Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. November 1996 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Beklagte verlangt von dem Kläger, der (Mit-)Erbe seiner am 3. März 1993 verstorbenen versorgungsberechtigten Mutter ist, für die Zeit nach deren Tod von April bis Juni 1993 überzahlte Witwenrente in Höhe von 4.413,00 DM erstattet (Bescheid vom 15. August 1995; Widerspruchsbescheid vom 26. September 1995).
Das Sozialgericht (SG) hat den Erstattungsbescheid aufgehoben (Urteil vom 31. Januar 1996). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 26. November 1996). Es hat ausgeführt: Die überzahlte Witwenrente könne nicht durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden. Weder § 50 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) noch § 118 Abs 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) iVm § 66 Bundesversorgungsgesetz (BVG) böten dafür eine Grundlage. Der Rückforderungsbescheid sei deshalb rechtswidrig. Der Beklagte müsse seine Forderung nach den zivilrechtlichen Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung einklagen.
Der Beklagte macht mit der Revision geltend, das LSG habe zu Unrecht § 50 Abs 2 SGB X nicht für anwendbar gehalten. Das Bundessozialgericht (BSG) (SozR 3-1300 § 45 Nr 18) – und ihm folgend das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BArbBl 1995, 3/82) – gingen vom Gegenteil aus.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. November 1996 und des Sozialgerichts Darmstadt vom 31. Januar 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Der mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) angegriffene Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 15. August 1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1995 ist rechtswidrig. Denn der Beklagte war bis zum Abschluß des Verwaltungsverfahrens nicht befugt, den Rückzahlungsanspruch mit einem Bescheid gegenüber dem Kläger geltend zu machen. Zu Recht haben deshalb die Instanzgerichte der Klage stattgegeben und die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Wird ein belastender Verwaltungsakt – wie der hier zu prüfende Rückforderungsbescheid des Beklagten – mit der Anfechtungsklage angegriffen, ist für die rechtliche Beurteilung grundsätzlich der Zeitpunkt seines Erlasses (ggf – wie hier – des Widerspruchsbescheides) maßgeblich (vgl zB BSGE 79, 223, 225 ff = SozR 3-1300 § 48 Nr 57; BSGE 73, 25, 27 = SozR 3-2500 § 116 Nr 4 sowie BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 54 RdNr 32). Der Beklagte war bis zum Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1995 nicht berechtigt, die auf das Konto der Erblasserin überwiesenen Beträge von dem Kläger durch Verwaltungsakt zurückzufordern, weil dafür die gesetzliche Grundlage fehlte. Nach insoweit einheitlicher Rechtsprechung des BSG, des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofes hätte er zivilrechtlich nach § 812 Bürgerliches Gesetzbuch gegen den Kläger vorgehen müssen (vgl zB BSGE 32, 145 = SozR Nr 49 zu § 51 SGG; BSGE 61, 11 = SozR 1300 § 50 Nr 13; BVerwGE 84, 274 ff; BGHZ 71, 180, 183; 73, 202, 203). Denn zwischen dem Beklagten und dem Kläger bestand seinerzeit kein sozialrechtliches Leistungsverhältnis, insbesondere kein Subordinationsverhältnis. Ein Subordinationsverhältnis wäre aber Voraussetzung für die Befugnis des Beklagten gewesen, einen Verwaltungsakt zu erlassen (vgl Kopp, VwVfG, 6. Aufl 1996, § 35 RdNrn 3 und 71 mwN; auch Meyer-Ladewig, aaO, nach § 54 RdNr 4a).
Dem – eine Nichtzulassungsbeschwerde betreffenden – Beschluß des Senats vom 10. August 1993, SozR 3-1300 § 45 Nr 18 ist entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsministeriums (Rundschreiben vom 21. Dezember 1994 – BArbBl 1995 Nr 3/82) nichts anderes zu entnehmen. Zwar betraf der seinerzeit vom Senat entschiedene Fall ebenfalls eine Überzahlung auf das Konto einer verstorbenen Erblasserin und die Rückforderung der Überzahlung von den Erben durch Verwaltungsakt. Zu entscheiden war aber seinerzeit nicht über die Rechtmäßigkeit des – damals bereits durch die Vorinstanzen aufgehobenen – Rückforderungsbescheides, sondern – auf die Rüge des Beschwerdeführers – allein darüber, ob das LSG in seiner Urteilsbegründung von einer Entscheidung des BSG (Urteil vom 6. September 1989 = SozR 1300 § 45 Nr 46: fehlende Ermessensausübung im Rücknahmebescheid) abgewichen war. Es war also nicht zu prüfen, ob die Entscheidung des LSG inhaltlich richtig war, sondern nur, ob – bei Zugrundelegung der Rechtsansicht des LSG – dessen Urteil eine tragende Rechtsaussage enthielt, die mit einem Rechtssatz unvereinbar war, welcher der genannten Entscheidung des BSG zugrunde lag (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNrn 156 und 164 ff).
Die Rechtslage, wonach – auch nach § 50 Abs 2 SGB X – zwischen Leistungsträger und Erben des Leistungsberechtigten keine öffentlich-rechtliche Beziehung, insbesondere kein sozialrechtliches Leistungsverhältnis bestand, hat sich erst mit Wirkung ab 1. Januar 1996 geändert, und zwar durch die Neufassung des § 118 SGB VI iVm der Neufassung des § 66 Abs 2 BVG durch Gesetz vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S 1824, 1839). Mit der Anfügung des Abs 4 an die bis dahin geltende Fassung des § 118 SGB VI und des eine Bezugnahme auf diese Regelung enthaltenden Satzes 4 an § 66 Abs 2 BVG wurde im Hinblick auf Rücküberweisungs- und Erstattungsansprüche des Versicherungsträgers bzw der Versorgungsverwaltung eine öffentlich-rechtliche Regelung geschaffen (vgl BT-Drucks 13/3150 S 13, 42 sowie 13/2590 S 25). Diese Neuregelung führt nunmehr zu einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsträger und den in den genannten Bestimmungen genannten Personen. Über Ansprüche auf Rückforderungen von Geldleistungen, die nach dem 31. Dezember 1995 geltend gemacht werden, haben daher nunmehr nach § 51 Abs 1 SGG die Sozialgerichte zu entscheiden (vgl BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 1 für einen § 118 Abs 3 SGB VI betreffenden Fall). War der Erbe – wie möglicherweise hier – zugleich Empfänger bzw Verfügender iS des § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI, kann der Rückforderungsanspruch durch den Leistungsträger im Wege der Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG geltend gemacht werden (vgl Polster, Kasseler Komm, SGB VI § 118 RdNrn 19, 26 und BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 1). Im übrigen ist der Leistungsträger nach § 118 Abs 4 Satz 3 SGB VI iVm § 50 SGB X nunmehr ermächtigt, den Rückforderungsanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen (vgl die weiter oben genannten Gesetzesmaterialien aaO; auch Dörr, Kompaß 1996, 460), wogegen dem Erben die Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG offensteht.
Bei der Einführung des § 118 Abs 4 SGB VI und der darauf Bezug nehmenden Vorschrift des § 66 Abs 2 Satz 4 BVG handelte es sich um eine Rechtsänderung, und nicht lediglich um die Klarstellung eines schon früher bestehenden Rechtszustandes. Dem steht nicht entgegen, daß die Vorschrift nach den Gesetzgebungsmaterialien „in erster Linie der Klärung des Rechtscharakters des Rückforderungsanspruches” dienen sollte (vgl BT-Drucks 13/2590 zu Nr 17 auf S 25). Angesichts der einheitlichen Rechtsprechung dreier oberster Gerichtshöfe des Bundes (s oben) ist davon auszugehen, daß diese Klärung nur für die Zukunft erfolgen sollte. Soweit in der BT-Drucks 13/2590 S 25 davon die Rede ist, daß das BSG „nunmehr” (also bereits vor dem 1. Januar 1996) „auch den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für geboten erachtet”, so trifft dies allenfalls auf bestimmte – insoweit nicht tragende – Ausführungen des 11. Senats des BSG in den Gründen seiner allerdings bereits am 18. August 1983 ergangenen Entscheidung zu (vgl BSGE 55, 250, 252 = SozR 1300 § 50 Nr 3), nicht jedoch auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 10. August 1993 (aaO), wie bereits oben dargelegt. Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, die neue Rechtslage rückwirkend auch auf solche Rückforderungsansprüche auszudehnen, die vor Inkrafttreten der Neuregelung entstanden sind, hätte er überdies verfahrensrechtliche Bestimmungen zur Wirksamkeit und weiteren rechtlichen Behandlung von bereits ergangenen Rückforderungsbescheiden und materiell-rechtliche Vorschriften zur Erstreckung der neuen Rechtslage auf bereits vor dem 1. Januar 1996 erfolgte Überzahlungen treffen müssen. Daran fehlt es indes.
Das Gesetz vom 15. Dezember 1995 (aaO) enthält keinerlei Überleitungs- oder Übergangsregelungen, die bereits vor seinem Inkrafttreten erlassene Rückforderungsbescheide legitimieren könnten. So ist dem Gesetz insbesondere an keiner Stelle zu entnehmen, daß die oben genannten neuen Vorschriften des SGB VI und des BVG rückwirkende Anwendung finden sollten. Insbesondere gibt es keine Vorschrift, die – wie zB Art II § 37 Abs 1 SGB X vom 18. August 1980 (BGBl I S 1469, ber S 2218) oder Art 2 Abs 2 und Art 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesseuchengesetzes vom 25. August 1971 (BGBl I S 1401) – vorschreibt, daß und ggf wie bereits begonnene Verfahren nach den neuen Bestimmungen zu Ende zu führen sind.
Es fehlt aber auch eine dem Art II § 40 Abs 2 des Gesetzes vom 18. August 1980 (aaO) entsprechende Vorschrift über die Erstreckung der neuen Regelung auf Überzahlungen, die bereits vor dem 1. Januar 1996 stattgefunden haben. Allerdings will Polster (aaO) insoweit § 300 Abs 1 SGB VI anwenden. Hier kann offen bleiben, ob dem zu folgen ist. Abgesehen davon, daß auf diese Vorschrift in § 66 BVG nF nicht verwiesen wird, werden insoweit im Schrifttum verfassungsrechtliche Bedenken erhoben (vgl Eckstein SGb 1996 S 589, 590 ff). Hätten „Altfälle”, also Fälle, in denen laufende Sozialleistungen bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts über den Tod des Berechtigten hinaus weitergezahlt worden sind, bereits nach neuem Recht behandelt werden sollen, hätte es überdies nahegelegen, wenn nicht § 118 Abs 4 SGB VI, jedenfalls § 66 Abs 2 Satz 4 BVG um eine zB dem § 300 SGB VI oder § 214 Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Unfallversicherung ≪SGB VII≫) entsprechende Übergangsvorschrift zu ergänzen, wenigstens aber klärend auf § 300 Abs 1 SGB VI hinzuweisen, wonach Vorschriften des SGB VI vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden sind, wenn der zu beurteilende Sachverhalt oder Anspruch bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden hat. Dies bedarf hier jedoch keiner weiteren Erörterung, denn die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind schon aus den oben genannten Gründen (Fehlen einer rechtlichen Grundlage für den Erlaß von Rückforderungsbescheiden gegen den Erben) aufzuheben (vgl zum vorstehenden Urteil des Senats vom 29. Juli 1998 – B 9 V 5/98 R –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Der Rückforderungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1995 bliebe im übrigen selbst dann rechtswidrig, wenn man – anders als der Senat – der Entscheidung des Gesetzgebers über den öffentlich-rechtlichen Charakter von Rückforderungsansprüchen Rückwirkung beimessen wollte. In diesem Falle wäre der Bescheid rechtswidrig, weil der Beklagte hier § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X nicht beachtet hat, der nach § 50 Abs 2 SGB X bei Rückforderung von ohne Verwaltungsakt erbrachten Leistungen entsprechend anwendbar ist. § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X setzt für die Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit eine Frist von einem Jahr, die beginnt, sobald die Behörde die Tatsachen kennt, welche die Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes rechtfertigen. Diese Frist hat der Beklagte hier nicht eingehalten. Der Bescheid ist am 15. August 1995 ergangen. Die Frist reicht folglich allenfalls bis zum 15. August 1994 zurück. Der Beklagte hatte lange vor diesem Datum Kenntnis von der Überzahlung, der Person der Erben (darunter der des Klägers) und von den übrigen Tatsachen, auf die es für die Rückforderung der ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbrachten Leistungen ankam (vgl dazu BSGE 74, 20, 25 = SozR 3-1300 § 48 Nr 32). Denn nach den Feststellungen des LSG hatte der Beklagte bereits im November 1993 vom Tode der versorgungsberechtigten Erblasserin erfahren und daraufhin von dem Kläger und dessen Schwester die überzahlte Witwenrente zurückgefordert, was beide ablehnten, weil das auf einem Sparbuch angelegte Geld für Wohnungsauflösung, Renovierung und Beerdigungskosten verbraucht worden sei. Die anschließende Zeit von mehr als einem Jahr bis zum 15. August 1995 hat der Beklagte gegenüber dem Kläger ungenutzt verstreichen lassen, weil zunächst ein – erfolgloser – Zivilprozeß (Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 2. Juni 1995) auf Zahlung von 4.413,00 DM gegen die Schwester (und Miterbin) des Klägers geführt worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen