Verfahrensgang
SG Dortmund (Urteil vom 21.12.1993) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21. Dezember 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger bewilligten Altersruhegeldes.
Zwischen 1983 und 1990 erteilte die Beklagte dem – im März 1927 geborenen – Kläger mehrere Rentenauskünfte. Gemäß der letzten Auskunft im Jahr 1990 betrug seine Rentenanwartschaft nach den Vorschriften der damals geltenden RVO monatlich 1.349,90 DM. Ab 1. April 1992 bewilligte die Beklagte ihm eine nach den Bestimmungen des SGB VI berechnete Regelaltersrente von 1.273,39 DM mit dem Hinweis, von diesem Betrag seien noch 77,67 DM als eigener Beitragsanteil zur Krankenversicherung der Rentner abzuführen (Bescheid vom 19. Februar 1992; Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 1992).
Das SG hat die auf höhere, den Rentenauskünften entsprechende Rente gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Dezember 1993). Die Beklagte habe zu Recht das SGB VI und nicht die RVO angewandt. Dadurch ergebe sich ein geringerer Rentenbetrag als vorher. Das Vertrauen des Klägers in die Rentenauskunft sei nicht schutzwürdig. Die Auskunft sei ergangen aufgrund des damals geltenden Rechts. Eine Auskunft binde die Verwaltung nicht einmal dann, wenn sie unrichtig sei. Es verstoße auch nicht gegen den Gleichheitssatz, daß das neue, ab dem 1. Januar 1992 geltende Rentenrecht in manchen Fällen zu niedrigeren Renten führe als das bis dahin geltende Recht. Ebensowenig sei zu beanstanden, daß aufgrund des RRG 1992 Versicherte mit beitragsfreien Zeiten im Versicherungsverlauf schlechtergestellt würden als solche, die seit ihrem 16. Lebensjahr fortlaufend Beiträge entrichtet hätten.
Mit der vom SG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, ihm eine Rente zu bewilligen, die (wenigstens) der ihm zuletzt erteilten Auskunft entspricht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Dortmund vom 21. Dezember 1993 aufzuheben und den Rentenbescheid der Beklagten vom 19. Februar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 1992 zu ändern und ihm eine höhere Rentenleistung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere als die ihm bisher gezahlte Regelaltersrente.
Zutreffend hat die Beklagte die Rente aufgrund des SGB VI und nicht der RVO errechnet. Nach § 300 Abs 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt des Inkrafttretens (1. Januar 1992) an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die RVO ist ausnahmsweise „auf einen bis dahin bestehenden Anspruch” anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum 31. März 1992 geltend gemacht worden ist (§ 300 Abs 2 SGB VI). Der Anspruch des Klägers war vor dem 1. Januar 1992 noch nicht entstanden. Da der Kläger im März 1927 geboren ist, waren die Voraussetzungen für eine Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) erst im März 1992 erfüllt; die Rentenleistung konnte daher nicht vor Beginn des Monats April 1992 erfolgen (§ 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI).
Die letzte dem Kläger erteilte Rentenauskunft aus dem Jahr 1990 steht der Anwendung des SGB VI nicht entgegen. Sie ist für die Beklagte nicht in dem Sinn bindend, daß aus ihr ein Anspruch auf eine ihrem Inhalt entsprechende höhere Rente hergeleitet werden könnte. Bereits die RVO bestimmte in § 1325 Abs 4 Satz 3, daß eine vom Versicherungsträger erteilte Rentenauskunft nicht rechtsverbindlich ist. § 109 Abs 4 Satz 2 SGB VI ordnet dasselbe an. Nach altem wie nach neuem Recht bilden daher Mitteilungen der Versicherungsträger über die Höhe der bisher erworbenen Anwartschaften auf (Re-gel-)Altersrente keine rechtlich hinreichende Grundlage für Versicherte, Leistungen gemäß der Mitteilung zu verlangen.
Nicht zu leugnen ist, daß der Kläger, wäre bei ihm der Versicherungsfall wenige Monate vorher eingetreten, eine höhere Rente erhalten hätte. Dies ist die Folge aus seinem Geburtsdatum einerseits und der auf einen Stichtag gestellten Änderung des anzuwendenden Rechts durch den Gesetzgeber andererseits. Ein Verstoß gegen das GG, insbesondere den allgemeinen Gleichheitssatz iS des Art 3 Abs 1 GG, liegt hierin allerdings nicht. Das BVerfG hat entschieden, daß Ungleichheiten, die durch Stichtagsregelungen entstehen, hingenommen werden müssen, wenn die Einführung eines Stichtages notwendig und die Wahl des Zeitpunkts, orientiert am gegebenen Sachverhalt, sachlich vertretbar ist (BVerfGE 24, 220, 228; 29, 283, 299; 58, 81, 127; 75, 78, 106 = SozR 2200 § 1246 Nr 142). Das ist hier der Fall. Der Gesetzgeber hat ein Bedürfnis für die Neukodifikation des Rentenrechts gesehen und als Stichtag den 1. Januar 1992 gewählt. Daß unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit gegen dieses Datum irgendein Umstand spricht, ist nicht ersichtlich. Das Abgrenzungsmerkmal ist sachgerecht. Auch ist nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber nur diejenigen noch dem alten Recht unterworfen hat, deren Versicherungsfall unter der Geltung des bisherigen Rechts eingetreten war.
Soweit der Kläger meint, sein Vertrauen in den Fortbestand der für ihn günstigeren Regelung der RVO sei verletzt, ist allein Art 14 GG Prüfungsmaßstab. Die Eigentumsgarantie erfüllt für die durch sie geschützten rentenversicherungsrechtlichen Positionen die Funktion des Vertrauensschutzes gegenüber Eingriffsakten (BVerfGE 75, 78, 104 f). Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind Anwartschaften auf Versichertenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung Rechtspositionen, die den Schutz der Eigentumsgarantie genießen (BVerfGE 53, 257, 289 f; 58, 81, 109; 69, 272, 298; 75, 78, 96 f). Die konkrete Reichweite des Schutzes ergibt sich aber erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG (BVerfGE 75, 78, 97). Soweit durch eine gesetzliche Neuregelung in bestehende Rentenanwartschaften eingegriffen wird, ist zu berücksichtigen, daß in ihnen von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen angelegt ist. Eine Unabänderlichkeit der bei der Begründung bestehenden Bedingungen widerspräche dem Rentenversicherungsverhältnis, das – im Unterschied zum Privatversicherungsverhältnis – nicht allein auf dem Versicherungsprinzip, sondern wesentlich mit auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Regelungen, die Eingriffe darstellen, sind allerdings nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt und zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet wie erforderlich sind. Insbesondere dürfen sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn deswegen unzumutbar sein (BVerfGE 75, 78, 98). Bei Regelungen, die dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen, ist der Gesetzgeber befugt, Rentenansprüche und -anwartschaften auch zu beschränken.
Ein unzulässiger Eingriff in Rentenanwartschaften des Klägers liegt nach diesen Kriterien nicht vor. Ursächlich für die Senkung seines Rentenanspruchs im Vergleich zu der vor Inkrafttreten des SGB VI geltenden Rechtslage ist die durch das RRG 1992 erfolgte Neuordnung der beitragsfreien Zeiten auf der Basis der neu eingeführten Gesamtleistungsbewertung nach § 71 SGB VI. Diese Neuregelung ist im Zusammenhang mit dem Gesamtkonzept des RRG 1992 zu sehen: Ziel der Rentenreform ist die Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen, demographischen und sozialen Rahmenbedingungen (Zunahme der Zahl der Rentner im Verhältnis zu Beitragszahlern infolge steigender Lebenserwartung, Vorverlegung des durchschnittlichen Rentenbezugsalters, späterer Eintritt in das Erwerbsleben, Geburtenrückgang usw) und im Hinblick auf die dadurch zu erwartenden erheblichen Finanzierungsprobleme die langfristige Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung (Gesetzentwurf BT-Drucks 11/4124 S I – IV, 136 ff; vgl auch Ruland, Reform der Alterssicherung, ZRP 1989, 377). Die neue Gesamtleistungsbewertung, die auf die bisherige Anrechnungsvoraussetzung der Halbbelegung verzichtet, bewertet die beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten nach dem Gesamtwert der Beiträge und stellt auf das gesamte Versicherungsleben bis zum Versicherungsfall ab. Sie erfolgt in der Weise, daß der gesamte Beitragswert (früher Werteinheiten, jetzt Entgeltpunkte) durch die gesamte Versicherungsdauer unter Abzug von Anrechnungszeiten geteilt wird. Liegen keine versicherungsrechtlichen Lücken vor, entspricht der Gesamtleistungswert dem durchschnittlichen Beitragswert; sind hingegen Lücken vorhanden, verringert sich der Gesamtleistungswert entsprechend (BT-Drucks aaO S 141). Das Versicherungsprinzip wird also stärker als bisher in den Vordergrund gerückt und die Höhe der Rente mehr als bisher von der individuellen Beitragsleistung des einzelnen Versicherten abhängig gemacht („Beitragsdichtemodell”, vgl Ruland aaO S 379).
Diese Neuregelung ist damit nicht unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes zu beanstanden. Zum einen ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber Einschränkungen gerade dort gemacht hat, wo der Rentenanspruch nicht auf Beitragsleistungen beruht. Zum anderen war angesichts der wirtschaftlichen, demographischen und sozialen Veränderungen Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers gegeben. Des weiteren ist zu beachten, daß der Gesetzgeber Übergangsregelungen geschaffen hat, damit die vorhandenen versicherungsrechtlichen Lücken sich nur allmählich auswirken (BT-Drucks aaO S 141). So ist durch § 263 Abs 2 SGB VI die Anzahl der nicht belegungsfähigen Monate (vgl § 72 Abs 3 SGB VI) vor dem 1. Januar 1992 um eine in einer zwölfjährigen Übergangszeit gestaffelte Pauschalzeit erhöht worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Unterschriften
Baltzer, Baumann, Richter am BSG Bender
Fundstellen