Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 1989 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger (Witwer) der am 26. Juni 1989 verstorbenen Frau Vally B. … die Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres.
Seine im März 1910 in Saaz/Sudetenland geborene Ehefrau, eine anerkannte Vertriebene, war die Stieftochter des 3. Ehemannes ihrer Mutter, mit dem diese aus Gründen rassischer Verfolgung im August 1939 nach Chile auswanderte. Die Ehefrau des Klägers wurde – nach ihren Angaben aus Gründen rassischer Verfolgung – vom 28. August bis zum 28. November 1944 und vom 12. Dezember 1944 bis zum 8. März 1945 in der Haftanstalt Brüx inhaftiert. Im März 1946 wurde sie aus dem Sudetenland ausgewiesen. Sie wohnte sodann in A., … wurde dort 1947 von ihrem ersten Ehemann geschieden, heiratete den Kläger und wanderte im Februar 1948 zu ihrer Mutter nach Chile aus. Seit 1955 war sie chilenische Staatsangehörige.
Ihren Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld lehnte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) durch den streitigen Bescheid vom 14. Juli 1986, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1987, ab, weil kein Anspruch auf Zahlung einer Rente in das Ausland bestehe.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage durch Urteil vom 14. Oktober 1988 abgewiesen. Die nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretene Ehefrau des Klägers hat hiergegen Berufung eingelegt und ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat in Unkenntnis ihres am 26. Juni 1989 eingetretenen Todes die Berufung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 1989 zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es habe dahingestellt bleiben können, ob eine Rente nach Chile auszuzahlen wäre, weil sogar dann nur eine Versicherungszeit von 53 Kalendermonaten anrechenbar sei, wenn man – wie das SG -unterstelle, daß zwischen dem 20. April 1943 und dem 28. August 1944 elf Monate als glaubhaft gemachte Beitragszeiten und vom 28. August 1944 bis zum Februar 1948 weitere 42 Monate als verfolgungsbedingte Ersatzzeiten zu berücksichtigen seien. Die für die Zeit von 1929 bis 1943 geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten seien nicht glaubhaft gemacht.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt der Kläger, das Urteil des LSG sei unter Verstoß gegen die §§ 239, 249 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ergangen, weil das Berufungsverfahren durch den Tod seiner Ehefrau unterbrochen worden sei und er es nicht aufgenommen habe. In der Sache sei der Anspruch auf Altersruhegeld begründet, weil glaubhaft gemacht sei, daß seine Ehefrau in Prag vom Februar 1929 bis 1930 gegen Entgelt beschäftigt gewesen sei. Gleiches gelte auch für die Beschäftigung von 1930 bis Februar 1933 in dem Geschäft ihres ersten Ehemannes, den sie im Februar 1933 geheiratet habe. Das LSG habe ferner die Erklärung seiner Ehefrau gegenüber der Deutschen Botschaft in Chile, sie könne sich nicht daran erinnern, daß ihr Entgelt gezahlt worden wäre, nicht ohne Ergänzungsfragen so verstehen dürfen, als habe sie etwas anderes sagen wollen, als daß sie sich an die Höhe des Entgeltes (1929 bis 1933) nicht mehr erinnere.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Berlin vom 14. Oktober 1988 und des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 1987 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Altersruhegeld aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 1989 zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für im Ergebnis zutreffend, meint aber, der Rechtsstreit sei an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, falls dem Kläger rechtliches Gehör nicht ausreichend gewährt worden sei.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Streitsache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Das Urteil des Berufungsgerichts kann keinen Bestand haben, da es iS von § 202 SGG iVm § 551 Nr 5 ZPO als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist. Denn der Kläger war iS der letztgenannten Vorschrift im Berufungsverfahren „nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten”; er hat die Prozeßführung nicht genehmigt. Weil das Verfahren vor dem LSG durch den Tod seiner Frau unterbrochen war, hätte es erst fortgeführt werden dürfen, wenn und nachdem er es aufgenommen hatte. Dadurch, daß das Berufungsgericht – in Unkenntnis des Todes der Ehefrau – durch Urteil entschieden hat, ohne ihn zum Verfahren hinzugezogen zu haben, war er gehindert, im Berufungsverfahren rechtliches Gehör zu erhalten.
Gemäß § 202 SGG iVm § 239 Abs 1 ZPO tritt im Falle des Todes einer Partei eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein. Da die Ehefrau des Klägers am 26. Juni 1989 verstorben war, hätte bis zur Aufnahme des Rechtsstreits durch den Kläger grundsätzlich kein Urteil ergehen dürfen (Bundessozialgericht -BSG- SozR Nr 3 zu § 249 ZPO). Etwas anderes gilt entsprechend § 249 Abs 3 ZPO, wenn eine Unterbrechung erst nach dem Schluß einer mündlichen Verhandlung eintritt; dadurch wird die Verkündung der aufgrund dieser Verhandlung zu erlassenden Entscheidung nicht gehindert.
Den in dieser Vorschrift enthaltenen Rechtsgedanken hat der erkennende Senat (BSG SozR Nr 1 zu § 249 ZPO) auf die Fallgestaltung übertragen, daß das Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) schon vor der Unterbrechung vorgelegen hat und – anders als im vorliegenden Fall – die Entscheidung des Gerichts bereits beschlossen war, so daß ihr Wirksamwerden – ähnlich wie in der in § 249 Abs 3 ZPO geregelten Fallgestaltung – nur noch von ihrer die Verkündung ersetzenden Zustellung (§ 133 SGG) abhing. Jedoch hat der 2. Senat des BSG in einem nicht veröffentlichten Beschluß vom 5. Oktober 1964 (2 RU 240/63) den Gedanken des § 249 Abs 3 ZPO auch auf den Erlaß einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung für entsprechend anwendbar erklärt, sofern nur die letzte Einverständniserklärung iS von § 124 Abs 2 SGG vor der Unterbrechung des Verfahrens abgegeben worden ist. Dieser Beschluß ist jedoch noch zu der früheren, von § 68 SGG aF bestimmten Rechtslage ergangen, nach der nur ein Teil der Vorschriften der §§ 239 bis 249 ZPO entsprechend anwendbar war. § 68 SGG aF ist durch Art I Nr 3 des Änderungsgesetzes vom 30. Juli 1974 (BGBl I S 1625) aufgehoben worden (vgl auch die Änderung von § 128 Abs 2 ZPO durch die Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 – BGBl I S 3281). Deswegen kann dahingestellt bleiben, ob der og Rechtsprechung des 2. Senats des BSG zu folgen gewesen wäre. Bedenken hiergegen bestehen insbesondere deswegen, weil § 249 Abs 3 ZPO auf dem Grundgedanken beruht, daß eine Unterbrechung des Verfahrens erst nach dem Schluß der letzten mündlichen Verhandlung die grundsätzlich nicht mehr anzuhörenden Parteien – anders als in Fällen der vorliegenden Art – nicht belasten kann.
Demnach hätte hier das LSG auch unter Beachtung des in § 249 Abs 3 ZPO enthaltenen Rechtsgedankens kein Urteil erlassen dürfen. Infolgedessen war der Kläger in dem Verfahren vor dem LSG nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten (§ 551 Nr 5 ZPO; dazu: BSG SozR Nr 3 zu § 249 ZPO). Denn das LSG hat – in Unkenntnis der eingetretenen prozessualen Rechtslage – entschieden, ohne den Kläger als Hauptbeteiligten überhaupt zum Verfahren hinzugezogen und ihm rechtliches Gehör gewährt zu haben. Diesen – nicht von Amts wegen zu beachtenden (BSG aa0) – Verfahrensmangel hat der Kläger gerügt. Deshalb muß das Urteil des Berufungsgerichts als auf der Verletzung von § 239 ZPO beruhend angesehen und aufgehoben werden. Schon zur Wahrung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes -GG-, § 62 SGG) ist es tunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) und geboten, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG als Tatsacheninstanz zurückzuverweisen.
Bei der weiteren Sachbehandlung wird das LSG ua zu bedenken haben, ob die Ehefrau des Klägers – wie sie vorgetragen und das LSG zum Teil unterstellt hat – iS von § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und ihr Auslandsaufenthalt in Chile bis zum 31. Dezember 1949 iS von § 28 Abs 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) durch Verfolgungsmaßnahmen iS des BEG hervorgerufen worden ist (vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 106), wobei auch die Umstände der 1939 erfolgten Auswanderung ihrer Mutter und ihres Stiefvaters Bedeutung erlangen könnten. Weiterhin wird das LSG insbesondere in Blick auf die behaupteten entgeltlichen Beschäftigungen zwischen Februar 1929 und Februar 1933, aber auch hinsichtlich der für die Zeit von 1946 bis 1948 behaupteten Gelegenheitsarbeiten zu prüfen haben, ob „sämtliche erreichbaren Beweismittel” iS von § 4 des Fremdrentengesetzes genutzt worden sind; zB ist der Kläger zu Lebzeiten seiner Ehefrau nicht als Zeuge gehört worden. Das Berufungsgericht wird ggf auch zu erwägen haben, ob die Voraussetzungen für die Auszahlung eines Altersruhegeldes in das Ausland vorliegen.
Da das Urteil des LSG auf die Revision des Klägers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen war, wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1173928 |
NJW 1991, 1909 |