Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 19.09.1978) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. September 1978 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Beitragspflicht des Klägers zur Unfallversicherung für bei ihm tätige Dozenten.
Der Kläger betreibt ein vom Arbeitgeberverband (AGA) und dem Verband der Metallindustriellen Hamburgs und Umgebung (VMH) unterstütztes Institut, welches nach § 2 der Satzung des Klägers die Förderung sozial- und gesellschaftspolitischer sowie wirtschaftlicher Bildungs-, Forschungs- und Öffentlichkeitsarbeit für die Wirtschaft im norddeutschen Raum durch Veranstaltungen von Vorträgen, Kursen, Seminaren und Aussprachen zur beruflichen Bildung von Unternehmern, Führungskräften, Mitarbeitern und Nachwuchskräften zum Ziel hat. Bei einer Betriebsprüfung im Mai 1973 stellte die Beklagte fest, daß beim Kläger außer drei Angestellten sowie gelegentlichen Aushilfskräften noch „nebenberuflich” Lehrkräfte tätig waren, die im wesentlichen die Lehrveranstaltungen des Klägers trugen. Der Kläger gab hierzu an, mit den Lehrkräften werde ein schriftlicher Vertrag über Thema, Zeit und Ort des Unterrichts sowie das Honorar hierfür geschlossen. Die Lehrkraft habe freie Hand bei der pädagogischen und methodischen Unterrichtsgestaltung; ein festes Lehrziel oder Ausbildungsziel sei ihr nicht gesetzt. Bei Unterrichtsausfall erhalte sie keinen Aufwendungsersatz und sei nicht verpflichtet, die ausgefallenen Stunden nachzuholen. Die Verschiebung von Unterrichtsstunden sei nur einverständlich möglich. Die Vergütung für die befristete Lehrtätigkeit – durchschnittlich nicht mehr als sechs Stunden wöchentlich – werde nach der Anzahl der Schüler bemessen. Davon würden weder Lohnsteuer noch Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt. Urlaubsansprüche bestünden nicht; Tätigkeiten für andere Einrichtungen seien nicht ausgeschlossen. Die Zahl der Unterrichtsstunden je Dozent schwanke zwischen zwei und zwanzig Stunden je Semester.
Aufgrund dieser Angaben und unter Berücksichtigung des Programmheftes „Herbst 1973” des Klägers übersandte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 16. August 1974 drei Beitragsbescheide für die Jahre 1971, 1972 und 1973. Darin setzte sie jeweils den Unfallversicherungsbeitrag aufgrund ihrer Schätzung fest, die dahin ging, 40 Dozenten hätten jährlich je 40 Stunden zu einem Stundenhonorar von 25,– DM im Betrieb des Klägers unterrichtet. Sie erachtete diejenigen Dozenten, die mehr als ein- oder zweimal im Semester einen Vortrag halten würden, als abhängig Beschäftigte. Den Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten durch Bescheid vom 16. Dezember 1974 zurück.
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat nach Einvernahme zweier Dozenten als Zeugen durch Urteil vom 16. September 1977 die angefochtenen Bescheide aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg durch Urteil vom 19. September 1978 zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 539 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. September 1978 und des Sozialgerichts Hamburg vom 16. September 1977 die Klage gegen ihre Bescheide vom 16. Dezember 1974 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Für die Dozenten wäre der Kläger (§§ 723 Abs. 1, 725 Abs. 1 RVO) beitragspflichtig, wenn es sich dabei um aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigte handeln würde (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Das ist jedoch nicht der Fall.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist wesentliches Merkmal eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses die persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten gegenüber einem Arbeitgeber. Sie äußert sich vornehmlich in der Eingliederung des Arbeitenden in einen Betrieb und in dem damit in aller Regel verbundenen Direktionsrecht des Arbeitgebers. Seine Weisungsbefugnis kann zwar hinsichtlich der Ausführung der Arbeit stark eingeschränkt sein und im Einzelfall sogar völlig zurücktreten. Trotzdem bleibt die Arbeitsleistung dann fremdbestimmt, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in dessen Dienst sie verrichtet wird (vgl. BSG in SozR Nr. 7 zu § 2 Angestelltenversicherungsgesetz –AVG– mit weiteren Hinweisen). Die Unterscheidung zwischen einem abhängig Beschäftigten und einem freien Mitarbeiter bestimmt sich nach dem Umfang, den die persönliche Abhängigkeit im Einzelfall erreicht. Es kommt darauf an, ob die im Einzelfall zu beurteilende Tätigkeit „in” einem Betrieb oder aber „für” einen Betrieb erfolgt (BSG in SozR Nr. 4 zu § 2 AVG). Der Beschäftigte stellt – anders als der aufgrund selbständigen Dienstvertrages Tätige, dessen Arbeit „selbstbestimmt” ist – seine Arbeitskraft mit seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten dem Arbeitgeber für eine gewisse Zeitdauer zur Verfügung („fremdbestimmte Tätigkeit”). Der Arbeitgeber macht davon Gebrauch, indem er den Beschäftigten anweist, wie und wozu er seine Arbeitskraft während dieser Zeit einzusetzen hat. Der Beschäftigte schuldet die weisungsgemäße Verwendung seiner Arbeitskraft. Der durch Werkvertrag Verpflichtete schuldet hingegen den faßbaren Erfolg seiner Tätigkeit, ein zu erzielendes Ergebnis. Seine Verpflichtung erschöpft sich nicht darin, während einer bestimmten Zeit tätig zu sein. Sie wird erst mit dem gelungenen Ergebnis seiner Tätigkeit erfüllt (vgl. BSGE 36, 262, 263). Dabei ist auch von Bedeutung, ob der Verpflichtete in Ausübung eines freien Berufes handelt (vgl. hierzu BSGE 35, 212, 213), ob er einen eigenen Betrieb unterhält, mit dem er seine Dienste oder seine Arbeitsergebnisse verschiedenen Interessenten anbietet (vgl. BSG in SozR Nr. 4 zu § 2 AVG), und ob er seine Tätigkeiten nicht ausführen kann, ohne die betrieblichen Einrichtungen des Beschäftigungsgebers zu benutzen (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 7 zu § 2 AVG). Weiter sind für das Gesamtbild der Tätigkeit maßgeblich die Verpflichtung zur Ausführung sonstiger Arbeiten, Kontrollunterworfenheit in zeitlicher, örtlicher und sachlicher Hinsicht, die Verfügungsbefugnis über verbleibende Arbeitskapazitäten und schließlich auch Art und Maßstab des Entgelts, Unter diesen Gesichtspunkten weist das Gesamtbild der Tätigkeit der Dozenten, wie es sich aus den Feststellungen des LSG ergibt, nicht überwiegend die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung auf.
Daß eine unmittelbare Weisungsbefugnis des Klägers gegenüber seinen Dozenten fehlt, ist außer Streit, Gleichwohl meint die Beklagte, die Dozenten seien durch ihre Einordnung in den Unterrichtsplan des Klägers daran gebunden, diesen Plan und die ihm zugrunde liegenden Satzungsziele des Klägers einzuhalten. Dadurch erhalte ihre Arbeit aber das Gepräge von der Ordnung des Betriebes des Klägers, so daß das bei Inanspruchnahme höherer Dienste zu fordernde Mindestmaß von Abhängigkeit hier erfüllt sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Richtig ist zwar, daß sich zunächst der Kläger darüber schlüssig werden muß, welche Unterrichtsveranstaltungen er zu seinem satzungsmäßigen Zweck in bestimmten Zeitabschnitten durchführen will. Aus dieser Planung ergibt sich der zahlenmäßige Umfang und die sachliche Ausrichtung der zu vergebenden Lehraufträge. Eine Entscheidung darüber, ob diese Lehraufträge an in den Betrieb des Klägers eingegliederte abhängig Beschäftigte – Gehaltsempfänger – oder aber an Lehrpersonen vergeben werden, die ihre Lehrtätigkeit freiberuflich ausüben – sei es kraft unmittelbarer vertraglicher Beziehung zu ihren Schülern, sei es durch Übernahme von Lehraufträgen verschiedener Auftraggeber von Fall zu Fall –, fällt damit jedoch noch nicht. Sowohl dem abhängig Beschäftigten als auch dem freiberuflich tätigen Unternehmer eines solchen Lehrauftrages gegenüber muß der Kläger zur Erreichung seines satzungsmäßigen Zweckes allerdings auf der Einhaltung des erteilten Auftrages bestehen. Hierfür stünde ihm einem abhängig Beschäftigten gegenüber das Mittel der Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen wissentlicher Vertragsverletzung, dem selbständig Tätigen gegenüber aber nur das Mittel zur Verfügung, die Zahlung des Honorars zu verweigern, die Lehrveranstaltung in seinen Räumen zu unterbinden und den Dozenten künftig nicht mehr unter Vertrag zu nehmen.
