Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsausbildungsbeihilfe. Bedarf für den Lebensunterhalt. auswärtige Unterbringung

 

Leitsatz (amtlich)

Für den Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe ist ein Mehrbedarf wegen auswärtiger Unterbringung bei Erreichbarkeit der Ausbildungsstätte von der Wohnung eines Elternteils aus auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn eine Unterbringung bei dem Elternteil unzumutbar ist.

 

Normenkette

AFG § 40; AusbFöAnO § 11 Abs 1 S 2 Fassung: 1986-10-01

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 01.12.1988; Aktenzeichen L 3 Ar 58/88)

SG Lübeck (Entscheidung vom 29.03.1988; Aktenzeichen S 7 Ar 158/87)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bei der Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe die Unterbringung der Klägerin außerhalb des Haushalts ihrer leiblichen Mutter zu berücksichtigen hat.

Die am 10. Oktober 1969 geborene Klägerin ist auf Veranlassung des Jugendamtes seit Juni 1970 bei Pflegeeltern untergebracht. Zu ihrer leiblichen Mutter, die wegen Unterhaltspflichtverletzungen mehrmals strafrechtlich belangt wurde, bestand kein Kontakt. Ihr leiblicher Vater ist unbekannt. Dem Jugendamt ist die Amtsvormundschaft übertragen. Das Jugendamt zahlte Pflegegeld aus Jugendhilfemitteln, bis die Pflegemutter zum 31. Juli 1986 auf diese Leistung verzichtete. Von August 1985 bis zum 12. Juni 1987 wurde die Klägerin zur Verkäuferin ausgebildet. Ein im Mai 1985 gestellter Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) blieb erfolglos, weil sich bei Ermittlung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, wie er bei Unterbringung im Haushalt der leiblichen Mutter entstanden wäre, nach Anrechnung der Ausbildungsvergütung nur ein monatlicher Zahlbetrag von 14,06 DM ergab, den die beklagte BA nicht auszahlte, weil er unter 20,00 DM lag.

Im angefochtenen Bescheid lehnte die beklagte BA einen erneuten Antrag vom 11. Dezember 1986 ab, da die Ausbildungsvergütung den Ausbildungsbedarf übersteige, wobei sie den Bedarf für den Lebensunterhalt wiederum so bemaß, als wäre die Klägerin bei ihrer leiblichen Mutter untergebracht, von deren Wohnung sie ihre Ausbildungsstätte hätte täglich erreichen können (Bescheid vom 25. Februar 1987; Widerspruchsbescheid vom 9. April 1987).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf BAB unter Berücksichtigung des bei auswärtiger Unterbringung maßgebenden Bedarfssatzes von 425,00 DM monatlich für die Zeit vom 11. Dezember 1986 bis zum 12. Juni 1987 abgewiesen (Urteil vom 29. März 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die vom SG zugelassene Berufung der Klägerin die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, BAB nach einem Bedarf für den Lebensunterhalt von 670,00 DM monatlich zu gewähren (Urteil vom 1. Dezember 1988).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 11 Abs 1 und 4 der Anordnung des Verwaltungsrats der BA über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung (AusbFöAnO) vom 31. Oktober 1969 in der Fassung vom 1. Oktober 1986 (ANBA 1986 S 1457).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision der Beklagten war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückzuweisen.

Da die Beklagte über den zweiten Antrag auf BAB in der Sache entschieden hat, bedarf die Bindungswirkung des ersten Ablehnungsbescheides keiner Erörterung. Im angefochtenen Bescheid hat die Beklagte die Zahlung einer BAB im Hinblick auf die gezahlte Ausbildungsvergütung zu Recht abgelehnt. Die Klägerin meint zu Unrecht, der BAB sei der höhere Bedarfssatz für auswärtige Unterbringung zugrundezulegen, so daß trotz der Ausbildungsvergütung ein Zahlbetrag verbleibe.

Die Änderung des § 40 AFG durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand (9. AFG-ÄndG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl S 2343) ist für den hier streitigen Anspruch ohne Bedeutung. Nach § 40 Abs 1 Satz 2 AFG idF des 9. AFG-ÄndG wird BAB (dem Grunde nach) nur gewährt, wenn ua die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern aus nicht in angemessener Zeit erreicht werden kann. Diese Einschränkung gilt nach dem folgenden Satz 3 nicht, wenn der Auszubildende das 18. Lebensjahr vollendet hat, verheiratet ist oder war, mit mindestens einem Kind zusammenlebt oder "seine Verweisung auf die Wohnung der Eltern aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar ist". Dies gilt nach § 242i AFG nur für nach dem 1. Januar 1989 begonnene Ausbildungen, ist also auf die zum 12. Juni 1987 beendete Ausbildung der Klägerin nicht anwendbar. Die Ausgestaltung der genannten neuen Anspruchsvoraussetzung erlaubt auch keinen Rückschluß auf die Auslegung der hier streitigen Vorschrift zur Höhe des Ausbildungsbedarfs, worauf später näher einzugehen ist.

Nach § 40 AFG aF iVm § 11 Abs 1 Satz 2 1. Halbs AusbFöAnO in der Fassung der 26. ÄndAnO vom 1. Oktober 1986 (ANBA S 1457) ist der niedrigere Betrag von 425,00 DM auch dann zugrundezulegen, wenn der Auszubildende zwar nicht im Haushalt eines Elternteils untergebracht ist, wenn er jedoch die Ausbildungsstätte von der Wohnung eines Elternteils aus in angemessener Zeit hätte erreichen können; das gilt nicht, wenn der Auszubildende das 18. Lebensjahr vollendet hat oder beim Ausbildenden mit voller Verpflegung untergebracht ist. Die am 10. Oktober 1969 geborene Klägerin hatte während der streitigen Ausbildungszeit bis zum 12. Juni 1987 das 18. Lebensjahr nicht vollendet. Sie wohnte auch nicht beim Ausbildenden. Sie hätte die Ausbildungsstätte nach den Feststellungen des LSG von der Wohnung ihrer leiblichen Mutter aus täglich in zumutbarer Zeit erreichen können. Damit hat die Beklagte zu Recht den genannten Bedarfssatz zugrundegelegt.

Das LSG hat § 11 Abs 1 Satz 2 1. Halbs AusbFöAnO ohne Anhalt im Wortlaut dahin ausgelegt, daß die Erreichbarkeit der Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern (zu ergänzen: oder eines Elternteiles) unbeachtlich ist, wenn dem Auszubildenden etwa unter Berücksichtigung erzieherischer Gesichtspunkte der Aufenthalt bei den Eltern unzumutbar ist. Dem vermag der Senat insbesondere unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und des Regelungszusammenhangs mit entsprechenden Vorschriften im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) nicht zuzustimmen.

Die Frage, ob die Erreichbarkeit der Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs durch eine nicht ausbildungsbedingte auswärtige Unterbringung auch dann ausschließt, wenn dem Auszubildenden eine Unterbringung bei den Eltern schlechthin unzumutbar ist, insbesondere wenn er aus erzieherischen Gründen vom Jugendamt außerhalb des elterlichen Haushalts untergebracht wurde, ist für die Förderung der beruflichen Ausbildung nach dem AFG und nach dem BAföG in ähnlicher Weise von Bedeutung. Sie hat die Rechtsprechung nicht nur in der vom LSG angeführten Einzelentscheidung (SozR 4440 § 11 Nr 2) beschäftigt, sondern in zahlreichen Entscheidungen zum AFG und zum BAföG. Auf beiden Rechtsgebieten können die jeweils maßgebenden Vorschriften unter Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Rechtsprechung und Rechtsetzung nur einschränkend im Sinne einer allein auf die Erreichbarkeit der Ausbildungsstätte abstellenden Auslegung verstanden werden. Zwar zeigt die Rechtsentwicklung auf beiden Gebieten, daß die Lösung, allein auf die Erreichbarkeit abzustellen, auch wenn aus erzieherischen Gründen eine Unterbringung außerhalb des Elternhauses erforderlich ist, zunehmend ihre Akzeptanz verliert. Gleichwohl kann bisher das Normsetzungsverfahren nur dahin bewertet werden, daß sich die Auffassung, bei Unzumutbarkeit der Unterbringung im Elternhaus den Mehrbedarf für eine auswärtige Unterbringung zu berücksichtigen, bisher nicht hat durchsetzen können.

Der Gesetzgeber hat die Problematik schon bei Schaffung des BAföG in der ursprünglichen Fassung vom 26. August 1971 (BGBl S 1409) gesehen. Nach dessen § 12 Abs 1 Satz 2 galt der Bedarfssatz für auswärtige Unterbringung nach Satz 1 nur, wenn von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar war. Zur Begründung wurde ausgeführt (BT-Drucks VI/1975 S 27):

Der erhöhte Bedarf für eine Unterbringung außerhalb der elterlichen Wohnung wird nur geleistet, wenn von dieser Wohnung aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht in einer angemessenen Zeit erreichbar ist. Andere Gründe als die räumliche Entfernung, etwa Erwerbstätigkeit des alleinstehenden Elternteils oder beengte Wohnverhältnisse, rechtfertigen eine auswärtige Unterbringung im Sinne dieser Vorschrift nicht. Ist der Auszubildende Vollwaise, so ist eine räumliche Nähe von Elternwohnung und Ausbildungsstätte, die ihm diese erreichbar macht, nicht gegeben; er erhält stets den Bedarf nach Abs 2.

Damals hatte der Bundesrat keine Änderungsvorschläge. Allerdings wurde in der Ausschußberatung (vgl zu Drucks VI/2352 S 6) vermerkt:

Die von einer Minderheit der Ausschußmitglieder angestrebte Fassung des § 12 Abs 2 Satz 2 "Satz 1 gilt nur, wenn das Ausbildungs- und Erziehungsziel unter Berücksichtigung der gewählten Erziehungsrichtung die Unterbringung außerhalb der elterlichen Wohnung erfordert" hätte in der Sache eine weite Ausdehnung der auswärtigen Unterbringung auch aus sozialen Gründen bedeutet. Die Ausschußmehrheit sah sich nicht in der Lage, hierfür Mittel der Ausbildungsförderung einzusetzen.

Dementsprechend hat die Rechtsprechung zu § 12 BAföG und später zu der entsprechenden Formulierung in § 68 Abs 2 Nr 1 BAföG stets entschieden, nur wenn der Auszubildende ausschließlich aus Gründen, die in einem wesensmäßigen Zusammenhang mit der Ausbildung selbst stehen, außerhalb der Wohnung der Eltern untergebracht sei, komme es auf die Erreichbarkeit nicht an (BVerwG Urteil vom 5. Mai 1983 - 5 C 13/81 - FamRZ 1984, 214). Bei Prüfung der Frage, welche Umstände und Gründe berücksichtigungsfähig seien, um anzunehmen, daß eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern aus nicht erreichbar sei, seien soziale Gründe, wie die Erwerbstätigkeit der Eltern oder des alleinstehenden Elternteils oder beengte Wohnverhältnisse, die auf das Ausbildungsverhältnis nur mittelbar einwirken, nicht berücksichtigungsfähig; nichts anderes gelte, wenn sich der Auszubildende und seine Eltern auf Dauer so entfremdet hätten, daß von einer normalen Eltern-Kind-Beziehung nicht mehr gesprochen werden könne (BVerwGE 81, 81).

Zum AFG-Bereich hat das BSG schon im Urteil vom 19. Dezember 1973 entschieden, wenn der Auszubildende aus erzieherischen Gründen in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichwertigen Einrichtung der Jugend- oder Sozialhilfe untergebracht werde, seien die Mehrkosten dieser Unterbringung bei der Berechnung des Lebensunterhaltsbedarfs für die Gewährung von BAB nicht zu berücksichtigen (BSGE 37, 64 = SozR Nr 1 zu AA § 11). In Übereinstimmung mit dieser Entscheidung wurde durch die 8. Änderungsanordnung zur Anordnung Ausbildung vom 11. Dezember 1974 in § 11 Abs 1 die Regelung aufgenommen, daß der Betrag für die Unterbringung im Haushalt eines Elternteiles auch dann zugrundezulegen ist, wenn der Auszubildende zwar nicht im Haushalt eines Elternteils untergebracht ist, er die Ausbildungsstätte jedoch von der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aus in angemessener Zeit erreichen könnte. Eine Beschränkung auf die Zeit bis zur Volljährigkeit fehlte zunächst. Hierzu hat auch das LSG Schleswig-Holstein entschieden, wenn der Auszubildende aus erzieherischen Gründen bei Pflegeeltern untergebracht werde, seien die Mehrkosten dieser Unterbringung nicht zu berücksichtigen (DBlR 1941a, AFG/§ 39). Dem sind der 12. Senat des BSG im Urteil vom 25. März 1976 (SozR 4440 § 11 Nr 1), der 7. Senat im Urteil vom 21. März 1978 - 7 RAr 84/76 - (AuB 1979, 154) und im Grundsatz der 11. Senat im Urteil vom 21. August 1986 zu einer Rehabilitationsmaßnahme (BSGE 60, 197 = SozR 4100 § 56 Nr 19) gefolgt.

Diese einhellige Rechtsprechung hat der Anordnungsgeber und später auch der Gesetzgeber aufgegriffen. Insoweit ist insbesondere auf die Entscheidung des 7. Senats vom 5. Dezember 1978 hinzuweisen, wonach die Regelung in § 11 Abs 1 Satz 2 AusbFöAnO in ihrer Anwendung auf minderjährige Auszubildende auch verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Immer dann, wenn noch ein Elternteil vorhanden sei, und dieser eine Wohnung am Ausbildungsort habe, sei es nicht völlig ausgeschlossen, daß der Auszubildende dort wohnen bleibe oder einziehen könne, oder daß die Eltern etwa auch mit Hilfe des Wohngeldes für eine größere Wohnung sorgen könnten. Die Anwendung dieser Vorschrift auf volljährige Auszubildende komme nicht in Betracht, da diese nach dem Gesetz auf eine Unterhaltsgewährung in Natur nicht verwiesen werden dürften (BSGE 47, 227 = SozR 4440 § 11 Nr 3). Der Anordnungsgeber hat in ersichtlicher Reaktion auf diese Entscheidung volljährige Auszubildende von der Anwendung des Abs 1 Satz 2 der streitigen Vorschrift ausgenommen. Damit hat er für minderjährige Auszubildende die Rechtsprechung, diese Vorschrift setze nicht voraus, daß der Auszubildende in der Wohnung der Eltern tatsächlich wohnen könne, billigend in seinen Willen aufgenommen.

Der Gesetzgeber hat mit dem Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl S 1497) in § 40 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) den Abs 1b eingefügt, nach dessen Satz 3 der Bedarf nach Nr 1 (bei einer Unterbringung im Haushalt der Eltern) auch dann gilt, wenn ein Teilnehmer im Sinne der Nr 2, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, zwar nicht im Haushalt der Eltern untergebracht ist, er die Ausbildungsstätte jedoch von der Wohnung der Eltern aus in angemessener Zeit erreichen könnte. Die Änderung dient nach der Regierungsbegründung (BT-Drucks 9/846 zu Art 1 § 1 Nr 7, zu Buchst b, zu Abs 1b) der Anpassung der BAB bei berufsvorbereitenden Maßnahmen an die Förderungssätze nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für Schüler, ist also unmittelbar nicht einschlägig. Es heißt in der Begründung jedoch, Satz 3 entspreche dem bisherigen Anordnungsrecht; Teilnehmern, die nicht verheiratet und noch nicht volljährig seien, werde danach der für eine Unterbringung außerhalb des Elternhauses höhere Bedarfssatz nur gewährt, wenn sie die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern aus in angemessener Zeit nicht erreichen könnten. Die Beschränkung dieser Regelung auf unter 18jährige, wie im geltenden Anordnungsrecht, sei arbeitsmarktpolitisch begründet. Sie berücksichtige ua, daß manche volljährige Teilnehmer an Grundausbildungslehrgängen für arbeitslose Jugendliche während einer vorangehenden Erwerbstätigkeit am Wohnort der Eltern bereits einen eigenen Haushalt gegründet haben. Auf dem Wege des Förderungsrechts zu verlangen, daß diese Teilnehmer während der häufig nur einige Monate dauernden Maßnahmen ihre eigene Wohnung aufgeben, würde die arbeitsmarktpolitisch notwendige Teilnahme an der Berufsvorbereitungsmaßnahme erschweren oder unmöglich machen. Damit hat die Anordnungsregelung die Zustimmung des Gesetzgebers gefunden, auch wenn dieser die Regelung nur für berufsvorbereitende Maßnahmen in das Gesetz übernommen hat.

Die fragliche Regelung ist jedoch bei Schaffung des 11. Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (11. BAföGÄndG) auf Kritik gestoßen. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, in § 12 Abs 2 Satz 2 hinter den Worten "nicht erreichbar ist" einzufügen: "; dabei ist auf die Wohnung eines Elternteils nicht abzustellen, der durch sein Verhalten eine so tiefgreifende dauerhafte Störung der Eltern-Kind-Beziehung herbeigeführt hat, daß eine Verweisung des Auszubildenden auf die Wohnung dieses Elternteils unzumutbar ist" (BT-Drucks 11/1315 S 14). Das wurde (aaO) wie folgt begründet:

Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 12 Abs 2 BAföG sind Schüler auf die Wohnung eines Elternteils selbst dann zu verweisen, wenn dieser Elternteil durch sein schuldhaftes Verhalten eine tiefgreifende persönliche Entfremdung zwischen ihm und dem Auszubildenden herbeigeführt hat und dadurch die Eltern-Kind-Beziehung nachhaltig gestört ist. Diese Auslegung hat beispielsweise zur Folge, daß der Auszubildende auf das Wohnen bei seinem nichtehelichen Vater verwiesen wird, der Trinker ist und in Untermiete ein kleines Zimmer bewohnt, oder zu seinem geschiedenen und inzwischen wieder verheirateten Vater ziehen soll, dessen Ehefrau gegen die Aufnahme des Kindes ist, oder bei seiner Mutter wohnen soll, die im Prostituiertenmilieu lebt, oder zu seinem Vater ziehen soll, der die Familie verlassen hat und mit einer Freundin zusammenlebt. Derartige Folgen werden für die betroffenen Auszubildenden allgemein als nicht annehmbar angesehen; sie stoßen in der Bevölkerung auf Unverständnis und rufen Unwillen hervor. Durch die Ergänzung soll geregelt werden, daß in solchen Fällen der Schüler auf die Wohnung des betreffenden Elternteils nicht verwiesen werden darf, wenn es für ihn unzumutbar ist.

Dem ist der Gesetzgeber indes nicht gefolgt, sondern er hat lediglich als Satz 3 angefügt: "Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß Satz 1 auch gilt in Fällen, in denen die Verweisung des Auszubildenden auf die Wohnung der Eltern aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar ist. Hätte der Gesetzgeber eine Änderung gewollt, so hätte er zumindest den Erlaß einer Rechtsverordnung vorgeschrieben und nicht nur eine Ermächtigung erteilt.

Die Änderung des § 40 Abs 1 AFG durch das 9. AFG-ÄndG, die - wie ausgeführt - nach ihrem zeitlichen Geltungswillen auf die hier streitige Maßnahme nicht unmittelbar anzuwenden ist, erlaubt keine andere Entscheidung. Sie ändert nichts daran, daß bei den hier anwendbaren Vorschriften keine durch Auslegung schließbare Gesetzeslücke, sondern eine bewußte Regelung vorlag. Mit dem 9. AFG-ÄndG hat der Gesetzgeber die Förderung der beruflichen Ausbildung auf die Fälle einer auswärtigen Unterbringung bei Nichterreichbarkeit der Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern beschränkt. Diese Leistungsverschlechterung gilt nach § 242i Abs 1 AFG nicht für Ausbildungsverhältnisse, wenn der Auszubildende vor dem 1. Januar 1989 die Ausbildung begonnen und vor dem 1. Januar 1989 erstmals Berufsausbildungsbeihilfe beantragt hat. Der Gesetzgeber hat die Regelung in § 11 AusbFöAnO nicht geändert. Er hat bei der betrieblichen Ausbildung die Berücksichtigung der Unzumutbarkeit einer Unterbringung bei den Eltern nur für die Anspruchsvoraussetzung dem Grunde nach vorgesehen. Der Sache nach mag eine entsprechende Änderung der Berechnungsweise naheliegen. Nach dem Gesetzgebungsverfahren bezweckte das Gesetz jedoch ausschließlich Einsparungen. Eine Leistungsverbesserung wurde nicht erwähnt. Auch die Übergangsvorschrift geht allein von einer Leistungsverschlechterung aus. Allerdings hat das 9. AFG-ÄndG durch Neufassung des § 40 Abs 1b für Teilnehmer an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen auch die Leistungshöhe entsprechend geändert. Das kann aber nur für Zeiten nach dem Inkrafttreten des 9. AFG-ÄndG am 1. Januar 1989 gelten. Dementsprechend kann offenbleiben, ob der Gesetzgeber damit eine entsprechende Änderung der Anordnung vorgeschrieben hat.

Der Auslegung der zum AFG getroffenen Regelung der Ausbildungsförderung unter Einbeziehung des § 12 BAföG steht der Grundsatz verfassungskonformer Gesetzesauslegung nicht entgegen. Die zu § 40 Abs 1 Satz 2 AFG idF des 9. AFG-ÄndG vom 20. Dezember 1988 erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken betreffen die Einschränkung, daß Auszubildende, die im Haushalt der Eltern untergebracht sind, unabhängig von der Höhe ihrer Ausbildungsvergütung bzw des Einkommens der Eltern keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe nach der Neuregelung haben (Vorlagebeschluß des SG Regensburg vom 6. Oktober 1989 - S 8 Al 55/89 -).

Gegen die in § 12 BAföG getroffene Regelung, allein auf die Erreichbarkeit abzustellen, auch wenn das Wohnen bei den Eltern unzumutbar ist, sind verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) erhoben worden (vgl Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 2. Aufl, 1988, § 12 RdNr 13). Das BVerwG hat die sich auf die Höhe der Bedarfssätze auswirkende Differenzierung vor allem unter dem Gesichtspunkt einer typisierenden Regelung als verfassungsmäßig angesehen, da die schwierige, erst nach umfangreichen und besonders zeitaufwendigen Ermittlungen beantwortbare Frage, ob ein Schüler zu seinen Eltern noch in einem Eltern-Kind-Verhältnis stehe, ihrer Natur nach auf atypische Ausnahmefälle beschränkt sei (BVerwGE 74, 260, 265). Es hat auch die Einschränkung, Leistungen nur noch für die Schüler vorzusehen, die ausschließlich aus Gründen ihrer Ausbildung außerhalb der elterlichen Wohnung leben müssen, als verfassungsmäßig bezeichnet (BVerwG Urteil vom 15. Dezember 1988 - 5 C 9.85 FamRZ 1989, 678 ff). Der vorliegende Fall nötigt nicht, hierauf näher einzugehen.

Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Rechtsentwicklung vermag die Argumentation des LSG nicht zu überzeugen, das BSG habe seine Auffassung mit dem das Ausbildungsförderungsrecht beherrschenden Verursachungsprinzip begründet; die Deckung des Lebensunterhalts nach § 11 AusbFöAnO erfolge jedoch gerade nicht nach dem Verursachungsprinzip. Denn auch der Jugendliche, der sich in keiner Ausbildung befinde, müsse seinen Lebensunterhalt decken. Diese Argumentation verkennt, daß hier die Frage zu beantworten ist, ob eine Erhöhung des normalen Ausbildungsbedarfs zu berücksichtigen ist, die dadurch eintritt, daß die Eltern des Auszubildenden oder der Auszubildende seine Unterbringung im Elternhaus nicht ermöglichen. Der normale Lebensbedarf ist mit der BAB nur insoweit abzudecken, als er von den Eltern unter Berücksichtigung ihres Einkommens nicht zu tragen ist. Das Außerachtlassen eines Mehrbedarfs, der nicht unabhängig vom Verhalten der Eltern und des Auszubildenden entsteht, entspricht der für die normalen Lebenshaltungskosten geltenden Regelung und steht zu ihr nicht im Widerspruch.

Desgleichen wäre es mit der getroffenen Regelung nicht zu vereinbaren, die Vorschrift des § 40 Abs 3 AFG hier entsprechend anzuwenden, wonach die Bundesanstalt die Ausbildung ohne Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen fördern kann, soweit der Antragsteller Unterhaltsleistungen, auf die er einen Anspruch hat, nicht erhält, wobei der Unterhaltsanspruch in Höhe der Forderung auf die BA übergeht. Denn damit würde die Entscheidung, daß die beklagte BA für die Behebung der im sozialen Bereich wurzelnden Schwierigkeiten nicht zuständig ist, unterlaufen. Die Beklagte hat es nicht ermessensfehlerhaft abgelehnt, auf den Unterhaltsanspruch der Klägerin eine Vorleistung nach § 40 Abs 3 AFG zu erbringen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß den Erziehungsschwierigkeiten im Elternhaus vom Jugendamt Rechnung getragen wurde. Wenn die Pflegeeltern der Klägerin auf das aus Jugendhilfemitteln gewährte Pflegegeld nach der Feststellung des LSG verzichtet haben, kann dies eine Leistungspflicht der BA nicht begründen.

Die vom LSG befürwortete Lückenfüllung führt dazu, daß der Mehrbedarf durch auswärtige Unterbringung auch dann, wenn die Eltern die Situation zu vertreten haben, auf die Allgemeinheit unter Freistellung des Unterhaltsverpflichteten übernommen wird, was nicht gerechtfertigt ist.

Damit war auf die Revision der Beklagten das klageabweisende Urteil des SG wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666275

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