Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Pflegeversicherung. häusliche Pflege. Entlastungsbetrag. Angebote zur Unterstützung im Alltag. Informationspflicht der Pflegekassen. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Pflegekassen müssen im Rahmen der Angaben zu ihren Leistungen bei Pflegebedürftigkeit auch über die nach Landesrecht im jeweiligen Bundesland anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag und deren Voraussetzungen informieren.
2. Informiert ein Krankenversicherungsunternehmen unzureichend über die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines nach Landesrecht anerkannten Angebots zur Unterstützung im Alltag, kann ein Versicherter entsprechend der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen sein, wie er ohne den Beratungsfehler stünde.
Normenkette
SGB XI §§ 45b, 45a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 23 Abs. 1 S. 2, §§ 7a, 7 Abs. 2; MB/PPV § 4 Abs. 16; UntAngV HE § 5 Abs. 3; UntAngV HE § 9; SGB I §§ 13-14
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12. November 2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Im Streit steht die Zahlung eines Entlastungsbetrags für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen entsprechend § 45b SGB XI.
Der privat pflegeversicherte Kläger ist seit März 2017 pflegebedürftig nach dem Pflegegrad 1. Mit Schreiben vom 6.12.2017 teilte der Beklagte dem Kläger auf Anfrage wegen "einer privaten Pflegeperson für Betreuungsleistungen" mit, obwohl ihm keine landesrechtliche Regelung für die Anerkennung "einer privaten Pflegeperson hinsichtlich Betreuungsleistungen vorliegt", er werde "entgegenkommend eine private Pflegeperson anerkennen, sofern diese einen Kurs für pflegende Angehörige absolviert hat". Erbringe die private Pflegeperson Entlastungsleistungen, sei dafür eine Anerkennung als Nachbarschaftshelfer nicht möglich, es sei denn, die landesrechtliche Verordnung regele etwas anderes. Gleichzeitig bot er eine Schulung für die Pflegeperson an, welche mit der Haushaltshilfe des Klägers durchgeführt worden ist. Die Erstattung von deren Kosten lehnte er hingegen ab, weil es sich in Ermangelung landesrechtlicher Regelungen nicht um anerkannte Angebote handele.
Das SG hat die Klage abgewiesen und das LSG die Berufung zurückgewiesen (Gerichtsbescheid vom 14.2.2020; Urteil vom 12.11.2021). Den erbrachten Leistungen fehle die notwendige Anerkennung nach Landesrecht. Zudem seien sie auch nicht anerkennungsfähig, weil die Haushaltshilfe nicht über die notwendige Qualifikation verfüge. Eine Zusicherung habe der Beklagte nicht erteilt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Verfahrensrecht und materiellem Recht. Entgegen der Auffassung des LSG habe der Beklagte seine Beratungspflicht verletzt, weshalb er Leistungen nicht habe in Anspruch nehmen können.
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Der Kläger beantragt, |
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das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12. November 2021 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen. |
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Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt, |
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die Revision zurückzuweisen. |
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung der Berufungsentscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob der Kläger vom Beklagten ungeachtet der fehlenden landesrechtlichen Anerkennung des zugrunde liegenden Angebots einen Entlastungsbetrag für haushaltsnahe Dienstleistungen beanspruchen kann, vermag der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht abschließend zu beurteilen.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Entscheidungen und die Ablehnung des Beklagten, den vom Kläger begehrten Entlastungsbetrag für haushaltsnahe Dienstleistungen zu zahlen. Hiergegen wendet sich der Kläger zutreffend mit der reinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG ), weil der Beklagte in Bezug auf die privatversicherungsrechtlichen Ansprüche der leistungsberechtigten Versicherungsnehmer keine Verwaltungsakte erlässt.
