BAG, Urteil v. 22.8.2018, 5 AZR 592/17
Die den Arbeitgeber treffende primäre Darlegungs- bzw. sekundäre Behauptungslast bei der Frage des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn bzw. Schadensersatz des Arbeitnehmers wegen Nichtbeschäftigung aufgrund einer streitigen Leistungsfähigkeit kann grundsätzlich dadurch erfüllt werden, dass der Arbeitgeber sich im Prozess auf eine betriebsärztliche Stellungnahme über die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers beruft. Bei deren Würdigung ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich hierbei nicht um ein Beweismittel i. S. d. §§ 355 ff. ZPO handelt, sondern um ein Privatgutachten, das als qualifizierter Parteivortrag zu werten ist. Die gutachterliche Stellungnahme begründet nach § 416 ZPO lediglich Beweis dafür, dass der Betriebsarzt die in der Urkunde enthaltenen Erklärungen abgegeben hat, nicht aber dafür, dass die ihr zugrunde gelegten Befunde und Schlussfolgerungen zutreffend sind. Über deren behauptete Richtigkeit muss das Gericht ggf. nach allgemeinen Regeln Beweis erheben.
Sachverhalt
Die Klägerin, bei der Beklagten seit Januar 2001 mit einer regelmäßigen durchschnittlichen Arbeitszeit von 20 Wochenstunden beschäftigt, war seit dem 26.5.2011 längere Zeit krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Auch nachdem der Betriebsarzt mit Schreiben vom 18.1.2012 der Beklagten mitteilte, dass aus arbeitsmedizinischer Sicht keine Bedenken gegen eine Tätigkeit der Klägerin in ihrem Bereich bestünden, war diese weiterhin arbeitsunfähig erkrankt. Am 17.4.2015 erstellte der Betriebsarzt nach einer Untersuchung der Klägerin ein Leistungsbild. Dies ergab, dass das festgestellte Restleistungsvermögen eine Tätigkeit entsprechend der bisherigen Beschäftigung der Klägerin nicht mehr zuließ. Allerdings wurde im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) festgestellt, dass eine Tätigkeit auf einem anderen Arbeitsplatz im Bereich "integrierte Lesevideocodiermaschine-Videocodiertunnel" möglich sei. Eine weiter Untersuchung Anfang 2016 ergab jedoch, dass auch hier eine Beschäftigung der Klägerin ausgeschlossen war. Da diese jedoch anderer Auffassung war, forderte sie die Beklagte auf, ihr die im BEM benannte Tätigkeit zuzuweisen und verwies hierbei auf eine beigefügte Bescheinigung ihres behandelnden Facharztes. Aufgrund einer weiteren, Mitte Juni 2016 durchgeführten Untersuchung kam der Betriebsarzt zum Ergebnis, dass die Belastbarkeit für eine dauerhafte Beschäftigung der Klägerin in dem im BEM benannten Bereich nach wie vor nicht sicher gegeben sei und ein – zwar möglicher – Arbeitsversuch Risiken berge, sodass eine Wiedereingliederungsmaßnahme von mindestens 3 Monaten dringend zu empfehlen sei. Dies lehnt die Klägerin erneut ab und legte am 15.9.2016 ein neuerliches Attest ihres behandelnden Facharztes vor. In diesem wurde bescheinigt, dass eine Wiedereingliederungsmaßnahme nicht erforderlich sei. Seit dem 2.11.2016 arbeitete die Klägerin als Sortiererin im Arbeitsbereich "ILVM/Videocodierung". Sie klagte nun u. a. auf Vergütung für die Zeit vom 15. Februar bis zum 31.10.2016. Sie begründete dies u. a. damit, dass sie spätestens seit Mitte Februar 2016 für den benannten Arbeitsplatz arbeitsfähig gewesen sei, die Beklagte sie jedoch trotz ihrer Aufforderung dort nicht beschäftigt hatte, sodass die Beklagte in Annahmeverzug gekommen sei.
Die Entscheidung
Vor dem LAG hatte die Klage keinen Erfolg. Allerdings hat das BAG das Urteil des LAG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.
Das Gericht führte hierzu aus, dass in Fällen, in denen der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, die zu bewirkende Arbeitsleistung zu erbringen, der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet sein kann, ihn auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen. Komme der Arbeitgeber diesem Verlangen schuldhaft nicht nach, dann könne dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch wegen entgangener Vergütung nach § 280 Abs. 1 BGB zustehen. Dieser Anspruch setze, so das BAG, jedoch voraus, dass der Arbeitnehmer im maßgeblichen Zeitraum für die beanspruchte andere Tätigkeit auch objektiv leistungsfähig gewesen sei. Soweit sich demgegenüber der Arbeitgeber auf die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers berufe, trage er für die Voraussetzungen dieser Einwendung die Beweislast. Da dieser über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers jedoch grds. keine näheren Kenntnisse habe, genüge er seiner Darlegungslast regelmäßig schon dann, wenn er Indizien vortrage, aus denen auf eine Leistungsunfähigkeit im Annahmeverzugszeitraum geschlossen werden könne. Seien, so das Gericht weiter, solche Indizien vorgetragen, dann sei es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung der behaupteten Tatsachen zu erschüttern, bspw. durch Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht. Danach trage der Arbeitgeber die weitere Beweislast für die Leistungsunfähigkeit. Hierbei könne dieser sich auf das Zeugnis der den Arbeitnehmer behand...