Daraus ergibt sich zunächst, daß die zwischen dem Kläger und seinen Dozenten bestehenden vertraglichen Vereinbarungen nicht etwa einen Lehrervertrag unbestimmten Inhalts enthalten, den der Kläger dann durch Angabe des Themas der Lehrveranstaltung auszufüllen befugt wäre. Es handelt sich vielmehr um eine Vereinbarung zwischen dem Kläger und dem Dozenten, welche die Übertragung einer thematisch bereits festgelegten Lehrveranstaltung auf den Dozenten zum Gegenstand hat. Auch der Termin der Lehrveranstaltung ist weder vom Kläger noch vom Dozenten einseitig bestimmbar; er beruht vielmehr auf einer vertraglichen Vereinbarung, die auch nur einvernehmlich geändert werden kann. Gleiches gilt für das Honorar. Aus der Tatsache, daß die Dozenten in das Programm des Klägers passende Lehrveranstaltungen zu in das Programm des Klägers passenden Zeiten übernehmen, folgt mithin nicht, daß sie sich in eine Abhängigkeit und Kontrollbefugnis des Klägers begeben, die über das Maß hinausgeht, welches dem Auftraggeber jedem selbständigen Unternehmer gegenüber zusteht. Auch die für den Ausfall von Veranstaltungen getroffenen Absprachen deuten nicht auf abhängige Beschäftigung hin. Der Ausfall von Veranstaltungen – verursacht durch den Kläger oder die Dozenten – führt nämlich weder zu einer Nachholpflicht noch zu einem Ausfallhonorar. Es entfallen vielmehr Leistung und Gegenleistung. Dies deutet auf Unabhängigkeit der Dozenten vom Kläger hin. Schließlich bieten auch die Vereinbarungen über Honorare und Kosten keinen zwingenden Anhalt für die Annahme abhängiger Beschäftigung. Denn die Tatsache, daß neben dem eigentlichen Honorar eine Abgeltung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten stattfindet und insoweit Naturalleistungen erfolgen, ist keineswegs ein für abhängige Beschäftigung typischer Umstand, sondern eine ebenso mit freien Unternehmern mögliche vertragliche Übereinkunft.
Aber auch an einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der Dozenten vom Kläger fehlt es. Das Betriebsrisiko liegt keineswegs allein beim Kläger. Er hat nach den vertraglichen Vereinbarungen sogar die Möglichkeit, Lehrveranstaltungen wegen nicht kostendeckender Teilnehmerzahl abzusetzen. Umgekehrt haben die Dozenten in diesem Falle für ihre Aufwendungen zur Vorbereitung der Lehrveranstaltung einschließlich der Absage anderer gleichzeitiger Veranstaltungen keinen Entschädigungsanspruch. Sie tragen mithin in bezug auf ihre Dozententätigkeit insofern überwiegend ein eigenes wirtschaftliches Risiko, als der Erfolg ihres vorbereitenden und planenden eigenwirtschaftlichen Einsatzes ungewiß ist (vgl. hierzu BSG Urteil vom 8. März 1979 – 12 RK 30/77 – in BB 80, 211 mwH). Dem entspricht das Fehlen eines Urlaubs- und Lohnfortzahlungsanspruchs im Krankheitsfall. Schließlich deutet auch die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Dozententätigkeit darauf hin, daß sie als selbständige Tätigkeit aufzufassen ist.
Die Vorinstanzen haben somit zu Recht die auf der Annahme abhängiger Beschäftigung beruhenden Beitragsbescheide der Beklagten aufgehoben (zur Dozenten-Versicherungspflicht an Volkshochschulen vgl. BSG Urteil vom 19. Dezember 1979 – 12 RK 52/78).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen