Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 11.05.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1990 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist, in welchem Umfang der Klägerin Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anzurechnen sind.
Die im Jahr 1939 in Bergtal/Kirgisien geborene Klägerin siedelte 1982 in die Bundesrepublik Deutschland über; sie besitzt den Vertriebenenausweis A und wurde im Jahr 1983 eingebürgert.
In ihrem Heimatort in Kirgisien hat die Klägerin entsprechend einer Bestätigung der Kolchosleitung vom 10. September 1981 von Januar 1957 bis Dezember 1960 im Kolchos-Syntasch als Feldarbeiterin gearbeitet. In ihrem seit 1961 geführten Arbeitsbuch, in dem sie als Kolchosmitglied bezeichnet wird, werden der Klägerin für die Jahre 1961 und 1962 eine Tätigkeit als Rübenzüchterin und für die Jahre 1963 bis 1981 (ausgenommen das Jahr 1974) eine Tätigkeit als Kindergärtnerin im Kolchos-Syntasch bescheinigt. Nach Zeugenaussagen war die Klägerin seit 1961 bis 28. Februar 1982 als Kindergärtnerin beschäftigt. Die Tätigkeit als Erzieherin wurde von der Klägerin jeweils von März bis Oktober ausgeübt. In den Wintermonaten war der Kindergarten geschlossen.
Auf Antrag der Klägerin setzte die Beklagte mit Bescheid vom 31. Januar 1986 die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1960 als glaubhaft gemachte Beschäftigungszeit nach § 16 FRG mit einer Kürzung auf 5/6 fest. Für den Zeitraum ab 1. März 1961 vermerkte die Beklagte jeweils die Monate vom 1. März bis 31. Oktober eines jeden Jahres als Beitrags- und Beschäftigungszeit mit einer jeweiligen Kürzung auf 5/6. Außerdem wurden Ausfallzeiten gemäß § 1259 Abs 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und Kindererziehungszeiten nach § 28b FRG anerkannt.
Widerspruch und Klage, mit denen die Klägerin die Anerkennung der Beschäftigungszeiten jeweils während des gesamten Jahres und deren ungekürzte Anrechnung wegen ihrer mehr als zehnjährigen ununterbrochenen Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber begehrte, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. September 1986; Urteil des Sozialgerichts Detmold ≪SG≫ vom 28. Oktober 1988).
Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) im Hinblick auf die Bestimmungen des § 20 Abs 1 Satz 2 FRG die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) beigeladen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG schlossen die Beteiligten folgenden Teilvergleich:
- Die Beteiligten sind sich darüber einig, daß für die Feststellung der Versicherungszeit ab 1. März 1961 die Beigeladene zuständig ist.
- Der Vertreter der Beklagten erklärt: Die Beklagte hebt hiermit den Bescheid vom 31. Januar 1986 auf, soweit er die Zeit ab 1. März 1961 betrifft.
- Der Vertreter der Beigeladenen erklärt: Die Beigeladene erkennt für die Zeit ab 1. März 1961 Beitrags- und Beschäftigungszeiten, Ausfallzeiten und Kindererziehungszeiten sowie Ersatzzeiten im gleichen Umfang an, wie dies im Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 1986 geschehen ist.
- Die Klägerin ist mit dieser Regelung einverstanden.
In der Sache selbst wies das LSG die Berufung mit Urteil vom 11. Mai 1990 zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im wesentlichen aus: Die Beschäftigungsverhältnisse der Klägerin seien durch das Arbeitsbuch und die Bescheinigung vom 10. September 1981 nicht iS von § 19 Abs 2 FRG nachgewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht. Durch diese Unterlagen werde nur das Beschäftigungsverhältnis als solches und die Art der Tätigkeit bescheinigt. Die Arbeitsbücher in den Ostblockstaaten seien regelmäßig nur als Mittel der Glaubhaftmachung geeignet mit der Folge, daß die darin angegebenen Beschäftigungszeiten jeweils auf 5/6 zu kürzen seien. Insoweit hätten die beigebrachten Zeugenerklärungen keinen weiteren Beweiswert. Es habe auch kein ununterbrochenes Beschäftigungsverhältnis von mindestens zehnjähriger Dauer bei demselben Arbeitgeber vorgelegen. Bei Saisonarbeiten werde bei Nichtarbeit in den Wintermonaten das Beschäftigungsverhältnis auch dann unterbrochen, wenn der Versicherte bei demselben Arbeitgeber in der neuen Saison die Arbeit wieder aufgenommen habe. Die Klägerin habe nach eigenen Angaben die Kindergärtnerinnentätigkeit in der Zeit von November bis Februar nicht ausgeübt, ihre weiterhin bestehende Mitgliedschaft im Kolchos sei dabei unerheblich. Es könne daher ein ununterbrochenes Beschäftigungsverhältnis nicht festgestellt werden. Auch die im Arbeitsbuch bescheinigten Arbeitstage, die zwischen 111 und 319 Tagen je Jahr lägen, wonach die Klägerin den anerkannten Zeitraum von acht Monaten je Jahr in den meisten Jahren gar nicht erreichte, sprächen gegen eine ununterbrochene Beschäftigung.
Mit ihrer – vom Senat zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 15, 16, 19 Abs 2 Satz 2 FRG und die durch das LSG unterlassene Ermittlung zum tatsächlichen und rechtlichen Inhalt des Arbeitsverhältnisses eines Kolchosmitgliedes. Es sei verfahrensfehlerhaft, ohne eingehende Ermittlungen das Beschäftigungsverhältnis als Saisonarbeit zu bezeichnen und den Sachvortrag der Klägerin, wonach sie auch in den Monaten November bis Februar Arbeiten erbracht habe, damit abzutun, diese Arbeiten seien aus Gemeinschaftsgründen auch von anderen Kolchosmitgliedern ausgeführt worden. Die Klägerin habe das ganze Jahr über in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Sie habe bei Bedarf auch im Winter den Kindergarten offen halten müssen, habe Arbeiten im Kindergarten verrichtet und auf Veranlassung der Kolchosleitung an Fortbildungsmaßnahmen teilgenommen. Für die Jahre der Mitgliedschaft der Klägerin im Kolchos seien daher nicht nur die Monate März bis Oktober, sondern jeweils das gesamte Jahr vollständig als Beitragszeit zu werten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Detmold vom 28. Oktober 1988 und das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1990 abzuändern,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 31. Januar 1986 zu verurteilen, die FRG-Zeiten von Januar 1957 bis Februar 1961 ungekürzt zu 6/6 anzurechnen und
die Beigeladene über den Teilvergleich vom 11. Mai 1990 hinaus zu verurteilen, für die Zeit von März 1961 bis Februar 1982 auch jeweils die Monate von November bis Februar als Beschäftigungszeiten anzuerkennen und die in der Angestelltenversicherung zurückgelegten FRG-Zeiten anzuerkennen und die gesamten in der Angestelltenversicherung zurückgelegten FRG-Zeiten ungekürzt zu 6/6 anzurechnen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beklagte verweist ergänzend auf die durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) und das Gesetz zur Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts und zur Anpassung der Berliner Rentenversicherung an die Vorschriften des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes und des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960 idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1989 (FANG) geänderte Rechtslage.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist iS der Zurückverweisung begründet.
Die Feststellung von Versicherungszeiten der heimatvertriebenen Klägerin im Kontenklärungsverfahren richtet sich nach § 149 Abs 5 des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI). Diese Vorschrift ist nunmehr anzuwenden, denn gemäß § 300 Abs 1 SGB VI sind die Vorschriften dieses Gesetzbuches von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Gesetzesänderungen sind durch das Revisionsgericht grundsätzlich zu beachten, auch wenn sie erst nach dem Erlaß des mit der Revision angefochtenen Urteils in Kraft getreten sind (vgl BVerwGE 41, 227; Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl 1991, § 162 RdNr 8). Nicht nur das Verfahren zur Feststellung der Versicherungszeiten, sondern auch die Feststellung der Versicherungszeiten selbst richtet sich nach neuem Recht. In dem hier streitigen Zeitraum von 1957 bis 1982 geht es um die Feststellung von Versicherungszeiten, die nach den Bestimmungen des FRG zu beurteilen sind. Bei kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen – wie hier -besteht die Verpflichtung, das im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht zur Beurteilung des Sachverhalts anzuwenden (vgl ua BSGE 43, 5). Dabei ist auch zu überprüfen, ob Gesetzesänderungen auch bereits vorher eingetretene Sachverhalte erfassen.
Das FRG vom 25. Februar 1960 wurde durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I, 2261) und das Rentenüberleitungsgesetz vom 25. Juli 1991 (BGBl I, 1606 ≪RÜG≫) erheblich geändert und ergänzt. Spezielle Übergangsvorschriften für die jeweilige Fassung sind in den §§ 4 – 6 des Art 6 FANG (idF des RRG 1992 und RÜG) enthalten. Danach ist hier maßgebendes Recht das FRG idF des RRG 1992 und RÜG unter Beachtung der Übergangsvorschriften der §§ 4 – 6 des Art 6 FANG.
Die vom LSG zum Zeitpunkt seiner Entscheidung am 11. Mai 1990 zugrunde gelegte Fassung des § 19 Abs 2 FRG, nach der für das einzelne Jahr nicht nachgewiesener Zeiten 5/6 als Beitrags- oder Beschäftigungszeit, Zeiten einer ununterbrochenen Beschäftigung von mindestens zehnjähriger Dauer bei demselben Arbeitgeber jedoch in vollem Umfang angerechnet werden, wurde mit Wirkung ab 1. Januar 1992 gestrichen. Nunmehr sind nachgewiesene und iS von § 4 FRG glaubhaft gemachte Zeiten im vollen Umfang anzurechnen.
Im Hinblick auf die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1959 besteht zwischen den Beteiligten kein Streit über die Dauer der Beschäftigungs- oder Beitragszeit. Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 31. Januar 1986 hierfür die gesamte Zeit als glaubhaft gemacht angesehen, eine Anrechnung zu nur 5/6 erfolgte wegen des damals geltenden Rechts. Nach Wegfall des § 19 Abs 2 FRG ist daher die Zeit von 1957 bis 1959 in vollem Umfang zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt für die von der Beklagten anerkannten Zeiten der Jahre bis 1982 (jeweils von März bis Oktober).
Die Klägerin könnte jedoch jeweils auch in den Monaten November bis Februar Beitrags- oder Beschäftigungszeiten zurückgelegt haben. Das vom Kolchos-Syntasch am 2. September 1966 ausgestellte und danach fortgeführte Arbeitsbuch der Klägerin beinhaltet für die Jahre 1961 bis 1981 (ausgenommen das Jahr 1974) Beschäftigungs-/Beitragszeiten mit Angabe der jeweils angerechneten Arbeitstage und des angerechneten Entgelts. (Die konkrete Beschäftigungsdauer in den einzelnen Jahren fehlt allerdings, dh es sind weder Unterbrechungen wegen Arbeitsunfähigkeit oder Schwangerschaft angegeben, noch eine Begrenzung der Beschäftigung auf die Monate März bis Oktober.)
Dies könnte zumindest für einen Teil des Zeitraums darauf hindeuten, daß die Klägerin beitragspflichtig beschäftigt war. Insofern reichen jedoch die berufungsgerichtlichen Feststellungen zu den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen von Kolchosmitgliedern in der Sowjetunion für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Aus den dem erkennenden Senat zugänglichen Unterlagen ergeben sich folgende Hinweise, deren endgültige Feststellung jedoch dem LSG überlassen bleibt.
Kolchosmitglieder waren in der Sowjetunion ab 1. Januar 1965 durch Gesetz vom 15. Juli 1964 über Renten und Unterstützungen für Kolchosmitglieder (VVS.S.S.S.R Nr 29 vom 18. Juli 1964 Pos 340) in ein System der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen worden. Die von diesem Zeitpunkt an zurückgelegten Zeiten konnten mithin Beitragszeiten iS des § 15 Abs 1 Satz 1 FRG sein, wenn Beiträge entrichtet wurden.
Bei dem Rentenversicherungssystem für Kolchosmitglieder dürfte es sich um ein System handeln, das den Anforderungen von § 15 Abs 2 FRG entspricht. Die Mitglieder waren durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen und gegen die in § 15 Abs 2 FRG genannten Risiken versichert (Art 1). Die Mittel zu dem Zentralfond zur Sicherung der Kolchosmitglieder, der auf der Grundlage des Gesetzes vom 15. Juli 1964 über Renten und Unterstützungen für Kolchosmitglieder gebildet wurde, werden aus den Einkünften der Kolchosen und durch Staatszuschüsse aufgebracht (Art 4; s dazu Hülsbergen, Die Altersrentensysteme in der Sowjetunion und ihre Behandlung in der deutschen Sozialversicherung, Hamburg 1967, S 222). Die „Beitragszahlung” des Kolchos erfolgt in der Weise, daß der Kolchos einen bestimmten Prozentsatz seines jährlichen Bruttoertrages an den Zentralfond abführt (Teljukov „Das System der sozialen Sicherung in der UdSSR” in „Die Sozialversicherung” Heft 7/91 S 178).
Die für die Kolchosmitglieder abgeführten Beträge können auch als Beiträge iS des FRG anzusehen sein. Es ist nicht entscheidend, daß die Beitragszahlung weder von der Anzahl der Kolchosmitglieder noch von deren persönlichen Einkommen abhängig war und die Kolchosmitglieder auch selbst keine Beiträge zu zahlen hatten. Es genügt, wenn die Beiträge vom Betrieb aus dem Lohnfond entrichtet werden (vgl BSG SozR 5050 § 15 Nr 21).
Somit kommt ab 1965 für die Dauer der Mitgliedschaft der Klägerin zum Kolchos die Entrichtung von Beiträgen für sie in Betracht. Das ergibt sich auch daraus, daß das sowjetische Rentensystem die Gewährung einer Rente nicht an die monatliche oder tägliche Zahlung von Beiträgen bindet, sondern nur auf das Bestehen eines Arbeits- bzw Mitgliedschaftsverhältnisses abstellt. Nach Art 6 des Gesetzes vom 15. Juli 1964 haben Kolchosmitglieder das Recht auf eine Altersrente, wenn sie neben der Erreichung des 65. Lebensjahres bei Männern und des 60. Lebens-jahres bei Frauen eine Arbeitszeitdauer von 25 (Männer) bzw 20 Jahren (Frauen) zurückgelegt haben. Die Arbeitszeitdauer richtet sich nach der jährlichen Arbeit unabhängig vom Charakter und Dauer der Arbeit und der Dauer der Unterbrechung (vgl § 108 Staatsrentenordnung mit dem Hinweis, daß nach Hülsbergen aaO S 222 die Leistungsvoraussetzungen für eine Altersrente an Kolchosmitglieder denen des Staatsrentengesetzes angepaßt sind).
Dementsprechend muß das LSG insbesondere noch feststellen, ob ab 1965 Beiträge in ein sowjetisches Rentenversicherungssystem entrichtet wurden oder ihre Entrichtung als glaubhaft gemacht anzusehen ist.
Daneben muß auch noch geprüft werden, ob die Klägerin im Jahr 1957 als Arbeiterin im Kolchos angestellt war und sie deswegen den Bestimmungen des Staatsrentengesetzes unterlag.
Sofern die Klägerin von 1957 bis 1982 keine Beitragszeiten zurückgelegt hat, kann es sich doch um Beschäftigungszeiten iS von § 16 FRG handeln. Nach § 7 Abs 1 des Vierten Sozialgesetzbuches (SGB IV) ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Ein nichtselbständiges Arbeitsverhältnis setzt voraus, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist, dh daß er dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Hierzu könnten auch Kolchosmitglieder zählen. Auch insoweit sei auf einige Anhaltspunkte verwiesen, zu denen das LSG noch Feststellungen treffen muß.
Die arbeitsrechtliche Stellung der Kolchosmitglieder unterscheidet sich von derjenigen der Arbeiter/Angestellten in einem Staatsbetrieb (vgl zum folgenden Jahrbuch für Ostrecht, Bd VIII 1967). Im Staatsbetrieb wird der Arbeiter auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages tätig und nach staatlichen Tarifen entlohnt. Die Kolchosmitglieder stehen in einem Mitgliedschaftsverhältnis zum Kolchos. Ihre arbeitsrechtlichen Rechte und Pflichten ergeben sich aus dem von der Kolchosmitgliederversammlung verabschiedeten Kolchosstatut und aus der ebenfalls von der Mitgliederversammlung beschlossenen Arbeitsordnung. Sowohl das Statut als auch die Arbeitsordnung sind für alle Kolchosmitglieder verbindlich. In der Arbeitsordnung werden ua geregelt:
- Organisation der Arbeit im Kolchos (Einteilung der Kolchosmitglieder in Brigaden, Ernennung von Brigadiers, Pflichten der Kolchosmitglieder in der Brigade usw),
- Tagesarbeitsplan,
- Verteilung von Arbeitsaufträgen.
Die Kolchosmitgliederversammlung legt den Grad der Arbeitsbeteiligung jedes Kolchosmitglieds an der Erfüllung der Aufgaben des Kolchos und die Arbeitsnormen fest. Damit soll erreicht werden, daß jedes Kolchosmitglied voll ausgelastet wird. Die Entlohnung der Kolchosmitglieder erfolgt auf der Grundlage der von ihnen erbrachten „Arbeitseinheiten”, die als Maß der Leistung und Verteilung in Abhängigkeit von den Geldeinnahmen des Kolchos ebenfalls von der Mitgliederversammlung beschlossen werden.
Eine echte Selbstverwaltung konnte wegen der vollständigen Anbindung aller im Kolchos zu verrichtenden Arbeiten an staatliche Gesetze und andere Normativakte jedoch nicht entstehen, so daß das einzelne Kolchosmitglied sowohl persönlich als auch wirtschaftlich abhängig von der staatlich reglementierten Kolchosleitung waren. Kolchosmitglieder waren letztlich bei ihrer Arbeit im Kolchos nach Art, Ort, Zeit und Ausführung an fremde Weisungen gebunden, ihre Tätigkeit weist damit die Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses gegen Entgelt auf (vgl Urteil des Bayerischen LSG vom 12. November 1964 in Amtsblatt Bayern 1965, G 5; BSGE 24, 251). Die Klägerin kann damit allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft als abhängig Beschäftigte anzusehen sein.
Das Mitgliedschaftsverhältnis der Klägerin zum Kolchos bestand nach den vorgelegten Arbeitsbuch offenbar während des gesamten Jahres. Aus dem Mitgliedschaftsverhältnis heraus ergab sich dann ihre Pflicht, Arbeit für den Kolchos zu leisten, und zwar nach Weisung der Kolchosverwaltung. Auch in Zeiten, in denen, bedingt durch die landwirtschaftlichen Besonderheiten, der Kindergarten geschlossen war, unterlag die Klägerin dem Weisungsrecht der Kolchosverwaltung, sie mußte jederzeit bereit sein, Arbeit zu leisten. Die Besonderheit des Mitgliedschaftsverhältnis gegenüber einem Arbeitsverhältnis besteht nämlich darin, daß die Mitglieder im Kolchos arbeiten müssen, zugleich in einem anderen, sei es staatlichen oder gesellschaftlichen, Betrieb aber nicht beschäftigt werden durften (vgl Jahrbuch für Ostrecht Bd VIII 1967 S 47). Das Vorbringen der Klägerin, sie habe auch in den Wintermonaten allgemein für den Kolchos und speziell für den Kindergarten Arbeiten erbringen sowie an Fortbildungsmaßnahmen (Nähkurs, Erzieherinnenausbildung) teilnehmen müssen, entspricht dieser Stellung.
Das LSG verkennt bei seiner Auffassung die besondere arbeitsrechtliche Stellung von Kolchosmitgliedern, die vielfältige Arbeiten auf Weisung der Kolchosverwaltung, also in abhängiger Beschäftigung, durchführen mußten. Dementsprechend kann auch nicht zwischen Feldarbeiterinnen und Kindergärtnerinnen unterschieden werden, wie das LSG meint (zumal auch Feldarbeiten nach den Aussagen des LSG im Winter nicht anfallen). Ausgehend von seiner Rechtsauffassung – die Tätigkeit der Klägerin sei Saisonarbeit – hat das LSG nicht geprüft, ob die Klägerin in den Wintermonaten weiterhin der Weisung der Kolchosverwaltung unterstand.
In diesem Zusammenhang wird das LSG auch die im Vergleich zum (normalen) Arbeitsverhältnis anders geartete Entlohnung der Kolchosmitglieder zu beachten haben. Die Entlohnung erfolgt ausschließlich aus Mitteln des Kolchos, also in Abhängigkeit von seinen Erträgen, wobei von diesen Erträgen zunächst die Ausgaben für den Kolchos (Kauf von Futtermitteln, Dünger, Aufwand für Verwaltungsaufgaben, Aufwendungen für soziale und kulturelle Zwecke) abgesetzt werden. Der „Rest” wird in Abhängigkeit von den erbrachten Leistungen der einzelnen Kolchosmitglieder auf diese verteilt. Zunächst erfolgte diese Verteilung erst am Ende eines Wirtschaftsjahres (eine Vorschußleistung war möglich), später gingen die Kolchosen zu einer monatlichen Bargeldzahlung über, wobei „Übergangsfonds” aus den jährlichen Wirtschaftserträgen gebildet wurden, um aus diesen die Löhne an die Kolchosmitglieder in den Wintermonaten auszuzahlen. Die Einführung der monatlichen Bargeldentlohnungen an Kolchosmitglieder hat das Zentralkomitee der kommunistischen Partei und der Ministerrat der UdSSR im Jahr 1966 beschlossen, einzelne Kolchosen haben diese Form der Entlohnung aber schon früher praktiziert (vgl Jahrbuch für Ostrecht 1967 Bd VIII S 51 – 57). Sofern das LSG zu der Feststellung gelangt ist, daß die Entlohnung der Klägerin auch in den Wintermonaten erfolgte, spricht dies zusätzlich für eine abhängige Beschäftigung der Klägerin auch in den Monaten November bis Februar.
Wegen der noch erforderlichen Feststellungen, die im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG), hält der erkennende Senat es für tunlich, den Rechtsstreit insgesamt an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen