Entscheidungsstichwort (Thema)

private polnische Landwirtschaft. Abkommenszeiten. Beitrags- und Beschäftigungszeiten

 

Orientierungssatz

Die soziale Absicherung der in der privaten polnischen Landwirtschaft selbständig Tätigen ist kein Versicherungssystem, das dem § 15 Abs 1 S 2 FRG aF unterfällt (vgl BSG vom 13.9.1990 - 5 RJ 76/89 = SozR 3 - 6710 Art 4 Nr 1).

 

Normenkette

RV/UVAbk POL Art. 4 Abs. 2 Fassung: 1975-10-09; FRG § 15 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1960-02-25; RV/UVAbkPOLG Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1976-03-12; RV/UVAbkPOLG Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1989-12-18

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 20.01.1988; Aktenzeichen L 8 J 143/87)

SG Münster (Entscheidung vom 05.06.1987; Aktenzeichen S 6 J 47/85)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Herstellung von Versicherungsunterlagen für die Zeit von Januar 1948 bis März 1978.

Sie wurde am 11. Januar 1934 in D.,             Kreis A./         Ostpreußen, geboren. Nach eigenen Angaben war sie von 1945 bis November 1954 als Landwirtschaftsgehilfin in der elterlichen Landwirtschaft in D. tätig und erhielt freie Kost und Wohnung und gelegentlich auch ein bescheidenes Taschengeld. Von Dezember 1954 bis August 1972 arbeitete sie zunächst in den Landwirtschaftsbetrieben ihres Schwiegervaters in Sch.       und später in Sch.,       wo sie landwirtschaftliche Arbeiten und Hausarbeiten verrichtete und außer Kost und Wohnung zur Befriedigung der sonstigen Bedürfnisse für sich selbst, ihren Ehemann und ihre 1957, 1959 und 1962 geborenen Kinder nach Bedarf Barbeträge, jedoch keinen festen Monatsbetrag bekam. Von September 1972 bis März 1978 bewirtschaftete sie zusammen mit ihrem Ehemann den vom Schwiegervater übernommenen Landwirtschaftsbetrieb. Sie legte hierzu eine Landgrundstücks-Eigentumsurkunde vom September 1972 vor, wonach sie und ihr Ehemann Eigentümer des im einzelnen bezeichneten Landgrundstücks (Größe 46,3 ha nebst Gebäuden) geworden waren. Im März 1978 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über. Sie ist als Vertriebene anerkannt.

Am 11. April 1984 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Kontenklärung. Durch Bescheid vom 9. Juli 1984 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Zeit vom 11. Januar 1948 bis 15. März 1978 ab, weil diese Zeiten nicht von Art 4 Abs 2 des deutsch-polnischen Rentenabkommens erfaßt würden. In dem Versicherungsverlauf wurden nur die von der Klägerin ab September 1978 im Bundesgebiet zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten aufgeführt. Den von der Klägerin hiergegen eingelegten Widerspruch leitete die Beklagte mit Zustimmung der Klägerin als Klage an das Sozialgericht (SG) weiter, nachdem die Widerspruchsstelle dem Widerspruch nicht stattgegeben hatte.

Durch Bescheid vom 3. Januar 1985 erkannte die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 9. Juli 1984 die Zeit vom 16. März bis 31. August 1978 als Ersatzzeit an und lehnte eine Anerkennung der Zeit von Januar 1948 bis 15. März 1978 erneut ab.

Das SG wies die Klage durch Urteil vom 5. Juni 1987 ab. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 20. Januar 1988 zurück. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Ein Anspruch auf Herstellung von Versicherungsunterlagen für die Zeit vom 11. Januar 1948 bis 15. März 1978 habe die Klägerin nicht, da diese Zeit weder nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (BGBl 1976 II 396) noch nach dem Fremdrentengesetz (FRG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) als Beitrags- oder Beschäftigungszeit anzuerkennen sei. Grundlage sei das polnische Gesetz vom 23. Januar 1968 über die allgemeine Rentenversorgung der Arbeitnehmer. Danach seien nur die in einem Arbeitsverhältnis als Arbeitnehmer zurückgelegten Zeiten zu berücksichtigen. Die in einem nicht volkseigenen Betrieb beschäftigten nächsten Verwandten oder Verschwägerten unterlägen nicht der Rentenversicherung; da nächste Angehörige in diesem Sinne ua Kinder und Schwiegertöchter seien, ergebe sich demzufolge, daß die Tätigkeiten der Klägerin auf dem Hof der Eltern, in den landwirtschaftlichen Betrieben des Schwiegervaters und erst recht in der selbständig betriebenen Landwirtschaft nach polnischem Recht in der Rentenversicherung nicht zu berücksichtigen seien. Die geltend gemachten Zeiten seien daher auch nicht nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen in der deutschen Rentenversicherung anrechenbar. Die von der Klägerin angeführte Alterssicherung für private Landwirte betreffe nicht die Rentenversicherung und werde von dem zwischenstaatlichen Abkommen daher nicht erfaßt. Auch nach den Vorschriften des FRG könne die Klägerin die Herstellung von Versicherungsunterlagen für die streitige Zeit nicht verlangen. § 15 FRG scheide aus, weil dort nur Beitragszeiten gleichgestellt seien und die Klägerin solche in Polen nicht zurückgelegt habe. Die Voraussetzungen für eine Anrechnung nach § 16 FRG seien ebenfalls nicht erfüllt, denn die von der Klägerin in Polen ausgeübten Tätigkeiten hätten im Bundesgebiet nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht keine Versicherungspflicht begründet. Dies gelte mit Rücksicht auf § 1227 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zunächst einmal für die Zeit der selbständigen Tätigkeit in der eigenen Landwirtschaft von September 1972 bis März 1978. Ob die Klägerin während ihrer Tätigkeit in der elterlichen und schwiegerelterlichen Landwirtschaft von Januar 1950 bis August 1972 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe, könne dahinstehen. Selbst wenn man dies zu ihren Gunsten unterstelle, wäre ihre Tätigkeit gemäß § 1228 Abs 1 Nr 2 RVO versicherungsfrei gewesen, da ein die Versicherungspflicht auslösendes Arbeitsentgelt nicht glaubhaft gemacht worden sei.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des Art 4 des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 9. Oktober 1975 und des § 15 FRG.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 1988, das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 5. Juni 1987 und die Bescheide der Beklagten vom 9. Juli 1984 und 3. Januar 1985 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. Januar 1948 bis zum 15. März 1978 als Beitragszeit in der Rentenversicherung der Arbeiter anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die kraft Zulassung durch den erkennenden Senat statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Herstellung von Versicherungsunterlagen für die Zeit vom 11. Januar 1948 bis 15. März 1978.

Gemäß § 11 Abs 1 und 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) vom 3. März 1960 (BGBl I 137) können Versicherungsunterlagen auch außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens wiederhergestellt werden. Grundlegende Voraussetzung für die Herstellung von Unterlagen über Versicherungszeiten ist, daß die vom Antragsteller geltend gemachten Lebensabschnitte ihrer Eigenart nach überhaupt materiell-rechtlich als für die deutsche Sozialversicherung erhebliche Zeiten in Betracht kommen. Diese Voraussetzung kann für die Tätigkeiten der Klägerin auf dem Hof der Eltern und des Schwiegervaters sowie in der eigenen Landwirtschaft nicht bejaht werden. Nach der Änderung des Art 2 des Gesetzes vom 12. März 1976 zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 (BGBl 1976 II 393) durch Art 20 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 -RRG 1992-) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) - in Kraft getreten am 1. Juli 1990, Art  85 Abs 6 RRG 1992 - richtet sich die entsprechende Beurteilung allein noch nach den Vorschriften des FRG. Denn nach Art 2 Abs 1 des Gesetzes vom 12. März 1976 in der neuen Fassung sind Zeiten, die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, bei der Feststellung einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung "in Anwendung des Fremdrentengesetzes und des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes" zu berücksichtigen, solange der Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes wohnt. Für die ab 1. Juli 1990 geltende Rechtslage sind also die bisher nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen zu berücksichtigenden sogenannten Abkommenszeiten nicht mehr von Bedeutung. Lediglich bei Renten, die vor dem 1. Juli 1990 begonnen haben, können diese Abkommenszeiten noch gemäß Art 20 Nr 3 RRG 1992 von Bedeutung sein. Ein solcher Ausnahmefall ist jedoch bei der Klägerin nicht gegeben, da sie in Übereinstimmung mit ihrer altersentsprechenden rentenversicherungsrechtlichen Situation lediglich einen Antrag auf Kontenklärung und nicht bereits auf Rentengewährung gestellt hat.

Die Vorschriften des FRG finden auf die Klägerin, da sie als Vertriebene anerkannt ist, gemäß § 1 Nr 1 FRG grundsätzlich Anwendung. Es liegen jedoch in den von ihr geltend gemachten Tätigkeitszeiten keine nach §§ 15 und 16 FRG anrechenbaren Beitrags- bzw Beschäftigungszeiten vor. Dies schließen schon die nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG zu Art und Umfang der Tätigkeit der Klägerin aus. Das LSG hat Beitragsleistungen der Klägerin in Polen verneint; als Vergütung für die Tätigkeit der Klägerin auf dem elterlichen und schwiegerelterlichen Hof hat es lediglich freie Wohnung, Kost und gelegentliche Barbeträge für entsprechenden konkreten Bedarf benannt, ein die Versicherungspflicht auslösendes Arbeitsentgelt dagegen ausdrücklich ausgeschlossen. Eine erfolgte Leistung von Beiträgen ist aber grundlegendes Tatbestandsmerkmal des § 15 Abs 1 FRG.

Die Anerkennung von Beschäftigungszeiten iS des § 16 FRG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Gewährung bloßen freien Unterhaltes schließt die Anwendung von § 16 FRG gemäß dessen Satz 2 in Anwendung der Regelung des § 1228 Abs 1 Nr 2 RVO aus, die keine Vorschrift über die Beschränkung der Versicherungspflicht nach der Höhe des Arbeitsverdienstes iS von § 16 Satz 2 Halbsatz 2 FRG aF ist (s BSG SozR 5050 § 16 Nr 11; erkennender Senat, Urteil vom 13. September 1990, 5 RJ 76/89, zur Veröffentlichung bestimmt).

Abgesehen von diesen aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG abgeleiteten Folgerungen könnte eine Anerkennung von Beitragszeiten für die Klägerin aufgrund ihrer selbständigen Tätigkeit in der eigenen Landwirtschaft, sollte sie in dieser Phase tatsächlich Beiträge geleistet haben, auch schon aus rechtlichen Erwägungen nicht in Betracht kommen. In seinem zitierten Urteil vom 13. September 1990 (5 RJ 76/89) hat der erkennende Senat im einzelnen begründet, daß die soziale Absicherung der in der privaten polnischen Landwirtschaft selbständig Tätigen kein Versicherungssystem ist, das dem § 15 Abs 1 Satz 2 FRG aF unterfällt. Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

Ein günstigeres Ergebnis ließe sich für die Klägerin selbst dann nicht ableiten, wenn für die von ihr geltend gemachten Zeiten noch das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen gelten würde, dh die oben bereits erwähnte Rechtsänderung durch Art 20 RRG 1992 nicht erfolgt wäre. Der Senat hat in seinem zitierten Urteil vom 13. September 1990 im einzelnen begründet, daß das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen sich nach seinem Art 2 nur auf bestimmte polnische Versorgungssysteme erstreckt und zu diesen nicht ein Versorgungssystem gehört, das die soziale Absicherung der Landwirte betrifft. Auch hierauf wird Bezug genommen.

Der von der Klägerin aufgeworfene Gedanke, das polnische System zur sozialen Sicherung privater Landwirte aufgrund des polnischen Gesetzes vom 27. Oktober 1977 auf dem Weg über eine grundgesetzkonforme Auslegung des § 15 Abs 3 FRG - in seiner gemäß Art 15 Abschnitt A Nr 1 Buchst b RRG 1992 iVm Art 85 Abs 1 RRG 1992 bis 31. Dezember 1991 geltenden Fassung - doch noch im Rahmen der deutschen Rentenversicherung anzuerkennen, kann nicht zum Tragen kommen. Er scheitert schon daran, daß nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes in § 15 Abs 3 FRG lediglich eine Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlaß einer entsprechenden Verordnung statuiert ist, dabei aber der in § 15 Abs 2 FRG definierte Begriff der gesetzlichen Rentenversicherung vorausgesetzt wird. Nach § 15 Abs 2 Satz 1 FRG sind als gesetzliche Rentenversicherung aber nur Systeme der sozialen Sicherheit anzusehen, in die "in abhängiger Beschäftigung stehende Personen" einbezogen sind. Selbständige Landwirte sind damit nicht von dieser Vorschrift erfaßt. Für sie gilt demgemäß das Sondersystem über die landwirtschaftliche Altershilfe, das in dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1965 (BGBl I 1448) näher geregelt ist.

Nach alledem mußte die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1667091

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge