Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 19.06.1958)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. Juni 1958 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I

Der Ehemann der Klägerin, Otto F. der als Verwaltungsoberinspektor bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Kreis Gandersheim beschäftigt war, ist am 17. Juli 1954 an den Folgen eines Verkehrsunfalls vom 12. Juli 1954 gestorben.

Das Landessozialgericht (LSG) hat hierzu folgende: tatsächliche Feststellungen getroffen:

Franke war mit dem Inhaber des Cafés L., dem Zeugen Heinrich L. in Bad Gandersheim, befreundet. Dieser hatte bereits in den Jahren vor 1954 auf den in Bad Grund stattfindenden Schützenfesten die Bewirtschaftung des Festzeltes übernommen. Dabei hatte F. ihm regelmäßig geholfen, indem er die Aufsicht geführt, mit den Kellnern und Lieferanten abgerechnet und sonstige Arbeiten, die sich aus der Führung des Zeltwirtschaftsbetriebes ergaben, erledigt hatte.

Auch für das im Jahre 1954 in der Zeit vom 10. bis 12. Juli 1954 stattfindende Schützenfest in Bad Grund hatte L. die Zeltwirtschaft übernommen. F. hatte ihm dabei am 10. und 11. Juli 1954 in der bisher geübten Weise geholfen und hatte sich für die Zeit vom 12. bis 14. Juli 1954 Urlaub genommen.

Am Unfalltage, dem 12. Juli 1954, hatte sich F. zusammen mit der Klägerin, die an diesem Tage bei der Bedienung der Gäste des Cafés L. in Bad Gundersheim geholfen hatte, zunächst im Café L. aufgehalten. Gegen 16.30 Uhr hatte L. der bereits in Bad Grund gewesen war, F. abgeholt. Beide wollten mit dem Wagen L. nach Bad Grund fahren, wo F. wiederum bei der Bewirtschaftung des Festzeltes helfen sollte. Die direkte Straße nach Bad Grund führt an der Wohnung F. vor bei. Da kühles und regnerisches Wetter herrschte, hatte die Klägerin ihrem Mann geraten, eine Weste mitzunehmen. L. hatte dann auf Bitten Frankes in Höhe seiner Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite gehalten. F. war ausgestiegen. Beim Überqueren der Straße war er von einem Motorradfahrer, angefahren und so schwer verletzt worden, daß er am 17. Juli 1954 an den Folgen der erlittenen Verletzungen verstorben ist.

Die Beklagte lehnte den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenentschädigung durch Bescheid vom 19. November 1954 mit folgender Begründung ab: Der Ehemann der Klägerin sei beim Verrichten einer „eigenwirtschaftlichen” Tätigkeit verunglückt, da er seine Wohnung aus persönlichen Gründen habe aufsuchen wollen. Im übrigen sei die Tätigkeit für das bei der Beklagten versicherte Unternehmen eine aus Freundschaftsgründen verrichtete gelegentliche Gefälligkeitsleistung gewesen, die nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit habe nicht bestanden.

Auf die Klage der Klägerin hat das Sozialgericht (SG) Braunschweig durch Urteil vom 13. November 1956 die Beklagte verurteilt, die Klägerin aus Anlaß des tödlichen Unfalls ihres Ehemannes zu entschädigen.

Dieses Urteil hat das LSG Niedersachsen auf die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 19. Juni 1958 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 19. November 1954 abgewiesen.

Die Revision ist vom LSG zugelassen worden.

Das LSG hat in Übereinstimmung mit dem SG die Fahrt des Ehemannes der Klägerin vom Café L. um Festzelt in Bad Grund grundsätzlich als versichert angesehen (§ 537 Nr. 10 der ReichsversicherungsordnungRVO –). Das Bestehen von Entschädigungsansprüchen hat es jedoch mit folgender Begründung verneint: Der Verunglückte habe den Weg mit dem Verlassen des Kraftwagens kurzfristig aus persönlichen, nicht betriebsbedingten Gründen unterbrochen. Diese Unterbrechung sei auch so erheblich gewesen, daß der Verunglückte während der Unterbrechung nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe.

Die Klägerin hat gegen das Urteil des LSG, das ihr am 11. August 1958 zugestellt worden ist, am 19. August 1958 Revision eingelegt und sie am 19. September 1958 begründet.

Sie beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Braunschweig als unbegründet zurückzuweisen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des Urteils des LSG die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des SozialgerichtsgesetzesSGG –) und somit zulässig. Sie hatte auch Erfolg

SG und LSG sind zutreffend davon ausgegangen, daß die Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin für das Unternehmen des Konditorei- und Cafehausbesitzers Heinrich L. nach § 537 Nr. 10 RVO unter Versicherungsschutz stand. Nach den Pest Stellungen des LSG handelte sich hierbei um eine ernsthafte, dem Unternehmen dienende und dem Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit. Daß die Freundschaft zwischen dem Ehemann der Klägerin und dem Unternehmer L. möglicherweise der entscheidende Beweggrund für die Übernahme der Tätigkeit gewesen ist und daß der Ehemann der Klägerin von L. wirtschaftlich nicht abhängig gewesen sein dürfte, ist rechtlich ohne Bedeutung. Im einzelnen wird hierzu auf das vom LSG angeführte Urteil des erkennenden Senats vom 28. Mai 1957 (BSG 5, 168) verwiesen.

Auch auf dem Weg vom Café L. nach Bad Grund stand der Ehemann der Klägerin, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, unter Versicherungsschutz. Das Zurücklegen dieses Weges ist unmittelbar der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (§ 542 RVO).

Diese Fahrt nach Bad Grund hatte der Ehemann der Klägerin jedoch im Zeitpunkt des Unfalls unterbrochen. Er hatte den zu diesem Zweck zum Halten gebrachten Kraftwagen verlassen und überquerte die Fahrbahn der Straße, um sein auf der anderen Straßenseite liegendes Wohnhaus aufzusuchen. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, war dieser Weg zur Wohnung keine so geringfügige Unterbrechung des Weges nach Bad Grund, daß er rechtlich noch als Teil dieses Weges angesehen werden könnte (vgl. z.B. SozR RVO § 543 Bl. Aa 2 Nr. 5, Bl. Aa 21 Nr. 28).

Das LSG hat deshalb mit Recht geprüft, ob das Zurücklegen des Weges zur Wohnung – für sich betrachtet – mit der beabsichtigten Tätigkeit in Bad Grund in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang stand.

Der Umstand, daß der Ehemann der Klägerin die Weste, die er aus der Wohnung holen wollte, für die Tätigkeit in Bad Grund benötigte, ergibt für sich allein noch keine rechtlich so wesentliche ursächliche Beziehung zur versicherten Tätigkeit, daß der Weg zur Wohnung schon aus diesem Grunde der versicherten Tätigkeit zugerechnet werden könnte (vgl. z. B. BSG 7, 255; Breithaupt 1957 S. 902). Die an sich zutreffend auf diese Erwägung gestützte Entscheidung des LSG beruht jedoch insoweit auf unzureichenden tatsächlichen Feststellungen.

Das LSG hat lediglich festgestellt, daß eine kühle und feuchte Witterung geherrscht habe, es hat jedoch, wie die Revision zutreffend rügt, keine Feststellungen über die zeitliche Entwicklung des Wetters getroffen. Nach der in den Akten befindlichen Abschrift des Polizeiberichts regnete es im Unfallzeitpunkt so stark, daß keine Brems- oder Rutschspuren festzustellen waren. Andererseits hatte der Ehemann der Klägerin aber im Café L. darauf gewartet, zur Fahrt nach Bad Grund abgeholt zu werden. Unter diesen Umständen lag die Erwägung nahe, daß der Ehemann der Klägerin sich schon längere Zeit vor der Abfahrt vereinbarungsgemäß im Café L. eingefunden hatte und daß möglicherweise in der Zwischenzeit zwischen dem Verlassen der Wohnung und der Abfahrt eine – für ihn unerwartete – Witterungsänderung eingetreten war.

Die Revision trägt hierzu vor: Der Ehemann der Klägerin, habe sich bereits um die Mittagszeit im Café L. eingefunden. Er habe während der vorangegangenen Tage in der Zeltgaststätte zum Teil auch die Nächte hindurch gearbeitet. Während dieser Zeit sei das Wetter zwar nicht ganz beständig, jedoch im ganzen gesehen dem Monat Juli angemessen gewesen, so daß er seine Tätigkeit in normaler Straßenkleidung habe ausüben können. Erst kurz vor der Abfahrt nach Bad Grund habe sich die Witterung plötzlich verschlechtert, die Temperatur sei gesunken und es habe ein starker Regen eingesetzt, dessen Abklingen nicht abzusehen sei. Da der Ehemann der Klägerin bei der Krankenkasse lediglich im inneren Dienst gearbeitet habe, hätte er mindestens eine starke Erkältung, wenn nicht sogar eine Lungenentzündung riskiert, wenn er trotzdem nur mit seinem Straßenanzug bekleidet zum Abend- und Nachtdienst nach Bad Grund gefahren wäre.

Sollte eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ergeben, daß der Ehemann der Klägerin durch eine plötzliche Witterungsänderung genötigt war, seine – nach den Erfahrungen des Vortages an sich ausreichende – Kleidung durch eine warme Weste zu ergänzen, um eine gesundheitliche Gefährdung durch die Tätigkeit in Bad Grund zu vermeiden, so würde nach der Auffassung des erkennenden Senats dieser besondere Umstand die ursächliche Verknüpfung zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Beschaffen der Weste so weitgehend verstärken, daß sie auch rechtlich neben den ursächlichen Beziehungen zum unversicherten persönlichen Lebensbereich nicht mehr als unwesentlich angesehen werden könnte. Der erkennende Senat würde es beim Vorliegen derartig besonderer Verhältnisse vielmehr für gerechtfertigt halten, den Weg zum Besorgen der Weste als Teil der versicherten Tätigkeit anzuerkennen.

Da somit die tatsächlichen Feststellungen für eine Entscheidung des Senats in der Sache selbst nicht ausreichen, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (vgl. § 170 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Unterschriften

Brackmann, Schmitt, Demiani

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926320

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