2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs sind der Versicherungsvertrag zwischen den Beteiligten iVm den zugrunde liegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung (§ 4 Abs 16 MB/PPV 2017) und Nr 11 der Tarifbedingungen des Beklagten (Tarif PV) sowie den gesetzlichen Bestimmungen des SGB XI (§ 1 Abs 12 MB/PPV 2017). Bezug genommen ist damit auf die Regelungen des SGB XI zum Entlastungsbetrag, weil die Vertragsleistungen in der privaten Pflegeversicherung nach Art und Umfang den Leistungen des Vierten Kapitels des SGB XI gleichwertig sein müssen (§ 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI). Hiernach haben Pflegebedürftige in häuslicher Pflege Anspruch auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von bis zu 125 Euro ua für Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag iS des § 45a SGB XI (§ 4 Abs 16 MB/PPV 2017, § 45b Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB XI idF des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes - PSG II vom 21.12.2015, BGBl I 2424). Neben weiteren Unterstützungsangeboten kann der Entlastungsbetrag danach ua zweckgebunden eingesetzt werden für "Angebote zur Entlastung im Alltag", die dazu dienen, "die Pflegebedürftigen bei der Bewältigung von allgemeinen oder pflegebedingten Anforderungen des Alltags oder im Haushalt, insbesondere bei der Haushaltsführung, oder bei der eigenverantwortlichen Organisation individuell benötigter Hilfeleistungen zu unterstützen" (§ 4 Abs 16 MB/PPV 2017, § 45a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB XI idF des PSG II). Das Nähere dazu hat das Land Hessen gestützt auf die Verordnungsermächtigung nach § 45a Abs 3 SGB XI (erstmals) umgesetzt durch die Pflegeunterstützungsverordnung (PfluV vom 25.4.2018 mWv 9.5.2018, GVBl 2018, 75).
Gemessen an deren Voraussetzungen (dazu 3.) hat der Kläger zwar nicht prüfen lassen, ob seiner Haushaltshilfe ggf mit einer noch nachzuholenden Basisqualifikation eine Anerkennung für Leistungen zur Unterstützung im Alltag zu erteilen gewesen sein könnte. Jedoch hat der Beklagte den Kläger nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG über diese Anforderungen ungenügend informiert (dazu 4.), weshalb der Kläger - ungeachtet möglicher vom Beklagten unterhaltener Fehlvorstellungen infolge der Schulung der Haushaltshilfe - nach den auch für die private Pflegeversicherung geltenden Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (dazu 5.) so zu stellen sein könnte, wie er - sollte das Angebot der Haushaltshilfe ausnahmsweise auch ohne vollständige Fachkraftqualifikation anzuerkennen gewesen sein - bei der gebotenen Information durch den Beklagten gestanden hätte (dazu 6.).
3. Nach den hier maßgebenden landesrechtlichen Vorgaben bedürfen Anbieter ua von Angeboten zur Entlastung im Alltag nach § 45a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB XI - darunter auch "qualifizierte Einzelpersonen, die ihre Leistungen im Rahmen eines unmittelbaren Beschäftigungsverhältnisses bei der leistungsempfangenden Person im häuslichen Bereich anbieten" (§ 4 Abs 1 Nr 4 PfluV) - einer Anerkennung durch die zuständige Behörde nach Maßgabe eines Anerkennungsverfahrens, das durch einen entsprechenden Antrag einzuleiten ist (§ 9 Abs 1 Satz 1 PfluV). Erbracht werden können Leistungen im Rahmen eines Angebots zur Unterstützung im Alltag durch Fachkräfte oder durch Personen mit einer Basisqualifikation, die mindestens den Anforderungen nach § 5 Abs 3 PfluV entspricht (§ 5 Abs 1 Satz 1 PfluV). Vorausgesetzt für die Basisqualifikation war im streitbefangenen Zeitraum eine Schulung von zunächst mindestens 40 Stunden nach Maßgabe eines Katalogs von "insbesondere" zwölf im Einzelnen benannten Unterrichtsfeldern (§ 5 Abs 3 PfluV mit Anlage; seit dem 1.10.2021 mindestens 30 Stunden).
4. Pflegekassen müssen im Rahmen der Angaben zu ihren Leistungen bei Pflegebedürftigkeit auch über die nach Landesrecht im jeweiligen Bundesland anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag und deren Voraussetzungen informieren.
a) In der Ausprägung der allgemeinen Vorgaben zu Aufklärung und Beratung über ihre sozialen Rechte nach den §§ 13 und 14 SGB I durch das SGB XI (vgl BSG vom 30.10.2001 - B 3 KR 27/01 R - BSGE 89, 50 = SozR 3-3300 § 12 Nr 1, juris RdNr 27) haben Pflegeversicherte Anspruch auf umfassende Information durch ihre Pflegekassen zum einen über die bei Pflegebedürftigkeit beanspruchbaren Leistungen nach dem SGB XI und die Hilfen anderer Träger (vgl § 7 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 idF des PSG II - Ersetzung der Pflicht zur Beratung durch Pflicht zur Information wegen Überführung der Regelungen zur Pflegeberatung in die Vorschrift des § 7a SGB XI; BT-Drucks 18/5926 S 83) und zum anderen über ihren Anspruch auf individuelle Pflegeberatung und Hilfestellung zur Realisierung der ihnen im Einzelfall zustehenden Leistungsansprüche durch dazu berufene Pflegeberaterinnen oder Pflegeberater nach näherer Maßgabe der §§ 7a bis 7c SGB XI. Darauf gerichtet sollen die Pflegekassen vor der erstmaligen Pflegeberatung schnell und unbürokratisch ("unverzüglich") die dafür im Einzelfall jeweils in Betracht kommenden Personen oder Stellen benennen (vgl § 7a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB XI in der seit dem 1.1.2016 unverändert geltenden Fassung des PSG II; BT-Drucks 18/5926 S 84). Bezogen auf den hier streitbefangenen Anspruch hat die zuständige Pflegekasse schließlich auf Anforderung "für den Einzugsbereich der antragstellenden Person" unverzüglich und in geeigneter Form eine Übersicht auch über die Angebote zur Unterstützung im Alltag sowie Angaben zur Person des zugelassenen oder anerkannten Leistungserbringers zu übermitteln (vgl § 7 Abs 3 Satz 1 SGB XI in der seit dem 1.1.2016 unverändert geltenden Fassung des PSG II), was bedingt, dass die Versicherten auch über dieses Angebot im Rahmen der Erstinformation nach § 7 Abs 2 Satz 1 SGB XI von den Pflegekassen zu informieren sind.
b) Diesen Informationsbedarf erfüllen Pflegekassen in Bezug auf die nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag iS von § 45a SGB XI nur, wenn grundsätzlich schon ihre Auskünfte in für Versicherte und Angehörige sowie Lebenspartner "verständlicher Weise" (§ 7 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB XI) erkennen lassen, welche Angebote nach dem jeweiligen Landesrecht unter welchen Voraussetzungen in Anspruch genommen werden können. Von der ihnen übertragenen Kompetenz zur Ausgestaltung der Qualitätssicherung des bundesrechtlich materiell abschließend begründeten Anspruchs niedrigschwelliger Angebote zur Unterstützung Pflegeversicherter und Angehöriger im Alltag (zur Regelungskompetenz der Länder insoweit näher BSG vom 30.8.2023 - B 3 P 6/23 R - RdNr 10 ff [unter 3.], vorgesehen für BSGE und SozR 4) haben die Länder in sehr unterschiedlicher und für Laien schwer überschaubarer Weise Gebrauch gemacht. Nicht zuletzt hat der Bundesrat in diesem Zusammenhang empfohlen, das Anerkennungs- und Registrierungsverfahren für nicht professionelle Angebote zu flexibilisieren, um Hürden für Freiwillige abzubauen (vgl BR-Drucks 165/1/23 S 14 f). Auch bestehen Hinweise darauf, dass Angebote nur zur Entlastung im Alltag - ohne weitere Pflegeleistungen - zum Teil kaum verfügbar sind (vgl Verbraucherzentrale Berlin eV, Marktcheck Angebote der ambulanten Pflegedienste im Rahmen des Entlastungsbetrages, Februar 2018, S 22) und dass sich Angebotsstrukturen selbst innerhalb eines Bundeslands sehr unterschiedlich und heterogen darstellen (vgl Kuratorium Deutsche Altenhilfe GmbH/Prognos AG, Endbericht Standortanalyse und Konzeption von Beratungs- und Unterstützungsangeboten für pflegende Angehörige, März 2018, S 103 ff).
Umso mehr sind Pflegebedürftige - nicht selten hochbetagt - sowie Angehörige und Lebenspartner gemessen an den allgemeinen Vorgaben der §§ 13 und 14 SGB I und der konkretisierenden Maßgaben des SGB XI zur Wahrnehmung der Ansprüche nach den §§ 45a und 45b SGB XI auf hinreichende Informationen angewiesen, die ihnen den Zugang zu auch diesen Leistungen in einer für sie umsetzbaren und den Anforderungen des Art 3 Abs 1 GG genügenden Weise tatsächlich ermöglichen. Die Weiterentwicklung der Entlastungsleistungen auf Pflegebedürftige in häuslicher Pflege jeglichen Pflegegrads und jeglicher Ursache von Pflegebedürftigkeit mit einem breiteren Unterstützungsangebot bis hin zu Alltagsbegleitern, Pflegebegleitern und Serviceangeboten für haushaltsnahe Dienstleistungen nach Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs (vgl zur Normentwicklung BSG vom 30.8.2023 - B 3 P 6/23 R - RdNr 11 f [unter 3. a], vorgesehen für BSGE und SozR 4) soll nach der zugrunde liegenden Konzeption Pflegebedürftige wie Angehörige durch niedrigschwellige Angebote zur Bewältigung des Alltags entlasten, leicht zugänglich sein und frühzeitige Hilfen ermöglichen und die professionelle Pflege ergänzen (vgl BT-Drucks 18/1798 S 34 f). Insoweit verstehen sie sich als ein wichtiges Element neben den (reinen) Pflege(sach)leistungen (vgl BT-Drucks 18/1798 S 34: Leistungen, die über das bisherige Leistungsspektrum hinausgehen), das Pflegebedürftigen möglichst lange den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit ermöglichen soll.
Im Lichte dieser Zielsetzung haben sich die von ihnen zu erteilenden Informationen ua über "die Leistungen der Pflegekassen" (vgl § 7 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB XI) ebenfalls auf die jeweils landesrechtlich maßgebenden Vorgaben für die Leistungen nach §§ 45a und 45b SGB XI zu erstrecken. Als im SGB XI verankerte und mit Mitteln der Pflegekassen finanzierte Angebote sind sie Leistungen "der Pflegekassen" auch, soweit die Länder das Nähere zu deren Anerkennung zu regeln haben. Unbeschadet etwaiger Informationsangebote der Länder müssen die Versicherten und ihre Angehörigen und Lebenspartner deshalb "in für sie verständlicher Weise" (vgl § 7 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB XI) unter Beachtung des jeweils maßgebenden Landesrechts von den Pflegekassen selbst Auskunft darüber erhalten, welche Angebote zur Unterstützung im Alltag sie in ihrem Bundesland unter welchen Voraussetzungen in Anspruch nehmen und demgemäß einen Entlastungsbetrag nach oder entsprechend § 45b Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB XI beanspruchen können; andernfalls gingen die zum Teil erheblichen Unterschiede der landesrechtlichen Gestaltung in nicht vertretbarer Weise zu Lasten von Pflegebedürftigen und Angehörigen, die mit diesen Leistungen nach der gesetzlichen Konzeption in leicht zugänglicher Weise unterstützt werden sollen.
c) Das gilt für die private Pflegeversicherung nicht anders. Schon nach dem Gleichwertigkeitsgebot des § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI darf die Unterstützung privat Pflegeversicherter bei der Realisierung der ihnen zustehenden Leistungen und Hilfen nicht hinter den entsprechenden Informations-, Beratungs- und Unterstützungsansprüchen im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung zurückbleiben (vgl für die Gleichbehandlung des Leistungsangebots bereits BT-Drucks 14/6949 S 13); für die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI und die Verpflichtung zur Unterbreitung von Beratungsangeboten nach § 7b SGB XI ist das seit Längerem auch ausdrücklich angeordnet (§ 28 Abs 1a SGB XI idF des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes vom 28.5.2008, BGBl I 874; vgl BT-Drucks 16/7439 S 53 sowie § 7b Abs 4 SGB XI idF des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes - PNG vom 23.10.2012, BGBl I 2246). Soweit privat Pflegeversicherte nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung Anspruch haben auf individuelle Beratung und Hilfestellung bei der Auswahl und Inanspruchnahme von Versicherungs- und Sozialleistungen sowie sonstigen Hilfsangeboten, die auf die Unterstützung von Menschen mit Pflege-, Versorgungs- oder Betreuungsbedarf ausgerichtet sind (§ 4 Abs 18 Satz 1 MB/PPV 2017), ist dies deshalb nach Gegenstand und Ziel nicht anders zu verstehen, als es für die soziale Pflegeversicherung gilt; konkretisierend sind deshalb bei der Auslegung insoweit die Vorgaben der §§ 7 bis 7b SGB XI entsprechend heranzuziehen.
5. Informiert ein Krankenversicherungsunternehmen unzureichend über die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines nach Landesrecht anerkannten Angebots zur Unterstützung im Alltag, kann ein Versicherter entsprechend der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen sein, wie er ohne den Beratungsfehler stünde.
a) Der allgemein anerkannte sozialrechtliche Herstellungsanspruch stellt aufgrund seiner richterrechtlichen Herleitung wesentlich auf die Verletzung gesetzlicher Nebenpflichten im Sozialrechtsverhältnis ab. Er kommt zur Anwendung, wenn eine Rechtsgrundlage zur Beseitigung von Fehlerfolgen einer etwaigen Beratungspflichtverletzung fehlt und hat zur Voraussetzung, dass eine Pflicht des Sozialleistungsträgers bzw Versicherers, insbesondere zur Beratung und Auskunft des Versicherten, verletzt worden ist, wodurch beim Betroffenen kausal ein Nachteil eingetreten ist und der Zustand, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde, durch eine zulässige Handlung des Verpflichteten herstellbar ist (vgl letztens nur BSG vom 17.6.2021 - B 3 P 5/19 R - BSGE 132, 216 = SozR 4-3300 § 7 Nr 1, RdNr 12 mwN).
b) Diese Grundsätze beanspruchen entsprechende Geltung auch für die private Pflegeversicherung. Nehmen Versicherte Leistungen einer privaten Pflegepflichtversicherung iS von § 23 iVm § 110 SGB XI und damit mittelbar Leistungen auf der Basis des Vierten Kapitels des SGB XI in Anspruch, sind sie nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI von den Folgen eines dem Krankenversicherungsunternehmen zuzurechnenden Verstoßes gegen Beratungs- und Auskunftspflichten in gleicher Weise freizustellen, wie dies nach dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch für Versicherte der sozialen Pflegeversicherung gilt; insoweit müssen auch bei Beratungsfehlern in der privaten Pflegepflichtversicherung die gleichen Leistungsvoraussetzungen Anwendung finden, die in der sozialen Pflegeversicherung gelten (vgl zu diesem Ziel der Gleichwertigkeit der Leistungen in beiden Systemen BT-Drucks 12/5952 S 38). Insoweit verdrängen die Regelungen des SGB XI und die für sie maßgeblichen Vorgaben zur Korrektur von dem Versicherungsträger zuzurechnenden Beratungsfehlern die ansonsten für private Versicherungsverhältnisse allgemein geltenden Vorschriften ähnlich wie der Senat dies bereits zur Ermittlung des Pflegebedarfs entschieden hat (vgl BSG vom 22.4.2015 - B 3 P 8/13 R - BSGE 118, 239 = SozR 4-3300 § 23 Nr 7, RdNr 14; zum engen systematischen Zusammenhang zwischen der sozialen und der privaten Pflegeversicherung vgl letztens auch BGH vom 15.7.2021 - III ZR 225/20 - NJW 2021, 3597 RdNr 18 ff). Ungeachtet dessen kann sich das Berufen des Versicherers auf eine Fristsäumnis im Übrigen auch nach zivilrechtlichen Grundsätzen als rechtsmissbräuchlich erweisen, hat er gegen aus Treu und Glauben sich ergebende Nebenpflichten zur Beratung verstoßen (vgl BGH vom 30.11.2005 - IV ZR 154/04 - BGHZ 165, 167 RdNr 8 f).
6. Ob und ggf inwiefern der Kläger Anspruch auf den geltend gemachten Entlastungsbetrag hat, bedarf hiernach weiterer Feststellungen zu der Qualifikation der Haushaltshilfe, für deren Leistungen er den Entlastungsbetrag beansprucht.
a) Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG steht insoweit zunächst fest, dass die Auskünfte des Beklagten zu den streitbefangenen Hilfen im Haushalt den dargelegten Anforderungen nicht genügten. Zweifelhaft ist schon, ob der Beklagte den Kläger in der gebotenen Weise auf die ihm im Zusammenhang damit zustehenden Beratungsangebote (§ 4 Abs 18 Satz 6 MB/PPV 2017, § 7b Abs 1 Satz 1 bis 4 sowie 5 SGB XI) und die Möglichkeit hingewiesen hat, Übersichten über entsprechende Angebote in seinem Einzugsbereich bei ihm anzufordern (§ 4 Abs 18 Satz 1 MB/PPV 2017 iVm § 7 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB XI). Jedenfalls nach Art und Inhalt verfehlt war indes die dem Kläger im Dezember 2017 erteilte Auskunft des Beklagten, ein Anspruch auf einen Entlastungsbetrag bei Hilfen zur Haushaltsführung bestehe nicht, "es sei denn, die landesrechtliche Verordnung regelt etwas anderes" (Schreiben vom 6.12.2017). Abgesehen davon, dass die Ermittlung des maßgeblichen Landesrechts Sache der Pflegekassen bzw Krankenversicherungsunternehmen und nicht der Versicherten ist, war eine der neuen Rechtslage angepasste Rechtsverordnung für die Inanspruchnahme von Entlastungsbeträgen nach § 4 Abs 16 Satz 1 MB/PPV 2017 iVm Tarif PV Nr 11 Satz 1 lit d) sowie § 45a SGB XI in Hessen zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten und deshalb eine Auskunft zum maßgeblichen Landesrecht noch nicht möglich; das änderte sich erst am 9.5.2018 mit Inkrafttreten der PfluV.
Spätestens auf die vom Beklagten im März und April 2018 beantwortete (Schreiben vom 19.3.2018 und 18.4.2018) Vorlage von Belegen über Zahlungen an seine Haushaltshilfe und den damit jedenfalls zu diesem Zeitpunkt (möglicherweise nochmals) offenbar gewordenen diesbezüglichen Beratungsbedarf des Klägers hätte der Beklagte daher zunächst auf die noch offene landesrechtliche Grundlage hinweisen und den Kläger nach Inkrafttreten der PfluV darüber informieren müssen, dass der geltend gemachte Entlastungsbetrag für Unterstützungsleistungen der Haushaltshilfe ungeachtet der Anforderungen im Weiteren jedenfalls einen Antrag auf Anerkennung ihres Angebots nach § 9 PfluV erfordern würde. Aus der Zurückweisung dieser Anträge auf einen Entlastungsbetrag ergab sich jeweils erneut eine Beratungsverantwortung des Beklagten. Dass der Beklagte dem Kläger einen solchen Hinweis nachträglich noch erteilt hätte, ist nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG und dem Vorbringen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren auszuschließen.
b) Maßgeblich für den geltend gemachten Anspruch ist deshalb, inwiefern die Haushaltshilfe des Klägers nach den Maßgaben der PfluV unter Berücksichtigung der vom Senat aufgestellten Maßstäbe zur Regelungskompetenz der Länder (vgl BSG vom 30.8.2023 - B 3 P 6/23 R - RdNr 14 f [unter 3. c], vorgesehen für BSGE und SozR 4) ausnahmsweise ("im Einzelfall") als zur Erbringung von Leistungen im Rahmen eines Angebots zur Unterstützung im Alltag auch ohne (explizite) Fachkraftqualifikation geeignete Person anzusehen war (vgl § 5 Abs 2 Satz 2 PfluV) und deshalb die fehlende Anerkennung für den streitbefangenen Zeitraum dem Kläger ganz oder teilweise nicht entgegengehalten werden kann. Erweist sich dabei, dass weiterer Schulungsbedarf im Sinne der Basisqualifikation (vgl § 5 Abs 3 PfluV) bestanden hat, wird das LSG weiter zu prüfen haben, ob der Kläger nicht zuletzt im Hinblick auf die vom Beklagten bereits veranlasste Schulung der Hilfe und dadurch uU hervorgerufene Fehlvorstellungen des Klägers sowie mit Rücksicht auf die Unsicherheiten nach Einführung des neuen Leistungsangebots auch insoweit so zu stellen ist, als sei sie fristgerecht durchgeführt worden.
Anlass zur Prüfung kann im Berufungsverfahren auch bestehen, ob der Kläger Anspruch auf die begehrten Leistungen unter den vereinfachten Bedingungen während der Corona-Pandemie hatte.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben. |
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Schütze |
Flint |
Knorr |
Fundstellen
NZS 2024, 274 |
SGb 2023, 688 |
ZfSH/SGB 2024, 254 |