Beteiligte
das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben -Landesversorgungsamt- |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1998 und des Sozialgerichts Stade vom 23. Oktober 1997 sowie der Bescheid des Beklagten vom 7. Mai 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 1993 aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 17. Februar 1988 ab 1. Januar 1987 Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 vH zu gewähren.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) im Zugunstenwege Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH statt um 40 vH.
Der Kläger war von Juli 1982 bis einschließlich Juni 1986 Zeitsoldat der Bundeswehr. Vor seinem Ausscheiden ging beim Wehrbereichsgebührnisamt III (WBGA) eine Mitteilung über eine mögliche Wehrdienstbeschädigung (WDB) ein. Nach Einholung eines internistisch-hämatologischen Gutachtens von Prof. Dr. H./Oberarzt Dr. Z., Universitätskliniken H. -E., vom 18. Dezember 1986 mit dem Ergebnis, bei dem Kläger liege als Schädigungsfolge iS des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) eine aplastische Anämie vor, die eine MdE um 50 vH, seit Juli 1986 jedoch wegen erkennbarer Verbesserung der Knochenmarkfunktion nur um 40 vH bedinge, erkannte das WBGA nach Einholung weiterer ärztlicher Stellungnahmen mit Bescheid vom 20. Januar 1988 eine „Aplastische Anämie durch Knochenmarkschädigung” iS der Entstehung als WDB-Folge an und gewährte dem Kläger ab Juni 1984 einen Ausgleich nach einer MdE um 40 vH und ab Oktober 1984 bis zum Ende der Dienstzeit um 50 vH.
Für die anschließende Zeit übernahm die nunmehr zuständige Versorgungsverwaltung zwar die Bezeichnung der WDB, zahlte jedoch ab Juli 1986 nur eine Beschädigtenrente nach einer MdE um 40 vH. Der dementsprechende Bescheid vom 17. Februar 1988 wurde bestandskräftig.
Die vom Versorgungsamt mit Bescheid vom 9. August 1988 ebenfalls vorgenommene Herabsetzung des wegen der Schädigungsfolge mit Bescheid vom 6. Mai 1986 nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40 hob das Sozialgericht Stade (SG) mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 7. März 1991 auf, weil sich das Blutbild des Klägers nur vorübergehend gebessert habe und es deshalb an einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ab Juli 1986 fehle.
Im März 1991 beantragte der Kläger, die Beschädigtenrente rückwirkend nach einer MdE um 50 vH zu gewähren. Nach erneuten Ermittlungen lehnte der Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 7. Mai 1992). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1993). Das SG hat von dem Internisten Prof. Dr. B., M., nach § 109 SGG ein Gutachten eingeholt und die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 26. Juni 1998) und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der vorliegende Sachverhalt liege anders als die bisher vom Bundessozialgericht (BSG) zu § 88 SVG entschiedenen Fälle. Das WBGA III habe mit seinem Bescheid nur eine Entscheidung für den bereits abgelaufenen Zeitraum bis zum 30. Juni 1986 getroffen. Das beklagte Land sei deshalb mit seiner Entscheidung für den anschließenden Zeitraum nicht von dem Bescheid des WBGA abgewichen und es habe auch keine Neufeststellung vorgenommen. Beide Verwaltungen hätten ihre Entscheidungen außerdem nach dem Ende der Dienstzeit des Klägers getroffen. Im übrigen sei unter Berücksichtigung des Gutachtens vom 18. Dezember 1986 die Einschätzung der MdE mit 40 vH ab Juli 1986 nicht zu beanstanden.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 88 SVG. Nach der neueren Rechtsprechung des BSG sei die von der Wehrverwaltung festgesetzte MdE auch im vorliegenden Falle für die Versorgungsverwaltung verbindlich. Die MdE betrage für die Zeit nach seinem, des Klägers, Ausscheiden aus dem Wehrdienst 50 vH. Das WBGA habe keine dem entgegenstehende befristete Entscheidung über die MdE getroffen. Lediglich die Leistungspflicht des WBGA habe mit Ablauf des Monats Juni 1986 geendet. Eine wesentliche Veränderung der gesundheitlichen Verhältnisse sei inzwischen nicht eingetreten.
Der Kläger beantragt,
- die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1998 und des Sozialgerichts Stade vom 23. Oktober 1997 sowie den Bescheid des Beklagten vom 7. Mai 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 1993 aufzuheben,
- den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 17. Februar 1988 ab 1. Januar 1987 Beschädigtenrente nach einer MdE um 50 vH zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
II
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat ab Januar 1987 Anspruch auf Versorgung nach einer MdE um 50 vH.
Der Bescheid vom 17. Februar 1988 ist rechtswidrig, denn der Beklagte hat bei Erlaß dieses Bescheides das Recht iS des § 44 Abs 1 SGB X unrichtig angewandt (zur Abgrenzung von § 44 Abs 1 und 2 SGB X vgl zB BSGE 69, 14, 15 f = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 sowie Steinwedel in Kasseler Komm § 44 RdNrn 38, 39) und dem Kläger zustehende Versorgungsleistungen deshalb zu Unrecht nicht erbracht. Der Beklagte hätte dem Kläger wegen der anerkannten Schädigungsfolge „aplastische Anämie durch Knochenmarkschädigung” Versorgung nach einer MdE um 50 vH statt um 40 vH gewähren müssen. Dies ergibt sich aus § 88 Abs 3 Satz 1 SVG iVm der dazu ergangenen Rechtsprechung des Senats (vgl BSG SozR 3-3200 § 88 Nrn 1 und 2). Die Höhe der MdE hat das WBGA III durch Bescheid vom 20. Januar 1988 mit 50 vH verbindlich festgestellt. Diese Entscheidung bindet nach § 88 Abs 3 SVG auch die Versorgungsverwaltung (BSG, Urteil vom 2. Juli 1997 - 9 RV 21/95 - ≪aaO Nr 2≫).
Entgegen der Auffassung des LSG und des Beklagten ist die MdE – wie die Auslegung des Bescheides vom 20. Januar 1988 ergibt – nicht nur bis einschließlich 30. Juni 1986 festgestellt worden. Maßgebend für die Auslegung eines Bescheides ist sein objektiver Erklärungswert. Er richtet sich danach, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der für ihn erkennbaren Umstände verstehen mußte (vgl Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Aufl, 2000 § 133 RdNr 8 mwN; BSGE 48, 56, 58 = SozR 2200 § 368a Nr 5; Bürck, Festschrift für Krasney, 1997, 39, 51 mwN). Die Ermittlung des objektiven Sinns von Verwaltungsakten ist normativer Natur, mithin Rechtsanwendung und deshalb grundsätzlich revisibel (BSG aaO). Das WBGA hat im ersten Verfügungssatz seines Bescheides vom 20. Januar 1988 festgestellt, daß die MdE des Klägers ab 1. Oktober 1984 50 vH beträgt. Eine zeitliche Begrenzung der Höhe der MdE für die Dauer des Wehrdienstes enthält der Bescheid nicht. Im Hinblick auf den zeitlich beschränkten Wehrdienst und den Zeitpunkt des Eintritts der Schädigung hat sie in einem weiteren Verfügungssatz gemäß § 85 Abs 4 SVG entschieden, daß die Ausgleichszahlung in Höhe der anerkannten MdE vom 1. Juni 1984 bis 30. Juni 1986 zu leisten ist. Da die MdE ab Oktober 1984 nicht zeitlich gestuft festgesetzt wurde, entfaltet diese MdE-Festsetzung generell Zukunftswirkung, dh, sie gilt über den Zeitraum für die Leistung des Ausgleichs und damit über das Ende des Wehrdienstes hinaus.
Für die Bindungswirkung der Entscheidungen der Wehrverwaltung (vgl BSG SozR 3-3200 § 88 Nrn 1 und 2) ist es gleichgültig, ob die Erstentscheidung noch während der Dienstzeit des Soldaten oder erst danach getroffen wird. Der Wortlaut des § 88 Abs 2 SVG macht vielmehr deutlich: Die Wehrverwaltung kann derartige Entscheidungen auch noch nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienst treffen. Daß auch in einem solchen Falle die Entscheidung der Wehrverwaltung für die Versorgungsämter bindend ist, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 2. Juli 1997 (aaO) näher ausgeführt hat, sollen divergierende Entscheidungen vermieden werden.
Allerdings ist die Versorgungsverwaltung nicht unbeschränkt an die von der Wehrverwaltung festgestellte MdE gebunden. Nach § 88 Abs 3 Sätze 2 und 3 SVG steht die Bindungswirkung einer anderweitigen Entscheidung der Versorgungsämter nicht entgegen, wenn sich die Feststellung der MdE von Anfang an als fehlerhaft erweist oder eine wesentliche Änderung der für die MdE-Feststellung maßgeblichen Verhältnisse eintritt. Bei anfänglicher Unrichtigkeit kann die Versorgungsverwaltung die Entscheidung über §§ 44 bzw 45 SGB X korrigieren. Liegen die Voraussetzungen des § 48 SGB X vor, kann die MdE – unter Berücksichtigung der §§ 85 Abs 4 Satz 2 SVG, 62 Abs 2 BVG – allerdings nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides der erstentscheidenden Behörde auch niedriger festgesetzt werden. Die Voraussetzungen für eine dieser Ausnahmen von der Bindungswirkung liegen hier jedoch nicht vor.
Vom Gegenteil ist der Beklagte bei seiner Entscheidung vom 17. Februar 1988 auch nicht ausgegangen. Er hat vielmehr – wie der Wortlaut und der typische Zweck solcher Bescheide eindeutig ergibt – für die Zeit seiner Zuständigkeit eine Erstanerkennung über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 40 vH ausgesprochen. Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Der Beklagte hätte unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des Bescheides des WBGA vom 20. Januar 1988 dem Kläger Versorgungsleistungen nach einer MdE um 50 vH gewähren müssen. Eine Umdeutung des Bescheides kommt im Hinblick auf die eindeutige und erkennbare Absicht des Beklagten nicht in Betracht (§ 43 Abs 2 SGB X).
Der Bescheid des Beklagten vom 7. Mai 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. März 1993 ist nach alledem aufzuheben und der Bescheid vom 17. Februar 1988 entsprechend zu ändern, im Hinblick auf § 44 Abs 4 SGB X allerdings erst mit Wirkung ab 1. Januar 1987.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen