Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleichsgeld. Flächenstilllegung. Kausalität. Nachweis
Leitsatz (redaktionell)
Ein Anspruch auf Ausgleichsgeld nach § 9 FELEG setzt u. a. voraus, dass zwischen der Stilllegung oder der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens und dem Ende der Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers ein kausaler Zusammenhang besteht.
Normenkette
FELEG § 9 Abs. 1 S. 1
Beteiligte
Sächsische Landwirtschaftliche Alterskasse |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. März 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Ausgleichsgeld. Die am 22. Dezember 1941 geborene Klägerin arbeitete seit Mitte 1987 in der Landwirtschaft, zuletzt für die Agrargenossenschaft S. e.G. Im Zeitraum vom 1. November 1991 bis zum 30. November 1996 wurde sie dort als Tierpflegerin im Kälberaufzuchtsstall beschäftigt. Der Arbeitgeber der Klägerin nahm in der Zeit von 1993 bis 1997 an der konjunkturellen Flächenstilllegung nach der Verordnung (EWG) Nr 1765/92 in der Form der Rotationsbrache teil. Die Größen der Gesamtfläche und der jeweiligen Stilllegungsfläche (Angaben jeweils in ha) entwickelten sich wie folgt:
Jahr |
Gesamtfläche |
Still.Fläche |
1993 |
1.302,00 |
97,66 |
1994 |
1.278,00 |
95,67 |
1995 |
1.235,00 |
99,62 |
1996 |
1.227,00 |
127,49 |
1997 |
1.220,00 |
29,11 |
Zusätzlich beteiligte sich der Betrieb seit 1992 am Kulturlandschaftsprogramm nach der Verordnung (EWG) Nr 2328/91.
In den Wirtschaftsjahren 1992/93 und 1993/94 sprach der Arbeitgeber keine Kündigungen unter Hinweis auf Maßnahmen der Flächenstilllegung und Extensivierung aus. In den Wirtschaftsjahren 1995/96 und 1996/97 begründete der Arbeitgeber Entlassungen in folgendem Umfang mit Flächenstilllegung/Extensivierung:
Jahr |
Verwaltung |
Pflanzenprod. |
Tierprod. |
Werkstatt |
Ges. |
1994/95 |
1 |
3 |
3 |
1 |
8 |
1995/96 |
0 |
2 |
2 |
2 |
6 |
1996/97 |
0 |
0 |
2 |
0 |
2 |
Die Beklagte bewilligte in elf Fällen die Anträge auf Ausgleichsgeld. Betroffen davon waren Entlassungen bis spätestens zum 29. Februar 1996. Im Einzelnen handelte es sich um fünf Mitarbeiter aus der Tierproduktion, vier Mitarbeiter aus der Pflanzenproduktion und je einen Mitarbeiter aus der Verwaltung und der Werkstatt. Fünf Anträge, darunter den der Klägerin, lehnte sie hingegen ab.
Mit Bescheid vom 16. Dezember 1997 verweigerte die Beklagte der Klägerin Ausgleichsgeld. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 1998, Urteil des Sozialgerichts Chemnitz ≪SG≫ vom 13. Juli 2000, Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 29. März 2001). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, es fehle an einem Kausalzusammenhang zwischen der Entlassung der Klägerin und den Stilllegungs- und Extensivierungsmaßnahmen ihres früheren Arbeitgebers. Die erstmalige Stilllegung 1992/93 habe 7,5 % der Gesamtfläche umfasst. Unter Berücksichtigung der Anzahl der damals von der Agrargenossenschaft beschäftigten 76 Mitarbeiter errechne sich eine Quote von 6 Arbeitnehmern, bei denen ein Zusammenhang zwischen Kündigung und Flächenstilllegung vermutet werden könne. Bezüglich der Entlassung der Klägerin zum 30. November 1996 sei die zeitliche Differenz von vier Jahren zu der am 15. Dezember 1992 begonnenen Stilllegungsmaßnahme jedoch zu lang, um eine Kausalität begründen zu können. Die Klägerin habe im Kälberaufzuchtsstall gearbeitet. Dabei habe es sich um einen Arbeitsplatz ohne unmittelbaren Flächenbezug gehandelt. Die Bewilligung von Ausgleichsgeld käme nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass die Entlassung der Klägerin auf eine Reduzierung des Tierbestandes zurückgeführt werden könne und dieser Abbau seine Ursache wiederum in einem flächenstilllegungs- und extensivierungsbedingt verringerten Futteraufkommen gehabt hätte. Im Zeitraum von 1995 bis 1996 sei der Viehbestand des Arbeitgebers der Klägerin von 1.340 Großvieheinheiten auf 1.271 Großvieheinheiten zurückgegangen. Der Zusammenhang dieses Abbaus mit der Flächenstilllegung 1996 sei nicht nachvollziehbar. Wie der Vorstandsvorsitzende des Arbeitgebers der Klägerin bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem SG betont habe, habe der Anteil der Futterfläche an den stillgelegten Flächen in den Jahren 1993 und 1994 100 %, im Jahre 1995 43,6 % und 1996 53,9 % betragen. Ein Abbau des Tierbestandes wegen eines verringerten Futteraufkommens lasse sich mit diesen Stilllegungsmaßnahmen nicht rechtfertigen. Im Übrigen habe die repräsentative Viehzählung zum 3. Dezember 1995 noch 458 Kälber bis zum einem Jahr vermerkt. 1996 sei der Bestand auf 382 Kälber gesunken. Der Bestand an Kälbern einschließlich der Jungrinder unter zwei Jahren sei von 915 Tieren im Dezember 1995 auf 643 Tiere zum 3. Juni 1996 zurückgegangen. Seitdem habe sich der Bestand nicht mehr verändert. Die Zahl der Arbeitskräfte innerhalb der Tierproduktion habe sich zeitlich korrespondierend von 25 Mitarbeitern zum 30. Juni 1995 auf 23 Mitarbeiter zum 30. Juni 1996 verringert. Den beiden ausgeschiedenen Arbeitnehmern aus der Tierproduktion habe die Beklagte Ausgleichsgeld bewilligt. Die Klägerin sei jedoch erst zum 30. November 1996 entlassen worden. Ein Zusammenhang mit dem Abbau des Kälberbestandes lasse sich in ihrem Falle nicht erkennen.
Die Klägerin hat am 8. Juni 2001 die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung weiterhin die Auffassung vertreten, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Flächenstilllegung bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber und ihrer Entlassung bestanden habe. Ihre Entlassung sei zeitnah zur Stilllegung erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. März 2001 und des Sozialgerichts Chemnitz vom 13. Juli 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Januar 1997 Ausgleichsgeld zu bewilligen.
Die Beklagte hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt. Sie hält sinngemäß jedoch das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausgleichsgeld, weil ihre Beschäftigung als landwirtschaftliche Arbeitnehmerin nicht auf Grund von Flächenstilllegungen geendet hat.
Gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (FELEG) in der hier maßgebenden Fassung des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (ASRG 1995) vom 29. Juli 1994 (BGBl I 1890) erhalten ua Arbeitnehmer, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, ein Ausgleichsgeld, wenn – neben weiteren, hier nicht zu erörternden Voraussetzungen nach §§ 9 Abs 1, 13, Abs 1 Nr 6, 18c Abs 1 FELEG – erstens ihre Beschäftigung in einem Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) auf Grund dessen Stilllegung (§ 2) oder Abgabe (§ 3) endet und zweitens sie in den letzten 120 Kalendermonaten vor der Antragstellung mindestens 90 Kalendermonate in Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des ALG, davon in den letzten 48 Kalendermonaten vor der Stilllegung oder Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft mindestens 24 Kalendermonate in diesem Unternehmen, hauptberuflich tätig gewesen sind.
Der Rechtsbegriff „auf Grund” beschreibt nach allgemeinem juristischem Sprachgebrauch einen kausalen Zusammenhang. Nichts anderes gilt im Regelungszusammenhang des FELEG (vgl zu §§ 9, 13 FELEG bereits den Senatsbeschluss vom 18. März 1999 – B 10 LW 11/98 B –, auszugsweise abgedruckt in Neue Landwirtschaft – Briefe zum Agrarrecht 1999, 390 f). Das Gesetz verwendet diesen Begriff nicht nur in § 9 Abs 1 Nr 1 und § 13 Abs 1, sondern an zahlreichen weiteren Stellen (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 4, § 3 Abs 3, § 6 Abs 3 Satz 5 Nr 1, § 16 Abs 1 FELEG). Die Bedeutung ist überall dieselbe. Auf dem Gebiet der Sozialversicherung wird in ständiger Rechtsprechung des BSG die Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung angewendet (vgl für Fälle aus dem Bereich des FELEG das Senatsurteil vom 9. August 2001 – B 10 LW 9/00 R – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG auf die Ausführungen des SG zur Frage des Kausalzusammenhangs verwiesen. Daraus ergibt sich, dass das LSG wie das SG bei seiner Beurteilung die Lehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung beachtet hat. Allerdings ist bei der Anwendung dieser Lehre zunächst zu prüfen, ob bestimmte Umstände einen bestimmten Erfolg im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn herbeigeführt haben. Dies hat das LSG geprüft und einen Ursachenzusammenhang zwischen der Entlassung der Klägerin und den Stilllegungs- bzw Extensivierungsmaßnahmen verneint. Hierfür sprechen jedenfalls mehrere Passagen in dem – insoweit vom Senat auszulegenden – Urteil des LSG. So hat das LSG festgestellt, dass weder die Erweiterung der Stilllegungsflächen in den Jahren 1992/93, 1995 und 1996 noch die Verringerung des Tierbestandes ursächlich für die Entlassung der im Kälberaufzuchtsstall beschäftigten Klägerin waren. Denn der Viehbestand hatte sich nicht als Folge eines verminderten Futtermittelaufkommens wegen Flächenstilllegungen oder Extensivierungsmaßnahmen verringert, und die Zahl der Arbeitskräfte in der Tierproduktion war bereits längere Zeit vor Entlassung der Klägerin korrespondierend mit der Verringerung des Viehbestandes um zwei zurückgegangen. Beide hatten Ausgleichsgeld erhalten. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden, denn die Klägerin hat diese nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen (§ 163 SGG), insbesondere hat sie weder die Beweiswürdigung gerügt noch eine Verletzung der den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 103 SGG obliegenden Amtsermittlungspflicht geltend gemacht. Soweit sie vorträgt, es dürften keine strengen Anforderungen an die Kausalität gestellt werden, der Kausalitätsnachweis sei bereits erbracht, wenn der Unternehmer bestätige, dass der Verlust des Arbeitsplatzes auf die Stilllegung zurückzuführen sei, verkennt sie, dass derartige Bescheinigungen die Beklagte und die Gerichte nicht binden. Sie haben ihren Inhalt frei zu würdigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen