Beteiligte
Seekasse – Rentenversicherungsanstalt für Seeleute – |
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 03.03.1999) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. März 1999 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beigeladenen auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Seekasse als Träger der Angestelltenversicherung eine ungeteilte Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten; streitig ist in diesem Zusammenhang das Recht der Beigeladenen auf eine sog Geschiedenenwitwenrente.
Die im Jahre 1920 geborene Beigeladene war seit dem Jahre 1954 mit dem am 2. Oktober 1994 verstorbenen Versicherten Hans-Joachim Dallmann verheiratet. Die Ehe der Beigeladenen und des Versicherten wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 24. Oktober 1974 aus dem Alleinverschulden des Versicherten geschieden. Aufgrund eines Unterhaltsvergleichs aus dem Jahre 1976 zahlte der Versicherte der Beigeladenen ab Mai 1977 bis zu seinem Tode 130 DM monatlich an Unterhalt. Die Beigeladene hat nach der Scheidung nicht wiedergeheiratet. Der Versicherte heiratete im Jahre 1975 die Klägerin.
Auf die jeweiligen Anträge der Beigeladenen und der Klägerin vom 13. Oktober 1994 gewährte die Beklagte sowohl der Klägerin als auch der Beigeladenen jeweils durch Bescheid vom 27. April 1995 die große Witwenrente unter Aufteilung der „Gesamtrente” nach dem Verhältnis der Zeiten, in denen der Versicherte mit der Klägerin und der Beigeladenen verheiratet war. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 1995 zurück.
Das SG Hamburg hat durch Urteil vom 19. November 1997 die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 3. März 1999). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Zutreffend habe die Beklagte der Beigeladenen ein Recht auf die – anteilige – große Witwenrente zuerkannt, so daß die beiden, die Witwenrenten der Klägerin und der Beigeladenen betreffenden Bescheide, die Gegenstand des Verfahrens seien, rechtmäßig seien. Der Versicherte habe der Beigeladenen Unterhalt bis zu seinem Tode geleistet. Unterhalt in diesem Sinne sei nach der Rechtsprechung des BSG, der vom Versicherten an seinen früheren Ehegatten gezahlte Betrag, wenn er wenigstens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe entsprochen habe. Dieser habe in Schleswig-Holstein im Juli 1993 519 DM und im Juli 1994 520 DM betragen, so daß der Unterhaltsbetrag im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten den Grenzbetrag überschritten bzw erreicht gehabt habe.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt; sie rügt sinngemäß eine Verletzung von § 243 Abs 2 SGB VI und trägt vor:
Die Vorinstanzen seien zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Beigeladenen eine anteilige Witwenrente zustehe. Unzutreffend sei, daß der Versicherte einen wesentlichen Unterhaltsbeitrag iS der Rechtsprechung geleistet habe. Den Entscheidungen des BSG sei lediglich zu entnehmen, daß ein Unterhalt dann unwesentlich sei, wenn er 25 % des jeweiligen Sozialhilfesatzes nicht erreiche. Ungeklärt jedoch sei, ob es sich um einen wesentlichen oder unwesentlichen Unterhalt handele, wenn – wie hier – dieser Prozentsatz nur geringfügig überschritten werde. Nach der Entscheidung des BSG vom 25. Juni 1975 (BSGE 40, 79) handele es sich bei dem Prozentsatz nicht um einen absoluten Grenzwert. Ein Vergleich des Unterhaltsbeitrags zur anteiligen monatlichen Rente, die sechsmal so hoch wie der gezahlte Betrag sei, zeige, daß insoweit ein Ungleichgewicht bestehe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. März 1999, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. November 1997 sowie den die Witwenrente der Beigeladenen betreffenden Bescheid vom 27. April 1995 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 1995 zu verurteilen, ihr eine ungeteilte Witwenrente zu zahlen.
Die Beigeladene und die Beklagte beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene und die Beklagte halten das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beigeladene ist der Auffassung, daß keine sachlichen Gründe für eine Abweichung von der objektivierten Betrachtungsweise vorlägen; das Festhalten an der 25 %-Grenze sei im Interesse der Rechtssicherheit geboten.
Die Beklagte weist ergänzend darauf hin, daß die Wirkung von Grenzbeträgen der Rechtssicherheit diene; dies gelte für den jeweils Betroffenen sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß Gegenstand des Rechtsstreits die beiden, die anteilige Witwenrente betreffenden, gegenüber der Klägerin und der Beigeladenen ergangenen Bescheide der Beklagten vom 27. April 1995 sind (gegenüber der Klägerin in der Gestalt des Widerspruchsbescheides). Richtet sich nämlich die Klage einer Witwe gegen die Aufteilung einer Rente zwischen ihr und der geschiedenen ersten Ehefrau des Versicherten (§ 91 Satz 1 SGB VI), so ficht sie damit nicht nur den ihr selbst erteilten Rentenbescheid mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) an, sondern mit einer – weiteren – Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) auch den der geschiedenen Ehefrau (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 91; SozR 3-2600 § 91 Nr 1 S 3). Hat deren Rentenberechtigung nach § 243 Abs 2 SGB VI nämlich für die Witwe die Teilung gemäß § 91 SGB VI zur Folge, so ist sie hierdurch beschwert (§ 54 Abs 2 SGG).
Zutreffend hat das LSG ein Recht der Beigeladenen auf eine – anteilige – Witwenrente gemäß § 243 Abs 2 SGB VI bejaht und damit ein Recht der Klägerin auf eine ungeteilte Witwenrente verneint. Infolgedessen haben die angefochtenen Bescheide Bestand. Einer Sachentscheidung steht nicht entgegen, daß eine wechselseitige Benachrichtigung der Klägerin und der Beigeladenen von den jeweils anhängigen Verwaltungsverfahren unterblieben war (vgl § 12 Abs 2 SGB X). Denn beide Beteiligte haben auf die Wiederholung des Verwaltungs-/Widerspruchsverfahrens verzichtet (vgl hierzu BSG SozR 3-2200 § 1227a Nr 7 S 14 mwN).
Das Recht der Beigeladenen auf eine anteilige große Witwenrente beurteilt sich nach § 243 Abs 2 SGB VI. Danach besteht ein derartiger Anspruch ua für geschiedene und nicht wiederverheiratete Ehegatten, die das 45. Lebensjahr vollendet haben, wenn die Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist, sofern der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30. April 1942 verstorben ist. Diese Voraussetzungen für das Recht der Beigeladenen liegen hier vor, wovon die Beteiligten auch übereinstimmend ausgehen. Streit besteht allein darüber, ob die weitere Voraussetzung für ein Recht auf die anteilige große Witwenrente nach § 243 Abs 2 Nr 3 SGB VI gegeben ist, nämlich ob die Beigeladene von dem Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt iS des Gesetzes erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tod einen Anspruch hierauf hatte. § 243 Abs 2 Nr 3 SGB VI enthält mithin (ua) zwei alternative Anspruchsvoraussetzungen. Nach der ersten Alternative – „Unterhalt von dem Versicherten erhalten hat” – ist Voraussetzung, daß der Versicherte für die Dauer eines Jahres tatsächlich Unterhalt an seine geschiedene Ehefrau gezahlt hat. Bei der zweiten Alternative ist hingegen allein das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs – unabhängig davon, ob dieser erfüllt worden ist oder nicht – in dem maßgeblichen Zeitraum entscheidend.
Dahinstehen kann hier letztlich, ob die 2. Alternative der Regelung zutrifft und die Beigeladene im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten (ggf unter Berücksichtigung von § 323 ZPO) einen Anspruch auf Unterhalt nach § 58 Ehegesetz (vgl Art 12 Nr 3 Abs 2 des ersten Ehegesetzes vom 14. Juni 1976, BGBl I S 1421) gehabt hätte. Denn jedenfalls hat der Versicherte der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tod tatsächlich Unterhalt iS von § 243 Abs 2 Nr 3 1. Alternative SGB VI geleistet. Unter Unterhalt in diesem Sinne ist nur ein „sozialrechtlich bedeutsamer Unterhalt” zu verstehen. Nach ständiger Rechtsprechung, die vom BSG bereits zu dem insoweit gleichlautenden § 1265 RVO (bzw § 42 AVG) entwickelt worden ist, ist nicht jeder als Unterhalt (geschuldete oder) gezahlte Geldbetrag bereits „Unterhalt” und iS der og Vorschriften „sozialrechtlich bedeutsam”, sondern nur ein Betrag in Höhe von mindestens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes nach dem BSHG (vgl § 22 BSHG). Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung (Urteil des 4. Senats vom 25. Juni 1975, BSGE 40, 79 ff = SozR 2200 § 1265 Nr 5), wonach der gezahlte Betrag „etwa” 25 vH des zeitlich und örtlich geltenden Sozialhilfesatzes entsprechen müsse, ist in der Entscheidung vom 12. Mai 1982 (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 63 S 212) aufgegeben worden; der 5. Senat hat in diesem Zusammenhang festgehalten, daß im Interesse der Rechtssicherheit und Gleichbehandlung ein Unterhaltsbeitrag „stets wenigstens” in Höhe von 25 vH des zeitlich und örtlich geltenden Regelsatzes der Sozialhilfe erbracht worden sein müsse; bei einer auch nur geringfügigen Unterschreitung des Prozentsatzes sei die Verpflichtung und Leistung des Versicherten nicht als „Unterhalt” anzusehen. Dieser Entscheidung haben sich die übrigen mit dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung befaßten Senate des BSG angeschlossen (vgl hierzu BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 4 S 16; SozR 2200 § 1265 Nrn 65, 66). Damit liegt nach der Rechtsprechung des BSG die Grenze fest, ab der von einem ins Gewicht fallenden Unterhalt auszugehen ist. Ist dieser Betrag erreicht, so liegt – unabhängig davon, ob und ggf in welcher Höhe die geschiedene Ehefrau einen Anspruch auf Unterhalt gegen den Versicherten gehabt hätte – ein sozialrechtlich relevanter Unterhaltsbeitrag vor. Dieser als „Unterhalt” geleistete Betrag bemißt sich somit nicht nach dem konkreten individuellen Bedarf der geschiedenen Ehefrau oder etwa nach ihrem oder des Versicherten Lebensstandard. Er orientiert sich vielmehr an einem objektiven Maßstab unter Zugrundelegung der jeweiligen zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten. Damit sollen Zufälligkeiten, wie sie sich bei einer individuellen Betrachtung ergeben könnten, ausgeschlossen und eine einheitliche Handhabung gewährleistet werden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, daß die anteilige Witwenrente der Beigeladenen höher ist als es die Unterhaltsleistung des Versicherten war. Zwar hat die sog Geschiedenenwitwenrente Unterhaltsersatzfunktion. Die geschiedene Ehefrau des Versicherten soll einen Ausgleich erhalten, wenn ihr durch den Tod des Versicherten tatsächlich Unterhalt (oder ein Unterhaltsanspruch) entgangen ist (vgl hierzu ua BVerfG SozR 3-2200 § 1265 Nr 10 S 58). Was als Unterhalt in diesem Sinne anzusehen ist, der durch die Geschiedenenwitwenrente ausgeglichen werden soll, hat das BSG – wie ausgeführt – nach objektiven Kriterien festgelegt. Allein das Vorliegen einer Leistung in dieser Höhe ist Voraussetzung für die Entstehung des Rechts auf Geschiedenenwitwenrente. Lag ein ins Gewicht fallender Unterhaltsbeitrag nach den og Kriterien vor, so hängt – sodann – die Höhe der Hinterbliebenenrente (ebenfalls) nicht von dem konkreten Unterhaltsbedarf ab, sondern von der Versicherungsbiographie des Versicherten und der für die Aufteilung der Rente maßgeblichen Anzahl der Ehejahre. Insoweit hat der Gedanke Berücksichtigung gefunden, daß während des Bestehens der Ehe typischerweise die Beitragslasten von beiden Eheleuten gemeinsam getragen werden (vgl hierzu BSG SozR Nr 49 zu § 1265 RVO). Je nach Gestaltung des Versicherungslebens kann also die aufzuteilende Rente höher oder niedriger als der geleistete Unterhalt sein. Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, daß die vom Gesetzgeber gewählte Anknüpfung und die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Auslegung des Begriffs „Unterhalt” im Rahmen einer auch der Verwaltungsvereinfachung dienenden pauschalierenden Betrachtung gegen Verfassungsrecht verstoßen (vgl hierzu BVerfG SozR 2200 § 1265 Nr 95; SozR 2200 § 1268 Nr 23).
Da nach den Feststellungen des LSG der vom Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode gezahlte Unterhalt von 130 DM monatlich 25 vH des 1993/1994 in Schleswig-Holstein geltenden Regelsatzes der Sozialhilfe entsprach, steht der Beigeladenen ein anteiliges Recht auf Witwenrente zu. Die Revision der Klägerin hat mithin keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen