Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindererziehungszeiten. Beiladung
Leitsatz (amtlich)
Können Kindererziehungszeiten nach dem Tod der Mutter entweder von dem Vater des Kindes (§ 1251a Abs 2 S 4 RVO) oder einer Pflegemutter beansprucht werden, so ist zu dem Rechtsstreit der Pflegemutter gegen den Träger der Rentenversicherung auf Anrechnung der Kindererziehungszeit der Vater notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 SGG).
Normenkette
RVO § 1251a Abs 2 S 4; SGG § 75 Abs 2
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 19.10.1989; Aktenzeichen L 14 Ar 33/89) |
SG Regensburg (Entscheidung vom 26.09.1988; Aktenzeichen S 3 Ar 383/88) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für das am 30. Juli 1964 geborene Kind G. B. . Kurz nach der Geburt dieses Kindes ist seine Mutter, die Schwägerin der Klägerin, am 6. August 1964 verstorben.
Im September 1964 nahm die Klägerin das Kind G. B. in ihren Haushalt auf und betreute es etwa drei Jahre lang, weil der Vater des Kindes dazu nicht in der Lage war. Seine Erwerbstätigkeit und die Betreuung einer weiteren Tochter hinderten ihn daran. Ein Pflegschaftsvertrag mit der Klägerin wurde nicht abgeschlossen. Die von ihr am 15. Januar 1988 beantragte Anerkennung der Kindererziehungszeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Februar 1988 ab.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten leitete den Widerspruch der Klägerin dem Sozialgericht (SG) als Klage zu. Dieses entschied mit Urteil vom 26. September 1988 dahingehend, daß der Klägerin die Zeit vom 1. August 1964 bis zum 31. Juli 1965 als Kindererziehungszeit für das Kind G. B. anerkannt werde. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 24. Januar 1989 Altersruhegeld ab 1. Dezember 1988 gewährt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte verpflichtet, bei der Berechnung des Altersruhegeldes der Klägerin die Zeit vom 1. September 1964 bis zum 31. Juli 1965 als Kindererziehungszeit für das Kind G. B. unter entsprechender Berücksichtigung der für das Jahr 1965 entrichteten freiwilligen Beiträge anzurechnen. Im übrigen ist die Klage abgewiesen worden (Urteil vom 19. Oktober 1989). Das LSG, das den Vater des Kindes als Zeugen vernommen hatte, hat ausgeführt, nach Beendigung des Krankenhausaufenthaltes Anfang September 1964 habe die Klägerin das Kind in ihre häusliche Gemeinschaft aufgenommen und wie ein eigenes fast drei Jahre lang erzogen. Es habe ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis bestanden, so daß die Klägerin Anspruch auf Anrechnung der Kindererziehungszeit habe. Diese könne jedoch erst von dem Zeitpunkt an zugesprochen werden, zu dem die Erziehung tatsächlich eingesetzt habe. Das sei im September 1964 der Fall gewesen. Insoweit habe das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen werden müssen.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des § 56 Abs 2 Nr 2 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) sowie des § 1251a Abs 3 Satz 1 Nr 2 iVm § 1227a Abs 3 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben, das Urteil des LSG abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden mußte. Das Berufungsgericht hat zu prüfen, ob der Vater des Kindes G. B. notwendig zu dem Verfahren beizuladen ist.
Nach der 1. Alternative des § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind Dritte zum Verfahren notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies ist, wie das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, zu bejahen, wenn das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (vgl BSG in SozR 1500 § 75 Nrn 49, 60 mwN). Diese Voraussetzungen können hinsichtlich des oben erwähnten Vaters erfüllt sein.
Bei dem Streit um die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei der Rente einer Pflegemutter kann ein derartiger enger rechtlicher Zusammenhang vorhanden sein, wenn entweder die Pflegemutter oder der Vater des Kindes diese Versicherungszeiten beanspruchen können. Ist die Mutter des Kindes - wie hier - vor dem 1. Januar 1986 gestorben, so werden nach § 1251a Abs 2 Satz 4 RVO die Zeiten der Kindererziehung insgesamt dem Vater angerechnet. Derartige Versicherungszeiten iS des § 1251a RVO stehen jedoch auch Pflegemüttern zu. Insoweit ist nach Abs 3 Satz 1 der genannten Vorschrift § 1227a Abs 3 Satz 1 RVO entsprechend anzuwenden, worin wiederum auf § 56 Abs 3 Nrn 2 und 3 SGB I hingewiesen wird. Als Kinder gelten danach Pflegekinder, dh Personen, die mit dem Berechtigten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind (§ 56 Abs 2 Nr 2 SGB I). Demzufolge gelten als Eltern und Pflegeeltern Personen, die den Berechtigten als Pflegekind aufgenommen haben (§ 56 Abs 3 Nr 3 SGB I). Zeiten nach § 1251a RVO für die Erziehung eines bestimmten Kindes können nur einmal angerechnet werden, entweder in der Rente des Vaters, den die Vorinstanzen im Falle der Klägerin als Zeugen gehört haben, oder in der Rente der Klägerin, zu deren Gunsten SG und LSG ein Pflegeverhältnis bejaht haben.
Werden die Kindererziehungszeiten der Klägerin zuerkannt, so wird davon in seiner Rechtssphäre unmittelbar der Vater des Kindes betroffen. Selbst wenn er schon Rente beziehen und dabei die Kindererziehungszeit für sein Kind G. berücksichtigt oder nicht berücksichtigt sein sollte, so besagt das noch nichts darüber, wem diese Versicherungszeit hier rechtmäßig zusteht.
Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung ist bei zulässiger Revision von Amts wegen zu beachten (vgl BSG in SozR 1500 § 75 Nrn 1, 20, 60; ferner die zur Veröffentlichung bestimmten Urteile des erkennenden Senats vom 15. November und 5. Dezember 1989 - 5 RJ 41/89 und 5/4a RJ 67/87 -). Da die Beiladung gemäß § 168 SGG in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden kann, ist die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG geboten.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen