Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 11. Juli 1995 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit Anspruch auf Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.
Der Kläger verlor als Folge eines während der Ableistung seines Grundwehrdienstes am 1. Juli 1985 erlittenen Unfalls die Linse seines linken Auges. Die Sehschärfe dieses Auges betrug danach unkorrigiert nur noch 5 %. Nach Beendigung des Wehrdienstes beantragte der Kläger im September 1985 beim Versorgungsamt die Feststellung einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) und entsprechende Versorgung. Als angestrebten Beruf gab er an, er habe Fluglotse oder Flugzeugführer werden wollen, sich ua bei EUROCONTROL, der Bundesanstalt für Flugsicherung (BFS) und der Lufthansa beworben und auch bereits die erste Stufe des Auswahlverfahrens durchlaufen. Aufgrund der Augenverletzung sei die Ausübung der angestrebten Berufstätigkeiten aber unmöglich geworden. Ab Sommersemester 1986 studiere er Rechtswissenschaften. Die Beklagte stellte nach medizinischer Aufklärung des Sachverhalts als Schädigungsfolge „Linsenlosigkeit nach perforierender Augenverletzung links mit Narbenbildung” mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH fest (Bescheid vom 13. Mai 1986). Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1986; Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 16. Mai 1991 und Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 11. Juli 1995).
Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Die MdE des Klägers von 20 vH sei nicht gemäß § 30 Abs 2 BVG wegen besonderer beruflicher Betroffenheit höher zu bewerten. Abzustellen sei darauf, ob der Kläger nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten und angesichts des erreichten Standes des Bewerbungsverfahrens einen der angestrebten Berufe mit Wahrscheinlichkeit erreicht hätte. Das sei nicht der Fall. Zwar habe er die erste Stufe eines Auswahlverfahrens für die Zulassung zur Ausbildung als Fluglotse bei der BFS erfolgreich durchlaufen. Aus den eingeholten Auskünften ergebe sich aber, daß die Bewerber, die sich in diesem Stadium des Auswahlverfahrens befänden, nicht zu einem überwiegenden Teil eine entsprechende Berufsstellung als Fluglotse in der Bundesrepublik erreichten. Das gelte in noch stärkerem Maße für den Beruf des Piloten im zivilen Luftverkehr, denn dieses Berufsziel werde aufgrund verschärfter Auswahlverfahren von einem noch geringeren Prozentsatz der Bewerber erreicht. Gleiches gelte für die Tätigkeit eines Fluglotsen bei EUROCONTROL. Außerdem könne der Kläger, der inzwischen Rechtsreferendar sei, als Jurist im Hinblick auf das soziale Ansehen wie auch die Verdienstmöglichkeiten im Vergleich zu den von ihm angestrebten Berufen eine sozial gleichwertige Tätigkeit ausüben. Das gelte selbst dann, wenn das durchschnittliche Einkommen eines Juristen möglicherweise um 20 vH oder mehr unter dem Einkommen eines Piloten liege.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 30 Abs 2 BVG. Er hält die vom LSG vertretene Auffassung zur Kausalität für fehlerhaft, denn sie werde weder vom Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 30 Abs 2 BVG getragen. Die Auffassung, er könne als Jurist einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben, stimme bereits deshalb nicht, weil er einen der angestrebten Berufe spätestens 1990 hätte aufnehmen können. Außerdem genössen die vom ihm angestrebten Berufe ein höheres soziales Ansehen als der Beruf eines Akademikers, insbesondere eines Rechtsanwalts.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 11. Juli 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 16. Mai 1991 sowie den Bescheid des Beklagten vom 13. Mai 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Versorgung nach einer MdE von wenigstens 25 vH unter Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Grundrente.
Nach § 80 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstes wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Gemäß § 31 Abs 1 und 2 BVG besteht ein Anspruch auf Grundrente, wenn die nach § 30 BVG festgestellte MdE wenigstens 25 vH beträgt.
Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Die Beklagte hat die durch die WDB bedingte MdE zutreffend mit 20 vH festgestellt. Insbesondere ist die MdE nicht wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 30 Abs 2 Satz 1 BVG zu erhöhen. Nach dieser Vorschrift besteht Anspruch auf eine Höherbewertung der MdE, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen ua in seinem nachweisbar angestrebten Beruf besonders betroffen ist. Der geltend gemachte Anspruch scheitert bereits daran, daß das LSG nicht feststellen konnte, daß der Kläger die angestrebten Berufe des Fluglotsen bzw des Piloten in der privaten Luftfahrt wegen der WDB nicht ausüben kann.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind die rechtlichen Gesichtspunkte, die das Berufungsgericht der Beurteilung der Frage zugrunde gelegt hat, ob zwischen der WDB und dem Nichterreichen des Berufs des Fluglotsen oder Piloten ein Ursachenzusammenhang besteht, nicht zu beanstanden. Das LSG hat sich insoweit an die höchstrichterliche Rechtsprechung gehalten.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liegt eine besondere berufliche Betroffenheit auch vor, wenn ein beruflich-wirtschaftlicher Nachteil erst durch das Zusammenwirken von Schädigungsfolgen und später aufgetretenen schädigungsunabhängigen Ereignissen eingetreten ist und hierfür die Schädigungsfolgen von wesentlicher Bedeutung gewesen sind (vgl BSGE 36, 285, 288f = SozR § 30 BVG Nr 69; BSGE 41, 70, 77f = SozR 3100 § 30 Nr 11; BSG SozR 3100 § 30 Nr 1). Dabei können als Ursache im versorgungsrechtlichen Sinne die Schädigungsfolgen auch dann angesehen werden, wenn sie lediglich eine annähernd gleichwertige Mitbedingung neben anderen Umständen waren (vgl BSG Urteil vom 13. August 1986 – 9a RV 12/84 in VersorgungsB 1987, 11; BSG Urteil vom 16. März 1982 – 9a/9 RV 39/81 – unveröffentlicht; sowie Vorberg/van Nuis, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, IV. Teil – Beschädigtenversorgung – Aufl 1970/71 (Stand 1981), § 30, 2 Anm II 2 S 20 ff).
Außerdem muß der Ursachenzusammenhang zwischen der WDB und dem Nichterreichen des angestrebten Berufs (hinreichend) wahrscheinlich sein (vgl § 1 Abs 3 BVG; sowie BSGE 73, 37, 40 = SozR 3-3100 § 1 Nr 11 für unterbliebenes ärztliches Handeln sowie Meyer-Ladewig, SGG 5. Aufl 1993, § 128 RdNr 3). Die Wahrscheinlichkeit ist zu bejahen, wenn mehr Gesichtspunkte für als gegen den Ursachenzusammenhang sprechen (vgl BSG SozR 1300 § 45 Nr 49). Haben dagegen überwiegend schädigungsunabhängige Faktoren das Erreichen des angestrebten Berufsziels verhindert, scheidet eine Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs 2 BVG aus, weil der Betroffene dann nicht „infolge der Schädigung” gehindert ist, den nachweisbar angestrebten Beruf auszuüben (vgl § 30 Abs 2 Satz 2 BVG). Für die danach erforderliche Feststellung muß der hypothetische Verlauf der beruflichen Entwicklung des Geschädigten nach der Wahrscheinlichkeit des Eintritts oder Nichteintritts von Tatsachen bzw Ereignissen, die dafür von Bedeutung sind, gedanklich nachvollzogen werden (vgl BSG SozR 1300 § 45 Nr 49). Dabei ist er nicht anders zu beurteilen, als der hypothetische Kausalverlauf beim Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 5 Satz 1 BVG. Zwar werden für die Beurteilung der Kausalität nach § 30 Abs 2 BVG allein gesundheitliche Schäden zugrunde gelegt (vgl zB BSG Breithaupt 1988, 405). Das ist aber nach dem Sinn und Zweck der Regelung über die besondere berufliche Betroffenheit, die auf den Ausgleich schädigungsbedingter Einkunftsverluste zielt, kein Grund, für die Feststellung der Ursächlichkeit nach § 30 Abs 2 BVG andere Maßstäbe als in Fällen des Berufsschadensausgleichs zu wählen (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 1). Lediglich Beweiserleichterungen, die die Rechtsprechung für besondere Fälle des Berufsschadensausgleichs gewährt, gelten in Fällen beruflicher Betroffenheit nicht (vgl BSG SozR 3-3100 § 30 Nr 15).
Von diesen rechtlichen Erwägungen ausgehend hat das LSG zur Frage des Ursachenzusammenhangs zwischen der beim Kläger anerkannten WDB und der Tatsache, daß er sich zwar um einen Ausbildungsplatz als Fluglotse bzw Pilot bemüht hat, aber insoweit keinen Erfolg hatte, folgende Feststellungen getroffen: Bei den vom Kläger angestrebten Berufen handelt es sich um Berufe, bei denen die Zahl der Bewerber in der Regel wesentlich höher ist als die Zahl derjenigen, die einen Ausbildungsplatz erhalten. So werden im Durchschnitt nur 10 % aller Bewerber für das erste Auswahlverfahren (Vorauswahl) endgültig für die Ausbildung zum gehobenen Flugverkehrskontrolldienst bzw die Flugzeugführerausbildung akzeptiert. Ähnlich liegt es im Bereich der EUROCONTROL. Von 48 im Jahr 1985 zum Auswahlverfahren zugelassenen Bewerbern sind 12 als Fluglotsenschüler zugelassen worden. Von ihnen haben 5 die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und sind von EUROCONTROL übernommen worden. Von 1534 Bewerbern wurden im Januar 1985 nur 71 für geeignet befunden, die Ausbildung zum Fluglotsen in Deutschland aufzunehmen. Der Beruf des Fluglotsen bzw des Piloten erfordert neben den üblichen schulischen Voraussetzungen besondere Fähigkeiten, deren Vorhandensein durch Testverfahren festgestellt wird. Die Ausbildung erfolgt in speziellen Ausbildungsgängen, nicht jedoch in Fach-, Fachhochschul- oder Hochschulstudiengängen. Der Kläger hat an Testverfahren für den von ihm angestrebten Beruf des Fluglotsen teilgenommen. Danach sind für den Kläger kennzeichnend ein langsames Arbeitstempo, geringe Mehrfachbelastbarkeit, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und geringe Kenntnisse im technisch-mathematischen Bereich. Einige, jedoch nicht alle dieser Leistungsmängel könnten nach den Auskünften durch eine verminderte Sehfähigkeit mitbedingt sein. Für die Tätigkeit als Flugzeugführer hätten die Ergebnisse des „Mathematiktests” und des Tests für „technisches Verständnis” allerdings, wie es weiter heißt, sofort zur Ablehnung geführt.
Diese Feststellungen des LSG hat der Kläger nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen. Sie sind daher für den Senat bindend (§ 163 SGG).
Daß das Berufungsgericht aufgrund dieser Feststellungen zu der weiteren Feststellung gelangt ist, zwischen dem als WDB anerkannten Linsenverlust auf dem linken Auge und dem Nichterreichen der angestrebten Berufe bestehe kein Ursachenzusammenhang, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Feststellung des Ursachenzusammenhangs ist – jedenfalls wenn es um die Anwendung des § 30 Abs 2 BVG geht – wie die Feststellung einzelner für den Ursachenzusammenhang bedeutsamer Umstände Aufgabe der Tatsacheninstanzen. Es muß nämlich aufgrund der festgestellten Einzeltatsachen im Wege der Beweiswürdigung hypothetisch beurteilt werden, wie der berufliche Werdegang des Geschädigten ohne die WDB verlaufen wäre. Derartige Prognosen können im Revisionsverfahren deshalb nur mit Verfahrensrügen angegriffen werden (BSGE 63, 47, 49; 65, 84, 86; BSG, Urteil vom 30. September 1980 – 10 RV 57/79 – VersorgB 1981, 47; BSG SozR 4100 § 44 Nr 47). Das Tatsachengericht hat bei der Feststellung des Ursachenzusammenhangs einen Wertungsspielraum. Von den Richtern des Tatsachengerichts sind die für und gegen den Ursachenzusammenhang sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Das bedeutet: Das Revisionsgericht darf diese wertende Entscheidung nicht selbst vornehmen und sein Ergebnis an die Stelle der Entscheidung des Tatsachengerichts setzen. Der erkennende Senat ist vielmehr auf eine Rechtskontrolle beschränkt. Er hat lediglich zu prüfen, ob die Wertung verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist, dh, ob das Tatsachengericht zB einen ordnungsgemäß ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt hat, bei den daraus gezogenen Schlüssen keine Denkgesetze verletzt oder den Ursachenzusammenhang willkürlich bejaht oder verneint hat (vgl hierzu BSGE 63, 47, 49f).
Daß dem LSG bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs in diesem Sinne Fehler unterlaufen wären, ist nicht erkennbar. Aufgrund der getroffenen Einzelfeststellungen ist das LSG weder willkürlich noch unter Verletzung der Denkgesetze zu der Feststellung gelangt, daß der Kläger auch ohne die WDB wahrscheinlich nicht Fluglotse oder Pilot geworden wäre, weil bei diesen Berufen ohnehin aus einer großen Zahl von Bewerbern nur wenige zur Ausbildung angenommen werden und der Kläger nach den Ergebnissen der Testverfahren jedenfalls nicht als besonders geeignet angesehen werden kann.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen