, hat er in einer den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Weise einen Verfahrensmangel nicht formgerecht gerügt. Die diesen aus der Sicht des Revisionsführers begründeten Tatsachen müssen substantiiert dargelegt werden. Erforderlich ist eine Begründung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Um eine formgerechte Rüge einer Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung handelt es sich nicht, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt (vgl BSG in SozR 1500 § 164 Nr 31 mwN).
Schon mit Urteil vom 26. November 1981 hat der 4. Senat des BSG (SozR 2200 § 1241d Nr 5) die Verweisung eines Facharbeiters auf den "gehobenen Pförtner" als grundsätzlich zumutbar angesehen, ebenso der 1. Senat bezüglich des "gehobenen Pförtners" im öffentlichen Dienst (Urteil vom 9. Dezember 1981, aaO § 1246 Nr 86). In der Entscheidung vom 25. Juni 1986 (aaO Nr 137) hat der 4. Senat ausgeführt, der "gehobene" Pförtner übe in einem größeren Betrieb regelmäßig eine wichtige Funktion aus, die häufig eine längere Einarbeitung, Einübung und Bewährung voraussetze. Außer erheblichen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten habe der "gehobene" Pförtner über Autorität, Gewandtheit und sicheres Auftreten sowie über besondere Zuverlässigkeit zu verfügen. Auch der erkennende Senat hat im Urteil vom 9. September 1986 (aaO Nr 139) erwähnt, daß nach der Rechtsprechung des BSG der "gehobene Pförtner", dh ein Pförtner, der in nicht unerheblichem Umfang mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt wird, oder Pförtner mit Fernsprechvermittlungsdienst bei mehr als einem Amtsanschluß, eine für den Facharbeiter zumutbare Verweisungstätigkeit darstellt. Damit in Einklang befindet sich das LSG in der mit der Revision angefochtenen Entscheidung.
Da der Kläger somit zumutbar auf die von ihm ausgeübte Tätigkeit des "gehobenen Pförtners" verwiesen werden kann, steht ihm die begehrte Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen